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auf & ab - ein kommen & gehen

Das Ende ist nah

VON NICOLAS FREUND

Früher haben Künstler und Wissenschaftler optimistisch in die Zukunft geschaut. Heute ist die Dystopie zum Mainstream geworden und könnte sich zur selbsterfüllenden Prophezeiung entwickeln – dabei ginge es auch ganz anders



„Wir haben für bestimmte Dinge, die wir gerade entstehen sehen, eigentlich noch keinen Begriff“, meint der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl im Dokumentarfilm „Near and Elsewhere“.
FOTO: DÉJÀ-VU FILM


Die Zukunft ist schon jetzt eine Katastrophe. Klimawandel, Insektensterben, autoritäre Politiker und neue, schwer einschätzbare Technologien wirken wie die bedrohlichen Boten einer kommenden Zeit, die nichts Gutes bereithalten kann.

Die Zukunft jetzt schon als Katastrophe? Muss das sein? Natürlich ist es wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, was alles schiefgehen könnte und vielleicht sogar für den schlimmsten Fall vorauszuplanen. Aber nur die Vorboten einer Katastrophe zu sehen schränkt die Perspektive ein und lenkt das Denken in vorbestimmte Bahnen. Auch, weil der möglicherweise kommende Untergang so zunehmend als unvermeidlich erscheint und nicht mehr als eine Möglichkeit unter vielen.

Eine solche Vorstellung von der Unvermeidbarkeit der Zukunft ist eigentlich Merkmal eines religiös geprägten Geschichtsbildes. Seit der Aufklärung war dieser Determinismus überwunden, nun kehrt er in der Form populärwissenschaftlicher Erzählungen sowie dystopischer Science-Fiction-Romane und Filme wieder in die Köpfe zurück. Diese Art von Erzählung ist besonders mächtig, denn es sind gerade die Fiktionen, die unsere Vorstellung von der Zukunft stark in eine Richtung lenken können.

Das dachten bereits die Romantiker, in deren Schriften sich oft das Politische mit dem Persönlichen zu einer Welt, wie sie sein könnte, verband. 1826 erschien Mary Shelleys Roman „The Last Man“ („Verney, der letzte Mensch“), in dem eine Seuche die Menschheit dahinrafft. Der Roman der „Frankenstein“-Autorin wurde auch als negative Wendung der Ideale der Aufklärung gelesen. Eine schlechte Zukunft ohne göttlichen Einfluss war denkbar geworden, genauso wie der alles besser zu machen versprechende Fortschritt. Es entstand ein Bewusstsein der Katastrophe und der Rolle des Menschen darin.

Obwohl das 20. Jahrhundert 
von Zukunftsängsten geprägt war, 
schien Besserung in Sicht zu sein

Wie in den philosophischen Theorien dieser Zeit findet sich in den Kunstwerken die Perspektive eines Menschen wieder, der im Angesicht einer überwältigenden Macht auf sich selbst zurückgeworfen wird, was einen Reflexionsprozess in Gang setzt. Die Vorstellung der Katastrophe und der Rolle des Menschen in ihr eröffnet im Umkehrschluss ein Spektrum alternativer Möglichkeiten. Es könnte auch ganz anders kommen, es könnte alles anders sein, als es jetzt ist.

Vielleicht sortierte sich in den folgenden Jahrzehnten die Welt deshalb aus dieser säkularen Geisteshaltung einer offenen Zukunft heraus in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft vollkommen neu. Die konkurrierenden Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts–Kapitalismus und Kommunismus, Demokratie und Totalitarismus – lassen sich auch als verschiedene Entwürfe von Zukunft verstehen.

Dabei ging es nie nur um Katastrophen – Katastrophen waren diese Zukunftsentwürfe höchstens für die anderen –, sondern um Utopien, um bessere Welten. Parallel zu den Weltuntergangsszenarien entwickelte nicht nur die Politik, sondern auch die Kunst solche besseren Welten, die in manchen Fällen direkten Einfluss auf die Gegenwart nahmen. Der geostationäre Satellit wurde von dem Sci-Fi-Autor Arthur C. Clarke erfunden und ist heute Wirklichkeit. Die sich im 19. Jahrhundert formierenden Nationalstaaten bezogen Teile ihrer Identität aus literarischen Texten. Gerade die Literatur hat eine wichtige Funktion für das Denkbarmachen von Zukunft und Alternativen zur bestehenden Ordnung.

Obwohl das 20. Jahrhundert von vielen Zukunftsängsten geprägt war, schien das, was kommt, doch die meiste Zeit über besser werden zu können als das, was schon war. Vielleicht versteckt sich in der anhaltenden Nostalgie für die verschiedenen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts auch eine Sehnsucht nach der Zukunft, die sie einst versprachen. Zu Ende war es mit der offenen Zukunft mit dem Untergang der Sowjetunion, wenn auch zunächst unter positiven Vorzeichen. Plötzlich schien es, als bestünde die Zukunft nur noch aus Demokratie, Kapitalismus und stetig wachsendem Wohlstand – ohne Atomkriege und Diktaturen. Diese Annahme war etwas voreilig, sie war aber nicht falsch in ihrer Feststellung einer Verengung der möglichen Zukunftsszenarien.

Diese erscheinen nämlich etwa von der Jahrtausendwende an wieder zunehmend apokalyptisch und dazu auch noch zunehmend alternativlos. Der Möglichkeitsraum der Zukunft, den die Moderne eröffnete, blieb bestehen, verengte sich aber. Von Jugendbüchern wie Suzanne Collins’ „Die Tribute von Panem“ bis zu Romanen wie Cormac Mc Carthys „Die Straße“ sind die Dystopie und der Weltuntergang in den letzten Jahren zum Mainstream geworden. Utopien gibt es nur noch als Nostalgie. „Star Trek“ – einst die Vorwegnahme einer klassenfreien Gesellschaft im amerikanischen Fernsehen – ist jetzt ein Remake.

Diese Tendenz zur Katastrophe als einzige verbleibende Möglichkeit zeigt sich längst auch jenseits der Fiktionen. Nick Bostrom zum Beispiel ist Direktor des The Future of Humanity Institute an der Universität Oxford und hat ein ganzes Buch mit mehra ls 20 Aufsätzen über verschiedene Bedrohungsszenarien für die Zukunft der Menschheit herausgegeben, von kaum kalkulierbaren kosmischen Katastrophen bis zu den Gefahren eines Atomkriegs oder einer globalen Epidemie. Auch in künstlicher Intelligenz sieht er vor allem eine existenzielle Bedrohung und hat darüber ein ganzes Buch geschrieben.

Zuletzt sind auf Deutsch seine gesammelten Aufsätze „Die Zukunft der Menschheit“ erschienen. Darin warnt er ebenfalls vor dem drohenden Ende der Menschheit und ruft die „Vermeidung existenzieller Risiken als globale Priorität“ aus. Das ist verdienstvoll, schließt aber auch in den positiven Szenarien ein Ende der Menschheit, wie wir sie kennen, ein. In seinen Aufsätzen schwärmt Bostrom von einem Posthumanismus, auf den angeblich jeder technologische Fortschritt unvermeidbar hinausläuft.

An Katastrophenentwürfen 
mangelt es nicht, 
aber die Utopie müssen wir neu erlernen

Dass der Fortschritt dem Menschen viele ungeahnte Möglichkeiten und Verbesserungen seiner Lebensumstände bereiten kann, steht außer Frage. Auch ist unstrittig, dass sich der Mensch in den folgenden Jahrhunderten verändern wird. Es ist aber bezeichnend für diese Haltung der Propheten einer möglichen und angeblich erstrebenswerten Gesellschaft aus Supermenschen, dass sich die Hälfte der Aufsätze Bostroms in dem aktuellen Buch mit der Frage der Vereinbarkeit von Menschenwürde und der Verbesserung des Menschen auseinandersetzen.

Ganz ähnliche Vorstellungenvonder drohenden Katastrophe und der Verschmelzung des Menschen mit Nano-Robotern oder Datenströmen finden sich auch in den Büchern des Google-Chefentwicklers Ray Kurzweil und des Historikers Yuval Noah Harari. Und der amerikanische Physiker Michio Kaku entwirft in seinem aktuellen Buch „Abschied von der Erde. Die Zukunft der Menschheit“ eine posthumane Zukunft im Weltraum. Eine gute Zukunft gibt es nur noch zu einem hohen Preis, meistens den der gesamten Menschheit.

Das, was kommt, scheint wieder quasireligiös determiniert zu sein. Es gibt kein Kontinuum an Möglichkeiten mehr, sondern nur noch einen eng umgrenzten Bereich von Katastrophen, die so oder so ähnlich eintreten sollen: Künstliche Intelligenz wird vielleicht zur Bedrohung und selbst wenn nicht, dann müssen die Menschen irgendwie mit ihr verschmelzen und trotzdem verschwinden. Der Klimawandel ist eigentlich schon nicht mehr aufzuhalten. Die Demokratie ist in der Krise und hat vielleicht auch ganz ausgesorgt. Das Muster wiederholt sich, Alternativen zu diesen Prophezeiungen sind keine in Sicht.

Vor Kurzem lief der Dokumentarfilm „Near and Elsewhere“ im Kino, der zeigte, dass eine Diskussion über die Zukunft aus diesen Mustern ausbrechen kann und muss. „Wir haben für bestimmte Dinge, die wir gerade entstehen sehen, eigentlich noch keinen Begriff“, meint der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl in dem Film. Vogl, der auch ein Buch über das Zaudern geschrieben hat, weist in dem Film darauf hin, „dass wir lernen müssen, bestimmte Automatismen abzustellen“.

An Katastrophenentwürfen mangelt es derzeit nicht, was fehlt, ist das kurze Innehalten des Menschen und die Reflexion in ihrem Angesicht. In Utopieentwürfen und ihren dystopischen Pendants geht es selten um die Zukunft, sondern meistens um die Gegenwart. Diese sollte sich nicht nach den Prophezeiungen richten, sondern die Erzählungen einer Welt, wie sie sein könnte, zur Analyse dessen nutzen, was ist. Damit die Katastrophe nicht zur einzigen Alternative wird.

Süddeutsche Zeitung, S. 12 - Feuilleton, Freitag, 3. Mai 2019

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statt eines herzzerreißenden aber mutmachenden kommentars möchte ich hierzu den text abdrucken eines abgenudelten operetten-solos aus dem "land des lächelns" von franz lehar, das richard tauber so unvergleichlich intoniert hat:




Ich trete ins Zimmer, von Sehnsucht erbebt,
Das ist der heilige Raum,
in dem sie atmet, in dem sie lebt,
sie meine Sonne, mein Traum.
Oh klopf nicht so stürmisch, du zitterndes Herz,
Ich hab dich das schweigen gelehrt.
Was weiß sie von mir, von all meinem Schmerz,

Von der Sehnsucht, die mich verzehrt.
Auch wenn uns Chinesen das Herz auch bricht,
Wen geht das was an, wir zeigen es nicht.

Immer nur lächeln und immer vergnügt,
Immer zufrieden, wie's immer sich fügt.
Lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen,
Doch wie’s da drin aussieht, geht niemand etwas an.

Ich kann es nicht sagen, ich sage es nie,
Bleibt doch mein Himmel versperrt.
Ich bin doch ein Spielzeug, ein Fremder für sie,
Nur ein exotischer Flirt.
Sie hat mich verzaubert, sie hat mich betört,
Wie Haschisch, wie purpurner Wein.

Es kann ja nicht sein, dass sie mich erhört,
Doch im Traum darf ich selig sein.
Sie soll es nicht merken, nicht fühlen, oh nein.
Wen kümmert mein Schmerz,
nur mich ganz allein.

Immer nur lächeln und immer vergnügt,
Immer zufrieden, wie’s immer sich fügt,
Lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen,
Doch niemals zeigen sein wahres Gesicht.

Immer zufrieden, wie’s immer sich fügt,
Lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen,
Doch wie’s da drin aussieht, geht niemand' etwas an.

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uns als trost.bonus - noch'n gedicht von sinedi:


es ist ein kommen & gehen ... - sinedi