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Rede von Bundespräsident Steinmeier in Yad Vashem am 23.Januar 2020 - zur Befreiung des KZ Auschwitz vor 75 Jahren


 
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier:
Rede bei der fünften internationalen Konferenz des World Holocaust Forum in Yad Vashem in Jerusalem, Israel.


בָּרוּךְ אַתָּה יְיָ אֱלֹהֵינוּ מֶלֶךְ הַעוֹלָם שֶׁהֶחֱיָנוּ וְקִיְּמָנוּ וְהִגִּיעָנוּ לַזְּמַן הַזֶּה׃

""Gepriesen sei der Herr, […] dass er mich heute hier sein lässt.""


Welche Gnade, welches Geschenk, dass ich heute hier in Yad Vashem zu Ihnen sprechen darf.

Hier in Yad Vashem brennt die ewige Flamme der Erinnerung an die Toten der Shoah.

Dieser Ort erinnert an ihr millionenfaches Leid.

Und er erinnert an ihr Leben – an jedes einzelne Schicksal.

Dieser Ort erinnert an Samuel Tytelman, ein begeisterter Schwimmer, der bei Makkabi Warschau Wettkämpfe gewann, und an seine kleine Schwester Rega, die ihrer Mutter beim Kochen für den Schabbat half.

Dieser Ort erinnert an Ida Goldiş und ihren dreijährigen Sohn Vili. Im Oktober wurden sie aus dem Ghetto Chișinău deportiert, und im Januar, in bitterster Kälte, schrieb Ida ein letztes Mal an ihre Eltern und an ihre Schwester: ""Ich bedaure aus tiefster Seele, dass ich beim Abschied die Bedeutung des Augenblicks nicht erfasste, […] dass ich Dich nicht fest umarmt habe, ohne loszulassen.""

Deutsche haben sie verschleppt. Deutsche haben ihnen Nummern auf die Unterarme tätowiert. Deutsche haben versucht, diese Menschen zu entmenschlichen, zu Nummern zu machen, im Vernichtungslager jede Erinnerung an sie auszulöschen.

Es ist ihnen nicht gelungen.

Samuel und Rega, Ida und Vili waren Menschen. Und Menschen bleiben sie in unserer Erinnerung.

Hier in Yad Vashem wird ihnen – wie es im Buch des Propheten Jesaja heißt – ""ein Denkmal und ein Name"" gegeben.

Vor diesem Denkmal stehe auch ich als Mensch – und als Deutscher.

Ich stehe vor ihrem Denkmal. Ich lese ihre Namen. Ich höre ihre Geschichten. Und ich verneige mich in tiefer Trauer.

Samuel und Rega, Ida und Vili waren Menschen.

Und auch das muss ich hier und heute aussprechen: Die Täter waren Menschen. Sie waren Deutsche. Die Mörder, die Wachleute, die Helfershelfer, die Mitläufer: Sie waren Deutsche.

Der industrielle Massenmord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden, das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte – es wurde von meinen Landsleuten begangen.

Der grausame Krieg, der weit mehr als 50 Millionen Menschenleben kosten sollte, er ging von meinem Lande aus.

75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz stehe ich als deutscher Präsident vor Ihnen allen, beladen mit großer historischer Schuld. Doch zugleich bin ich erfüllt von Dankbarkeit: für die ausgestreckte Hand der Überlebenden, für das neue Vertrauen von Menschen in Israel und der ganzen Welt, für das wieder erblühte jüdische Leben in Deutschland. Ich bin beseelt vom Geist der Versöhnung, der Deutschland und Israel, der Deutschland, Europa und den Staaten der Welt einen neuen, einen friedlichen Weg gewiesen hat.

Die Flamme von Yad Vashem erlischt nicht. Und unsere deutsche Verantwortung vergeht nicht. Ihr wollen wir gerecht werden. An ihr sollt Ihr uns messen.

Weil ich dankbar bin für das Wunder der Versöhnung, stehe ich vor Ihnen und wünschte, sagen zu können: Unser Erinnern hat uns gegen das Böse immun gemacht.

Ja, wir Deutsche erinnern uns. Aber manchmal scheint es mir, als verstünden wir die Vergangenheit besser als die Gegenwart.

Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit. Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt.

Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten. Das kann ich nicht sagen, wenn jüdische Kinder auf dem Schulhof bespuckt werden. Das kann ich nicht sagen, wenn unter dem Deckmantel angeblicher Kritik an israelischer Politik kruder Antisemitismus hervorbricht. Das kann ich nicht sagen, wenn nur eine schwere Holztür verhindert, dass ein Rechtsterrorist an Jom Kippur in einer Synagoge in Halle ein Blutbad anrichtet.

Natürlich: Unsere Zeit ist nicht dieselbe Zeit. Es sind nicht dieselben Worte. Es sind nicht dieselben Täter.

Aber es ist dasselbe Böse.

Und es bleibt die eine Antwort: Nie wieder! Niemals wieder!

Deshalb darf es keinen Schlussstrich unter das Erinnern geben.

Diese Verantwortung ist der Bundesrepublik Deutschland vom ersten Tage eingeschrieben.

Aber sie prüft uns – hier und heute!

Dieses Deutschland wird sich selbst nur dann gerecht, wenn es seiner historischen Verantwortung gerecht wird:

Wir bekämpfen den Antisemitismus!

Wir trotzen dem Gift des Nationalismus!

Wir schützen jüdisches Leben!

Wir stehen an der Seite Israels!

Dieses Versprechen erneuere ich hier in Yad Vashem vor den Augen der Welt.

Und ich weiß, ich bin nicht allein. Hier in Yad Vashem sagen wir heute gemeinsam: Nein zu Judenhass! Nein zu Menschenhass!

Im Erschrecken vor Auschwitz hat die Welt schon einmal Lehren gezogen und eine Friedensordnung errichtet, erbaut auf Menschenrechten und Völkerrecht. Wir Deutsche stehen zu dieser Ordnung und wir wollen sie, mit Ihnen allen, verteidigen. Denn wir wissen: Jeder Friede bleibt zerbrechlich. Und als Menschen bleiben wir verführbar.

Verehrte Staats- und Regierungschefs, ich bin dankbar, dass wir heute gemeinsam bekennen: A world that remembers the Holocaust. A world without genocide.

""Wer weiß, ob wir noch einmal den zauberhaften Klang des Lebens werden hören können? Wer weiß, ob wir uns in die Ewigkeit werden einweben können – wer weiß.""

Salmen Gradowski schrieb diese Zeilen als Häftling in Auschwitz und er vergrub sie in einer Blechbüchse unter einem Krematorium.

Hier in Yad Vashem sind sie eingewoben in die Ewigkeit: Salmen Gradowski, die Geschwister Tytelman, Ida und Vili Goldiş.

Sie alle sind ermordet worden. Ihr Leben ging im entfesselten Hass verloren. Aber die Erinnerung an sie besiegt das Nichts. Und das Handeln, unser Handeln, besiegt den Hass.

Dafür stehe ich. Darauf hoffe ich.

Gepriesen sei der Herr, dass er mich heute hier sein lässt.

Zeche Zollverein: Fotoausstellung „Survivors – Faces of Life after the Holocaust“



Zeche Zollverein

Fotoausstellung "Survivors" zeigt Porträts von Holocaust-Überlebenden

Zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau hat der Künstler Martin Schoeller 75 Überlebende der Shoa für ein Erinnerungsprojekt fotografiert. Technisch ist er sich treu geblieben.

Von Florian Pfitzner | NEUE WESTFÄLISCHE

Einige Worte in der deutschen Sprache, wie zum Beispiel "Achtung!", ließen ihm nach wie vor "Schauer über den Rücken laufen", sagte einmal der frühere Vorsitzende der Gedenkstätte Yad Vashem, Schewach Weiss, ein Überlebender des Holocaust. Das Deutsche war lange verpönt in Israel. Es sollte gemieden werden, zumindest solange die Zeitzeugen lebten.

Zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau hat der Künstler Martin Schoeller nun 75 "Survivors" für ein Erinnerungsprojekt fotografiert. Wie würden sie auf ihn reagieren, den Deutschen? Vor einer gewissen Voreingenommenheit habe er zu Beginn "natürlich Angst gehabt", sagt Schoeller beim Pressegespräch zur Eröffnung der Fotoausstellung "Survivors. Faces of Life after the Holocaust" auf dem Gelände der früheren Steinkohlezeche Zollverein in Essen. Doch nur eine der Porträtierten sei "leicht schockiert gewesen", als sie von seiner Herkunft erfahren hat.


© Kostas Mitsalis / Radio Essen;
"Niemals vergessen!"

Zu den "Gesichtern des Lebens nach dem Holocaust" gehört Eliezer Lev-Zion, ein deutscher Jude, einstig in der französischen Résistance. "Ich war ein jüdisches Kind, das in eine schöne Welt geboren wurde", erzählt er den Autoren des Farbkatalogs. Dann wurden jüdische Gemeinden in Europa zerstört, sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens verfolgt und ermordet. "We must never forget!", sagt Lev-Zion. "Niemals vergessen!"

Schoellers großformatige Nahaufnahmen hängen an den rauen Waschbetonwänden der stillgelegten Kokerei. Eigentlich ist der Künstler weiße Hintergründe gewohnt. Mittlerweile aber findet er, dass es noch nie eine Ausstellung von ihm gegeben habe, "in der sich Fotos und Räumlichkeiten so perfekt ergänzen".

Erinnerungskultur werde "ganz offen angegriffen"

Als einer der gefragtesten Porträtfotografen der Welt lichtete der gebürtige Münchner Schoeller, der
© Kostas Mitsalis / Radio Essen;
seit 1993 in den USA lebt, Politiker wie Barack Obama und Angela Merkel ab, Schauspieler wie Robert De Niro und Popstars wie Taylor Swift. Zu seinen Auftraggebern zählen der "New Yorker", die "Vogue" und "National Geographic". Nie habe ihn ein Projekt so aufgewühlt wie die Kunstaktion "Survivors" in Jerusalem, erzählt der 51-Jährige. Es seien mitunter "sehr traurige Tage" gewesen.


Yad Vashem vermittelte die Zeitzeugen. Zu Beginn waren lediglich zwei oder drei Interviews vorgesehen. Es wurden dann doch "viele, viele mehr als ursprünglich geplant", sagt der Vorsitzende des Freundeskreises von Yad Vashem in Deutschland, Kai Diekmann. Erinnerungskultur werde heute "ganz offen angegriffen", warnt der frühere "Bild"-Chefredakteur – gerade in einer Zeit, da die letzten Zeugen dieses Zivilisationsbruchs einer industriell organisierten Vernichtungsmaschinerie nach und nach sterben.


© Kostas Mitsalis / Radio Essen;
Gebot der Gleichheit

In seiner Vorgehensweise ist Schoeller seinem Stil treu geblieben. Er griff für seine aufwendigen Close-ups zur gewohnten Technik: dem strengen Formalismus, bei dem er die Augenhöhe des Gegenübers misst und die Kameralinse auf exakt die gleiche Höhe fährt. Die Pupillen der Fotografierten reflektieren das Licht der Lampen.

Der Fotograf konzentriert sich ausschließlich auf die Geschichten eines Gesichts. Grübchen, Falten, Mundwinkel – nichts soll davon ablenken. Er verfolge das Gebot der Gleichheit, erklärt er, einen "demokratischen Anspruch". Ob er nun Meryl Streep fotografiere oder einen Obdachlosen in Los Angeles.


"Liebe geben, Liebe empfangen"


Dov Landau schaut so eindringlich wie ernst in die Kamera. 1928 in Polen geboren, wurde er von den Nazis zur Zwangsarbeit nach Auschwitz verschleppt. "It is important to be a Mensch", mahnt er. Schwer genug nach seiner Geschichte.

Er hat es geschafft, genau wie Silvia Aharon, 1936 in Rumänien geboren und als Kind in die Höllenregion Transnistriens getrieben. Man solle in der Lage bleiben, "Liebe zu geben", sagt sie, "und Liebe zu empfangen".

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CLICK HERE ZU EINEM ZDF-MITTAGSMAGAZIN-FEATURE ZUR AUSSTELLUNGs-ERÖFFNUNG

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Information


    Survivors 
    Ausstellung:  Die Fotoausstellung „Survivors – Faces of Life after the Holocaust“ (Überlebende – Gesichter des Lebens nach dem Holocaust) wird am Dienstag (21. Januar 2020) von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet. Sie ist bis zum 26. April täglich von 11 bis 17 Uhr geöffnet. 
    Ort: Gezeigt werden die Porträts im Unesco-Welterbe Zeche Zollverein, Areal C (Mischanlage Kokerei), Arendahls Wiese in Essen (Eintritt nach eigenem Ermessen). 
    Buch: Das gleichnamige Fotobuch zur Ausstellung ist im Steidl-Verlag erschienen und kostet 28 Euro.

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    das ist sicherlich eine hervorragende und eindrückliche ausstellung, wo sich in jedem antlitz des überlebens die oft um die 90-jährige individuelle leidens- und lebensgeschichte dennoch widerspiegelt und spuren gezeichnet und gegraben und hinterlassen hat.

    hierzu einen top-fotografen anzuheuern, der jedes dieser porträts mit der gleichen akribie abgelichtet hat, wie wenn es um den präsidenten oder der kanzlerin oder dem filmstar ginge, ist eine angemessene und spannende aktion zum gedenktag "75 jahre befreiung des kz auschwitz", dem gedenktag für alle mordopfer der ns-gewaltherrschaft.

    hervorzuheben ist dabei auch die gute kooperation zwischen der gedenkstätte yad vashem in jerusalem und dem künstler, denn die fotositzungen entstanden immer in gemeinsamer absprache.

    aber schade empfinde ich es, dass es jetzt zu diesem besonderen dreiviertel-jahrhundert-gedenktag so viele hervorragende veranstaltungen gibt - man hier und da und allerorten auf hoher politischer ebene aber auch "draußen im lande" besondere events dazu durchführt - sogar eine gedenkwoche ausruft - und sich auch die medien punktgenau mit themen dazu überschlagen - ja, wo man sich sicherlich auch finanziell geradezu "verausgabt" - doch dann wieder das "gedenken" seinen gewohnten gang der verdrängung nehmen wird: aus den augen - aus dem sinn... - nach dem motto: "und jetzt könnte es aber auch mal gutt sein"... - und herr gauland von der afd hat das ganz ja sowieso als "vogelschiss" schon abgehakt ...

    besser wäre es meines erachtens, wenn man jetzt nicht in so ein rudel-gedenkhype ausbrechen würde, sondern wenn man es an einen zentralen gedenktag am 27. januar beließe, um dann solche ausstellungen und andere sehens- und nachdenkenswerte aktivitäten dezidiert verteilt mit in den alltag auch danach wie selbstverständlich aber sinnvoll integrieren könnte.

    auschwitz ist immer und überall - und die auseinandersetzung mit holocaust und ns-"euthanasie" ist nicht an daten gebunden und hat keine "hochsaison" - sondern sie sollte aufklärend  und angemessen die schulen, ausbildungen, universitäten, die medien und die verlage, das internet und die archive und museen und gedenkstätten immer wieder neu dezidiert durchziehen. 

    und alltäglich auch im übertragenen sinn "stolpersteine" legen, damit man "anstößt", "drüber stolpert" "anstoß" nimmt und "anstoß" bekommt, diese zeit in seiner persönlichen wahrnehmung mit zu inegrieren und auch im persönlichen "kosmos", in der familie, im umfeld und in der region dem thema nachzuspüren und es zu etablieren: nicht als eintagsfliege, sondern als (er-)lebensfaktum.

    eine nachahmenswerte punktuelle gedenk- und erinnerungs-aktion wäre es meines erachtens, auch hier wie in israel am  jom ha|scho’a (yom hashoah) (hebräisch יום הזיכרון לשואה ולגבורה, am „tag des gedenkens an holocaust und heldentum“) im gesamten land um 10 uhr für zwei minuten die sirenen aufheulen zu lassen - als zeichen dafür, den öffentlichen nahverkehr und normalerweise auch alle anderen fahrzeuge anzuhalten und als passant schweigend stehenzubleiben und zu verharren - wie bei den schweigeminuten in einem stadion zu ehren eines verdienten verstorbenen sportlers. 

    und ein ähnliches ritual haben sich ja auch die schüler einfallen lassen bei ihren permanent-schulstreiks für "friday for future" zum klimaschutz. da sollten 2 minuten im jahr für alle holocaust-opfer doch unisono auch möglich sein.