Dieser Kopf kann gar nicht trillern
Die Künstlerin Natascha Süder Happelmann eröffnet den deutschen Pavillon zur Biennale in Venedig
An der Lagune eröffnet ein „Ankersentrum“, ja, mit Binnen-s, so wie Süder Happelmann, jene Künstlerin, die eigentlich Natascha Sadr Haghighian heißt. Was ein schöner Name ist, aber für die nationale Aufgabe des deutschen Biennale-Beitrags weniger repräsentativ zu klingen scheint. So jedenfalls erklärt diesen Namenswechsel Süder Happelmanns Sprecherin Helene Duldung.
|
Foto: Deutschlandfunk Kultur |
Die beiden stehen neben (nicht auf) den absichtsvoll ungefegten Stufen des zur Nazizeit monumental umgebauten Pavillons. Süder Happelmann trägt eine Helm-Harz-Konstruktion auf dem Kopf, die wie ein Felsbrocken mit Schnauze aussieht, und reicht Duldung die Blätter für ihre mal flammende, mal poetisch vage Rede. Rosa Luxemburg wird zitiert, mit einer Warnung davor, dass das auf Wachstum ausgerichtete Kapital noch alle Ressourcen der Erde ausbeuten wird, wenn es so weitergeht, wie es schon 1913 aussah.
Hierzulande beißt die Kunst die Hand, die sie füttert – auch das macht ihre Stärke aus
Es ist die Rede von dem Entsetzen sudanesischer Migranten, die kürzlich in Osnabrück gestrandet sind und Abschiebungen fürchten. Ruinen kommen vor, die Menschen ruinieren, wenn diese sie nicht für sich selbst zu nutzen verstehen. Mauern, die Territorien teilen. Italienische Tomatenplantagen, auf denen Migranten ausgebeutet werden. Bayerische Ankerzentren, die Asylsuchende vom Rest der Republik trennen. Trillerpfeifen, mit denen Flüchtlinge einander angeblich vor der nahenden Polizei warnen. Mit diesem Themenspektrum ist der Pavillon provisorisch eröffnet.
|
deutscher pavillon - foto: jasper kettner - sz |
In Deutschland, das zeigt Süder Happelmann der Welt, beißt die Kunst die Hand, die sie füttert, und sei es mit klobigem Felsbrockenmaul. Und das ist wirklich etwas, worauf das Land stolz sein kann. Wer durch manch andere Nationen-Pavillons der Biennale schlendert, wird viel Staatskunst erleben zwischen Kitsch und Affirmation, an der die Kunst zugrunde geht wie die venezianische Karnevalskultur in den Maskengeschäften der Stadt. Dagegen setzen die Deutschen die Ironie, die Selbstbefragung, den Zweifel, Tugenden also, die der so schwer erträgliche Nazibau Kuratoren und Künstlern alle zwei Jahre wieder auferlegt.
Dabei versucht Süder Happelmann durchaus, der „Ruine“, wie ihre Sprecherin den Pavillon nennt, zu entkommen. Sie weicht aus auf Videos auf der Website des Pavillons, welche die Frau mit Steinkopf bei der Inspektion der Zäune bayerischer Ankerzentren und der Tomatenanbaugebiete in Süditalien zeigen. Auch Konzerte ihrer Trillerpfeifenmusiker wird es anderswo als auf dem Biennale-Gelände zu hören geben, etwa im Deutschlandfunk. Ganz so einfach scheint die Umdeutung der Ruinen nicht zu sein. Sie sind ja nicht nur Zeugen einer anderen Zeit, sie verkörpern auch macht bewusst deren Werte.
Das macht sich Süder Happelmann vor Ort geschickt zunutze. Den viel zu hohen, nicht mehr menschengemäßen Innenraum teilt sie mit einer Wand aus Spritzbeton, die erst kurz unter den Oberlichtern endet. Auf der einen Seite erhebt sich ein provisorisch wirkendes Baugerüst, aus denen die Trillerpfeifenmusik sehr verschiedener Musiker schallt, Sklavenlieder mischen sich mit NeuerMusik, afrikanischen Klängen und Elektrosounds, und das klingt durchaus beschwingt und kraftvoll, nicht schrill und alarmierend wie Pfiffe auf einer Demonstration.
Auf der Vorderseite des Walls dagegen wird nicht musiziert. Dort liegen betongegossene Brocken herum, etwas leicht Klebriges, Gummiartiges ist aus der Mauer über den Boden geflossen. Offensichtlich handelt es sich um die sichere Seite der Welt, zu deren Bewohnern sich auch die (nicht anwesende) Künstlerin mit ihrem ganz ähnlich aussehenden Pseudostein auf dem Kopf zählt. Langweilig geht es hier zu, leblos, selbst das Flüssige versiegt trotz des Walls, die Betonklötze kommen nicht in Kontakt miteinander und mit den Trillerpfeifenmusikern jenseits der Mauer.
So überführt Süder Happelmann das Autoritäre des Nazibaus in das Ein- und Ausgeschlossensein der Gegenwart. Die Bohrlöcher in den Wänden, die sie vorfand, das ganze leicht Heruntergekommene des ungeputzten Baus dienen ihr als Verfallssymbolik, die ihr Werk wieder in Distanz zur faschistischen Aura der Architektur bringt.
Leider nur will die Künstlerin ein bisschen viel. Nicht bloß Flucht und Zusammenhalt sind ihr Thema, sondern der Wall soll auch noch im Luxemburgischen Sinn die Hybris des Technikzeitalters symbolisieren, die Klebespur die versiegenden Ressourcen (versiegen die in westlichen Ländern wirklich schon?). Das ist mehr, als uninformierte Besucher auf Anhieb erfassen können. Ihnen vermittelt sich auch nicht die so wunderbar ins Bild gesetzte Diskurskritik der Künstlerin: Mit ihrer über den Kopf gestülpten Maske und dem Namenswechsel ironisiert sie die Identitätsdebatten der Gegenwart,in dem sie sich Zuschreibungen als So-und-so-Stämmige entzieht und Identität zu etwas Fluidem erklärt, das sich erst im Kontakt mit anderen bildet. Nur treibt Süder Happelmann es mit dem Rückzug als Person so weit, dass ihr Steinkopf im Pavillon gar nicht mehr vorkommt; er wirkt lediglich in der medialen Rezeption ihrer Arbeit und in den Videos auf der Website, die Venedigreisende erst einmal finden müssen.
Die Steinfrau hätte noch viel zu tun in Deutschland und Italien. Daraus wird wohl leider nichts
Man würde sich wünschen, der Steinkopf ziehe weiter durch die Welt, zeige den Deutschen und Italienern mit ihren computergesetzten Namen in den Pässen, was sie hinter den Wällen westlicher Scheinsicherheit verpassen. Trillern kann der Kopf nicht, die Pfeife wird kaum in sein Maul passen. Er könnte sich aber samt Sprecherin in die nächste Talkshow setzen, wenn wieder jemand von „den Arabern“, „den Türken“ schwadroniert, könnte die Kellnerin erschrecken, die im Münchner Biergarten alle Dunkelhäutigen automatisch auf Englisch anspricht, auch wenn sie Bayern sind, könnte mit einem weiteren Roadmovie die verbauten Ruinen der Autogesellschaft am Stadtrand sichtbar machen. Doch Natascha Süder Happelmann wird wohl lieber unbehelmt in ihr Dasein als Bremer Kunstprofessorin Natascha Sadr Haghighian zurückkehren. KIA VAHLAND | SZ
Deutscher Pavillon auf der Biennale Venedig (bis 24. November) -
(Fotos: dpa)
Info:
www.deutscher-pavillon.org
wie alles in diesen tagen: von hinten durch die brust ins auge - so kommt mir auch das kozept des deutschen biennale-pavillons von dieser frau dingenskirchen oder so ähnlich vor (den namen hatte justement mein algorithmus für sie ausgeworfen ...) - bei allem was ich davon so sehe und lese - und bei allem was recht ist.
und doch scheint es ja ein spiegelbild des zustandes unserer zeit und unserer gesellschaft und dem großen & ganzen zu sein:
- da werden identitäten verschleiert und verdeckt -
- und wahrscheinlich hübsche frauen (darf ich diese bezeichnung als mann so überhaupt noch schreiben ...???) verstecken ihr antlitz in einer glocke aus pappmaché und kunstharz -
- namen werden laufend wechselnd durch algorithmen erstellt,
- ausweispapiere kauft man in istanbul auf dem schwarzmarkt oder im darknet -
- da steht man als migrant oder auch nicht-migrant vor virtuellen und realen unüberwindbaren einseitig hochgezogenen mauern (trump will ja für milliarden dollar gerade eine bauen lassen ...),
- die auf der anderen seite lediglich mit einem stahlgerüst abgestützt sind, von denen es unter dem pony herabtrillert -
- und jeden moment können diese trillerpfeifen den schrillen alarm auslösen -
- und die flut kann hereinbrechen, trotz dieses letzten dürre-sommers...
- und "auch kulturell verschwimmen gerade jene eindeutigen zuordnungen, die uns früher beim verständnis der welt geholfen haben. unsere gesellschaft löst sich aus ihren bisherigen verankerungen" - das sagt just im neuen "spiegel" die soziologin cornelia koppetsch;
- frau koppetsch meint weiter: ..."die kulturellen identitäten, die einem menschen möglich sind, haben sich vervielfältigt, die geschlechterfrage zeigt das beispielhaft: neben dem männlichen und weiblichen gibt es nun ein drittes, das »divers« heißt und damit zahlreiche geschlechterkonzepte einschließt. doch obwohl wir die welt zunehmend uneindeutig wahrnehmen, beherrschen lauter eindeutige und scheinbar alternativlose ansichten die öffentliche debatte".
schon vor 25 jahren habe ich mich in einer diplom-arbeit mit der "postmodernen" beschäftigen müssen - mit ihrer diversität und ihrem "anything goes" (cole porter schrieb seinen gleichnamigen song bereits 1934) ...
aber daran arbeiten wir uns auch mit unserer "zeitgenössischen kunst" immer etwas schriller, aber noch immer weiter ab:
- mit der vielfalt, die zunächst uns als segen vorkam - und uns nun zu überfluten droht ... z.b. plastikmüll - und die mär vor 30 jahren, die erdölvorkommen reichten nur noch für xx jahre jahrzehnte jahrhunderte ... -
- oder der co²-ausstoß und der diesel-feinstaub ... -
- und die tausendfachen migrantenabsäufnisse im mittelmeer - und alle schauen weg -
- und der brand der notre-dame - und alle schauen hin -
- und zücken selbstverständlich ihre schatulle, um zu "helfen" ...:
- "anything goes" - immer noch - und schon wieder - und immer weiter ...
|
logion 42. werdet vorüberfahrende.
oder. die 4 jahreszeiten - sinedi.art |
mit meinem jüngsten werk - genau hier drunter - stehe ich fast ganz zufällig doch tatsächlich genau in diesem zeitgeist und venezia-trend:
- mit meinem alias-namen "sinedi" -
- und meinen graphisch verschwommenen 4 "jahreszeiten"-köpfen, aus einem foto gefertigt -
- siehe dazu auch mein werk-magazin -
- und mein spontan-titel dazu in anlehnung immerhin an ein vermeintliches jesus-wort aus dem apokryphen "thomas-evangelium": "werdet vorübergehende!" -
- woraus nun bei mir ganz "postmodern" und schnelllebig "werdet vorüberfahrende" wurde ...:
- jawoll - ihr lieben - ich hab es halt drauf ... - noch zweifel ???
und chuat choan - und nix für ungut ...
_________________________________
ANYTHING GOES
SONGTEXT ÜBERSETZUNG
Cole Porter 1934 (!)
In alten Zeiten wurde hervorblitzender Strumpf
als etwas Schockierendes empfunden,
heute weiß der Himmel:
Alles ist möglich!
Auch gute Autoren, die einst bessere Wörter wußten,
benutzen heute nur noch vulgäre Ausdrücke,
wenn sie ihre Prosa schreiben:
Alles ist möglich!
Die Welt ist verrückt geworden heutzutage,
und das Gute ist heutzutage das Böse,
und schwarz ist heutzutage weiß,
und der Tag ist heutzutage Nacht,
wenn die meisten Typen heutzutage,
die die Frauen heutzutage toll finden,
einfach nur alberne Gigolos sind.
Obwohl ich kein großer Romantiker bin,
weiß ich, daß du auf jeden Fall antworten wirst,
wenn ich vorschlage (ODER: wenn ich Dir einen Heiratsantrag mache):
Alles ist möglich!
Bevor diese Schallplatte zu Ende geht, darf ich noch sagen:
Ich möchte, daß Du weißt,
alles ist möglich!