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fotodokument der zeitgeschichte - eine zensur findet nicht statt ...


In aller Unschuld

Die „New York Times“ steht unter Druck, weil sie ein Foto veröffentlichte von den Opfern der jüngsten Terrorattacke in Nairobi. Der Vorwurf: Wären die Betroffenen Weiße, wäre das Foto nicht gezeigt worden

von Bettina Gaus - politische Korrespondentin der taz


Das Foto verstört. Leichen sind darauf zu sehen, zusammengesunken auf den Stühlen eines Cafés. Auf dem Tisch vor einem der Toten steht ein aufgeklappter Laptop. „Aus dem Leben gerissen“: Die abgedroschene Formulierung kommt mir plötzlich gar nicht mehr so abgedroschen vor.

Die Ermordeten sind Opfer der jüngsten Terrorattacke in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Bei dem Angriff der islamistischen Al-Shabaab-Miliz auf einen Hotel-und Bürokomplex starben bisherigen Angaben zufolge mindestens 26 Menschen, darunter 5 Terroristen.

Tragen Fotos der Toten, veröffentlicht von der New York Times, irgend etwas zum Erkenntnisgewinn bei? Viele Kenianerinnen und Kenianer finden: Nein. Über eine der angesehensten Tageszeitungen der Welt bricht Protest herein.

Respektlos gegenüber den Angehörigen sei die Veröffentlichung des Bildes. Wären die Opfer weiß gewesen, hätte es sich um Europäer oder US-Amerikaner gehandelt, dann wäre das Foto nicht erschienen. Inzwischen hat der kenianische Medienrat eine Entfernung des Bildes gefordert, außerdem eine Entschuldigung und mit einem Entzug der Akkreditierung für die Bürochefin der New York Times in Nairobi gedroht.

Als ich von den Protesten hörte, war ich begeistert. Endlich, endlich, endlich können sich Betroffene gegen doppelte Maßstäbe wehren, so mein erster Gedanke. Dem Internet sei Dank! Auch Afrikanerinnen und Afrikaner müssen nicht mehr hinnehmen, was und wie über sie berichtet wird.

Der Protest war nicht bestellt. Wenige Stunden nach den ersten Meldungen über den Angriff telefonierte ich mit einem engen Freund in Kenia. Er war nur tief traurig. Und sagte dann, fast sofort: „Die New York Times postet Fotos der Opfer. Hast du das gesehen?“ Seine Wut war spürbar.

Also war ich darauf vorbereitet, das Foto bestenfalls überflüssig, vielleicht sogar rassistisch zu finden. Meine spontane Sympathie galt denjenigen, die dagegen protestierten. Dann habe ich mir das Bild aus dem Netz herausgesucht. Und hatte ein Problem.

Ich fand und finde es nämlich gut. Hätte ich zu entscheiden gehabt – ich hätte es auch veröffentlicht. Die Gesichter der Toten sind darauf nicht zu sehen. Was hingegen zu sehen ist: arg-und wehrlose Menschen in einer friedlichen Umgebung, die Opfer wurden. Zufällig, ganz und gar zufällig.

Was können und sollen Fotos erreichen? Im Regelfall sprechen sie Gefühle an. Niemals sollen und können sie eine politische Analyse ersetzen. Das Foto der New York Times unterfüttert eine nüchterne Nachricht emotional.

Die Zeitung wurde erkennbar kalt erwischt von dem Shitstorm, der über sie hereinbrach. Sie hat nun ein Interview mit zwei Verantwortlichen veröffentlicht, das vor allem etwas deutlich macht: Hilflosigkeit. Einerseits haben alle alles richtig gemacht, andererseits soll ein Gremium gebildet werden, das dafür sorgt, dass künftig alles noch richtiger gemacht wird.

Hm. Es gibt ja gute Gründe dafür, dass „richtig“ nicht steigerbar ist. Richtiger geht nicht.

Die Foto-Diskussion nach dem jüngsten Anschlag in Nairobi zeigt zweierlei: Medien haben auch in den vermeintlich führenden Mächten dieser Welt nicht mehr die alleinige Deutungshoheit.

Toll. Das bedeutet aber andererseits auch, dass vormals Ohnmächtige, die plötzlich eine Stimme haben, sich an Kritik gewöhnen müssen. Und dass es möglich sein muss zu sagen: Auch Unterprivilegierte haben nicht immer recht.

Die Welle der Wut gegen die New York Times bedroht die Pressefreiheit.


aus: taz am wochenende, 19./20.01.2019 - S. 1
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ich bin bei google fündig geworden: dies ist das Foto, das diesen shitstorm gegenüber der new york times auslöste - foto von khalil senosi / associated press
zum original nyt-beitrag →click here

ich wollte mich nicht an irgendeiner form von sensationslüsterner leichenfledderei beteiligen, beim suchen nach diesem beanstandeten foto bei google, das ich schließlich dann auch aufgetan habe - das internet vergisst ja nichts ...

ich denke mir - wir schauen viel zu oft weg - oder gar nicht erst hin, wir spalten ab, verdrängen, verschweigen ... am leben teilnehmen und auch anteil nehmen heißt auch: nicht den blick abzuwenden sondern auch das elend zu fixieren und dagegen anzugehen - wir dürfen uns mit der hölle auf erden nicht abfinden und all dem gagaesken zeitgeist-gedölmer ...

es geht mir um die "moralische" bewertung dieses kontrovers beurteilten fotos - für mich ist es ein fotodokument der zeitgeschichte - und es geht mir um das, was mir beim anblick dazu durch den kopf geht ... 

afrikaner*innen sind ja wohl oft der meinung, dass die übrige welt ihre problematiken und ihren alltag gar nicht recht wahrnimmt, weil diese übrige welt eben in einer völlig diametralen ereignis-blase verhaftet ist, und die afrika dabei mit seinen lebensbedingungen einfach ausblendet: "was ich nicht weiß - macht mich nicht heiß" ... 

und man wirft dabei der nichtafrikanischen welt oft moralisch oder "innerpsychisch" vor, hier einfach zu verdrängrn und abzuspalten - dieses ausblenden geschehe aus altem scham, aus schlechtem gewissen gegenüber dem von weißen kolonialmächten ausgebeuteten kontinent und dessen nachfahren heutzutage - wo diese schwarzafrikanischen staaten doch längst die souveränität erhalten oder erkämpft haben ...

doch gerade in einer globalen wirtschaftswelt setzen sich die längst überwunden geglaubten abhängigkeiten zumindest ideell und gefühlt weiter durch: nichtafrikaner sind die globalplayer und bestimmen die weltwirtschaft und beuten weiterhin - aber subtiler - aus - und afrika darf bestenfalls beispielsweise den elektronik- und computerschrott der europäer entsorgen und ausschlachten auf der suche nach ein paar gramm receycelbarem edelmetallschrott etc., was unter großen gesundheitlichen gefährdungen und ohne die erforderlichen schutzmaßnahmen oft von kindern für ein paar cent bewerkstelligt wird. 

und hinzu kommen die clans und banden - oft als familienersatz - und manchmal korrupte herrscherhäuser, die in den afrikanischen staaten mit zum teil gefälschtem mehrheitswahlrecht das sagen haben und sich das sagen erkaufen ... - und als abklatsch der alten kolonialherren oftmals weiterhin ihr jeweiliges volk ausbeuten und knechten ... - hinzu kommen eben schwadronierende "glaubens"banden allerlei couleur, die marodierend und mordend durch das jeweilige land ziehen - und kindersoldaten heranziehen und etwas "geborgenheit" gewährleisten, wenn diese kinder dann lernen, rasch mitzumorden - oftmals ohne jeden sinn und verstand oder irgendeiner strategie - einfach so - fast aus so etwas wie langeweile ...

und das berührt mich an diesem foto - genau diese sinnlosigkeit - und diese tödliche ohnmacht der menschen dort, die auch mich betroffen macht in meiner ohnmacht - und dieses foto fordert mich auf zur anteilnahme und zieht mich da hinein: da rennen zuvor wahrscheinlich 2-3 bewaffnete männer direkt vor die veranda, auf der die gäste sitzen - und dann gibt es kurz und trocken ohne vorwarnung ein-zwei todbringende salven aus automatischen schnellfeuerwaffen - die waffen oftmals letztlich vielleicht sogar deutscher herkunft - über dunkle kanäle und schwarzmärkte und internationalen waffenschieberkolonnen ...

das alles lese ich aus diesem bild - dieses vor-sich-hin-dumpfen - und die perspektivlosigkeit ohne horizont: wobei es ja scheinbar einige sogar zum eigenen oder ausgeliehenen laptop und dessen handhabung gebracht haben - und vielleicht nach einer route fahnden, endlich außer landes zu kommen - in sicherere gefilde --- aber wo das internet auch nur zurückspiegelt, wie gefährlich der weg aus afrika nach europa geworden ist - und wieviel eine schlepperbande pro kopf verlangt, um den "passagier" dann mit einem abgetakelten morschen seeuntüchtigen schiffchen vielleicht überzusetzen nach malta oder italien oder spanien - oder ob es noch einigermaßen begehbare wege über israel gibt oder doch noch über libyen ...

und bei diesen planungen und tagträumen springen dann plötzlich bewaffnete freischärler auf den rasen direkt vor die sitz-veranda dieses was auf mich wie ein einfaches nairobi-"internet"-café wirkt - und es knallt und mündungsfeuer blitzen auf und schreie und blut - 

und dann hat es sich mit der zukunft und den plänen und den träumen ...

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p.s.: und in deutschland schreibt die presse heute, dass friedrich merz nach kurzem ausflug in die cdu-parteipolitik jetzt doch wieder als top-lobbyist zum finanzdienstleister "blackrock" zurückkehrt - und harald schmidt gibt in seiner video-kolumne tipps, wie "geld bei ihnen in den speicher regnet" ... - und in china fällt der berühmte sack reis um ...

und mein obligatorisches "nix für ungut - chuat choan" lass ich lieber mal beim anblick dieses fotos weg ...