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Kultur nach Auschwitz

konnte dieser barbarische eingriff des holocaust in die menschlichkeit "danach" geistige, künstlerische oder gestaltende leistungen der kulturschaffenden gemeinschaft überhaupt noch zustande bringen - oder konnte die reaktion nur ein tiefes allgemeines beschweigen sein - eine "ohnmacht" - in stiller trauer sozusagen.

aber die "kultur" ist flexibel - sie hat allmählich - und erst recht 75 jahre nach der befreung von auschwitz - ihre sprachen wiedergefunden - und hat sich über alle selbst auferlegten ge- und verbote hinweggesetzt.

inzwischen probiert sie sich an "auschwitz" und "holocaust" mit ganz unterschiedlichen herangehensweisen - zumal ja mit dem allmählichen verschwinden der direkten zeitzeugen auch neue formen der botschaften an die nachgeborenen entwickelt werden müssen.

und so wichtig da auch die gedenkveranstaltungen mit trauermusik und engagierten reden von politikern und historikern sein mögen, so wichtig ist es aber auch, dass der einzelne mensch im hier & jetzt etwas vom geschehen damals zumindest in etwa "wahrnehmen" kann mit seinen persönlichen und sinnlichen "antennen" - dass er etwas erspüren kann, auch vermittelt durch moderne medien, im nach- und miterleben.

und das geht nur durch kulturelle aktivitäten, eben auf geistigem, künstlerischen und gestalterischen wegen - im nachvollziehen von opferschicksalen von damals, flankiert mit nachgestelltem milieu - ganz abstrakt oder konkret - je nach gusto.

ein wegzuwischender "vogelschiss", der endlich im sankt nimmerleinsland verschwindet und untergeht, ist das auf jeden fall nicht...

die metropolis sondersendung von arte zu dem thema zeigt in 44 minuten jedenfalls eine ganze reihe von methodischen und didaktischen ansätzen, sich dem "unfassbaren" trotzdem angemessen von verschiedenen ausgangspunkten zu nähern.

vielleicht ist es auch eine inzwischen zeitgemäße anregungs- und motiv-sammlung - die aber auch wieder nur durchgangsstadien sind zu neuen ufern in der zukunft.

wir werden dieses thema in deutschland hoffentlich nie "überwinden", aber wir müssen angemessen und würdevoll lernen damit zu leben - zumindest "bis ins dritte und vierte glied" - und darüber hinaus.



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Kunst nach Auschwitz

75 Jahre Befreiung Auschwitz. Das schrecklichste je begangene Morden stieß auch die Kunst in eine tiefe Sinnkrise.

„Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch!“ proklamiert Theodor Adorno nach Kriegsende. Der Satz wurde als generelles Verdikt gegen jegliche Dichtung wie auch Kunst im Allgemeinen nach dem Holocaust, als konkretes Darstellungsverbot von Kunst über Auschwitz und die Konzentrationslager oder als bloßes provokatives Diktum verstanden. Die Auseinandersetzung um Adornos Satz wurde zum vielleicht wichtigsten Drehpunkt des ästhetischen Diskurses der Nachkriegszeit. Doch die Ermordung von Millionen Menschen duldet kein Vergessen. „Metropolis“ spricht mit Aleida Assmann und dem Zentrum für politische Schönheit. Wie kann eine angemessene poetische Form der Erinnerung aussehen? Und wie lässt sie sich lebendig halten, wenn die letzten Zeitzeugen verstorben sind?

Esther Bejarano - Die Akkordeon-Spielerin von Auschwitz.

Das Akkordeon hat Esther Bejarano im KZ Auschwitz das Leben gerettet. Heute macht die 95-Jährige wieder Musik – gegen Neonazis und das Vergessen. Seit zehn Jahren steht sie mit der Rap-Gruppe „Microphone Mafia“ auf der Bühne. Als eine der letzten lebenden Zeitzeugen von Auschwitz besucht sie Schulen und beantwortet Fragen zum dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte.

„Third Generation - Next Generation“
Die israelische Regisseurin Yael Ronen hat ihr Stück im Berliner Gorki-Theater nach zehn Jahren neu inszeniert.

Ronen lässt eine Gruppe israelischer, palästinensischer und deutscher Schauspieler auf der Bühne aufeinander los. Mit bitterbösem Humor und politisch völlig inkorrekt pfeffern sich die Akteure gegenseitig ihre Biografien um die Ohren. Die dritte Generation nach Auschwitz spielt so schonungslos mit Täter, Opfer und Gutmensch, dass man bald nicht mehr weiß, ob man lachen oder weinen soll.

Stimme der dritten Generation: 
Benyamin Reich

Der israelische Fotograf zeigt, wie man heute mit der deutsch-jüdischen Vergangenheit leben könnte.
Ein Nazioffizier heiratet eine Jüdin. Überlebende des Anschlags auf die Synagoge von Halle posieren für Portraits. Benyamin Reich spielt mit Rollen von Tätern und Opfern. Aufgewachsen ist Reich in einer ultraorthodoxen Gemeinschaft in Jerusalem. Seine Großeltern: Überlebende des Holocaust. Seit Jahren fotografiert Reich jüdisches Leben in Berlin und stellt fest: Versöhnung passiert dort, wo Begegnung ist.

Maya Jacobs-Wallfisch: „Briefe nach Breslau“
Was es bedeutet, die Tochter einer Holocaust-Überlebenden zu sein?

Maya Jacobs-Wallfisch ist Psychotherapeutin, spezialisiert auf die transgenerationale Weitergabe von Traumata. Ihre Mutter Anita Lasker-Wallfisch überlebte Auschwitz, als Cellistin im Lagerorchester. Über das Schweigen der Mutter über den Holocaust und die Schwierigkeiten, im London der Nachkriegsjahre die eigene Identität zu begreifen, hat sie jetzt ein Buch geschrieben.

Erez Kaganovitz – “Humans of the Holocaust”

Erinnerungskultur in Popkulturästhetik: Das Social-Media Projekt entstand, als Fotojournalist Erez Kaganovitch auf beunruhigende Schlagzeilen stieß: Die Hälfte der Millenials in den USA haben noch nie von Auschwitz gehört! Kaganovitz – selbst Enkel von Holocaust-Überlebenden – erzählt die Geschichten der Überlebenden, ihrer Kinder, sowie der Juden auf der ganzen Welt - in humorvollen und unkonventionellen Bildern.

Die haben nur nach rechts oder links gewinkt

75 Jahre Befreiung von Auschwitz 
Das verunsicherte Gedenken



„Vorne standen SS-Offiziere“, erzählt der 90-jährige Auschwitz-Überlebende Peter-Johann Gardosch, seinem 13-jährigen Zuhörer. „Die haben nur nach rechts oder links gewinkt.“

Links war das Leben, wenn auch ein elendes, am Rande des Todes, in Zwangsarbeit. Rechts war der Tod, die Gaskammer.

Links oder rechts? Leben oder Tod?

Mindestens 1,1 Millionen Menschen ermordeten Deutsche allein in Auschwitz. Und in diesem Moment an der Rampe ist das ganze Grauen der industriell organisierten Vernichtung enthalten: Das Lapidare der Worte und Gesten im Kontrast zu ihrer unumkehrbar grausamen Folge, die kaum vorstellbar große Zahl der Ermordeten – all das, was Auschwitz bis heute zu einem der wirkmächtigsten Symbole für die deutsche Vernichtungsmaschinerie macht und besonders für die Shoa, denn der überwiegende Teil der Ermordeten waren Juden.

Die Leichtfertigkeit, mit der heute Deutsche im Internet den Tod anderer Menschen fordern, sich das Ertrinken von Flüchtlingen wünschen, Juden mit Mord drohen und Frauen mit Vergewaltigung; die Willkür und das Lapidare gepaart mit dem Maximalgrausamen, das ist dasselbe Böse. Es ist dieselbe furchterregende Gleichgültigkeit, die Elie Wiesel an jenem SS-Mann wahrnahm; der gleiche kranke Geist, der das Leben mit einem Wort vernichtet: Links. Rechts.

Das sehen zu können, ist der Wert des Gedenkens. Aber um die neuen Erscheinungsformen des Bösen zu erkennen, wappnet uns die Erinnerung schlecht. Wir sagen uns seit Jahrzehnten, dass sich Geschichte nicht wiederholt – und suchen doch nach historischen Symptomen: Den Blick fest auf den Nationalsozialismus geheftet, fürchten wir uns vor allem vor organisierter Gewalt, vor Massenaufmärschen, vor Parteien und Anführern. Wir tun uns hingegen schwer, die Gefahr zu sehen, wenn sich Rechtsradikale wie der Attentäter von Christchurch und der Attentäter von Halle gegenseitig über das Internet infizieren, wenn wir es mit vermeintlichen Einzeltätern zu tun haben. Wir trösten uns damit, die AfD von Regierungen auszuschließen.

Das Gedenken ist unersetzlich, denn es hilft uns, die Essenz des Bösen zu erkennen. Nicht aber seine Form. Wir dürfen nicht allein fragen: Wie war es? Sondern: Wie könnte es sein? Es braucht Wachsamkeit. Wir können von den Opfern nicht länger erwarten, dass sie uns vor uns selbst retten. Wir müssen es selbst tun.

Auszug aus einem Essay von Anna Sauerbrey im Tagesspiegel vom 27.Januar 2020: dem "Tag der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus", dem Tag, als vor 75 Jahren Auschwitz befreit wurde.




ZDF-DOKU: EIN TAG IN AUSCHWITZ


ZDF-Unterrichtsmaterialien zu EIN TAG IN AUSCHWITZ

Gedenken & Erinnern


Die Aufarbeitung aufarbeiten

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie fordert: Wir müssen die blinden Flecken beider deutschen Staaten ausleuchten - für eine Ächtung und Bekämpfung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit heute

Ist es nicht endlich genug mit der Vergangenheitsbewältigung, was können wir dafür, wenn unsere Groß- und Urgroßeltern im sogenannten Dritten Reich Mist gebaut haben? So fordern bisweilen jüngere Menschen einen Schlussstrich unter der NS-Vergangenheit. Die listige Reaktion des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger auf frühere Einlassungen, nun sei es aber genug mit Hitler und Holocaust, war einmal: Man müsse sich auch um die Reparatur der Kanalisation kümmern, wenn die Urgroßväter sie gebaut und womöglich vermasselt haben. Die zeitgemäße Analogie sind die Brücken, die autoverrückte Babyboomer zuschanden gefahren haben und eine Generation in Stand setzen muss, die womöglich gar nicht mehr Autofahren will (oder darf). Manche Verantwortungen lassen sich nicht einfach abweisen; auch wenn die Generation der Schuldigen nun endgültig abtritt.

stolpersteine sind eine "gesamtdeutsche" gedenk- und
kunstform - der erste stein wurde 1992 vom künstler
gunter demnig im köln gelegt - inzwischen gbt es über 75.000
gedenksteine in ganz europa.
Heute geht es nicht mehr um Schuld. Aufgearbeitet werden muss heute vielmehr die Art und Weise, wie NS-Verbrechen in zwei konträren politischen Systemen bearbeitet worden sind, die heute noch kulturell gespalten wirken: eine „Aufarbeitung der Aufarbeitung“ gewissermaßen. Nicht beiläufig verlangen gerade im Westen Deutschlands sozialisierte Politiker von rechts außen wie Alexander Gauland und Björn Höcke (beide AfD) eine 180-Grad-Wende und erklären die Thematisierung des Holocaust zur nationalen Schande. Sie spekulieren auf Resonanz vor allem im Osten des Landes und verdienen genau den Widerspruch, den CSU-Chef Franz Josef Strauß 1969 zu spüren bekam, als er „Schluss mit ewiger Vergangenheitsbewältigung als gesellschaftlicher Dauerbüßeraufgabe“ verlangte.

Wie und warum kam es zu den „zwei Erinnerungskulturen“ in Deutschland? Blicken wir zurück auf die „Stunde null“: 1945 lag das Deutsche Reich materiell und moralisch am Boden, Stacheldraht und Mauer spalteten es in zwei verfeindete Lager. Im Kalten Krieg war die Vorgeschichte, darunter der Holocaust, gewissermaßen eingefroren. Erst in den 1980er Jahren trat er wieder ins allgemeine Bewusstsein. Bis dahin fühlte man sich weder im Westen noch im Osten subjektiv befreit; die objektive Einordnung des 8. Mai 1945 durch den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker löste 1985 noch Empörung aus. Im Westen redete man lieber vom „Zusammenbruch“, im Osten sprach der Begriff „Befreiung“ dem Wirken der sowjetischen Besatzer Hohn. Beide Seiten scheuten lange die Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Bombardements, vielen Gefallenen und Kriegsversehrten, drückende Reparationen, die nicht ganz so drückende Entnazifizierung, der Nürnberger Prozess gegen die Hauptschuldigen - das schien doch genug der Buße zu sein.

Deutschlandweit war die Verdrängung eine fast natürliche Reaktion; „kommunikatives Beschweigen“ bezeichnete 1983 der Philosoph Hermann Lübbe diese alltägliche Haltung, wonach man um die Schuldigen wusste, aber nicht offen über ihre Taten sprechen wollte. Lübbe meinte, dieser Akt politischer Hygiene sei der Bundesrepublik unterm Strich gut bekommen, die nächste Generation fand das nicht und forderte dagegen die radikale Selbstaufklärung über die personelle, institutionelle und mentalitätsmäßige Kontinuität über die Stunde null hinaus.

Die gar keine war, auch in der DDR nicht. Dort waren NS-Täter ebenso stillschweigend übernommen worden und war „der Schoß fruchtbar noch, aus dem das kroch“, wie Bertolt Brecht wohl nicht nur im Blick auf das „Bonner Regime“ dichtete. Er konnte in Berlin beobachten, wie in Ostdeutschland - das ist der wichtigste Unterschied - eine Diktatur in eine andere überging, während Westdeutschland nicht nur das sogenannte „Wirtschaftswunder“, sondern auch eine verordnete, dann aber mehr und mehr verinnerlichte Demokratisierung von Politik und Gesellschaft zugutekam. In SBZ (Sowjetische Besatzungszone) und DDR wurde erneut politische Justiz geübt, die Opposition unterdrückt, die künstlerische Freiheit beschnitten, es wurde weiter bespitzelt und denunziert. Die rote Diktatur unterschied sich von der braunen, sie war aber auch eine. Die teilweise Virulenz autoritärer, völkisch-nationalistischer Einstellungen in den neuen Ländern belegt, wie autoritäre Persönlichkeiten und Verhältnisse politische und individuelle Freiheiten über Jahrzehnte, oft bereits vom Kaiserreich an bis in die 1990er Jahre durchgängig einschränkten. Eine ernsthafte Aufarbeitung der Vergangenheit erfordert einen demokratischen Rahmen und eine freie Zivilgesellschaft. Was nicht bedeuten soll, autoritäre Einstellungen hätten im Westen des Landes keinen Bestand gehabt, wo ebenfalls erneut Judenhass und Fremdenfeindlichkeit zutage treten, die überwunden galten.

Die DDR kann sich zugutehalten, in der justiziellen Aufarbeitung strenger, in der Staatsbürgerkunde entschiedener und mit der Errichtung von Gedenkstätten früher am Start gewesen zu sein. Dem widersprachen aber die Form wie die Zielrichtung der Aufarbeitung, die vor allem gegen die „Globkes“ gerichtet war; so hieß Adenauers rechte Hand, ein Mitverfasser der NS-Rassegesetze. Sie verlief Top-down und war dem Kulturkampf und Systemwettbewerb untergeordnet. Die nach allseitiger Verdrängung entzündete Debatte in einer freien Presse, im öffentlichen Raum, an Schulen und Universitäten und in den Gedenkstätten war in der DDR systembedingt blockiert; Ausnahmen wie Jurek Beckers Roman „Jakob der Lügner“ und einige DEFA-Filme bestätigen nur die Regel. Mögen manche 68er im Westen ihren Furor gegen die NS-Generation übertrieben haben, dieser Aufstand fehlte im Osten Deutschlands.

So stand der Systemkonflikt einer ehrlichen Aufarbeitung im Wege. Die SED hatte es besonders geschickt anlegen wollen: Sie erklärte die BRD zum einzigen Nachfolgestaat des NS-Regimes, entzog sich damit selbst der kollektiven Verantwortung und erhob den Antifaschismus zur Staatsdoktrin. Selbst die Mauer und die Teilnahme der Nationalen Volksarmee, der NVA, an der Intervention in der CSSR 1968 wurden als Schutz gegen den Faschismus gerechtfertigt. Die frühe SED, der auch aufrechte Widerstandskämpfer gegen Hitler angehörten, wurde ihrerseits dominiert von Stalinisten, die die sozialistische Idee verrieten und eine andere Spielart des Totalitarismus exekutierten; dabei stellten sie unter dem Deckmantel des Antizionismus in den 1950er Jahren auch Juden nach.

So blieb die in der DDR geübte „Aufarbeitung der Vergangenheit“ vielfach ein hohles, oft verlogenes Ritual, das vor allem die Bonner Republik ob ihres NS-Personals in Verlegenheit bringen sollte. Damit hatte sich die DDR kollektiv ent-schuldigt und geradezu an die Seite der sowjetischen Siegermacht geschmuggelt. Die im Übrigen eine abwegige und veraltete Faschismus-Theorie geliefert hatte: Den Dimitroff-Thesen der Komintern von 1935 zufolge war der „Faschismus die höchste Stufe des Kapitalismus“, und so saß vor allem letzterer auf der Anklagebank. „Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk aber bleibt bestehen“, lautete ein Bonmot Stalins, das die schwer in dem Nationalsozialismus verstrickte Mehrheit der Deutschen kollektiv entlastete. Und weil damit der rassistische Kern des Völkermords im Dunkeln blieb, wurde offiziell vor allem kommunistischer Widerständler und sowjetischer Soldaten und Zwangsarbeiter gedacht, nicht der Millionen ermordeter und vertriebener Juden, die zudem kaum entschädigt wurden. Auch Sinti und Roma, Homosexuelle, „Asoziale“ und Opfer anderer Minderheiten wurden kaum in den Blick genommen. Solche ideologischen Blüten richteten sich gegen die politische Kultur des Westens und „Amerika“. Dieser politisch-kulturelle Antiamerikanismus verdeckte kaum die Kontinuität nationalistischen Denkens; die immer noch virulente Opfer-Legende Dresdens, von „angloamerikanischen Bombern“ zerstört worden zu sein, ist in der DDR gewachsen. Die Folge: Bis in die 1980er Jahre hinein wurden rassistische und antisemitische Neigungen, etwa bei rechtsradikalen Skinheads, als „Rowdytum“ verharmlost. Da wird ein verzerrtes Geschichtsbild zum echten Zukunftsproblem ganz Deutschlands.

Ein letztes Defizit muss benannt werden, das auch die westdeutsche Linke trifft: Eine ähnlich kritische Aufarbeitung des Stalinismus und des autoritären „Realsozialismus“ unterblieb vor 1989 und ist auch nach der „Wende“ nicht intensiv betrieben worden. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur genießt allgemein weit weniger Aufmerksamkeit als die NS-Diktatur. Darin manifestiert sich ein Ost-West-Gefälle der Geschichtspolitik, und es bleibt wohl einer wirklich gesamteuropäischen Erinnerungskultur überlassen, die mit „Holocaust“ und „GULag“ markierten Totalitarismen zu durchleuchten, darunter den für Ostmitteleuropa desaströsen Hitler-Stalin-Pakt von 1939, ohne dabei in wechselseitiger Relativierung und Gleichsetzung, Opferkonkurrenz und Aufrechnung zu verharren. Im KZ Buchenwald manifestiert sich die Überschneidung darin, dass nach deren Befreiung dort Gegner der Sowjets und der SED interniert wurden.

Das Wissen um den Holocaust nimmt Umfragen zufolge unter Jugendlichen heute eher ab als zu, während antisemitische Einstellungen auch in dieser Altersgruppe manifester werden. Zeitgemäß aufbereitet, könnte das Gedenken an den 27. Januar 1945 helfen, die Angriffe von rechts außen besser zu kontern. Dazu muss man die blinden Flecken beider Staaten ausleuchten und angemessene Schlüsse ziehen für die Ächtung und Bekämpfung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit heute. Denn in China zieht ein neuer Totalitarismus auf, der Minderheiten einsperrt und Opposition mundtot macht.
  • Claus Leggewie ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Gießen und war bis 2017 Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen. Zum Thema Geschichtspolitik erschien sein Buch „Der Kampf um die europäische Erinnerung“ im C. H. Beck Verlag München 2011
aus: DER TAGESSPIEGEL Nr. 24 075, SONNTAG 26. Januar 2020, Beilage "NIE WIEDER", S. B6

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irgendwie erinnern mich die aussagen dieser zeilen von claus leggewie an ein "patt" im schach. da hat nämlich die eine seite geschwiegen und versäumt - und auch die andere seite aus anderen oft genuinen voraussetzungen nach der stunde "null" und aus irgendwelchen verdrängungsgründen heraus ebenfalls verheimlicht, umkonstruiert und einschlägige akten einbalsamiert und weggeschlossen.

den 68ern im westen immerhin billigt leggewie zwar eine vielleicht etwas übertrieben lautstarke auseinandersetzung mit der eltern- und großelterngeneration zu - aber er konstatiert auch auf der anderen seite im osten eben das gänzliche fehlen einer ähnlich aktiven oppositionsbewegung "von unten" und im wahrsten sinne des wortes "auseinander-setzen" in den familien, außerhalb des establishments, mit viel emsiger archiv-recherche und erstveröffentlichungen von erkenntnissen zu den ns-gräueltaten - erst nach einer überlangen schockstarre ab den späten 70er/frühen 80er jahren - zunächst in kleinen alternativ-verlagen und von nur einer handvoll interessierter autoren, die sich zum teil damit ihre ersten seminararbeiten für das studium zusammentippten - ehe dann der main-stream der großen verlage eine allmähliche nachfrage zu diesem geschehen ausmachte und auf diesen zug endlich mit aufsprang - und die inzwischen darauf anspringenden historiker ab den 90er jahren daraufhin ein regelrechtes spezialgebiet um "holocaust" und ns-"euthanasie" eingrenzten.

allerdings hat diese "freie marktwirtschaft" im west-literaturbetrieb unter den autoren und interessengemeinschaften in den veröffentlichungen auch rasch zu ab- und ausgrenzungen geführt - und zu debatten bis hin zu kleinen oft unfairen scharmützeln in den feuilletons und historischen verlagen, wo autoren sich gegenseitig ihre (un)aufrichtigkeit und (un)genauigkeit aufrechneten und sich gegenseitig recherchefehler vorwarfen - und es wurden auch forschungsmäßige hierarchien gebildet zu den jeweiligen opfergruppen: es wurden oft abstufungen vorgenommen zwischen "politischen" kz-opfern, opfern jüdischen glaubens, den ermordeten der "euthanasie", den homosexuellen, den sinti und roma, den zwangsarbeitern usw.

aber vielleicht hing diese gruppen- und kategorienabbildung in der "aufrechnung" mit der "ent- und aufdeckung" einzelner vernichtungsstätten und -abteilungen zusammen - auch an der unvorstellbaren menge von fast 7 mio. ermordeter menschen, jeweils durch industriell organisierte und letztlich abgestuft kleinteilig tötende teams und täterketten, die sich dazu - zum töten - den staffelstab in form der giftspritze, des gaswagens oder der erschießung weiterreichten und im laufe des unterfangens immer mehr skrupel davor verloren und sich einreihten.

da hatten dann chemische und pharmazeutische großbetriebe und konzerne oder kliniken und auch die großen überregionalen sozialeinrichtungen schon ein interesse daran, dass eine damalig einschlägige "historie" in ihrem sinne faltenfrei und glatt fortgeschrieben wurde nach der "stunde null". sie hatten sich oftmals mehr oder weniger an der massenhersherstellung etwa der vergasungsgifte und der tödlichen medikamente mitbeteiligt und damit geld verdient, bzw. hatten die sozialeinrichtungen sich direkt oder indirekt sogar an der tötung selbst mitbeteiligt - und nötigenfalls ließ man sich dann auf ein kritisches historien-gutachten eben auch mal ein "gegengutachten" von einer bezahlten koryphäe erstellen und ließ dann die gerichte entscheiden, was die "wahrheit" ist.

beide teile deutschlands  - auch in den familien und damit eben das "volk" - hatte also jeweils ihre aufarbeitungs- und abspaltungsprobleme damit, wie es weitergehen oder wie gekonnt verschwiegen werden konnte - und wie eine aufarbeitung von wem, wann und in welchem umfang vonstatten gehen sollte ...

und wolf biermann, der liedermacher aus dem osten, singt ja die zeilen:
"das kann doch nich alles gewesn sein
da muss doch noch irgend was kommen! nein
da muss doch noch leebn ins leebn
eebn" ...

und franz-josef degenhardt stimmt da ein mit:
"ärmel aufkrempeln, zupacken, aufbauen"...

und diese aufgabe bleibt: im osten wie im westen ... - jeder nach seiner facon und seiner "ge-schichte".

Rede von Bundespräsident Steinmeier in Yad Vashem am 23.Januar 2020 - zur Befreiung des KZ Auschwitz vor 75 Jahren


 
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier:
Rede bei der fünften internationalen Konferenz des World Holocaust Forum in Yad Vashem in Jerusalem, Israel.


בָּרוּךְ אַתָּה יְיָ אֱלֹהֵינוּ מֶלֶךְ הַעוֹלָם שֶׁהֶחֱיָנוּ וְקִיְּמָנוּ וְהִגִּיעָנוּ לַזְּמַן הַזֶּה׃

""Gepriesen sei der Herr, […] dass er mich heute hier sein lässt.""


Welche Gnade, welches Geschenk, dass ich heute hier in Yad Vashem zu Ihnen sprechen darf.

Hier in Yad Vashem brennt die ewige Flamme der Erinnerung an die Toten der Shoah.

Dieser Ort erinnert an ihr millionenfaches Leid.

Und er erinnert an ihr Leben – an jedes einzelne Schicksal.

Dieser Ort erinnert an Samuel Tytelman, ein begeisterter Schwimmer, der bei Makkabi Warschau Wettkämpfe gewann, und an seine kleine Schwester Rega, die ihrer Mutter beim Kochen für den Schabbat half.

Dieser Ort erinnert an Ida Goldiş und ihren dreijährigen Sohn Vili. Im Oktober wurden sie aus dem Ghetto Chișinău deportiert, und im Januar, in bitterster Kälte, schrieb Ida ein letztes Mal an ihre Eltern und an ihre Schwester: ""Ich bedaure aus tiefster Seele, dass ich beim Abschied die Bedeutung des Augenblicks nicht erfasste, […] dass ich Dich nicht fest umarmt habe, ohne loszulassen.""

Deutsche haben sie verschleppt. Deutsche haben ihnen Nummern auf die Unterarme tätowiert. Deutsche haben versucht, diese Menschen zu entmenschlichen, zu Nummern zu machen, im Vernichtungslager jede Erinnerung an sie auszulöschen.

Es ist ihnen nicht gelungen.

Samuel und Rega, Ida und Vili waren Menschen. Und Menschen bleiben sie in unserer Erinnerung.

Hier in Yad Vashem wird ihnen – wie es im Buch des Propheten Jesaja heißt – ""ein Denkmal und ein Name"" gegeben.

Vor diesem Denkmal stehe auch ich als Mensch – und als Deutscher.

Ich stehe vor ihrem Denkmal. Ich lese ihre Namen. Ich höre ihre Geschichten. Und ich verneige mich in tiefer Trauer.

Samuel und Rega, Ida und Vili waren Menschen.

Und auch das muss ich hier und heute aussprechen: Die Täter waren Menschen. Sie waren Deutsche. Die Mörder, die Wachleute, die Helfershelfer, die Mitläufer: Sie waren Deutsche.

Der industrielle Massenmord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden, das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte – es wurde von meinen Landsleuten begangen.

Der grausame Krieg, der weit mehr als 50 Millionen Menschenleben kosten sollte, er ging von meinem Lande aus.

75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz stehe ich als deutscher Präsident vor Ihnen allen, beladen mit großer historischer Schuld. Doch zugleich bin ich erfüllt von Dankbarkeit: für die ausgestreckte Hand der Überlebenden, für das neue Vertrauen von Menschen in Israel und der ganzen Welt, für das wieder erblühte jüdische Leben in Deutschland. Ich bin beseelt vom Geist der Versöhnung, der Deutschland und Israel, der Deutschland, Europa und den Staaten der Welt einen neuen, einen friedlichen Weg gewiesen hat.

Die Flamme von Yad Vashem erlischt nicht. Und unsere deutsche Verantwortung vergeht nicht. Ihr wollen wir gerecht werden. An ihr sollt Ihr uns messen.

Weil ich dankbar bin für das Wunder der Versöhnung, stehe ich vor Ihnen und wünschte, sagen zu können: Unser Erinnern hat uns gegen das Böse immun gemacht.

Ja, wir Deutsche erinnern uns. Aber manchmal scheint es mir, als verstünden wir die Vergangenheit besser als die Gegenwart.

Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit. Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt.

Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten. Das kann ich nicht sagen, wenn jüdische Kinder auf dem Schulhof bespuckt werden. Das kann ich nicht sagen, wenn unter dem Deckmantel angeblicher Kritik an israelischer Politik kruder Antisemitismus hervorbricht. Das kann ich nicht sagen, wenn nur eine schwere Holztür verhindert, dass ein Rechtsterrorist an Jom Kippur in einer Synagoge in Halle ein Blutbad anrichtet.

Natürlich: Unsere Zeit ist nicht dieselbe Zeit. Es sind nicht dieselben Worte. Es sind nicht dieselben Täter.

Aber es ist dasselbe Böse.

Und es bleibt die eine Antwort: Nie wieder! Niemals wieder!

Deshalb darf es keinen Schlussstrich unter das Erinnern geben.

Diese Verantwortung ist der Bundesrepublik Deutschland vom ersten Tage eingeschrieben.

Aber sie prüft uns – hier und heute!

Dieses Deutschland wird sich selbst nur dann gerecht, wenn es seiner historischen Verantwortung gerecht wird:

Wir bekämpfen den Antisemitismus!

Wir trotzen dem Gift des Nationalismus!

Wir schützen jüdisches Leben!

Wir stehen an der Seite Israels!

Dieses Versprechen erneuere ich hier in Yad Vashem vor den Augen der Welt.

Und ich weiß, ich bin nicht allein. Hier in Yad Vashem sagen wir heute gemeinsam: Nein zu Judenhass! Nein zu Menschenhass!

Im Erschrecken vor Auschwitz hat die Welt schon einmal Lehren gezogen und eine Friedensordnung errichtet, erbaut auf Menschenrechten und Völkerrecht. Wir Deutsche stehen zu dieser Ordnung und wir wollen sie, mit Ihnen allen, verteidigen. Denn wir wissen: Jeder Friede bleibt zerbrechlich. Und als Menschen bleiben wir verführbar.

Verehrte Staats- und Regierungschefs, ich bin dankbar, dass wir heute gemeinsam bekennen: A world that remembers the Holocaust. A world without genocide.

""Wer weiß, ob wir noch einmal den zauberhaften Klang des Lebens werden hören können? Wer weiß, ob wir uns in die Ewigkeit werden einweben können – wer weiß.""

Salmen Gradowski schrieb diese Zeilen als Häftling in Auschwitz und er vergrub sie in einer Blechbüchse unter einem Krematorium.

Hier in Yad Vashem sind sie eingewoben in die Ewigkeit: Salmen Gradowski, die Geschwister Tytelman, Ida und Vili Goldiş.

Sie alle sind ermordet worden. Ihr Leben ging im entfesselten Hass verloren. Aber die Erinnerung an sie besiegt das Nichts. Und das Handeln, unser Handeln, besiegt den Hass.

Dafür stehe ich. Darauf hoffe ich.

Gepriesen sei der Herr, dass er mich heute hier sein lässt.

wess das herz voll ist - dess geht der mund über


Das war meine Rettung
Die Ho­lo­caust-Über­le­ben­de 
führ­te ein ein­sa­mes Le­ben, 
bis sie über ih­re Er­leb­nis­se re­den konn­te

ZEIT | ZEITMAGAZIN Nr. 3 v. 09.01.2020 - S. 54 - Feuilleton

Frau Schloss, Sie ha­ben sich als Kind in Ams­ter­dam ver­steckt, wur­den ver­ra­ten und de­por­tiert. Sie und Ih­re Mut­ter ha­ben Ausch­witz über­lebt. Doch nicht Ihr Schick­sal, son­dern das Ih­rer Stief­schwes­ter An­ne Frank hat die Welt be­wegt. Wie ha­ben Sie das emp­fun­den?

Ich war ei­fer­süch­tig. Das ist ge­nau­so, als wür­de man has­sen. Auf den Ti­tel mei­nes ers­ten Buchs hat der Her­aus­ge­ber »Stief­schwes­ter von An­ne Frank« ge­schrie­ben. Das ha­be ich noch ver­stan­den, weil es sonst nicht so gut ver­käuf­lich ge­we­sen wä­re. Vie­le Jah­re spä­ter bin ich aber wei­ter als »die Stief­schwes­ter« vor­ge­stellt wor­den. Das hat mich dann doch ge­är­gert. Je­der kennt An­nes Ta­ge­buch, aber nie­mand hat je von Eva Schloss ge­hört. Es hat lan­ge ge­dau­ert, bis ich das ak­zep­tie­ren konn­te. Ich hat­te ja das­sel­be mit­ge­macht und bin so­gar am Le­ben!

Eva Schloss - sinedi.@rt-graphic 
nach einem Foto von Herline Koelbl
An­nes Va­ter Ot­to Frank hat als Ein­zi­ger sei­ner Fa­mi­lie den Ho­lo­caust über­lebt. 1953 hei­ra­te­ten er und Ih­re Mut­ter. Ih­re Fa­mi­li­en kann­ten sich be­reits aus Ams­ter­dam. An­ne und Sie wa­ren fast gleich alt, aber nicht be­freun­det. War­um?

An­ne hat­te zwei gu­te Freun­din­nen und ei­ne fes­te Cli­que: An­ne, San­ne und Han­ne. Das ma­chen Mäd­chen doch gern so, und die­se Cli­que woll­ten sie nicht er­wei­tern. An­ne ist mit vier Jah­ren nach Ams­ter­dam ge­kom­men, sprach flie­ßend Nie­der­län­disch und war an der Montes­so­ri-Schu­le. Ich bin erst mit neun aus Wien da­zu­ge­kom­men und war an der ge­wöhn­li­chen Schu­le. Wir ha­ben uns aber mit al­len Kin­dern oft auf dem Platz vorm Haus ge­trof­fen, die Woh­nun­gen hat­ten ja kei­nen Gar­ten. Ich ha­be mit den Bu­ben Sport ge­macht, die An­ne ei­gent­lich nie. Sie hat­te im­mer Kin­der um sich her­um, hat Ge­schich­ten er­zählt, Klei­der und Haa­re wa­ren ihr wich­tig, und sie hat mit Jungs ge­flir­tet. Sie schreibt das auch im Ta­ge­buch. Mir wa­ren sol­che Din­ge ganz egal, und so ähn­lich ist es auch heu­te noch.

Ih­re Kind­heit en­de­te schlag­ar­tig an Ih­rem 15. Ge­burts­tag 1944. Sie wur­den ver­haf­tet und de­por­tiert. In Ausch­witz er­krank­ten Sie rasch an Ty­phus. Ei­gent­lich das si­che­re To­des­ur­teil ...

Es war ein Wun­der! Auf der Kran­ken­sta­ti­on ha­be ich Min­nie, die Cou­si­ne und bes­te Freun­din mei­ner Mut­ter aus Prag, wie­der­ge­trof­fen. Sie muss­te für den La­ger­arzt Jo­sef Men­ge­le ar­bei­ten und hat nicht nur mich auf­ge­päp­pelt, son­dern auch mei­ne Mut­ter vor der Se­lek­ti­on ge­ret­tet. Ich dach­te da­mals, sie wä­re tot. Das ha­be ich auch mei­nem Va­ter ge­sagt, als ich ihn das letz­te Mal im La­ger traf: Sie wur­de ver­gast! Ich ha­be ihm da­mit die Hoff­nung ge­nom­men. Dann be­gan­nen die To­des­mär­sche, und ich war zu schwach, um mit­zu­ge­hen. Mein Va­ter und mein Bru­der ka­men da­bei um, mei­ne Mut­ter und ich wur­den von den Rus­sen be­freit. Die Zeit nach Ausch­witz war für mich ei­gent­lich schwe­rer als die Zeit im La­ger.

War­um?

Im La­ger muss­te ich tap­fer sein, ich hat­te den Wil­len und die Hoff­nung zu über­le­ben. Aber als ich er­fuhr, dass mein Va­ter und Bru­der tot wa­ren, ha­be ich al­les ver­lo­ren, auch den Glau­ben an Gott. Ich fühl­te mich schul­dig, weil ich über­lebt hat­te. Mei­ne Mut­ter und ich ha­ben uns nie ge­sagt, wie un­glück­lich je­de von uns war. Wir ta­ten so, als ob uns das nichts aus­mach­te. Ko­misch, nicht? Ich war vol­ler Hass. Am 1. Ja­nu­ar 1946 ha­be ich auf ei­nen Zet­tel ge­schrie­ben, dass das Le­ben oh­ne Va­ter, Bru­der und Fa­mi­lie sinn­los ist. Ich woll­te mich um­brin­gen.

Has­sen zer­stört das ei­ge­ne Le­ben, ein Bu­me­rang. Wie über­wan­den Sie den Hass?

Ich woll­te Kin­der ha­ben. Mein Va­ter hat mir früh ge­sagt, du wirst na­tür­lich ster­ben, aber in dei­nen Kin­dern lebst du wei­ter. Er hat mich zur Tap­fer­keit er­zo­gen und als Kind ins Was­ser ge­wor­fen, be­vor ich schwim­men konn­te. Das hat ge­passt, da­nach ha­be ich mich al­les ge­traut. Mei­ne Kin­der woll­te ich ge­nau­so er­zie­hen, weil ich weiß, wie schwer das Le­ben sein kann. Ich ha­be ih­nen aber nie er­klärt, war­um ich so streng bin. Selbst mei­nem Mann ha­be ich nichts er­zählt. Da war völ­li­ge Sprach­lo­sig­keit. Ich ha­be ein ein­sa­mes, schreck­li­ches Le­ben ge­führt. Erst als ich in Lon­don 1986 bei ei­ner An­ne-Frank-Aus­stel­lung über den Ho­lo­caust spre­chen soll­te, ist es aus mir her­aus­ge­bro­chen. Es war al­les in mei­nem Kopf. Al­les. So­lan­ge man nicht da­von spricht, sitzt es da. Und dann konn­te ich auf ein­mal los­las­sen. Mei­ne Kin­der se­hen mich seit­dem wahr­schein­lich in ei­nem ganz an­de­ren Licht.

Ha­ben Sie Ih­ren Frie­den ge­fun­den?

Mit der Zeit ha­be ich we­ni­ger ge­hasst, aber der Hass war noch da. Nachts ha­be ich von der Se­lek­ti­on mei­ner Mut­ter ge­träumt. Dar­über zu spre­chen war mei­ne zwei­te Ret­tung. Ot­to Frank hat im­mer ge­sagt: Die Leu­te, die du hasst, die wis­sen das ja nicht, nur du lei­dest dar­un­ter. Ich ha­be jetzt Frie­den in mir selbst, aber nicht mit der Welt ge­fun­den.

  • Das Gespräch führte Her­lin­de Ko­elbl
  • Eva Schloss, 90, stammt aus Wien. 1938 emi­grier­te sie mit El­tern und Bru­der nach Ams­ter­dam. 1944 wur­de die jü­di­sche Fa­mi­lie dort ver­haf­tet und nach Ausch­witz de­por­tiert. Ihr Bru­der und ihr Va­ter star­ben. Ih­re Mut­ter hei­ra­te­te 1953 Ot­to Frank, den Va­ter von An­ne Frank. Über ih­re Er­leb­nis­se schrieb Eva Schloss meh­re­re Bü­cher, sie lebt in Lon­don und hat drei Töch­ter
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und auch in diesem, ja man kann ja sagen, "prominenten" zeitzeugen-artikel - kommen bei frau schloss auch wieder einige typisch haftengebliebene symptome einer traumatischen erlebnisaufarbeitung des holocaust zum tragen, die ihr leben bis heute entscheidend beeinflussen und beeinflusst haben. 

da ist diese "jugendliche eifersucht" auf ihre stiefschwester anne frank, mit der sie ja gar nicht so sehr verbandelt war zu ihren gemeinsamen lebzeiten. anne hatte ja andere dinge im kopf als sie - und den vater frank heiratete die mutter von frau schloss ja erst in den 50er jahren.

aber da war diese nagende eifersucht, dass diese andere mit ihrem mörderischen schicksal und ihrem jugend-tagebuch dazu in den gleißenden fokus der welt-aufmerksamkeit rückte - und eva "nur" immer als die "stiefschwester von anne frank", vielleicht auch nur unter dem einsatz von ellenbogen des stiefvaters otto frank, "auch" dann öffentlich wahrgenommen wurde.

und dann war da dieses eisige schweigen in den opferfamilien, dieses randvolle "zusitzen" voller wut und scham und unverarbeiteter erlebnisse im lager, die einem die kehlen abschnürte... 

und dann eben auch die allmähliche morgendämmerung: bei eva die durchgemachte typhus-erkrankung, die sie überstanden und überlebt hatte, und die zu der zeit, zumal in auschwitz, zumeist tödlich verlief. sie war stark - sie hatte den tod besiegt. sie hat das lager überlebt, auch weil auschwitz ja dann fast genau vor 75 jahren am 27. januar 1945 von der sowjetischen armee endlich befreit wurde.

damals war eva 15 jahre alt, und fiel aber direkt danach in ein tiefes emotionales loch, mit viel leid und trauer um bruder und vater, aber sicher auch in selbstmitleid und lebensnot, bis hin zu selbstmordgedanken - und die enge einschnürung in diese schicksalseinsamkeit der eigenen person, auch vor der eigenen familie dann, vor den eigenen kindern und dem ehemann.

und erst 41 jahre nach der befreiung von auschwitz, bei einer ausstellungseröffnung zum schicksal ihrer stiefschwester anne frank fielen diese eigenen fesseln endlich ab - und der bibel-evangelist würde jetzt wohl formulieren: "und ihre zunge löste sich" - und "wess das herz voll ist, dess geht der mund über" und sie konnte plötzlich über all das verdrängte und abgespaltene sprechen - ja geradezu lossprudeln - und seitdem - also jetzt auch schon wieder seit über 30 jahren - reist sie durch die welt und berichtet als noch "echte zeitzeugin der ersten generation" schulklassen und hält vorträge bei ausstellungen, kongressen und tritt als zeugin auf.

und nun wissen auch die töchter und deren kinder und kindeskinder, warum sie so sind wie sie sind, und warum mutter und (ur-)oma so ist wie sie ist und wie sie war.

gehts noch ???

Bei Amazon angeboten

Christbaumanhänger mit Auschwitz-Motiven sorgen für Empörung

Bei Amazon sind Geschenkartikel mit Motiven des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau aufgetaucht. Der Onlinehändler hat nun reagiert - nach einem Protest der Gedenkstätte.



twitter-abb. vom museum auschwitz

Flaschenöffner, Christbaumschmuck und ein Mauspad: Auf Amazon haben Geschenkartikel, die Aufnahmen des ehemaligen NS-Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau zeigen, bei der Gedenkstätte für Empörung gesorgt.

"'Christbaumschmuck' mit Bildern von Auschwitz zu verkaufen, erscheint wenig angemessen", teilte das Museum am Sonntag mit. "Auschwitz auf einem Flaschenöffner ist verstörend und respektlos."
Der in Polen gelegene ehemalige Lagerkomplex Auschwitz ist zum Symbol der NS-Vernichtungsmaschinerie geworden. Es war das größte deutsche Todeslager.

Mindestens 1,1 Millionen Menschen wurden dort ermordet - etwa eine Million Juden sowie mehr als 100.000 nichtjüdische Lagerhäftlinge. Die Gedenkstätte zählt jedes Jahr mehr als eine Million Besucher aus aller Welt.

sen/AFP | DER SPIEGEL

ja - gehts noch ??? möchte man angesichts dieser geschmacklosigkeiten ausrufen. zum glück hab ich diese teile hier erst heute nach weihnachten in einer spiegel-notiz entdecken müssen. so ein widerwärtiger kram könnte einem ja weihnachten echt verhageln. ich meine - wenn alles aber auch alles nur noch vermarktet und ohne jede skrupel unters volk gestreut wird - so ohne nachdenken und in allergrößter geschmacklosigkeit... - ein verhöhnen der opfer.

glücklicherweise hat amazon ja reagiert, obwohl es ja erst der intervention durch das auschwitz-museum bedurfte.

zu helloween liefen mir kinder von vielleicht 8 - 9 jahren über den weg mit totenkopf-masken auf dem kopf und den lächelnden und irgendwie stolzen eltern hinterdrein - und einer bolzte immer mit einer solchen maske, um sie vielleicht noch einem freund zur feier mitzubringen - zur feschen helloween-fete. ja - geht's noch ???




Doku: Merkel-Rede in Auschwitz

foto: tagesschau



Rede von Bundeskanzlerin Merkel zum zehnjährigen Bestehen der Stiftung Auschwitz-Birkenau am 6. Dezember 2019 in Auschwitz

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Direktor,
Exzellenzen,
vor allem: sehr geehrte Zeitzeuginnen und Zeitzeugen,
sehr geehrte Damen und Herren,

heute hier zu stehen und als deutsche Bundeskanzlerin zu Ihnen zu sprechen, fällt mir alles andere als leicht. Ich empfinde tiefe Scham angesichts der barbarischen Verbrechen, die hier von Deutschen verübt wurden ‑ Verbrechen, die die Grenzen alles Fassbaren überschreiten. Vor Entsetzen über das, was Frauen, Männern und Kindern an diesem Ort angetan wurde, muss man eigentlich verstummen. Denn welche Worte könnten der Trauer gerecht werden ‑ der Trauer um all die vielen Menschen, die hier gedemütigt, gequält und ermordet wurden? Und dennoch: So schwer es an diesem Ort, der wie kein anderer für das größte Menschheitsverbrechen steht, auch fällt: Schweigen darf nicht unsere einzige Antwort sein. Dieser Ort verpflichtet uns, die Erinnerung wachzuhalten. Wir müssen uns an die Verbrechen erinnern, die hier begangen wurden, und sie klar benennen.

Auschwitz ‑ dieser Name steht für den millionenfachen Mord an den Jüdinnen und Juden Europas, für den Zivilisationsbruch der Shoa, dem sämtliche menschlichen Werte zum Opfer fielen. Auschwitz steht auch für den Völkermord an den Sinti und Roma Europas, für das Leid und die Ermordung von politischen Gefangenen und Vertretern der Intelligenz in Polen, von Widerstandskämpfern, von Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion und anderen Ländern, von Homosexuellen, von Menschen mit Behinderungen sowie unzähligen anderen Menschen aus ganz Europa. Das Leiden der Menschen in Auschwitz, ihr Tod in den Gaskammern, Hunger, Kälte, Seuchen, qualvolle pseudomedizinische Versuche, Zwangsarbeit bis zur völligen Erschöpfung ‑ was hier geschah, lässt sich mit Menschenverstand nicht erfassen.

Allein im Lagerkomplex Auschwitz wurden mindestens 1,1 Millionen Menschen, die meisten von ihnen Juden, planvoll und mit kalter Systematik ermordet. Jeder dieser Menschen hatte einen Namen, eine unveräußerliche Würde, eine Herkunft, eine Geschichte. Schon die Deportation hierher, eingepfercht in Viehwaggons, die Prozedur bei der Ankunft und die sogenannte Selektion an der Rampe zielten darauf, diese Menschen zu entmenschlichen, sie ihrer Würde und Individualität zu berauben.

Offiziell trägt dieser Ort als Teil des UNESCO-Welterbes heute den Namen „Auschwitz-Birkenau ‑ deutsches nationalsozialistisches Konzentrations- und Vernichtungslager (1940–1945)“. Dieser Name als voller Name ist wichtig. Oświęcim liegt in Polen, aber im Oktober 1939 wurde Auschwitz als Teil des Deutschen Reichs annektiert. Auschwitz war ein deutsches, von Deutschen betriebenes Vernichtungslager. Es ist mir wichtig, diese Tatsache zu betonen. Es ist wichtig, die Täter deutlich zu benennen. Das sind wir Deutschen den Opfern schuldig und uns selbst.

An die Verbrechen zu erinnern, die Täter zu nennen und den Opfern ein würdiges Gedenken zu bewahren ‑ das ist eine Verantwortung, die nicht endet. Sie ist nicht verhandelbar; und sie gehört untrennbar zu unserem Land. Uns dieser Verantwortung bewusst zu sein, ist fester Teil unserer nationalen Identität, unseres Selbstverständnisses als aufgeklärte und freiheitliche Gesellschaft, als Demokratie und Rechtsstaat.

Heute haben wir in Deutschland wieder ein blühendes jüdisches Leben. Mit Israel verbinden uns vielfältige und freundschaftliche Beziehungen. Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Das ist ein großes Geschenk. Es gleicht gar einem Wunder. Aber es kann Geschehenes nicht ungeschehen machen. Es kann die ermordeten Jüdinnen und Juden nicht zurückbringen. In unserer Gesellschaft wird immer eine Lücke klaffen.

Vor 70 Jahren trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Darin flossen die Lehren aus den Schrecken der Vergangenheit ein. Aber wir wissen auch: Die unantastbare Würde des Menschen, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ‑ so kostbar diese Werte auch sind, so verletzlich sind sie auch. Deshalb müssen wir diese grundlegenden Werte immer wieder aufs Neue festigen und verbessern, schützen und verteidigen ‑ im täglichen Zusammenleben ebenso wie im staatlichen Wirken und politischen Diskurs.

In diesen Tagen ist das keine Rhetorik. In diesen Tagen ist es nötig, das deutlich zu sagen. Denn wir erleben einen besorgniserregenden Rassismus, eine zunehmende Intoleranz, eine Welle von Hassdelikten. Wir erleben einen Angriff auf die Grundwerte der liberalen Demokratie und einen gefährlichen Geschichtsrevisionismus im Dienste einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Besonders richten wir unser Augenmerk auf den Antisemitismus, der jüdisches Leben in Deutschland, in Europa und darüber hinaus bedroht.

Umso klarer und deutlicher müssen wir bekunden: Wir dulden keinen Antisemitismus. Alle Menschen müssen sich bei uns in Deutschland, in Europa, sicher und zu Hause fühlen. Gerade Auschwitz mahnt und verpflichtet jeden Einzelnen von uns, täglich wachsam zu sein, Menschlichkeit zu bewahren und die Würde unseres Nächsten zu schützen.

Denn es ist so, wie es Primo Levi, der vor 100 Jahren in Turin geboren wurde und der Auschwitz als Zwangsarbeiter in Monowitz überlebte, später schrieb: „Es ist geschehen. Folglich kann es wieder geschehen.“ Daher dürfen wir unsere Augen und Ohren nicht verschließen, wenn Menschen angepöbelt, erniedrigt oder ausgegrenzt werden. Wir müssen denen widersprechen, die gegen Menschen anderen Glaubens oder anderer Herkunft Vorurteile und Hass schüren.

Wir alle tragen Verantwortung. Und zu dieser Verantwortung gehört auch das Gedenken. Wir dürfen niemals vergessen. Einen Schlussstrich kann es nicht geben ‑ und auch keine Relativierung.

Oder um es mit Worten des Auschwitz-Überlebenden und ehemaligen Präsidenten des Internationalen Auschwitz Komitees Noach Flug auszudrücken: „Die Erinnerung […] ist wie das Wasser. Sie ist lebensnotwendig und sie sucht sich ihre eigenen Wege in neue Räume und zu anderen Menschen. […] Sie hat kein Verfallsdatum und sie ist nicht per Beschluss für bearbeitet oder für beendet zu erklären.“

Dass sich diese lebensnotwendige Erinnerung Wege sucht, wie Noach Flug sagte, und auch findet, das haben wir in besonderer Weise vielen Zeitzeugen zu verdanken. Es freut mich deshalb sehr, hier einige von ihnen begrüßen zu dürfen. Sie haben in den vergangenen Jahren wieder und wieder und auch für uns heute aus ihrer Leidenszeit berichtet. Wer kann sich vorstellen, wie viel Kraft es kostet, sich diese schmerzhaften Erfahrungen immer wieder vor Augen zu führen oder gar wieder an diesen Ort zurückzukehren? Sie teilen ihre Geschichte, damit jüngere Menschen daraus lernen. Sie bringen den Mut und die Kraft zur Versöhnung auf. Sie zeigen wahrhaft menschliche Größe. Ich bin sehr dankbar, dass wir von ihnen hören und lernen dürfen.

Es ist bald 75 Jahre her, dass Auschwitz befreit wurde. Immer weniger Menschen können ihre Geschichte aus dieser Zeit erzählen. Dies veranlasste den Schriftsteller Navid Kermani, sehr zutreffend festzuhalten: „[…] Damit sich überhaupt eine Erinnerung ins Herz brennt, auf die sich die Mahnmale, Stolpersteine, Gedenkrituale beziehen, wird es für künftige Generationen noch wichtiger sein, mit eigenen Augen die Orte zu sehen, an denen Deutschland die Würde des Menschen zermalmte, jene Länder zu bereisen, die es in Blut ertränkte.“

An vielen Orten hatten die Täter versucht, ihre Spuren zu verwischen ‑ sei es in Vernichtungslagern wie Bełżec, Sobibór und Treblinka, sei es an Orten wie Malyj Trostenez, Babyn Jar oder an den Tausenden anderen Orten in Europa, an denen Juden, Sinti und Roma, viele andere Menschen und sogar ganze Dorfgemeinschaften ermordet wurden.

Hier in Auschwitz hingegen haben es die SS und ihre Schergen nicht geschafft, ihre Spuren zu verwischen. Dieser Ort legt Zeugnis ab. Und dieses Zeugnis gilt es zu erhalten. Wer nach Auschwitz kommt und die Wachtürme und den Stacheldraht, die Baracken und die Gefängniszellen, die Reste der Gaskammern und Krematorien sieht, den wird die Erinnerung nicht mehr loslassen. Sie wird sich, wie Kermani schreibt, „ins Herz brennen“.

Vor zehn Jahren hatte der frühere polnische Außenminister Władysław Bartoszewski, der selbst politischer Häftling in Auschwitz war, die Gründung der Stiftung Auschwitz-Birkenau angestoßen.

Lieber Herr Cywínski, Ihnen und allen, die sich in der Stiftung den Erhalt dieser Gedenkstätte als Mahnmal und Dokumentationszentrum zur Aufgabe gemacht haben, danke ich von Herzen. Ich danke auch allen Beteiligten an den Restaurierungs- und Konservierungsprojekten. Mit großem Engagement wurde und wird dafür gesorgt, dass dieser Ort weiter Zeugnis ablegt. Ziegelsteinbaracken wurden dauerhaft gesichert, Ausgrabungen durchgeführt, Stützmauern errichtet, Schutzzelte aufgebaut, die geraubten Kleider und Habseligkeiten der Opfer restauriert und konserviert.

Die Konservierungspläne erfordern für die nächsten 25 Jahre eine deutlich höhere Summe für das Stiftungskapital. Deutschland wird sich wesentlich an diesen Mitteln beteiligen. Das haben wir gestern gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer beschlossen.

Dank der Stiftung sowie der vielen internationalen Fremdenführer ist diese Gedenkstätte ein Ort des Lernens, des Innehaltens und des Bewusstwerdens ‑ ein Ort, der die Botschaft des „Nie wieder“ so eindrucksvoll ausspricht. Dafür bin ich sehr dankbar.

Doch nichts kann die Menschen, die hier ermordet wurden, zurückbringen. Nichts kann diese präzedenzlosen Verbrechen ungeschehen machen. Diese Verbrechen sind und bleiben Teil der deutschen Geschichte. Diese Geschichte muss erzählt werden, immer und immer wieder, damit wir aufmerksam bleiben, damit sich solche Verbrechen auch nicht in Ansätzen wiederholen können, damit wir gegen Rassismus und Antisemitismus in all ihren widerwärtigen Erscheinungen entschlossen vorgehen. Diese Geschichte muss erzählt werden, damit wir heute und morgen die Würde eines jeden Menschen bewahren ‑ und damit wir den Opfern ein ehrendes Andenken bewahren.

Wir erinnern an die Menschen, die aus den verschiedenen Ländern ganz Europas nach Auschwitz deportiert wurden. Wir erinnern an diesem Ort insbesondere an die vielen polnischen Opfer ‑ auch politische Gefangene ‑, für die das KZ Auschwitz zunächst errichtet worden war. Wir erinnern an die sechs Millionen ermordeten Juden und hier vor allem an die etwa eine Million Juden, die in Auschwitz-Birkenau ermordet wurden. Wir erinnern an die Sinti und Roma, die deportiert, gequält und ermordet wurden. Wir erinnern an die Opfer des Massenmords durch Erschießungen. Wir erinnern an jene, die in Ghettos deportiert wurden, sich in Todesangst versteckt hielten, und an die, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Wir erinnern an alle, die alles verloren hatten: ihre Familien und Freunde, ihre Heimat und ihr Zuhause, ihre Hoffnungen und Pläne, ihr Vertrauen und ihre Lebensfreude ‑ und ihre Würde. Wir erinnern an diejenigen, die auch nach dem Krieg noch jahrelang umherirrten ‑ an die, die in Lagern für „displaced persons“ ausharren mussten.


Wer überlebt hatte, war von den widerfahrenen Schrecken schwer gezeichnet. Margot Friedländer schrieb in ihren Erinnerungen über sie: „Sie mussten erst wieder lernen, dass sie Menschen waren. Menschen, die einen Namen hatten.“

Viele fragten sich, warum gerade sie überlebt hatten. Warum nicht die kleine Schwester? Warum nicht der beste Freund? Warum nicht die eigene Mutter oder der Ehemann? Viele fanden lange nicht oder auch nie heraus, wie und wo ihre nächsten Angehörigen ermordet worden waren. Diese Wunden heilen nie.

Umso mehr danke ich jedem, der es schafft, darüber zu sprechen, um Schmerz und Erinnerung zu teilen und um Versöhnung zu stiften. Ich verneige mich tief vor jedem dieser Menschen. Ich verneige mich vor den Opfern der Shoa. Ich verneige mich vor ihren Familien.

Vielen Dank, dass ich heute hier dabei sein darf.

Freitag, 06. Dezember 2019

Quelle: click


ausgeblendet

Beschwerdebrief des Ministerpräsidenten

Polen wirft Netflix historische Fehler vor

Die Dokuserie "Der Teufel wohnt nebenan" handelt von dem Kriegsverbrecher John Demjanjuk. Die NS-Konzentrationslager würden in der Netflix-Produktion auf historisch falschen Karten gezeigt, kritisiert Warschau.

Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki hat sich in einem Brief bei Netflix-Chef Reed Hastings über Fehler in der Serie "Der Teufel wohnt nebenan" (Originaltitel "The Devil Next Door") beschwert.

Am Montag begründete der nationalkonservative Politiker auf Facebook selbst diesen Schritt: Historische Darstellungsfehler in solchen Filmproduktionen seien "für deren Schöpfer vielleicht nur unwichtige Irrtümer, aber für Polen sind sie sehr schädlich, deshalb ist es unsere Aufgabe entschlossen zu reagieren". Ein Netflix-Sprecher erklärte, man prüfe den Sachverhalt mit Dringlichkeit.


In der Dokumentarserie über NS-Konzentrationslager und die Suche nach dem Kriegsverbrecher John Demjanjuk sei insbesondere durch historisch falsche Landkarten der Eindruck entstanden, Polen sei für Konzentrationslager und darin begangene Verbrechen verantwortlich gewesen, kritisierte Morawiecki in einem Brief, den er auf seiner Facebookseite veröffentlichte.

Tatsächlich aber habe Polen während des Zweiten Weltkriegs gar nicht als Staat existiert, sondern habe unter der deutschen Besatzung und Gewaltherrschaft gelitten. Viele polnische Bürger seien ermordet worden, weil sie versucht hatten, ihre jüdischen Nachbarn zu retten.

Zuvor hatte bereits das polnische Außenministerium via Twitter kritisiert, die in der Serie genutzte Karte zeige nicht historisch korrekte Grenzen.



Die polnische Regierung achtet streng darauf, dass beispielsweise deutsche Konzentrationslager auf heute polnischem Gebiet nicht als "polnisch" bezeichnet werden. Dies ist durch ein eigenes Gesetz ausdrücklich verboten. Vor allem Vertreter Israels kritisierten in der Vergangenheit wiederholt, das Gesetz könnte auch dazu missbraucht werden, jede Mittäterschaft von Polinnen und Polen an NS-Verbrechen zu leugnen.

Die von den israelischen Regisseuren Yossi Bloch und Daniel Sivan gedrehte fünfteilige Serie "Der Teufel wohnt nebenan", die unter anderem die Prozesse gegen John Demjanjuk in Israel und Deutschland nachzeichnet, wurde bisher überwiegend positiv rezensiert. So konnte sich das "Wall Street Journal" kaum "lohnendere fünf Stunden Fernsehen" vorstellen.

Auch die Betreiber der Auschwitz-Gedenkstätte würdigten auf Twitter, dass "Der Teufel wohnt nebenan" eine wichtige Geschichte erzähle. Allerdings könne man mehr Genauigkeit von einer solchen Produktion erwarten.



Text und Bildmaterial: SPIEGELonline

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also - da hat polen nach meiner meinung eine "minderwertigkeits"- vielleicht auch eine "vertuschungs"-macke im geschichtlichen selbstverständnis und bewusstsein - und mit dem allseits modernen "political-correctness" - ja und mit begriffs- und sprachverwirrung... 

gerade in der "oder-neiße-linie"-debatte früher in meinen ganz jungen jahren in der nachkriegszeit wies polen jeden deutschtümelnden anspruch der landsmannschaften auf gebiete östlich von oder und neiße strikt von sich und beharrte auf "ur-polnisches" gebiet dort.

und heute, wenn es opportun erscheint, radiert man sich von 1939-1945 mal einfach just von der landkarte, um sich ganz klein zu machen und jeden hauch von mittäterschaft oder gar kollaboration von "polnischen bürgern" mit ns-deutschlands truppen zu leugnen und wegzudiskutieren durch eine "nichtexistenz" polens in jener zeit auf diesem gebiet - mit der intention, dass kein pole jemals am holocaust auf der täterseite mitbeteiligt war.

mich erinnert das an früher - an die jahre vor 1989 - als man sich hier in der brd fragte, ob es opportun sei, von der ddr als staat zu sprechen, oder ob man das kürzel doch lieber in anführungsstriche versetzte: "ddr" - oder von der "sogenannten ddr" sprach, oder doch lieber von "ostzone" oder "ostdeutschland" - und der heutige "ossi"/"wessi"-kladeradatsch wirkt darin immer noch fort.

als mitte 2018 das jugendvolxtheater in bethel ein stück spielte auf dem hintergrund des euthanasie-opferschicksals meiner tante erna kronshage, kam ganz am rande diese diskussion um polen oder nicht-polen auch auf, wurde erna doch in der heute polnischen stadt gniezno (deutsch: gnesen) in der dort bestehenden dziekanka-psychiatrieanstalt ermordet, die die deutsche besatzung damals in eine tötungsanstalt namens "tiegenhof" verwandelt hatte.

und als in einem text zur vorstellung des stückes dann eine "vernichtungsanstalt" im "heutigen polen" mit benannt wurde, gab es prompt protest, ganz im sinne des polnischen regierungschefs mateusz morawiecki - obwohl eigentlich jeder einigermaßen geschichtlich informierte zeitgenosse weiß, dass es eine von ns-schergen betriebene tötungsanstalt in der deutschen besatzungszeit polens zwischen 1939-1945 war - allerdings muss man hier durchaus "political correct" auch festhalten, dass neben deutschem personal durchaus auch polnisches "pflege"-personal mitbeteiligt war - und der ärztliche direktor dr. victor ratka sich als sogenannter "volksdeutscher" rasch nach der okkupation den deutschen besatzern anbiederte, weiterhin als direktor zu fungieren, und sich hochkollaborierte bis zum "tötungs-facharzt" in der euthanasie-zentrale "tiergartenstraße 4" in berlin.

er starb in den 60er jahren im sonnigen breisgau als "deutscher" beamter mit pensionsberechtigung - zwei anklagen wegen seiner tätigkeiten als ns-mordarzt wurden wegen "verhandlungsunfähigkeit" eingestellt. hört-hört!

ich habe aber auch den eindruck, als verfahre man in der polnischen klinik dziekanka in gniezno und nicht nur dort auch in der historischen aufarbeitung der zeit von 39-45 in ähnlicher weise des ausblendens und kopf-in-den-sand-stecken - nach dem motto "da haben wir doch nichts mit zu tun": ob alle akten und unterlagen bis in die letzten verwinkelten kellerräume tatsächlich gesichtet, systematisiert und ausgewertet und ggf. "an den absender zurück" überstellt worden sind, oder auch nur der hauch einer durchgehenden übergeordneten systematik darin entwickelt wurde, möchte ich mal bezweifeln. 

da wird dann oft etwas verwinkelt abseits ein raum hergerichtet zur "historie" der einrichtung - und auch aus dieser zeit zeigt man dabei ein paar exponate - aber es ist mehr ein vorzeige-privatmuseum als ein offenes archiv zur aufarbeitung - und schwupps: schon bekommt "psychiatrie" wieder diesen geheimnisvollen verschwiegenen gediegenen touch - dabei will man doch da auch gegensteuern und sich "in der mitte der gesellschaft" zeigen, versteckt sich aber gern hinter "datenschutz" und "persönlichkeitsrechte" und "ärztlicher schweigepflicht".

aber das kann ich nicht einmal allein der polnischen klinik anlasten: auch in deutschland liegt in dieser hinsicht vieles im argen - und auch hier glaubt man, mit einem angemessen seriös gestalteten "gedenk- und erinnerungsort" habe man in dieser hinsicht seine "verdammte" pflicht getan -  

"nun lasst es endlich auch mal gutt sein" - und der schäbige rest muss auch aus irgendwelchen schutzbedürfnis-aspekten und -interessen einfach mal "vertuscht" werden - wie hochoffizielle akten ja auch gern mal "geschwärzt" werden...