Die Bahlsens und die SS
Konzernerbin Verena Bahlsen hatte Vorwürfe gegen ihre Familie vorschnell abgetan. Nun zeigt sich: Ihr Opa und seine Brüder waren in der Partei, förderten die SS.
Von Felix Bohr, Jürgen Dahlkamp, Jörg Schmitt | SPIEGEL
Sommer 1945: Deutschland hatte den Krieg verloren, und aus Millionen Nazis wurden Millionen Deutsche, die eigentlich keine Nazis gewesen sein wollten. Höchstens Karteikarten-Nazis, vielleicht sogar mit einer klitzekleinen Spur von Widerstand; da müsste sich doch noch was finden lassen.
So saß damals auch Hans Bahlsen, 44, Vorstand der weltbekannten Keksfabrik in Hannover, über seinem Fragebogen für die Entnazifizierung. Und, ja, er fand etwas: "Ich war Stadtverordneter für die Deutsche Volkspartei im Rathaus von 1932–1933 und wurde 1933 von der NSDAP dieses Postens enthoben." Ein Regimegegner also, ein Opfer der Nazis?
Nein, nur ein Wendehals. Am 1. Mai 1933 trat Hans Bahlsen in die NSDAP ein, Mitgliedsnummer 3.555.351, am selben Tag in die SS, Nummer 99 713. Seine Brüder Werner und Klaus, die mit ihm im Vorstand saßen, waren Anfang 1935 Fördermitglieder der SS, unterstützten die Truppe mit Geld. Jahre später, 1942, gingen sie dann auch in die Partei.
Werner Bahlsen, nach dem Krieg ein großer Unternehmer, Mäzen, CDU-Politiker, übernahm im Krieg noch eine Keks- und Marmeladenfabrik in der Ukraine. Hauptsache, das Geschäft lief weiter, auch mit Zwangsarbeitern. Denn Bahlsen war mit seinen "Fruchtschnitten" und der "Flieger-Sonderverpflegung" kriegswichtig. Von Stalingrad bis Tobruk.
Und damit nun ins Jahr 2019, zu Verena Bahlsen, dem It-Girl der Gründerszene. So frech, so fresh, so forsch. Eine 26-jährige Millionenerbin mit einem Hang zu originellen Ideen, aber offenbar wenig Wissen über die Jahre 1933 bis 1945. Das war ja alles, wie Verena Bahlsen sagt, "vor meiner Zeit".
Auf einem Marketingkongress in Hamburg hatte sie vor ein paar Tagen ihre Welt erklärt: dass sie gern Kapitalistin sei, Geld verdienen wolle, Jachten kaufen. Gut, das mit der Jacht war nur so dahingesagt; eigentlich will sie keine Jacht. Aber das Wort klingelt, und in einer Szene, in der Aufmerksamkeit mit Anerkennung verwechselt wird, klingelt "Jacht" nun mal besser als "Boot". Da horchte sogar die "Bild"-Zeitung auf. Erst recht, als Kritiker konterten, ihren Reichtum verdanke die Jungunternehmerin doch auch den Zwangsarbeitern, mit denen ihre Familie im Krieg das Keksgeschäft am Laufen gehalten hatte.
Verena Bahlsen, der ein Viertel der Firma mit einem Jahresumsatz von knapp 550 Millionen Euro gehört, ließ daraufhin über die "Bild" wissen, wie sie das sah. "Wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt." Und weiter: "Das Gericht hat die Klagen (der Zwangsarbeiter –Red.) abgewiesen. Bahlsen hat sich nichts zuschulden kommen lassen."
Es hätte danach keine Historiker, nur einen Deutschlehrer gebraucht, um Verena Bahlsen klarzumachen, dass in Zwangsarbeit das Wort "Zwang" steckt und sich die Firma schon allein deshalb etwas hat zuschulden kommen lassen. Die Arbeitskräfte wurden aus ihrer Heimat verschleppt. Dass die Klagen abgewiesen wurden, war der Verjährung geschuldet, nicht einem Freispruch. Und Experten weisen darauf hin, dass der Bruttolohn der gleiche gewesen sein mag, Zwangsarbeitern in der Regel aber ein großer Teil gleich wieder abgezogen wurde. "Der Verdienst war um ein Vielfaches geringer", sagt die Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin, Christine Glauning.
Also bemühte sich der Konzern diese Woche, den Schaden zu begrenzen. Er bekannte sich zu dem "großen Leid und Unrecht", das "Zwangsarbeitern widerfahren" sei. Er erinnerte an die 1,5 Millionen Mark, mit denen sich Bahlsen an der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft im Jahr 2000 beteiligt hatte. Auch Verena Bahlsen entschuldigte sich nach einigen Tagen Bedenkzeit. Nichts liege ihr ferner, als den Nationalsozialismus zu verharmlosen; sie wolle sich jetzt intensiver mit der Firmengeschichte befassen.
Und doch verschleiert diese Firma offenbar weiter, wie sehr sie von Zwangsarbeit profitiert hat – die jetzt genannte Zahl von 200 Kräften erscheint zu niedrig. Erst recht aber waren die persönlichen Verstrickungen der drei Brüder Hans, Klaus und Werner ein Familiengeheimnis, das über Jahrzehnte gut verborgen blieb.
Das eine wie das andere ist keine Schwarz-Weiß-Geschichte. Auch wenn viele Papiere in den Bombennächten von Hannover verloren gegangen sind – so wie es aussieht, waren weder die drei Bahlsen-Brüder glühende Nazis, noch waren die Arbeitsbedingungen in ihren Werken für Zwangsarbeiter besonders brutal. Der Fall Bahlsen steht aber beispielhaft für die Anbiederung deutscher Unternehmer an das Regime und die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihren Profit suchten – mit den Mitteln und Möglichkeiten einer menschenverachtenden Diktatur. Auch das ist Schuld.
Den tiefsten Einblick in die Zwangsarbeit bei Bahlsen vermittelt eine Magisterarbeit aus dem Jahr 1996, für die der Historiker Uwe Lehmensiek ins Firmenarchiv gelassen wurde. Schon im ersten Kriegsjahr – die Männer waren an der Front, Frauen zu Rüstungsunternehmen abgezogen worden – forderte Bahlsen demnach Zwangsarbeiter aus dem Ausland an. "Als Ersatz sind uns bislang 129 Polinnen zugewiesen worden. Ein weiterer Transport von 76 Polinnen soll am 29.6. kommen", hieß es in einem Schreiben an die Rüstungsinspektion in Hannover.
Hans Bahlsen nannte 1949 eine Zahl von 250 Zwangsarbeitern. Vermutlich sei das aber nur der Stand bei Kriegsende gewesen, so Lehmensiek. Über die Jahre müssten es deutlich mehr gewesen sein. Denn aus den Firmenunterlagen ergibt sich, dass im Dezember 1942 schon 200 Polinnen und 70 Ukrainerinnen bei Bahlsen beschäftigt waren. Im März 1944 sprach die Firma von "ca. 150 Ukrainern und Ukrainerinnen", die "nach hier verbracht" worden seien.
Rund 60 Frauen klagten schließlich im Jahr 1999 auf Entschädigung. Einige von ihnen schilderten tatsächlich, dass sie "sehr gut" behandelt worden seien – Essen, Waschgelegenheiten, die Baracken, alles besser als befürchtet. Und doch seien sie aus ihrer Heimat verschleppt worden, und wenn Bomben fielen, konnten sie im Barackenlager nicht in einen Bunker gehen, nur in Splitterschutz-Unterstände. Einmal, so schilderte es eine Polin, kam nachts die Polizei. Sie hätten im Schnee draußen antreten müssen, nur in Unterwäsche. Ein anderes Mal seien fünf Frauen eingesperrt worden, "im Kesselhaus mit Ratten".
Damit die Keks-Fließbänder weiter liefen, brauchte Bahlsen gute Beziehungen zu den braunen Herrschern. Nicht nur Arbeitskräfte waren knapp, auch Rohstoffe. Umso wichtiger, dass die Gauwirtschaftskammer Bahlsen 1939 eine "kriegswichtige Produktion" bescheinigte. 40 Prozent verkaufte Bahlsen an die Wehrmacht; dafür bekam man bevorzugt Zuweisungen.
An guten Verbindungen hatte Bahlsen gleich nach Hitlers Machtübernahme gearbeitet. Hans Bahlsen ging in die NSDAP und in die SS, beides am 1. Mai 1933. Nach dem Krieg erklärte er seinen SS-Beitritt so, als hätte er nichts dafür gekonnt: "Bei der korporativen Übernahme der Mitglieder des Automobilklubs in die Motor-SS wurde ich am 1. 5. 1933 SS-Anwärter", schrieb er in den Entnazifizierungsbogen.
Der Historiker und SS-Experte Jan Erik Schulte hält das für unglaubwürdig. "Man wurde nicht zwangsweise in die SS überführt, die Mitgliedschaft war freiwillig. Sie erfolgte immer individuell und musste zuvor eigens beantragt werden." Jeder Anwärter habe in der Regel zwei Bürgen gebraucht; die hätten bestätigen müssen, dass der Kandidat eisern hinter der NS-Weltanschauung stand.
Auch das Parteibuch war Hans Bahlsen wohl kaum hinterhergeworfen worden. "Der 1. Mai 1933 war ein klassisches Eintrittsdatum, danach verhängte die Partei einen Aufnahmestopp. Das Datum spricht dafür, dass der Unternehmer schnell noch Mitglied werden wollte", sagt Schulte.
Auch das Parteibuch
war Hans Bahlsen
wohl kaum
hinterhergeworfen worden.
Mit dem SS-Eintritt habe Hans Bahlsen seine Regimetreue wohl noch unterstreichen wollen. Bahlsen gab nach dem Krieg zu: "Ich hatte nach Darlegung der ideellen Ziele keine Bedenken." Die seien ihm erst später gekommen, "als ich mich näher mit den Anschauungen der SS vertraut gemacht hatte". Nachdem er den Befehl bekommen habe, aus der Kirche auszutreten, habe er das "mit meinem Gewissen nicht verantworten" können. Am 3. Dezember 1934 habe ihn die 4. SS-Motor-Standarte Braunschweig aus der SS entlassen, schriftlich, auf seinen Antrag hin.
Auch an dieser Darstellung hat SS-Experte Schulte seine Zweifel: Da die Originalschreiben fehlen – Bahlsen hatte nur eigene Abschriften eingereicht – wisse man nicht, ob es nicht andere Gründe gegeben habe. Was auffällt: Während Hans Bahlsen behauptet, danach nichts mehr mit der SS zu tun gehabt zu haben, heißt es in der von ihm vorgelegten, angeblichen Austrittsbestätigung der Motor-SS: "Ihrer Bitte um Aufnahme als Förderndes Mitglied der SS wird gern stattgegeben."
Und während Hans offenbar ausschied, wurden seine Brüder Klaus und Werner zahlende SS-Fördermitglieder – bis 1935, wenn man ihren Angaben für die Entnazifizierung glauben darf. Schulte: "Diese freiwillige Unterstützung der SS war insbesondere seit 1933 eine Möglichkeit, dem Regime die Treue zu versichern." Dass die beiden 1942 in die NSDAP eintraten, lasse sich vermutlich mit Opportunismus erklären.
Im Fall von Werner könnte das spät beantragte Parteibuch auch mit der Keks- und Marmeladenfabrik in Kiew zu tun gehabt haben, die er leitete. Zugeschanzt von der Zentralhandelsgesellschaft Ost, einer staatlichen Monopolgesellschaft.
Was Hans, der Älteste, im Krieg gemacht hat, bleibt unklar, er wurde als einziger Bruder eingezogen und kam gegen Kriegsende als Hauptmann kurz in Kriegsgefangenschaft. Seine Brüder blieben verschont – untauglich gestempelt der eine, unabkömmlich für die Fabrik der andere.
Nur Hans wurde im Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer eingestuft, Werner und Klaus galten als entlastet. Die Briten waren in ihrer Zone um Milde bemüht. Eine Unterstützung des Nationalsozialismus liege bei beiden, abgesehen von der einfachen Mitgliedschaft in NS-Organisationen, nicht vor, hieß es 1948 in den Entscheiden.
So gesehen hatte Verena Bahlsen sogar recht: Opa Werner und Großonkel Klaus hatten sich nichts zuschulden kommen lassen, Großonkel Hans zumindest nichts Schlimmes. Nach der amtlichen Lesart. Fragt sich, ob Verena Bahlsen bereit ist, sich selbst noch mal die Mühe des Lesens zu machen. Für die richtige Lesart.
SPIEGEL 21/2019
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hoffentlich gehts dir nicht langsam auf den keks, in der vergangenheit einer angesehenen keksfabrikanten-familie herumzustochern - aber so ist es nun mal: wie man in den wald hineinruft, so schallt es auch heraus ...
da ist die 25- oder 26-jährige millionenerbin verena bahlsen, die sich locker flockig auf einem kongress damit rühmt, gern eine millionenschwere kapitalistin zu sein - in antwort auch auf ein statement von kevin kühnert zuvor, der auf dem gleichen kongress wieder mehr sozialistische prinzipien einfordert - statt diesem neoliberalen kapitalisschmus allerorten - in jüngerer zeit zumeist flankiert von populistischen lauthals krakeelenden schnell-karrieremacher*innen ...
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und in ihrer naseweis-erwiderung auf diese kühnert-grätsche, plapperte verena voller suchendem selbstbewusstsein nun etwas von "segelyachten", die sie sich gerne kaufen wolle - und wie sehr doch die kapitalistische wirtschaft, die sie hier mitrepräsentiere, die gesellschaft auf trapp halte und ansporn sei ...
auf die geschichte des unternehmens bahlsen angesprochen, das wärend des krieges zahlreiche zwangsarbeiter*innen beschäftigte - schätzungen reichen von rund 200 bis vielleicht sogar 770 verschleppte frauen aus dem osten - meinte nun die kecke jungmillionärin, die keksfirma bahlsen habe sich nichts zu schulden kommen lassen - und alle ansprüche seien dazu gerichtlich abgeschlossen ...
und bei soooviel wohl familiär-firmengeschichtlich moralisch verordneten verdrängungsmechanismen ist es gut, wenn historiker und archivare mal tatsächlich nachgraben in den annalen der frei zugänglichen archive und nachlässe - und wenn das auch die erben und die kinder und die kindeskinder machten und auch daran interessiert wären, ehe sie einfach unbedacht drauflosplapperten. und hier nun finden sich tatsächlich die alten nsdap-mitglieds-nummern der alten bahlsens von damals und ihr geschicktes durchlavieren durch diese zeiten mit anbiederungen an das nazi-regime und mit geschäften, die man abschloss - und die die firma zum "kriegswichtigen betrieb" stempelten: mit bevorzugter und geld bringender versorgung von nahrungs-rohstoffen aus der landwirtschaft ...
und auch hier zeigt sich ja schon wieder dieses deutsche "verdrängungs-muster", das ich auch gestern bereits in der deutschen psychiater-geschichte zum ns-eugeniker ernst rüdin konstatiert habe - und was in der gesamten deutschen (nach)kriegsbevölkerung scheinbar grassierte: einfach verdrängen - einfach abschütteln, geschichtchen erfinden und lebenslügen, um mit "augen-zu-und-durch" weitermachen zu können - so wie wir es ja auch vom großen "deutschen" maler emil nolde erfahren mussten.
und das war ein verdrängungs-phänomen, das auf der täter-, mitläufer- und auch auf der opfer-seite in den davon betroffenen familien gleichermaßen uniform und wie abgesprochen stattfand: vertuschen, verschweigen, verdrängen, nichts an sich herankommen lassen - die jeweilige verstrickung mit der zeit auf der einen wie auf der anderen seite einfach erst einmal verleugnen - bei manchen um der guten entnazifizierungspapiere willen: und wieder "augen-zu-und-durch" - mit viel augenzwinkern und "eine-hand-wäscht-die-andere" - und wo zuvor der "kriegswichtige" betrieb festgestellt wurde - gab es nun einvernehmlich mit den alliierten besatzern "friedenswichtige" fabriken, die die versorgung sicherstellen mussten - auch und gerade wenn es es um "cakes" ging...
und es musste größtenteils bis weit in die 70er/80er jahre dauern, ehe man sich an belastende fakten erinnern konnte, und hier und da zu dem "ross" auch den "reiter" nannte und sichtbar werden ließ - aber zumeist erst als die betroffenen selbst bereits hochbetagt oder bereits verstorben waren.
ist das nun typisch für ein ganzes volk, das ja kollektiv traumatisiert wurde - und auch "dreck am stecken" hatte ??? - allerdings wurde dieses dilemma ja nicht übergestülpt, sondern man hat es so gewollt - und so gewählt - und goebbels hatte ja das volk "im namen des 'führers'" befragt: "wollt ihr den totalen krieg ???" - und sie hatten alle einstimmig im massenwahn gejohlt: "ja" und "sieg heil" - und auch dazu muss man stehen - und ebenso formen finden für eine angemessene "therapie" dieser kollektiven posttraumatischen belastungsstörungen und wahn-entgleisungen - ein einfaches verdrängen jedenfalls kann es nicht sein: es müssen worte gefunden werden für das unaussprechliche - und nur mit einem durcharbeiten und einer demütigen gedenk- und erinnerungskultur kann ein solches trauma vielleicht in etwa nach ein paar generationen ("bis ins 3. und 4. glied") überwunden werden - noch erkennen wir punktuell gesellschaftspathologische störungen, die kollektiven psychosomatischen auffälligkeiten ähneln - wozu ich ja beispielsweise auch das aufkeimen der rechtspopulistischen strömungen zählen möchte.
die junge konzernerbin verena bahlsen verhält sich einfach so "typisch deutsch", wie schon ihre altvorderen: geschicktes durchlavieren und vergessen und verdrängen und sich bei den richtigen leuten zur rechten zeit instinktiv anbiedern: so isses ... - und nix für ungut - und chuat choan ...
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