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Judensonderzug Nr.76




Zeitgeschichte
Ein letzter Rest von Würde

Die DER Touristik Group hat die Geschichte des Unternehmens in der NS-Zeit untersuchen lassen – das Ergebnis aber nicht veröffentlicht. Offenbar verdiente die Reisebürokette Millionen an der Deportation von Juden in die Konzentrationslager.

Ho­lo­caust-Über­le­ben­de Grinspan 2015 mit Fo­tos vor und nach der De­por­ta­ti­on





Am 10. Fe­bru­ar 1944 ver­ließ ein mit 1500 Ju­den be­setz­ter Gü­ter­zug den Pa­ri­ser Vor­ort­bahn­hof Bo­b­i­gny Rich­tung Ausch­witz. Un­ter den De­por­tier­ten be­fand sich auch die 14-jäh­ri­ge Ida Fens­ters­z­ab. Nach Kriegs­en­de ge­hör­te sie zu den we­ni­gen Über­le­ben­den. Un­ter ih­rem ehe­li­chen Na­men Ida Grinspan be­rich­te­te sie spä­ter von der Rei­se im Gü­ter­wag­gon:

Nur ein klei­nes Git­ter ließ Ta­ges­licht in den Wa­gen. Wir konn­ten auf dem mit et­was Stroh be­leg­ten Bo­den kaum sit­zen, ge­schwei­ge denn lie­gen. Dazu ein stän­di­ger Krach, das Keu­chen der Lo­ko­mo­ti­ve, Ruß aus dem Schorn­stein und das Wim­mern der Rei­sen­den. Für je­den Pas­sa­gier nur ei­nen Brot­kan­ten. Und dann die­ser Ge­stank! Die ers­te Er­nied­ri­gung, die wir er­tra­gen muss­ten, war, dass man sich vor den Au­gen al­ler ent­lee­ren muss­te. Die Er­wach­se­nen hiel­ten Män­tel um ei­nen her­um, dass we­nigs­tens der letz­te Rest von Wür­de ge­wahrt blieb. Der da­für vor­ge­se­he­ne Be­häl­ter lief schnell über, der In­halt ver­teil­te sich auf dem Stroh. Der Ge­ruch war un­er­träg­lich.

Nach der An­kunft in Ausch­witz schick­te man Ida Fens­ters­z­ab nicht ins Gas, son­dern zur Zwangs­ar­beit. Ein Foto zeigt sie mit ge­scho­re­nen Haa­ren, ver­un­stal­tet und ver­ängs­tigt, kurz nach der Be­frei­ung in Frank­reich.

Ge­bucht hat­te den Trans­port vom 10. Fe­bru­ar ein Un­ter­neh­men, des­sen Name heu­te fast ver­ges­sen ist, das Mit­tel­eu­ro­päi­sche Rei­se­bü­ro (MER). In den Ster­be­bü­chern von Ausch­witz fin­den sich Ko­pi­en der Kor­re­spon­denz zu die­sem Zug. Die Pa­ri­ser MER-Fi­lia­le hat­te ihre Rech­nun­gen noch am Tag der Ab­rei­se an den Be­fehls­ha­ber der Si­cher­heits­po­li­zei in Pa­ris ge­schickt. Für die Fahrt bis zur deut­schen Gren­ze kal­ku­lier­te man 169 364 Franc, für die Stre­cke bis Ausch­witz 39 000 Reichs­mark. Die Do­ku­men­te soll­ten an das Reichs­si­cher­heits­haupt­amt in Ber­lin wei­ter­ge­lei­tet wer­den, an die Ter­ror­zen­tra­le des »Drit­ten Rei­ches«.

Das Un­ter­neh­men war 1917 un­ter dem Na­men Deut­sches Rei­se­bü­ro von zwei gro­ßen Ree­de­rei­en so­wie den Staats­bah­nen der deut­schen Län­der ge­grün­det wor­den, seit 1918 trug es den Na­men Mit­tel­eu­ro­päi­sches Rei­se­bü­ro. Es ver­kauf­te vor al­lem Bahn­fahr­kar­ten und spä­ter auch Grup­pen­rei­sen. Auf An­ord­nung der Al­li­ier­ten muss­te das MER 1946 wie­der den Na­men Deut­sches Rei­se­bü­ro an­neh­men.
Ge­denk­stät­te Ausch­witz

Im Jahr 2000 über­nahm der Rewe-Kon­zern das Deut­sche Rei­se­bü­ro und mach­te es zu ei­nem Teil sei­ner Rei­se­spar­te, die heu­te un­ter dem Na­men DER Tou­ris­tik Group mit mehr als 10 000 Mit­ar­bei­tern ei­nen Jah­res­um­satz von 6,7 Mil­li­ar­den Euro er­zielt. In den Selbst­dar­stel­lun­gen des Un­ter­neh­mens taucht das dunk­le Ka­pi­tel aus der NS-Zeit frei­lich nir­gends auf, noch 2002 hieß es in ei­ner Pres­se­mit­tei­lung zum 85. Ge­burts­tag: »Mit Be­ginn des Zwei­ten Welt­krie­ges ver­siegt der or­ga­ni­sier­te Rei­se­ver­kehr.«

Dass das nicht stimm­te, war nur Ex­per­ten klar. Der Ber­li­ner His­to­ri­ker Bernd Sam­ba­le etwa ver­öf­fent­lich­te im Ja­nu­ar 2013 ei­nen gründ­lich re­cher­chier­ten Ar­ti­kel in der »Ber­li­ner Zei­tung« über die Rol­le des MER im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus; we­nig spä­ter stell­te der Ham­bur­ger Au­tor Pe­ter Wutt­ke das Fak­si­mi­le ei­nes Te­le­gramms auf die Wi­ki­pe­dia-Sei­te des Deut­schen Rei­se­bü­ros, mit dem die Ber­li­ner Reichs­bahn­zen­tra­le 1942 alle Reichs­bahn­di­rek­tio­nen an­ge­wie­sen hat­te, die »Ab­fer­ti­gung« der »Ju­den-Son­der­zü­ge« grund­sätz­lich dem MER zu über­las­sen.

Un­ter den Mit­ar­bei­tern der DER Tou­ris­tik lös­ten sol­che Ver­öf­fent­li­chun­gen ver­ständ­li­cher­wei­se Ir­ri­ta­tio­nen aus. Und so ent­schloss sich das Un­ter­neh­men, zum 100. Fir­men­ju­bi­lä­um 2017 eine his­to­ri­sche Stu­die an­fer­ti­gen zu las­sen, die auch die Ver­stri­ckung des MER in die NS-Ver­bre­chen auf­klä­ren soll­te. Das Köl­ner Ge­schichts­bü­ro Re­der, Roese­ling & Prü­fer, eine pri­va­te, von His­to­ri­kern ge­führ­te Agen­tur, über­nahm den Auf­trag und leg­te eine um­fas­sen­de Un­ter­su­chung vor.

Ver­öf­fent­licht wur­de die Stu­die al­ler­dings bis heu­te nicht. »Trotz in­ten­si­ver Re­cher­chen«, so er­klärt die DER Tou­ris­tik auf An­fra­ge, »sah das Ge­schichts­bü­ro die Quel­len­la­ge zur Rol­le des MER bei den De­por­ta­tio­nen als sehr schmal an.« Es sei des­we­gen un­mög­lich ge­we­sen, eine »kon­kre­te Be­tei­li­gung zu un­ter­su­chen«. Eine Ver­öf­fent­li­chung habe man nie ge­plant. Die Stu­die habe nur der »Selbst­ver­ge­wis­se­rung« des Un­ter­neh­mens ge­dient.

Die DER Tou­ris­tik ist nicht das ers­te Un­ter­neh­men, das sei­ne Un­ter­neh­mens­ge­schich­te in der NS-Zeit un­ter­su­chen lässt. Daim­ler-Benz hat das schon in den Acht­zi­ger­jah­ren ge­macht; auch die Deut­sche Bank, Volks­wa­gen, die Deut­sche Bahn und vie­le an­de­re Fir­men ha­ben His­to­ri­ker mit ähn­li­chen Stu­di­en be­auf­tragt und die­se dann ver­öf­fent­licht. Dass eine sol­che Un­ter­su­chung am Ende im Safe ver­schwin­det, kommt eher sel­ten vor.

Mindestens acht Passagiere
hatten sich vor der Abfahrt nach
Theresienstadt selbst getötet.

Da­bei dür­fen Ma­na­ger, die of­fen mit den Sün­den ih­rer Vor­vor­gän­ger um­ge­hen, heu­te so­gar mit ei­nem ge­wis­sen Re­pu­ta­ti­ons­ge­winn rech­nen, sie scha­den dem An­se­hen ih­rer Fir­men kei­nes­wegs. Bald 75 Jah­re nach Kriegs­en­de trägt nie­mand mehr eine per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung für das, was da­mals ge­schah.

Im Köl­ner Ge­schichts­bü­ro scheint man denn auch nicht glück­lich mit dem Pro­ze­de­re der DER Tou­ris­tik zu sein. »Wir ha­ben kei­nen Ein­fluss dar­auf, was der Kun­de mit un­se­rer Ar­beit macht«, sagt Tho­mas Prü­fer, ei­ner der drei Ge­schäfts­füh­rer. Man sei nur ein »pri­va­ter Dienst­leis­ter«. Auf die Fra­ge, ob ein so re­strik­ti­ver Um­gang mit der Wahr­heit mit sei­nem Be­rufs­ethos als His­to­ri­ker ver­ein­bar sei, räumt er je­doch ein: »Wenn ich jetzt an der Uni wäre, hät­te ich ein Pro­blem.«

Die DER Tou­ris­tik wie­der­um muss sich fra­gen las­sen, ob eine sol­che Stu­die wirk­lich als Pri­vat­be­sitz ei­nes Un­ter­neh­mens gel­ten kann – ju­ris­tisch wohl schon, aber auch po­li­tisch-mo­ra­lisch? Hat die Öffent­lich­keit kein Recht dar­auf zu er­fah­ren, wie ein Un­ter­neh­men an der Ver­nich­tungs­ma­schi­ne­rie der NS-Zeit be­tei­ligt war?

War­um die DER Tou­ris­tik die Quel­len­la­ge als »schmal« qua­li­fi­ziert, lässt sich oh­ne­hin nicht nach­voll­zie­hen. Das Sün­den­re­gis­ter des MER könn­te di­cke Bü­cher fül­len. Nach der Macht­er­grei­fung der Na­zis mel­de­te man be­reits im Sep­tem­ber 1933 das Aus­schei­den al­ler »nich­ta­ri­schen An­ge­stell­ten«, schon bald durf­te man auch »Kraft durch Freu­de«-Rei­sen für ver­dien­te Volks­ge­nos­sen or­ga­ni­sie­ren. Das Un­ter­neh­men ex­pan­dier­te und zähl­te Mit­te der Drei­ßi­ger­jah­re mehr als 1100 Ver­kaufs­stel­len im In- und Aus­land. 1936 wur­de Frank Hen­sel zum Per­so­nal­chef des MER er­nannt, ein so­ge­nann­ter »al­ter Kämp­fer« der NS­DAP und von 1938 an auch An­ge­hö­ri­ger der SS.

Rich­tig gut ins Ge­schäft kam man dann dank der Er­obe­rungs­po­li­tik der Na­zis. Im Früh­jahr 1939 war das MER am Trans­port von 7900 Zwangs­ar­bei­tern aus dem so­ge­nann­ten Pro­tek­to­rat Böh­men und Mäh­ren be­tei­ligt, wie der His­to­ri­ker Sam­ba­le her­aus­fand. 1940 rech­ne­te das MER al­lein 645 Son­der­zü­ge mit ins­ge­samt 320 000 pol­ni­schen Land­ar­bei­tern ab, die zum Ar­beits­ein­satz ins Deut­sche Reich ver­frach­tet wor­den wa­ren.
MER-Do­ku­ment »Sehr schma­le Quel­len­la­ge«?

Ver­dient hat das MER auch an der Ver­trei­bung der Ju­den aus Eu­ro­pa. 1940 un­ter­brei­te­te das Un­ter­neh­men dem Lei­ter der Reichs­zen­tra­le für jü­di­sche Aus­wan­de­rung und spä­te­ren Ho­lo­caust-Or­ga­ni­sa­tor Adolf Eich­mann den Vor­schlag, Emi­gran­ten mit Son­der­zü­gen nach Lis­sa­bon zu schi­cken. Von dort aus ging es per Schiff nach Ame­ri­ka. Der Vor­schlag wur­de an­ge­nom­men, ein »sehr er­trag­rei­ches« Pro­jekt, wie man im MER bald fest­stell­te.

An­de­re Flücht­lin­ge fuh­ren mit der Trans­si­bi­ri­schen Ei­sen­bahn nach Fern­ost. Und wie­der be­sorg­te das MER die nö­ti­gen Ti­ckets. Der Würz­bur­ger Kauf­mann Ja­kob Ro­sen­feld zum Bei­spiel muss­te 1940 zu­sam­men mit sei­ner Ehe­frau Ber­tha sei­ne Hei­mat ver­las­sen. Das MER stellt Ja­kob Ro­sen­feld Fahr­kar­ten bis Yo­ko­ha­ma aus, von dort reis­te man dann wei­ter in die USA. Das Ge­schäft mit den jü­di­schen Emi­gran­ten, so bi­lan­zier­te ein MER-Auf­sichts­rat 1941, habe zu ei­nem »er­heb­li­chen Ge­winn« ge­führt.

Zwangs­ar­bei­ter, Sai­son­ar­bei­ter, Emi­gran­ten – sie alle wa­ren, häu­fig un­frei­wil­lig und ohne es zu wis­sen, Pas­sa­gie­re des MER. Aus Sicht der NS-Re­gie­rung hat­te sich das Un­ter­neh­men da­mit ge­nug Ex­per­ti­se an­ge­eig­net, um es auch an der De­por­ta­ti­on eu­ro­päi­scher Ju­den in die Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger zu be­tei­li­gen.

Wer Clau­de Lanz­manns Do­ku­men­tar­film »Shoah« ge­se­hen hat, wird sich an die Sze­ne er­in­nern, in der der His­to­ri­ker Raul Hil­berg über den Ab­lauf der Trans­por­te in die Ver­nich­tungs­la­ger be­rich­tet. Hil­berg er­klärt ge­nau die Ta­ri­fe, nach de­nen die Züge ab­ge­rech­net wur­den, und bei­läu­fig nennt er auch das da­für ver­ant­wort­li­che Mit­tel­eu­ro­päi­sche Rei­se­bü­ro. »Es be­för­der­te Men­schen in Gas­kam­mern und Ur­lau­ber an ihre be­vor­zug­ten Fe­ri­en­or­te«, sagt Hil­berg mit dem ihm ei­ge­nen Sar­kas­mus.

Am 25. Juli 1942 bei­spiels­wei­se ließ die Ge­sta­po 14 Wag­gons von Düs­sel­dorf nach The­re­si­en­stadt fah­ren. Auf eine ent­spre­chen­de An­fra­ge der MER-Fi­lia­le in Köln hat­te die Ge­sta­po am Tag zu­vor ge­mel­det, dass 700 Ju­den so­wie 16 Wach­leu­te auf den Trans­port ge­hen wür­den. Das MER be­rech­ne­te dar­auf­hin den Preis der 827 Ki­lo­me­ter lan­gen Rei­se auf 16,60 Reichs­mark pro Per­son. Be­zahlt wur­den die Fahrt­kos­ten von der Ab­tei­lung für »Ju­den­an­ge­le­gen­hei­ten« der Düs­sel­dor­fer Ge­sta­po. Tat­säch­lich aber stamm­te das Geld aus kon­fis­zier­ten jü­di­schen Ver­mö­gen.

Nach Ab­zug ei­ner Ver­mitt­lungs­ge­bühr – in der Re­gel etwa fünf Pro­zent – lei­te­te das MER die aus dem Rei­se­ver­kauf er­lös­te Sum­me an die Reichs­bahn wei­ter, die den Zug ge­stellt hat­te. Da der Zug an sechs Wag­gons mit etwa 280 jü­di­schen Pas­sa­gie­ren aus Aa­chen an­ge­kop­pelt wur­de, er­reich­ten am 26. Juli knapp 1000 De­por­tier­te den Bahn­hof The­re­si­en­stadt. Ei­gent­lich soll­te die Zahl so­gar noch hö­her sein, doch min­des­tens 8 Pas­sa­gie­re hat­ten sich vor der Ab­rei­se selbst ge­tö­tet. Ins­ge­samt über­leb­ten nur 61 Men­schen aus die­sem Zug den Ho­lo­caust.

Die Kriegs­jah­re er­wie­sen sich als die bis da­hin bes­ten über­haupt in der Ge­schich­te des MER. Der Um­satz war schon zwi­schen 1932 und 1939 von 140 Mil­lio­nen auf 240 Mil­lio­nen Reichs­mark ge­wach­sen, 1943 aber lag er bei 343 Mil­lio­nen.

Im his­to­ri­schen Rück­blick auf der In­ter­net­sei­te der DER Tou­ris­tik fehlt die NS-Zeit den­noch kom­plett. Auch in den äl­te­ren Selbst­dar­stel­lun­gen des Deut­schen Rei­se­bü­ros wird nur die Zer­stö­rung der MER-Zen­tra­le durch al­li­ier­te Bom­ber im Jahr 1943 er­wähnt.

Ein An­ge­bot des Ber­li­ner His­to­ri­kers Sam­ba­le aus dem Jahr 2006, die Ge­schich­te des MER un­ter dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus auf­zu­ar­bei­ten, wur­de von dem Un­ter­neh­men denn auch ab­ge­lehnt. Die »Auf­ar­bei­tung die­ser Zeit« sei ei­gent­lich Sa­che der Bahn, ant­wor­te­te man da­mals dem His­to­ri­ker, schließ­lich sei die Reichs­bahn einst »Haupt­ge­sell­schaf­ter des MER« ge­we­sen.

Das Deut­sche Rei­se­bü­ro be­tei­lig­te sich auch nicht an der zwi­schen 2001 und 2007 von der deut­schen Wirt­schaft fi­nan­zier­ten Zwangs­ar­bei­ter­stif­tung »Er­in­ne­rung, Ver­ant­wor­tung und Zu­kunft«. Und das, ob­wohl das MER einst Tau­sen­de Zwangs­ar­bei­ter quer durch Eu­ro­pa ver­schickt hat­te. Das Geld üb­ri­gens hät­te die 500 Mil­lio­nen Euro schwe­re »MER-Pen­si­ons­kas­se« spen­die­ren kön­nen; die gibt es un­ter die­sem Na­men noch heu­te.

2018 un­ter­nahm die DER Tou­ris­tik den Ver­such, die un­ter­schied­li­chen Wi­ki­pe­dia-Ein­trä­ge, die über das Deut­sche Rei­se­bü­ro und die DER Tou­ris­tik exis­tie­ren, in ei­ner ge­mein­sa­men Ver­si­on zu­sam­men­zu­fas­sen. Klar war al­len Be­tei­lig­ten, dass man die oh­ne­hin schon sehr kur­ze Pas­sa­ge zur NS-Ge­schich­te nicht lö­schen durf­te und in die ge­mein­sa­me Sei­te über­neh­men muss­te.

Doch in der Wi­ki­pe­dia-Com­mu­ni­ty habe sich schnell Miss­trau­en ge­gen­über den Mo­ti­ven des Un­ter­neh­mens ge­regt, be­rich­tet der Wiki-Au­tor Wutt­ke. Im­mer neue Ver­sio­nen sei­en von di­ver­sen Au­to­ren for­mu­liert wor­den. Am Ende blieb die Sei­te des Deut­schen Rei­se­bü­ros be­ste­hen, mit ei­nem knap­pen Hin­weis auf das Ka­pi­tel von 1933 bis 1945.

Auf der Wi­ki­pe­dia-Sei­te der DER Tou­ris­tik hin­ge­gen ist da­von kei­ne Rede. Die Un­ter­neh­mens­ge­schich­te be­ginnt dort zwar kor­rekt im Jahr 1917. Aber zwi­schen der Grün­dung der ers­ten Toch­ter­ge­sell­schaft in den USA im Jahr 1926 und der an­ge­kün­dig­ten Über­nah­me des Un­ter­neh­mens durch die Rewe-Group 1999 klafft nun eine rie­si­ge Lü­cke.

Martin Doerry - aus: SPIEGEL 50-2019

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das erlebe und beobachte ich in den letzten jahren immer öfter, dass große firmen und auch "staatliche" (nachfolge-)institutionen sich von der "last der verantwortung" über das tun und verhalten ihrer damaligen vorläuferorganisationen oft mit einem kurzen öffentlichen schulterzuckendem bedauern und eisernem "vertuschen" befreien wollen, und mit einer gedenktafel mit weißem lilienstrauß vielleicht oder gar einer gedenkkapelle dann endgültig meinen, nun sei es doch nach 80 jahren "auch mal gut" - und vielleicht noch den totensonntag oder den 9. november oder den 27. januar mit einer rituellen gedenkfeier als wiederkehrende pflichtveranstaltung "feierlich" begehen.

auch scheint es im großen und ganzen unfein zu sein, die altvorderen direktoren oder chefärzte etc. in solchen staatlichen oder halbstaatlichen institutionen zu jener zeit mit ihrem tun oder lassen oder mit ihrer nsdap-mitgliedschaft etwa namentlich zu desavouieren - man meint dann wohl, "nestbeschmutzer" zu sein - und "das gehöre sich nicht" - "ich will ja nichts gesagt haben, aber..." - und das, obwohl die vielleicht "schützenswerten" details wegen der nächsten angehörigen oder auch verwandter namensträger längst vom zahn der zeit zerbröselt sind. 

da werden diese "würdenträger" immer noch oft in hohen ehren gehalten (namensgebungen von straßen und einrichtungen oder abteilungen, bildergalerien im jubiläumsbuch des unternehmens etc.), aber das wirken und die denunziationen, die preisgabe und die kooperationen in jener zeit mit und gegenüber den ns-organisationen wird einfach abgespalten und verschwiegen - und da achten sogar noch streng die jetzigen (amts-)inhaber in der zweiten nachfolge-generation auf eine angeblich "weiße weste", obwohl die bei genauem hinsehen viele flecken und fehlstellen hätte.  

und trotzdem klopft man sich gerade in deutschland ja auch als "weltmeister" in sachen gedenk- und erinnerungskultur gern selbst auf die schulter - aber immer im "großen & ganzen", weniger im vielleicht zu nahe kommenden "detail" - und das gilt für unternehmen, institutionen und familien gleichermaßen. 

und tatsächlich - so las ich neulich - meint man sogar in israel, dass einige verwicklungen mit dem holocaust in deutschland akribischer aufgearbeitet sind, als vielleicht von historischen fakultäten in israel - und auch andere staaten zollen deutschland darin ja ihren respekt. und so hat man diesen kollektiven "mit-täter"-aspekt "im volk" dann "schluss-endlich" nach eigenem bekunden auch sowas von "bereut" und um "verzeihung" gebeten...

aber dieser nimbus bröckelt zur zeit rapide durch das allmähliche aufflammen antsemitischer ressentiments in letzter zeit - und durch das aufkommen offensichtlich rechter und rechtsradikaler tendenzen im alltag der bundesrepublik.

bei genauem hinsehen muss man feststellen, dass viele große firmen und institutionen die mitarbeit und ausbeutung z.b. von zwangsarbeitern kaum aufgearbeitet haben oder sich vielleicht mit einem relativ geringen "sühnebeitrag" in irgendeine "wiedergutmachende stiftung" quasi "freikaufen" - und damit aber nun wirklich endgültig "vergessen" wollen.

und doch sagt just heute dazu die bundeskanzlerin in auschwitz u.a.:
"An die Verbrechen zu erinnern, die Täter zu nennen und den Opfern ein würdiges Gedenken zu bewahren ‑ das ist eine Verantwortung, die nicht endet. Sie ist nicht verhandelbar; und sie gehört untrennbar zu unserem Land. Uns dieser Verantwortung bewusst zu sein, ist fester Teil unserer nationalen Identität, unseres Selbstverständnisses als aufgeklärte und freiheitliche Gesellschaft, als Demokratie und Rechtsstaat."
aus eigener anschauung in der über 30-jährigen forschungsarbeit zum "euthanasie"-ermordungsgeschehen um meine tante erna kronshage stelle ich fest, 
  • dass immer noch oder hier und da schon wieder in den archiven gern "gemauert" wird und die eigene "politische" institutionsposition augenscheinlich nicht damit mehr belastet werden soll - weil man inzwischen "nach vorne blickt - und nicht mehr zurück".... - und dass man die öffentlich finanzierten fakten und quellen in einem archiv immer noch gern wie das "privateigentum" aus dem "allerheiligsten" behandelt - angeblich wegen der "datenschutz"-bestimmungen;
  • dass historiker nach meinen beobachtungen oft "freischaffend" mit einem - ich nehme mal an - honorierten forschungsauftrag von institutionen angeheuert werden für die veröffentlichung einer "abschließenden" (jubiläums- oder aufarbeitungs-)arbeit - die sich aber auch vom alten proleten-spruch "wess brot ich ess - dess lied ich pfeif" nicht ganz freisprechen können - und dann kommt es eben zu den oben angesprochenen entsprechenden "wikipedia"-schönungsbeiträgen... - von der sogenannten "freiheit der wissenschaft" ganz zu schweigen - denn wenn ein "gut"achten nicht ganz so "passend" ausfällt, bestellt man sich seitens der institution eben noch ein "gegen-'gut'achten";
  • andere freischaffende historiker beugen gern die erforschten fakten so, dass man vielleicht "spektakulär" mit hinguck-schlagzeilen in den feuilletons und den fachaufsätzen sein nächstes werk zum thema für eine gute verkaufsauflage anpreisen kann - koste es, was es wolle....;
  • und die von institutionen fest angestellten historiker oder auch die archivare werden natürlich nicht die politischen verstrickungen vor 80 jahren in der vorläuferorganisation "über alle maßen" bloßstellen und sich selbst beschädigen: das hemd sitzt da ja näher als die jacke (= "loyalitäts-gebot!") ...
also - es wird durchaus in der geschichtsaufarbeitung auch taktiert - und auf alle fälle hat man es nicht sehr eilig damit - 80 jahre danach - und die tatsächlichen zeitzeugen können einem ja bald nicht mehr an die karre pullern...

frau merkel hat eine solche praxis der aufarbeitung mit ihrem satz: "das ist eine Verantwortung, die nicht endet. Sie ist nicht verhandelbar; und sie gehört untrennbar zu unserem Land" sicherlich nicht gemeint.

vergessen-wollen ist sinnlos

Dunkle Familiengeschichte

Die Bahlsens und die SS

Konzernerbin Verena Bahlsen hatte Vorwürfe gegen ihre Familie vorschnell abgetan. Nun zeigt sich: Ihr Opa und seine Brüder waren in der Partei, förderten die SS. 

Von Felix Bohr, Jürgen Dahlkamp, Jörg Schmitt | SPIEGEL

Sommer 1945: Deutschland hatte den Krieg verloren, und aus Millionen Nazis wurden Millionen Deutsche, die eigentlich keine Nazis gewesen sein wollten. Höchstens Karteikarten-Nazis, vielleicht sogar mit einer klitzekleinen Spur von Widerstand; da müsste sich doch noch was finden lassen.

So saß damals auch Hans Bahlsen, 44, Vorstand der weltbekannten Keksfabrik in Hannover, über seinem Fragebogen für die Entnazifizierung. Und, ja, er fand etwas: "Ich war Stadtverordneter für die Deutsche Volkspartei im Rathaus von 1932–1933 und wurde 1933 von der NSDAP dieses Postens enthoben." Ein Regimegegner also, ein Opfer der Nazis?

Nein, nur ein Wendehals. Am 1. Mai 1933 trat Hans Bahlsen in die NSDAP ein, Mitgliedsnummer 3.555.351, am selben Tag in die SS, Nummer 99 713. Seine Brüder Werner und Klaus, die mit ihm im Vorstand saßen, waren Anfang 1935 Fördermitglieder der SS, unterstützten die Truppe mit Geld. Jahre später, 1942, gingen sie dann auch in die Partei.

Werner Bahlsen, nach dem Krieg ein großer Unternehmer, Mäzen, CDU-Politiker, übernahm im Krieg noch eine Keks- und Marmeladenfabrik in der Ukraine. Hauptsache, das Geschäft lief weiter, auch mit Zwangsarbeitern. Denn Bahlsen war mit seinen "Fruchtschnitten" und der "Flieger-Sonderverpflegung" kriegswichtig. Von Stalingrad bis Tobruk.

Und damit nun ins Jahr 2019, zu Verena Bahlsen, dem It-Girl der Gründerszene. So frech, so fresh, so forsch. Eine 26-jährige Millionenerbin mit einem Hang zu originellen Ideen, aber offenbar wenig Wissen über die Jahre 1933 bis 1945. Das war ja alles, wie Verena Bahlsen sagt, "vor meiner Zeit".

Auf einem Marketingkongress in Hamburg hatte sie vor ein paar Tagen ihre Welt erklärt: dass sie gern Kapitalistin sei, Geld verdienen wolle, Jachten kaufen. Gut, das mit der Jacht war nur so dahingesagt; eigentlich will sie keine Jacht. Aber das Wort klingelt, und in einer Szene, in der Aufmerksamkeit mit Anerkennung verwechselt wird, klingelt "Jacht" nun mal besser als "Boot". Da horchte sogar die "Bild"-Zeitung auf. Erst recht, als Kritiker konterten, ihren Reichtum verdanke die Jungunternehmerin doch auch den Zwangsarbeitern, mit denen ihre Familie im Krieg das Keksgeschäft am Laufen gehalten hatte.

Verena Bahlsen, der ein Viertel der Firma mit einem Jahresumsatz von knapp 550 Millionen Euro gehört, ließ daraufhin über die "Bild" wissen, wie sie das sah. "Wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt." Und weiter: "Das Gericht hat die Klagen (der Zwangsarbeiter –Red.) abgewiesen. Bahlsen hat sich nichts zuschulden kommen lassen."

Es hätte danach keine Historiker, nur einen Deutschlehrer gebraucht, um Verena Bahlsen klarzumachen, dass in Zwangsarbeit das Wort "Zwang" steckt und sich die Firma schon allein deshalb etwas hat zuschulden kommen lassen. Die Arbeitskräfte wurden aus ihrer Heimat verschleppt. Dass die Klagen abgewiesen wurden, war der Verjährung geschuldet, nicht einem Freispruch. Und Experten weisen darauf hin, dass der Bruttolohn der gleiche gewesen sein mag, Zwangsarbeitern in der Regel aber ein großer Teil gleich wieder abgezogen wurde. "Der Verdienst war um ein Vielfaches geringer", sagt die Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin, Christine Glauning.

Also bemühte sich der Konzern diese Woche, den Schaden zu begrenzen. Er bekannte sich zu dem "großen Leid und Unrecht", das "Zwangsarbeitern widerfahren" sei. Er erinnerte an die 1,5 Millionen Mark, mit denen sich Bahlsen an der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft im Jahr 2000 beteiligt hatte. Auch Verena Bahlsen entschuldigte sich nach einigen Tagen Bedenkzeit. Nichts liege ihr ferner, als den Nationalsozialismus zu verharmlosen; sie wolle sich jetzt intensiver mit der Firmengeschichte befassen.

Bahlsen-Zwangsarbeiterinnen in Hannover: Ersatz aus Polen - Fotoquelle: PHL | SPIEGEL


Und doch verschleiert diese Firma offenbar weiter, wie sehr sie von Zwangsarbeit profitiert hat – die jetzt genannte Zahl von 200 Kräften erscheint zu niedrig. Erst recht aber waren die persönlichen Verstrickungen der drei Brüder Hans, Klaus und Werner ein Familiengeheimnis, das über Jahrzehnte gut verborgen blieb.

Das eine wie das andere ist keine Schwarz-Weiß-Geschichte. Auch wenn viele Papiere in den Bombennächten von Hannover verloren gegangen sind – so wie es aussieht, waren weder die drei Bahlsen-Brüder glühende Nazis, noch waren die Arbeitsbedingungen in ihren Werken für Zwangsarbeiter besonders brutal. Der Fall Bahlsen steht aber beispielhaft für die Anbiederung deutscher Unternehmer an das Regime und die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihren Profit suchten – mit den Mitteln und Möglichkeiten einer menschenverachtenden Diktatur. Auch das ist Schuld.

Den tiefsten Einblick in die Zwangsarbeit bei Bahlsen vermittelt eine Magisterarbeit aus dem Jahr 1996, für die der Historiker Uwe Lehmensiek ins Firmenarchiv gelassen wurde. Schon im ersten Kriegsjahr – die Männer waren an der Front, Frauen zu Rüstungsunternehmen abgezogen worden – forderte Bahlsen demnach Zwangsarbeiter aus dem Ausland an. "Als Ersatz sind uns bislang 129 Polinnen zugewiesen worden. Ein weiterer Transport von 76 Polinnen soll am 29.6. kommen", hieß es in einem Schreiben an die Rüstungsinspektion in Hannover.

Hans Bahlsen nannte 1949 eine Zahl von 250 Zwangsarbeitern. Vermutlich sei das aber nur der Stand bei Kriegsende gewesen, so Lehmensiek. Über die Jahre müssten es deutlich mehr gewesen sein. Denn aus den Firmenunterlagen ergibt sich, dass im Dezember 1942 schon 200 Polinnen und 70 Ukrainerinnen bei Bahlsen beschäftigt waren. Im März 1944 sprach die Firma von "ca. 150 Ukrainern und Ukrainerinnen", die "nach hier verbracht" worden seien.

Rund 60 Frauen klagten schließlich im Jahr 1999 auf Entschädigung. Einige von ihnen schilderten tatsächlich, dass sie "sehr gut" behandelt worden seien – Essen, Waschgelegenheiten, die Baracken, alles besser als befürchtet. Und doch seien sie aus ihrer Heimat verschleppt worden, und wenn Bomben fielen, konnten sie im Barackenlager nicht in einen Bunker gehen, nur in Splitterschutz-Unterstände. Einmal, so schilderte es eine Polin, kam nachts die Polizei. Sie hätten im Schnee draußen antreten müssen, nur in Unterwäsche. Ein anderes Mal seien fünf Frauen eingesperrt worden, "im Kesselhaus mit Ratten".

Damit die Keks-Fließbänder weiter liefen, brauchte Bahlsen gute Beziehungen zu den braunen Herrschern. Nicht nur Arbeitskräfte waren knapp, auch Rohstoffe. Umso wichtiger, dass die Gauwirtschaftskammer Bahlsen 1939 eine "kriegswichtige Produktion" bescheinigte. 40 Prozent verkaufte Bahlsen an die Wehrmacht; dafür bekam man bevorzugt Zuweisungen.

An guten Verbindungen hatte Bahlsen gleich nach Hitlers Machtübernahme gearbeitet. Hans Bahlsen ging in die NSDAP und in die SS, beides am 1. Mai 1933. Nach dem Krieg erklärte er seinen SS-Beitritt so, als hätte er nichts dafür gekonnt: "Bei der korporativen Übernahme der Mitglieder des Automobilklubs in die Motor-SS wurde ich am 1. 5. 1933 SS-Anwärter", schrieb er in den Entnazifizierungsbogen.

Der Historiker und SS-Experte Jan Erik Schulte hält das für unglaubwürdig. "Man wurde nicht zwangsweise in die SS überführt, die Mitgliedschaft war freiwillig. Sie erfolgte immer individuell und musste zuvor eigens beantragt werden." Jeder Anwärter habe in der Regel zwei Bürgen gebraucht; die hätten bestätigen müssen, dass der Kandidat eisern hinter der NS-Weltanschauung stand.

Auch das Parteibuch war Hans Bahlsen wohl kaum hinterhergeworfen worden. "Der 1. Mai 1933 war ein klassisches Eintrittsdatum, danach verhängte die Partei einen Aufnahmestopp. Das Datum spricht dafür, dass der Unternehmer schnell noch Mitglied werden wollte", sagt Schulte.

Auch das Parteibuch
war Hans Bahlsen 
wohl kaum 
hinterhergeworfen worden.


Mit dem SS-Eintritt habe Hans Bahlsen seine Regimetreue wohl noch unterstreichen wollen. Bahlsen gab nach dem Krieg zu: "Ich hatte nach Darlegung der ideellen Ziele keine Bedenken." Die seien ihm erst später gekommen, "als ich mich näher mit den Anschauungen der SS vertraut gemacht hatte". Nachdem er den Befehl bekommen habe, aus der Kirche auszutreten, habe er das "mit meinem Gewissen nicht verantworten" können. Am 3. Dezember 1934 habe ihn die 4. SS-Motor-Standarte Braunschweig aus der SS entlassen, schriftlich, auf seinen Antrag hin.

Auch an dieser Darstellung hat SS-Experte Schulte seine Zweifel: Da die Originalschreiben fehlen – Bahlsen hatte nur eigene Abschriften eingereicht – wisse man nicht, ob es nicht andere Gründe gegeben habe. Was auffällt: Während Hans Bahlsen behauptet, danach nichts mehr mit der SS zu tun gehabt zu haben, heißt es in der von ihm vorgelegten, angeblichen Austrittsbestätigung der Motor-SS: "Ihrer Bitte um Aufnahme als Förderndes Mitglied der SS wird gern stattgegeben."

Und während Hans offenbar ausschied, wurden seine Brüder Klaus und Werner zahlende SS-Fördermitglieder – bis 1935, wenn man ihren Angaben für die Entnazifizierung glauben darf. Schulte: "Diese freiwillige Unterstützung der SS war insbesondere seit 1933 eine Möglichkeit, dem Regime die Treue zu versichern." Dass die beiden 1942 in die NSDAP eintraten, lasse sich vermutlich mit Opportunismus erklären.

Im Fall von Werner könnte das spät beantragte Parteibuch auch mit der Keks- und Marmeladenfabrik in Kiew zu tun gehabt haben, die er leitete. Zugeschanzt von der Zentralhandelsgesellschaft Ost, einer staatlichen Monopolgesellschaft.

Was Hans, der Älteste, im Krieg gemacht hat, bleibt unklar, er wurde als einziger Bruder eingezogen und kam gegen Kriegsende als Hauptmann kurz in Kriegsgefangenschaft. Seine Brüder blieben verschont – untauglich gestempelt der eine, unabkömmlich für die Fabrik der andere.

Nur Hans wurde im Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer eingestuft, Werner und Klaus galten als entlastet. Die Briten waren in ihrer Zone um Milde bemüht. Eine Unterstützung des Nationalsozialismus liege bei beiden, abgesehen von der einfachen Mitgliedschaft in NS-Organisationen, nicht vor, hieß es 1948 in den Entscheiden.

So gesehen hatte Verena Bahlsen sogar recht: Opa Werner und Großonkel Klaus hatten sich nichts zuschulden kommen lassen, Großonkel Hans zumindest nichts Schlimmes. Nach der amtlichen Lesart. Fragt sich, ob Verena Bahlsen bereit ist, sich selbst noch mal die Mühe des Lesens zu machen. Für die richtige Lesart.

SPIEGEL 21/2019 

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hoffentlich gehts dir nicht langsam auf den keks, in der vergangenheit einer angesehenen keksfabrikanten-familie herumzustochern - aber so ist es nun mal: wie man in den wald hineinruft, so schallt es auch heraus ...

da ist die 25- oder 26-jährige millionenerbin verena bahlsen, die sich locker flockig auf einem kongress damit rühmt, gern eine millionenschwere kapitalistin zu sein - in antwort auch auf ein statement von kevin kühnert zuvor, der auf dem gleichen kongress wieder mehr sozialistische prinzipien einfordert - statt diesem neoliberalen kapitalisschmus allerorten - in jüngerer zeit zumeist flankiert von populistischen lauthals krakeelenden schnell-karrieremacher*innen ...

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und in ihrer naseweis-erwiderung auf diese kühnert-grätsche, plapperte verena voller suchendem selbstbewusstsein nun etwas von "segelyachten", die sie sich gerne kaufen wolle - und wie sehr doch die kapitalistische wirtschaft, die sie hier mitrepräsentiere, die gesellschaft auf trapp halte und ansporn sei ...

auf die geschichte des unternehmens bahlsen angesprochen, das wärend des krieges zahlreiche zwangsarbeiter*innen beschäftigte - schätzungen reichen von rund 200 bis vielleicht sogar 770 verschleppte frauen aus dem osten - meinte nun die kecke jungmillionärin, die keksfirma bahlsen habe sich nichts zu schulden kommen lassen - und alle ansprüche seien dazu gerichtlich abgeschlossen ...

und bei soooviel wohl familiär-firmengeschichtlich moralisch verordneten verdrängungsmechanismen ist es gut, wenn historiker und archivare mal tatsächlich nachgraben in den annalen der frei zugänglichen archive und nachlässe - und wenn das auch die erben und die kinder und die kindeskinder machten und auch daran interessiert wären, ehe sie einfach unbedacht drauflosplapperten. und hier nun finden sich tatsächlich die alten nsdap-mitglieds-nummern der alten bahlsens von damals und ihr geschicktes durchlavieren durch diese zeiten mit anbiederungen an das nazi-regime und mit geschäften, die man abschloss - und die die firma zum "kriegswichtigen betrieb" stempelten: mit bevorzugter und geld bringender versorgung von nahrungs-rohstoffen aus der landwirtschaft ...

und auch hier zeigt sich ja schon wieder dieses deutsche "verdrängungs-muster", das ich auch gestern bereits in der deutschen psychiater-geschichte zum ns-eugeniker ernst rüdin konstatiert habe - und was in der gesamten deutschen (nach)kriegsbevölkerung scheinbar grassierte: einfach verdrängen - einfach abschütteln, geschichtchen erfinden und lebenslügen, um mit "augen-zu-und-durch" weitermachen zu können - so wie wir es ja auch vom großen "deutschen" maler emil nolde erfahren mussten.

und das war ein verdrängungs-phänomen, das auf der täter-, mitläufer- und auch auf der opfer-seite in den davon betroffenen familien gleichermaßen uniform und wie abgesprochen stattfand: vertuschen, verschweigen, verdrängen, nichts an sich herankommen lassen - die jeweilige verstrickung mit der zeit auf der einen wie auf der anderen seite einfach erst einmal verleugnen - bei manchen um der guten entnazifizierungspapiere willen: und wieder "augen-zu-und-durch" - mit viel augenzwinkern und "eine-hand-wäscht-die-andere" - und wo zuvor der "kriegswichtige" betrieb festgestellt wurde - gab es nun einvernehmlich mit den alliierten besatzern "friedenswichtige" fabriken, die die versorgung sicherstellen mussten - auch und gerade wenn es es um "cakes" ging...

und es musste größtenteils bis weit in die 70er/80er jahre dauern, ehe man sich an belastende fakten erinnern konnte, und hier und da zu dem "ross" auch den "reiter" nannte und sichtbar werden ließ - aber zumeist erst als die betroffenen selbst bereits hochbetagt oder bereits verstorben waren. 

ist das nun typisch für ein ganzes volk, das ja kollektiv traumatisiert wurde - und auch "dreck am stecken" hatte ??? - allerdings wurde dieses dilemma ja nicht übergestülpt, sondern man hat es so gewollt - und so gewählt - und goebbels hatte ja das volk "im namen des 'führers'" befragt: "wollt ihr den totalen krieg ???" - und sie hatten alle einstimmig im massenwahn gejohlt: "ja" und "sieg heil" - und auch dazu muss man stehen - und ebenso formen finden für eine angemessene "therapie" dieser kollektiven posttraumatischen belastungsstörungen und wahn-entgleisungen - ein einfaches verdrängen jedenfalls kann es nicht sein: es müssen worte gefunden werden für das unaussprechliche - und nur mit einem durcharbeiten und einer demütigen gedenk- und erinnerungskultur kann ein solches trauma vielleicht in etwa nach ein paar generationen ("bis ins 3. und 4. glied") überwunden werden - noch erkennen wir punktuell gesellschaftspathologische störungen, die kollektiven psychosomatischen auffälligkeiten ähneln - wozu ich ja beispielsweise auch das aufkeimen der rechtspopulistischen strömungen zählen möchte.

die junge konzernerbin verena bahlsen verhält sich einfach so "typisch deutsch", wie schon ihre altvorderen: geschicktes durchlavieren und vergessen und verdrängen und sich bei den richtigen leuten zur rechten zeit instinktiv anbiedern: so isses ... - und nix für ungut - und chuat choan ...



sauerland: ein essgeschirr als "letzte botschaft"


Ausgrabungsfunde wie ein Verschluss eines Karabiners (links), eine Emaileschüssel, Knöpfe oder zwei Damenschuhe stehen bei einer Pressekonferenz im Rathaus auf einem Tisch. Foto: dpa

NS-Verbrechen im Sauerland: Experten graben 400 Fundstücke aus

Warstein/Arnsberg (dpa). Es sieht aus wie ein ganz normaler schlammiger Waldweg im Sauerland. Doch wo Wissenschaftler der Öffentlichkeit am Freitag ihre Forschungsergebnisse präsentieren, erschossen SS-Schergen vor mehr als 70 Jahren kurz vor Kriegsende 56 Zwangsarbeiter und ein Kleinkind. In Warstein-Suttrop. Ein Gedenkstein erinnert an das Morden.

Archäologen haben dort bis Anfang 2019 nach intensiven historischen Voruntersuchungen gegraben. Ebenso an zwei weiteren Exekutionsstätten im Arnsberger Wald, wo Angehörige der Waffen-SS und Wehrmacht im März 1945 insgesamt 208 polnische und russische Zwangsarbeiter ermordeten.

Mehr als 400 Fundstücke haben die Experten insgesamt aus dem Boden geholt. Sie haben nun ein Puzzle zusammengesetzt, für das zuvor noch einige Teile gefehlt hatten - und das jetzt das gesamte barbarische Bild zeigt. Vielfach sind es kleine letzte Habseligkeiten der Opfer, die die Erde freigegeben hat.

Auf der Grundlage langjähriger Forschungen von Historikern des landschaftsverbandesw Westfalen-Lippe (LWL) haben LWL-Archäologen 2018 und Anfang 2019 Ausgrabungen an allen drei Tatorten der Exekutionen durchgeführt: Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/Thomas Poggel

Fragmente einer Mundharmonika, eines Brillenetuis, ein polnisches Gebetbuch und ein Wörterbuch, sojwetische Münzen, Schuhe, Kleidungsteile, Geschirr, einen Löffel, Knöpfe. Die Objekte sind wichtige Zeugnisse, sie erzählen von den Ermordeten, wie Matthias Löb sagt, Direktor des kommunalen Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL): »Es ist quasi ihre letzte Botschaft.«

Die meisten Funde stammen vom Tatort der ersten Mordaktion, dem Langenbachtal bei Warstein. Unter einem Vorwand wurden Zwangsarbeiterinnen in den Wald gebracht. Dort mussten sie ihre Habseligkeiten und Kleidung am Straßenrand ablegen. Man wollte sie vermutlich glauben machen, sie könnten ihre Sachen wieder abholen, bevor es zurück in die versprochene neue Unterkunft ginge.

Tatsächlich sollte die Kleidung der 71 Toten (60 Frauen, zehn Männer und ein Kind) später an Bedürftige des Orts weiterverteilt werden. Das Geld der Opfer raubte die Einheit für ihre Divisionskasse.

Die Reste dieser persönlichen Besitztümer, die von den Erschießungskommandos nicht mitgenommen wurden, entdeckten die Archäologen in der Erde verscharrt.


Ein Aufschrift auf der abgewandten Seite eines Obelisken erinnert auf dem sogenannten «Franzosenfriedhof» in Meschede an russische Opfer der SS, die im Jahr 1945 in Warstein erschossen wurden. Foto: dpa




Drei Massengräber

Und auch zu den Tätern geben die Ausgrabungen zentrale Hinweise. Deutlich wird: An allen drei Exekutionsstätten war das Vorgehen unterschiedlich, wie LWL-Archäologe Manuel Zeiler erläutert. Eisensplitter belegten, dass an einen Tatort eine Grube in den Boden gesprengt wurde. In der Grube wurden Projektile und Waffenteile entdeckt. An anderer Stelle offenbaren Patronenhülsen, dass einige der Zwangsarbeiter noch versucht hatten zu fliehen. Vergeblich.

"Man hört das immer, da sind welche erschossen worden oder so, aber wenn man wirklich am Ort steht und auch noch die Hinterlassenschaften findet, das ist wirklich hart. Da kommt man schon ins Grübeln.", sagt einer der auch ehrenamtlichen Suchhelfer, der Lennestädter Björn Greene.

In dem Wald sind viele Forscher unterwegs. Möglichst genau soll rekonstruiert werden, was sich hier im März 1945 zugetragen hat und warum.

Massenerschießungen angeordnet

Die Opfer waren zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagt Projektleiter Marcus Weidner, Historiker beim LWL. Offenbar hat sich ein hoher SS-Offizier und Chef einer Einheit, die aus SS-Leuten und Wehrmachtssoldaten bestand und in Suttrop vorübergehend untergebracht war, an den vielen Zwangsarbeitern im Ort gestört. Sein Name: Hans Kammler [click]. Der SS-Obergruppenführer wird von Rechtsextremisten bis heute verehrt.
SS-Obergruppenführer Hans Kammler
foto: https://woldcitizen.wordpress.com/
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Angeblich gehe von den Zwangsarbeitern eine Gefahr für die deutsche Bevölkerung aus. Kammler gab deshalb den Befehl, „die Fremdarbeiter zu dezimieren“, wie er die Ermordung umschrieb. Er selbst beteiligte sich nicht an der Mordaktion, beauftragte aber die Offiziere seiner Einheit damit. „An jedem der drei Erschießungsaktionen waren zehn bis 15 Angehörige der Kammler-Division beteiligt“, sagt Historiker Weidner.

LWL-Historiker Marcus Weidner ist einer der Experten des Landschaftsverbandes, der dazu forscht - auch, weil es in den Nachkriegsjahren unterschiedliche Aussagen gab und sich viele Beschuldigte schützen wollten.


Der Tod des SS-Obergruppenführers Kammler (Wikipedia)

Am 3. April 1945 war Kammler das letzte Mal bei Adolf Hitler und machte ihm offensichtlich
Hoffnungen. „Kammler macht sich ausgezeichnet, und man setzt auf ihn große Hoffnungen.“ (Goebbels, Tagebuch 4. April 1945). Während Kammler im Führerbunker noch den schneidigen General gegeben hatte, deutete er am 13. April gegenüber Speer seine Zukunftspläne an. Der Krieg sei verloren, und es wäre besser, sich jetzt noch abzusetzen. Er wolle sich mit den Alliierten in Verbindung setzen und ihnen neueste Rüstungstechnologie im Tausch gegen seine persönliche Freiheit anbieten.

Nach dem 23. April 1945 fuhr Kammler zunächst nach Ebensee in Österreich, wo es zu einem Treffen mit SS-Führern kam, und am Morgen des 4. Mai nach Prag. Gegenüber dem Journalisten Gunter d’Alquen prophezeite Kammler, „dass wir in Prag noch etwas erleben werden“. Am Abend des 4. Mai begann der Prager Aufstand. Am 9. Mai 1945 besetzte die Rote Armee die Stadt.

Kammler starb am Abend des 9. Mai 1945 durch Suizid. Dies stellte sich im Verlauf des am 9. Dezember 1957 in Arnsberg begonnenen Prozesses gegen die Untergebenen Kammlers wegen des von seiner Einheit vom 20. bis 22. März 1945 begangenen Massakers an Fremdarbeitern im Arnsberger Wald heraus.

Dabei wurde in der Entscheidung des Landgerichtes festgehalten, dass Kammler sich in Begleitung seines Ordonnanzoffizieres und eines Fahrers Anfang Mai 1945 in Prag befand und den Prager Aufstand und die Kapitulation der deutschen Truppen erlebte. Weiter wird referiert, dass Kammler am 9. Mai mit zwei Kraftwagen aus der Stadt flüchtete. Nachdem er schon an vorherigen Tagen geäußert hatte, „es habe für ihn keinen Zweck mehr“, ließ er in einem Waldgebiet südlich von Prag halten. Er forderte seine Begleiter auf, sich nach Deutschland durchzuschlagen, und begab sich in den Wald. Kurze Zeit danach wurde er dort von seinem Ordonnanzoffizier, SS-Untersturmführer Zeuner, und seinem Fahrer Preuk tot aufgefunden.

Er hatte sich offensichtlich mit Hilfe von Zyankali das Leben genommen. Die Leiche wurde von den Anwesenden sodann notdürftig an Ort und Stelle begraben. Im Buch Vier Prinzen zu Schaumburg-Lippe, Kammler und von Behr wird ein Brief der Zeugin Ingeborg Alix Prinzessin zu Schaumburg-Lippe (1901–1996), die damals Führerin der SS-Helferinnen war, an die Ehefrau Jutta Kammler zitiert, in dem die letzten Tage und die Flucht Kammlers aus Prag beschrieben werden, sowie seine Absicht Suizid zu unternehmen, um einer Gefangennahme zu entgehen. Sie bestätigte in dem Brief auch den Suizid.

Schon vorher war durch Beschluss des Amtsgerichtes Berlin-Charlottenburg vom 7. September 1948 auf Antrag der Witwe Jutta Kammler der Tod von Hans Kammler für den Todeszeitpunkt 9. Mai 1945 gerichtlich festgestellt worden. Grundlage des Urteils waren die Aussagen von Kammlers früherem Fahrer Kurt Preuk und seines Ordonnanzoffiziers Heinz Zeuner.


Opfer im Sauerland überwiegend Frauen

Von zwei Massengräbern hatten die amerikanischen Truppen schon kurz nach der Befreiung erfahren, berichtet  Weidner. Ein US-Kommandant habe ehemaligen NSDAP-Mitgliedern befohlen, die Leichen zu exhumieren, die Bevölkerung musste an ihnen vorbeiziehen. Ein drittes Massengrab wurde erst 1947 entdeckt. Dort hatten die NS-Täter 80 Zwangsarbeiter getötet.

Deutsche heben 1945, bewacht von der US-Armee, Gräber für die ermordeten Zwangsarbeiter in Suttrop aus - Foto: National Archives and Records Administration, Washington

Weidner sagt, die Opfer seien überwiegend Frauen gewesen. Die schon vor den neuen Ausgrabungen entdeckten Knochen zeigten, »wie jung viele Opfer waren.« Bei vielen fehlten Teile der Schädelknochen. Eine Folge von Genickschüssen. Die getöteten Zwangsgsarbeiter waren Zufallsopfer, schildert der Historiker. Sie seien aus dem Westen kommend im Sauerland gestrandet - in der Hoffnung, dort zu überleben.

Die allermeisten Opfer sind auf einem Waldfriedhof in Meschede bestattet. Weidner zufolge hatte die juristische Aufarbeitung der Verbrechen 1957 vor dem Arnsberger Landgericht begonnen, wo das Urteil gegen nur wenige Angeklagte »skandalös niedrig« ausgefallen sei. Erst im Revisionsverfahren hätten die Richter einige Täter auch wegen Mordes verurteilt.

Es sei den Experten inzwischen gelungen, 14 Opfer zu identifizieren. »Wir versuchen die Angehörigen zu ermitteln.« Die Forschungsergebnisse sollten einer breiten Bevölkerung vermittet werden. Denkbar sei, die Tatorte zu einem »Erinnerungspfad« zusammenzuführen.

Mit den neuen Erkenntnissen trage man »zur weiteren Aufhellung« der grausamen NS-Mordaktionen bei, betont Löb. Das sei in mehrerer Hinsicht bedeutend, denn: Seit einigen Jahren geben es Versuche, Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und der NS-Diktatur zu verharmlosen oder zu leugnen.

Eine Lehre aus den Sauerland-Funden sei: Eine »Schlusstrich-Mentalität« verbiete sich. 


click to wdr-video



Quelle: westfalen-blatt.de  & material wdr & bild; neue wesfälische




& click here: 
Naziverbrechen 
Das Massaker im Arnsberger Wald 
Es war einer der schlimmsten Massenmorde noch kurz vor Kriegsende: Vor 74 Jahren erschoss die "Division zur Vergeltung" im Sauerland 208 polnische und russische Zwangsarbeiter. Jetzt wurden ihre Habseligkeiten gefunden. 
Von Christian Parth

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nach über 70 jahren müssen die archäologen des landschaftsverbandes westfalen-lippe (lwl) in umfangreichen ausgrabungen endlich die noch immer blinden flecken der letzten tage der nazi-herrschaft freilegen, um den jetzigen generationen auch tatsächlich nachzuweisen: so brutal war es - so unmenschlich wurde mit menschen verfahren, die ja damals schon auf der flucht waren, und die dachten, sie hätten den schlamassel endlich hinter sich - die ihre einsatzorte ja wenige wochen vor der offiziellen kriegskapitulation schon verlassen hatten und nun im warsteiner und arnsberger wald unterschlupf suchten auf dem weg nach hause: aber obwohl zu diesem zeitpunkt bestimmt jeder mensch wusste, dass dieser krieg verloren war und die nationalsozialisten nur not und elend und mord und totschlag hinterlassen würden, wurden die "letzten befehle" noch emsig ausgeführt: hier im innern des landes - weit entfernt von tatsächlichen kriegshandlungen - beseitigte man an verschiedenen "exekutionsstätten" im tiefen sauerland-wald justement noch über 200 zwangsarbeiter und zivilisten - männer, überwiegend frauen und sogar ein kleinkind - ohne jeden sinn und verstand - aus reiner wut, aus hass, aus mordlust, aus frust vielleicht wegen der drohenden bedingungslosen kapitulation - und weil "diese elemente" ja "unkontrolliert" auf den straßen unterwegs waren - und eine "gefahr" für die deutsche bevölkerung darstellten - weil sie vielleicht beim nächsten bauern um nahrungsmittel bettelten, oder ein paar hühnereier klauten... 

und die täter dieser unsinnigen mordaktionen kamen immerhin erst 12 jahre später im großen und ganzen recht billig davon - und erst bei der revision verurteilte man ein paar von ihnen tatsächlich wegen mordes - aber sie werden kaum "lebenslänglich" hinter gittern gemusst haben ... -

vom tatsächlichen befehlsgeber ss-obergruppenführer hans kammler (siehe dazu auch: hier) gibt es verschiedene schicksals-versionen: die eine meint, er sei am 09. mai 1945 im wald bei prag durch zyankali-suizid ums leben gekommen - ein anderes gerücht beschreibt die möglichkeit, kammler habe sich wie wernher von braun u.a. in die obhut des amerikanischen geheimdienstes begeben und seine identität verwischt, weil er viele geheime informationen zum waffenarsenal und zu waffenplänen der wehrmacht hatte und die "zum tausch" anbot.  

und damals - bis in die 70-er jahre - galt ja tatsächlich noch im großen und ganzen der grundsatz: "eine krähe hackt der anderen ..." - wenigstens war ja zumindest in der ersten welle die anklage gegenüber kriegsverbrechern insgesamt skandalös lau - in der brd genauso wie in der ddr ... - und die alliierten meinten ja, mit ihren "nürnberger prozessen" sei ihre arbeit in der hinsicht getan -

und erst jetzt wollen sich junge staatsanwälte noch eine goldene nase damit verdienen, indem sie inzwischen tüddelig altgewordene opas, meist einfache wachsoldaten, aber dadurch "mitwisser", vor 70-80 jahren in einem mörderischen regime, noch für ein paar tage bis zu ihrem tod hinter gittern bringen können - (etwa zur sühne und zur sozialen läuterung ...???) - falls die ihre "strafe" wegen tatsächlicher gebrechlichkeit überhaupt noch antreten können.

von diesen jetzt viel zu späten verurteilungen dieser frauen und männer der zweiten und dritten (mit-)"täter"garnitur halte ich gar nichts ... - man sollte sich besser um die staatsanwälte kümmern, die vor 50 jahren solche verfahren gegen die haupttäter gar nicht eröffnet oder sogar vereitelt haben - und man sollte mal schauen, wer dort für was und gegen wen die hand aufgehalten hat - welche seilschaften damals aktiv waren im verschleiern...

wir haben ja hier im nsu-prozess erlebt, wie höchst bedauerlich die justiz da eher mit sich selbst und mit einsprüchen und vetos von links bis rechts beschäftigt wurde, als mit der und den angeklagten und ihrer verurteilung - und vor kurzem las ich, dass ihre verteidigung "mit ihr ihre verlegung in ein heimatnahes gefängnis besprechen will" - da kann man nur mit dm kopf schütteln...

das sind politisch-juristische ränkespiele, die wir nicht durchschauen können - und manchmal ist es nicht mal der böse wille der beteiligten - sondern einfach der fluch einer bürokratie, die sich selbst längst matt gesetzt hat ...: nichts gilt mehr ...