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tödliche verstrickungen

click here = ausriss aus dem sinedi-blog 31.05./01.06.2019



direkt in den ersten juni-tagen dieses sommers nahm ich hier in diesem blog stellung zu einem "spiegel"-beitrag über die in dublin/irland wohnende deutsche bloggerin marie-sophie hingst, die in ihrem blog seinerzeit von identitäten berichtete, wobei sie jüdische familienmitglieder und verwandte aus dem nichts erfand, die angeblich alle im holocaust umgebracht wurden - und sie hat sogar ein paar dieser erfundenen identitäten ins jüdische dokumentationszentrum yad vashem eingereicht, um sie als holocaust-opfer zu benennen und beurkunden zu lassen.

all diese angaben waren falsch und erdacht, wohl nur um eindruck zu schinden, wie die recherchen des spiegels zweifelsfrei ergaben.

frau hingst stritt das aber gegenüber dem spiegelredakteur martin doerry vehement ab - und sprach davon, sich einen anwalt zu nehmen, um all diese "story's" richtigzustellen, die maßgeblich ihren blog füllten und von vielen followern geteilt wurden - und die ihr mitgefühl aussprachen.

über diesen anwalt ließ frau hingst dann erklären, sie habe in ihrem blog "erhebliche schriftstellerische freiheiten" walten lassen.

dass sie damit aber menschen verletzt habe, die tatsächlich als nachfahren der ermordeten ns-opfer noch litten und trauerten, täte ihr leid...

schon damals schwante mir nichts gutes und das alles klang doch sehr pathologisch - und ich schrieb u.a. in meinem post dazu:
doch im spiel mit (er- und gefundenen) identitäten balanciert man auch gemeinhin immer auf dem drahtseilakt zwischen "genie & wahnsinn" entlang: wenn das rollenspiel pathologisch ausartet und man wie in der schizophrenie den inneren identitätshalt ganz verliert oder vergisst und nicht mehr aufgefangen wird - und nicht mehr weiß, wer man ist: so lässt sich in den psychiatrie-diagnosen zum verhalten von frau hingst auch eine "artifizielle störung" ausmachen, die man treffend mit "münchhausen-syndrom" bezeichnet - aber ein solches verhalten gibt es ansatzweise auch bei der "borderline"-persönlichkeitsstörung (bps). doch ich will hier nun nicht laienhaft herumstochern - denn mit einer einschlägigen diagnose würde ja frau hingst sogar noch entlastet - etwa im sinne von "sie konnte ja gar nicht anders"...
heute lese ich nun im berliner "tagesspiegel" folgende nachricht:
Umstrittene Historikerin  
Bloggerin Marie Sophie Hingst offenbar tot 
Sie gab sich als Nachfahrin von Holocaust-Opfern aus – obwohl sie keine jüdischen Verwandten hatte. Sie schickte Shoah-Akten an die israelische Gedenkstätte Yad Vashem – doch die hatte sie gefälscht. Hunderttausende lasen ihre Texte – und hielten sie für real. Für ihren besonderen literarischen Stil wurde sie zur Bloggerin des Jahres gewählt, bis der Preis ihr wieder aberkannt wurde. Marie Sophie Hingst schuf sich eine eigene Wahrheit. Sie flog auf. Nun ist sie mit nur 31 Jahren gestorben. Über die genaue Ursache ihres Todes gibt es von offizieller Seite bisher keine Angaben. Darüber berichtet hatte die „Irish Times“ in einem ausführlichen Porträt.

Der Autor der „Irish Times“ zeichnet darin das Bild einer Frau, die schwere psychische Probleme hatte. Bei einem Treffen am Wannsee habe Hingst ihm gegenüber trotz allem an ihrer Version der Geschichte festgehalten, sie habe sogar einen Judenstern aus Stoff präsentiert, der angeblich von ihrer Großmutter stammt, die in Auschwitz gewesen sein soll. Als der Reporter bei Hingsts Mutter angerufen habe, widersprach diese ihrer Tochter. Es gebe keine jüdische Vergangenheit in der Familie. Von den 22 Biografien, die Hingst an Yad Vashem geschickt hatte, existierten 19 überhaupt nicht.

Herausgefunden hatte das im Mai ein Journalist des „Spiegel“. Der Reporter hatte Hingst für seine Recherche in Dublin getroffen, wo sie lebte, und sie mit den Vorwürfen konfrontiert. An der Recherche war auch die Berliner Historikerin Gabriele Bergner beteiligt, die auf Unstimmigkeiten in Hingsts Blog aufmerksam geworden war. Die Bloggerin stritt die Vorwürfe zunächst ab, nahm sich später jedoch einen Anwalt und berief sich auf die Freiheit der Literatur. Sie habe „ein erhebliches Maß an künstlerischer Freiheit für sich in Anspruch genommen“. Zahlreiche Medien, darunter auch der Tagesspiegel, hatten im Anschluss über den Fall berichtet und Hingst für ihr Handeln kritisiert. „Sie scheint den Nimbus der Opferrolle gesucht zu haben“, hieß es in dieser Zeitung. Bei Twitter wurde der Hashtag #readonmyfake populär. Das Erfinden falscher jüdischer Identitäten sei eine Beleidigung und eine Respektlosigkeit gegenüber denen, die die Judenverfolgung wirklich erleben mussten, lautete der Tenor.

Hingst hatte "mehrere Realitäten

Hingst schien die Aufmerksamkeit fast zwanghaft zu suchen. So hatte sie in den vergangenen Jahren Artikel veröffentlicht, wonach sie angeblich eine indische Klinik aufgebaut und in Deutschland als Sexualtherapeutin für Flüchtlinge gearbeitet hatte. Das stellte sich ebenfalls als erfunden heraus. Hingsts Mutter wird in der „Irish Times“ zitiert, ihre Tochter habe „mehrere Realitäten. Ich habe nur zu einer Zugang“. Auch der „Spiegel“-Journalist hatte nach einer Begegnung mit der Bloggerin im Mai befunden: „Marie Sophie Hingst hat sich in eine Parallelwelt hineinfantasiert“, an die sie zuweilen sogar selbst geglaubt habe.

Während des Treffens mit dem Reporter der „Irish Times“ hatte Hingst gesagt, sie fühle sich, als sei sie vom „Spiegel“ „lebendig gehäutet“ worden. Auf Nachfrage des Tagesspiegels teilte der Verlag mit, man bedauere den Tod der Bloggerin, beim Gespräch in Dublin habe sie jedoch „einen konzentrierten, souveränen und keineswegs psychisch angegriffenen Eindruck“ gemacht. Hingst habe dem Magazin zwar mit rechtlichen Schritten gedroht, die aber offenbar nicht eingeleitet. Weiter hieß es in der Stellungnahme, man werde sich an „einer öffentlichen Diskussion über die Ursachen und Hintergründe des Tods“ nicht beteiligen.

Wie weit geht die journalistische Pflicht zur Aufklärung?

Hingsts Arbeitgeber in ihrer Wahlheimat Irland, die Computerfirma Intel, hatte sie laut dem Bericht der „Irish Times“ nach Bekanntwerden der Vorwürfe nicht entlassen, sondern ihr angeboten, sich hausintern psychologische Hilfe zu holen. Diese habe sie wohl auch angenommen. Die „Irish Times“ berichtet, die 31-Jährige habe sich vermutlich das Leben genommen. Sie wurde am 17. Juli tot in ihrem Bett gefunden, ein Autopsiebericht steht noch aus, es habe jedoch keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung gegeben. Sophies Mutter habe laut dem Bericht sofort Selbstmord vermutet.

Der Fall warf schnell die Frage auf, wie weit die journalistische Pflicht zur Aufklärung geht. Erste Kommentatoren im Internet schrieben, für psychisch Kranke müsse es besondere Sorgfalt geben. Eine Frage, die schon einmal aufgekommen war, vor nicht allzu langer Zeit. Ende 2018 war öffentlich geworden, dass „Spiegel“-Reporter Claas Relotius systematisch Geschichten gefälscht hatte. Ein notorischer Schwindler, der die Glaubwürdigkeit nicht bloß des Magazins, sondern des Journalismus insgesamt beschädigte. Auch damals wiesen viele Kommentatoren auf die Fürsorgepflicht hin, die gegenüber dem Beschuldigten gelten müsse. Kann jemand, der so labil ist, dass er sein gesamtes Umfeld täuscht, derart massive Kritik aushalten?

Doch was wäre die Alternative gewesen? Nicht aufklären, aus Rücksicht auf die junge Autorin? Hingsts Mutter warf dem „Spiegel“-Reporter vor, er habe „hinter den Fakten die Person nicht gesehen“.
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als "konsument" und leser des "spiegel"-berichtes über frau hingst damals ende mai/anfang juni war ich natürlich zunächst wütend über so viel unverfrorene flunkerei und irreführung - aber menschen, die frau hingst näher kannten - und die von ihren realitätsverschiebungen wussten oder sie ahnten, haben hier doch wohl eine eigentlich angezeigte hilfeleistung unterlassen.

warum man von seiten ihrer familie und ihrer angehörigen und freunde nun nicht professionellerseits bei dieser hanebüchenen geschichte maßnahmen ergriff, um sie offensichtlich hilfsbedürftig nun therapeutisch wieder aufs "rechte gleis" zu setzen - in ihren verirrungen und offensichtlichen verwirrungen von erdachten fakes - ist mir insgesamt ein rätsel. eigentlich sind solche pathologischen realitätsverschiebungen durchaus therapierbar, schreibt "irish times" - und nur ihr arbeitgeber hatte ihre eine interne hilfe angeboten, die sie nun aber nicht mehr abgeschlossen hat.

dann hätte nämlich nach einer therapie der behandelnde therapeut und der anwalt auch eine richtigstellung mit dem einverständnis von frau hingst veröffentlichen können - und das leben wäre ja irgendwie weitergegangen...

aber: "hätte - hätte - fahrradkette" ...

dem redakteur des nun sehr einfühlsamen porträts der "irish times", derek scally, hat frau hingst kurz vor ihrem ableben offenbart:
"Ich bin etwas eifersüchtig auf alle Menschen, die wussten, was sie tun wollten, die wussten, dass Wörter zu ihnen gehören", schrieb sie. „Ich bin immer nur ein gieriger Dieb, voller Hunger nach Worten. Und wie Sie und die ganze Welt sehen können, ist es nicht gut gelaufen.“ 
"irish times" berichtet, frau hingst würde am 31.07.2019 in wittenberg beigesetzt.

mir tut das tragische ende dieser entwicklung und dieser allseitigen verirrung leid.