Zeitgeschichte Die TV-Serie »Holocaust« war ein Welterfolg. Historiker Frank Bösch über ihre Wirkung und die Opposition gegen die Ausstrahlung 1979.
🔴 40 Jahre nachdem die TV-Serie »Holocaust« in Deutschland gesendet wurde, wiederholen WDR, NDR und SWR den Vierteiler des US-Fernsehsenders NBC über die jüdische Familie Weiss im »Dritten Reich«. Frank Bösch, 49, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, hat Wirkung und Hintergründe erforscht (»Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann«; C. H. Beck).
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Meryl Streep in »Holocaust« erschütterte und beschämte Deutsche |
SPIEGEL: »Holocaust« zählt zu den bedeutendsten TV-Ereignissen des 20. Jahrhunderts. Rund 250 Millionen Menschen sahen die Serie, allein in der Bundesrepublik fast jeder zweite Erwachsene. Wie erklären Sie diesen Erfolg?
Bösch: Fernsehen ist ein Familienmedium, das unterschiedlichen Generationen Identifikationsmöglichkeiten bietet. »Holocaust« verbindet die Geschichte der Familie Weiss und der des SS-Mannes Dorf. Das zog junge wie alte Zuschauer an. Zugleich bot dieses Format die Möglichkeit, zwischen Täter- und Opferperspektive zu wechseln. »Holocaust« schildert nicht nur das Leiden der Juden, sondern auch wie Deutsche zu Nationalsozialisten wurden und dann gehandelt haben.
SPIEGEL: Daher brauchte man eine Nazifamilie?
Bösch: NBC fürchtete, eine Geschichte, die ausschließlich jüdisches Leid thematisiere, werde in den USA außerhalb des jüdischen Publikums wenig Erfolg haben.
SPIEGEL: Wie erklären Sie das Echo in Deutschland?
Bösch: Die Serie kam zum richtigen Moment. Ende der Siebzigerjahre gab es neu aufkommendes Interesse an der NS-Vergangenheit, besonders an der Schuldfrage. Der Ministerpräsident Baden-Württembergs Hans Filbinger war im Vorjahr zurückgetreten, weil er als Marinerichter im »Dritten Reich« Todesurteile gefällt hatte. Auf der anderen Seite formierten sich erstmals die Holocaust-Leugner. Die neue Rechte schloss sich in Wehrsportgruppen zusammen. Im Vorfeld der Ausstrahlung gab es Sprengstoffanschläge auf zwei Sendeanlagen, was die Aufmerksamkeit für die Serie noch erhöhte.
SPIEGEL: Ist der Erfolg von »Holocaust« Rechtsradikalen zu verdanken?
Bösch: Nein, aber Kontroverses findet leichter Beachtung, und die Abwehrfront war breit. Als das Auswärtige Amt 1977 von der geplanten Serie erfuhr, bereitete es eine PR-Offensive vor und stellte etwa Zitate zusammen, die zeigen sollten, wie selbstkritisch Bonner Politiker die NS-Vergangenheit sahen. Da war auch der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Kultur gegenüber einer US-Massenkultur. Und die Annahme, nur Deutsche könnten das »Dritte Reich« sachlich darstellen.
SPIEGEL: Wo sind Sie auf solche Ressentiments gestoßen?
Bösch: In Unterlagen des Auswärtigen Amtes, in den Rundfunk- und Fernsehsendern, in Zeitungen und Zeitschriften, auch im SPIEGEL, der »Holocaust« mit der Westernserie »Bonanza« verglich.
SPIEGEL: Aus heutiger Sicht ein Fehlurteil.
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Wissenschaftler Bösch »Die Abwehrfront war breit« |
SPIEGEL: Was fürchtete der damalige CDU-Vorsitzende Helmut Kohl?
Bösch: Kohl forderte intern, verstärkt auf den christlichen Widerstand hinzuweisen. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, die CDU stehe aufseiten der Täter. Und die CSU verlangte, es müssten endlich auch einmal die deutschen Opfer gezeigt werden, gemeint waren die Vertriebenen. Als ob deutsche Juden, die ermordet wurden, keine Deutschen gewesen wären. Der Bayerische Rundfunk hat dann eine dreiteilige Serie zur Vertreibung geliefert.
SPIEGEL: Und der Streit trieb die Einschaltquoten hoch?
Bösch: Er erzeugte einen Werbeeffekt, den es bei einer Geschichtssendung nie zuvor gegeben hatte. Aus der Abwehrhaltung heraus wurden Dokumentationen im Vorfeld gesendet, Volkshochschulen, Landeszentralen für politische Bildung und die Bundeszentrale, die Kirchen und die Medien griffen das Thema immer wieder auf. »Holocaust« wurde Wort des Jahres und ersetzte zunehmend die alte NS-Bezeichnung »Endlösung«.
SPIEGEL: Trat der befürchtete Ansehensverlust im Ausland ein?
Bösch: Im Gegenteil. Die Wirkung der Serie war ja einzigartig: Allein der WDR erhielt 16 000 Briefe, es gab Zehntausende Anrufe bei den Sendern. Ein Großteil der Deutschen erklärte, sie seien erschüttert oder empfänden Scham. Das erhöhte Deutschlands Ansehen im Ausland.
SPIEGEL: Die Serie scheint vielen Zuschauern Unbekanntes nahegebracht zu haben.
Bösch: Die Aufarbeitung war bis dahin täterzentriert gewesen. In den Prozessen der Sechzigerjahre, etwa in Frankfurt gegen das Auschwitz-Personal, standen die Mörder im Blickpunkt, nicht die Opfer. Bezeichnenderweise war die Reichspogromnacht 1938 Referenzpunkt in der Erinnerung an den Holocaust, ein Ereignis lange vor Beginn der systematischen Ermordungen.
SPIEGEL: Und »Holocaust« änderte diesen Blickwinkel?
Bösch: Ja. Die Serie präsentierte die Abläufe in den Vernichtungslagern Auschwitz oder Sobibór. Selbst Historiker konnten »Holocaust« mit Gewinn sehen, denn die Serie zeigte manches, was die Wissenschaft erst später aufgriff: die Rolle von Euthanasie-Experten, die sexuelle Gewalt gegenüber Opfern oder die Korruption der Täter. Das konterkarierte die Selbststilisierung, man sei im Krieg anständig geblieben. Oder auch die Hilfe der Wehrmacht beim Töten. »Holocaust« brachte den Mord in die Wohnzimmer.
SPIEGEL: Hatten das nicht schon die 68er getan?
Bösch: Nein. Ihnen ging es darum, faschistische Elemente in der kapitalistischen Gegenwartsgesellschaft aufzuzeigen. Dazu kam eine israel-kritische Haltung, die eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit jüdischen Schicksalen verhinderte.
SPIEGEL: Bekam die NS-Aufarbeitung infolge der Ausstrahlung neuen Schwung?
Bösch: Gedenkstätten wurden ausgebaut, etwa in Neuengamme bei Hamburg. Junge Wissenschaftler nahmen sich des Themas an. Die TV-Sender mussten sich fragen lassen, warum sie nicht eine solche Serie produziert hatten. Es entstanden dann deutsche Adaptionen, die allerdings hinter »Holocaust« zurückblieben.
SPIEGEL: Und die Verfolgung der Täter?
Bösch: Das öffentliche Interesse nahm zu, etwa am damals laufenden Prozess gegen das SS-Personal des KZ Majdanek. Und »Holocaust« hat dazu beigetragen, dass der Bundestag 1979 die Verjährung von Mord aufhob. Hätte es die Serie nicht gegeben, wäre vermutlich ab Ende 1979 kein NS-Täter mehr verurteilt worden.
Interview: Klaus Wiegrefe - Quelle: SPIEGEL Nr. 3 v. 12.01.2019, S. 110/111
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ich habe ja schon ausführlich auf die wiederholung der 4-teiligen serie "holocaust - die geschichte der familie weiss" auf den dritten programmen hingewiesen - und auf den nachdenkenswerten "hype", den diese serie bei ihrer erstausstrahlung entfachte.
umso spannender ist ja da auch ein historischer rückblick wie hier, in welche politischen ränkespielchen die serie damals im januar 1979 verwickelt wurde.
zum glück gab es dann eben eine "abstimmung mit den 'füßen'/den fernsehenden augen" - und der zuschauer bestimmte mit seiner einschaltquote über erfolg oder misserfolg - allen politischen vorab-wasserstandsmeldungen zum trotz.
die amerikanische serie hatte doch tatsächlich auch den richtigen "ton" gefunden - nicht hochwissenschaftlich, vorzugsweise schulmeisterlich-historisch korrekt über die ungeheuerlichkeiten zu "informieren", wie es sicherlich deutsche art gewesen wäre - aber womit man wieder eine distanz gehabt hätte ... - sondern eben irgendwie "mitten aus dem leben" - als eine familien-saga: die familie weiß konnte ja durchaus die eigene familie oder eine beliebige nachbarsfamilie sein, anhand derer die verstrickungen der menschen in nazi-deutschland mit all den verbrechen und ungeheuerlichkeiten als täter, mitläufer oder opfer darstellbar gemacht wurden: zum mitleiden, auch hier und da zum mitlachen, zum mitfrösteln, zum mitfiebern ... - da flimmerte abends ein fitzelchen nazi-realität ins wohnzimmer - und die deutschen zuschauer wollten das aushalten und sich konfrontieren lassen ...
es wurde der startschuss für weitere - dann auch historisch und "politisch korrekte" info-sendungen und aufarbeitungen mit hilfe der archive und fachhistoriker - aber auch der privaten und einfach berührten amateur-"fahnder" - bis hinein in die eigenen familien ... - und dieser prozess ist immer noch nicht abgeschlossen - und so aktuell wie eh und je ...