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zur "provokation" gehören mindestens zwei



Bergen-Belsen: Zunahme provokanter Besucher-Fragen

In der Gedenkstätte Bergen-Belsen stellen Besucher zunehmend provokante Fragen. Das hat der Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner, der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (HAZ) gesagt. So zweifelten Schüler mitunter die Zahlen der NS-Opfer an. Wagner geht davon aus, dass die Jugendlichen "von Lehrern oder anderen gewissermaßen angespitzt worden sind". Seit mehreren Jahren beobachte er, dass sich "die Grenzen des Sagbaren" nach rechts verschieben. Zwar habe es auch früher solche Provokationen gegeben, aber nicht in diesem Ausmaß. Wagner führt dies auf das Erstarken der AfD und rechtsextreme Gedanken zurück.

Lehrerin von Schülerfragen irritiert

Wagner berichtete von einer Schulklasse, die jüngst beim Besuch der Gedenkstätte kritische und provokante Fragen gestellt habe. Davon sei auch die Lehrerin irritiert gewesen. Es habe sich herausgestellt, dass sie für einen Kollegen eingesprungen ist, der AfD-Mitglied sei, so Wagner. "Der hat die Jugendlichen offenbar angestachelt, mit bestimmten Fragen zu provozieren." In dem damaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen waren von 1943 bis 1945 mehr als 100.000 Männer, Frauen und Kinder inhaftiert. Mehr als 52.000 von ihnen starben nach Angaben der Gedenkstätte - unter ihnen auch Anne Frank, deren Tagebücher später weltbekannt wurden.




"Geschichte geschieht nicht, sondern wird von vielen gemacht"

Wagner hält es für notwendig, die Gedenkstättenarbeit zu modernisieren. Auch wenn im Mittelpunkt des Gedenkens weiterhin die Opfer stehen sollten, müsse man "sehr viel stärker auch nach Tätern, Mittätern und Profiteuren fragen und damit nach der Funktionsweise der von den Nazis propagierten Volksgemeinschaft", sagte er der HAZ. Zudem sollte bei den Besuchern die Erkenntnis wachsen, "dass Geschichte nicht einfach geschieht, sondern von vielen gemacht wird".



Im Konzentrationslager starben nach Angaben der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten rund 52.000 Menschen - auch Anne Frank und ihre Schwester.

Textquelle: NDR


tja - watt dem einen sin uhl - is dem annern sin nachtijall - 

wenn ich schulklassen von der ns-euthanasie-ermordung meiner tante erna kronshage erzählte, waren sie von ihren lehrern dazu oftmals in keinster weise vorbereitet worden, und mucksmäuschenstill lauschten sie oft ohne reaktion und ohne ablesbarem interesse meinem beitrag - manche vergaßen gar zu nicken oder mit dem kopf zu schütteln. ihre "vorbereitung" zum thema war wohl oft nur ein kurz und bündiger fünfzeiler in einem "geschichts"-lehrbuch, als beitrag zu den wohl rund 300.000 euthanasie-morden - wenigstens haben sie mir den mal so gezeigt.

insofern ist es schon spannend, wenn nun die schüler wenigstens mit fragen in die gedenkstätte bergen-belsen kommen, auch wenn diese eventuell von der "falschen seite" provokant mit auf den weg gegeben werden.

nach 80 jahren muss man auch als gedenkstätten-leiter sicherlich mit solchen unbedarften und provokanten beiträgen von der (groß-)enkelgeneration der aktiven zeitzeugen von damals rechnen.
und kritische fragen zu stellen ist ja kein verbrechen.

die grassierende "political correctness" darf nun bitteschön nicht so weit gehen, dass sie in bergen-belsen nur noch andächtige und abgerichtet vor sich hin starrende und von trauer übermannte und überfraute jugendliche als angemessen akzeptiert.

das kann und darf es nicht sein.

und wenn man etwas von dem oben (hier im beitrag aus youtube) eingestellten filmmaterial zu den damaligen ausmaßen des lagers und den funktionen der einzelnen abschnitte - oder eben auch die dokumentaraufnahmen der englischen streitkräfte bei der befreiung beim auffinden der zum skelett abgemagerten letzten überlebenden oder den offenen massengräbern des kz's aus dem fundus den schülern gezeigt hätte, hätte es gar nicht vieler worte und zurückweisungen bedurft, um diesen vielleicht von ihrem afd-lehrer "angepieksten" schülern in aller deutlichkeit und klar und wahr zu begegnen.

ich hatte bei meinen vorträgen zu erna kronshage, bei denen ich mir jedesmal mehr beteiligung und diskussion gewünscht hätte, eher mal "kritische" anmerkungen aus einer anderen ecke, nämlich wenn ich die zweifelhafte rolle der ns-psychiatrie-ärzte ansprach, und eine sehr selbstbewusste arzttochter und angehende medizinstudentin sich diese kritik an der "ärzteschaft" überhaupt verbat und pauschal zurückwies. und seitdem werde ich in diese schule auch nicht mehr eingeladen...

aber auch da ist es ja die fehlende information zu den gesamtzusammenhängen in diesem "deutschen volk" vor 80 jahren, von führern und verführten, von tätern und opfern und mitläufern - und ebenfalls der großen einfach schweigenden vor sich hin brütenden mehrheit - fast ebenso wie heutzutage - wo es auch die wenigen aktiven und sich informierenden gesellschaftsteile gibt - und diejenigen, denen das alles nichts angeht und die sich aus dem gesellschaftlichen diskurs einfach heraushalten.

denen ist das zu kompliziert und die daddeln lieber auf ihrer spielkonsole herum, anstatt sich mal dafür zu interessieren, wie (ur-)opa und -oma vielleicht von 1933-1945 gelebt und überlebt haben und in welcher funktion.

die ns-morde waren ja umfassende industriell durchorganisierte kleinteilige ketten-liquidationen, bei denen die einzelnen stationen und funktionen sich den staffelstab jeweils zusteckten und weitergaben: das begann oft mit dem nachbarn oder sogar einem familienmitglied als denunzianten, der ns-fürsorgerin, dem amtsarzt und seinen helferinnen, dem polizeiposten des ortes, der verwaltung, dem zugpersonal und dem lokführer des deportations-transportes mit der reichsbahn, dem wachpersonal und der kommandatur des lagers und schließlich dem liquidationskommando und den mitarbeitern am verbrennungsofen der ermordeten leichen. 

und das waren - so schätzen experten - alles in allem ca. 30 beteiligte menschen pro opfer - die fast alle nach dem krieg unbehelligt durch diese zeit schlitterten und in ihren familien behaupteten, sie hätten "von nichts gewusst" ...

die deutsche gesellschaft von 1933 - 1945 war täter-   u n d  opfergemeinschaft - und das war nicht etwa der kleine abwaschbare "vogelschiss", wie herr gauland das heute abtun will.

und es ist auch noch nicht wieder "in ordnung - nach so langer zeit" oder "nun lassen wir's mal gut sein" ...

verdrängte schuld und verdrängtes trauma sind der nährboden vieler psychosomatischer auffälligkeiten und oftmals schlechter träume und belastungen (stichwort: transgenerationale traumavererbung).

wir alle müssten das persönlich mit allen verstrickungen "bis ins 3. und 4. glied" aufarbeiten, also mindestens bis in die 4. generation hinein: und eine generation währt ca. eine epoche von rund 30 jahren - und das wäre von 1945 an - + 120 jahre = also ca. anno 2065 ...

und wer ohren hat zu hören - der höre ...

in einer anderen haut leben - update

Marie Sophie Hingst ist kein Einzelfall 
Vom prekären Begehren, „jüdisch“ zu sein

Von Caroline Fetscher | Tagesspiegel


Eine Historikerin mit gestörtem Verhältnis zur Realität ist gestorben. Mit ihrem Syndrom, das Teil eines umgekehrten Antisemitismus ist, war sie nicht allein.
frau hingst - in einer bildbearbeitung von sinedi | nach einem foto im tagesspiegel

Aus einer jüdischen Familie wollte Marie Sophie Hingst stammen. Aber das entsprach nicht den Fakten. In der Fantasie bastelte sich die junge Frau eine solche Verwandtschaft aus Fragmenten zusammen. Im virtuellen Raum des Internets präsentierte sie diese alternativen Fakten der Öffentlichkeit, meist verpackt in Anekdoten. Im analogen Raum füllte die am irischen Trinity College promovierte Historikerin für die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem Opferbögen mit den Lebensdaten von 22 erfundenen Personen aus.   

All das kam ans Licht, als eine Gruppe von Archivaren, Historikern und Genealogen dem Konstrukt auf die Spur kamen. Als Hingst darauf nur leugnend reagierte, wandte sich das Team an den Spiegel, der Ende Mai 2019 - nach einer Konfrontation des Redakteurs mit der Blog-Autorin in Dublin - die Ergebnisse des Rechercheteams veröffentlichte. Einmal bloßgestellt verstrickte Hingst sich in Widersprüche, berief sich auf die Literazität ihrer Texte und drohte Klagen an.

Es half nichts, die Diskrepanz zwischen Fiktion und Fakten lag klar zutage. Bald wurde Hingst der Ehrentitel „Bloggerin des Jahres 2017“ aberkannt, den sie für ihren Blog “Read on my dear, read on” erhalten hatte. Im Interview zur Preisverleihung wirkte sie ein bisschen, als würde sie den Kopf einziehen, und hatte ihren Glauben daran beteuert, „dass jedes einzelne Wort hilft.“

An sich hatte die Gruppe der ehrenamtlichen Rechercheure schlicht gehofft, den Betrug, der unerträglich für reale Holocaustopfer ist, diskret beenden zu können. „Wir wollten eigentlich nur, dass sie damit aufhört“, sagte der Altphilologe und Genealoge Ingo Paul der Märkischen Allgemeinen Zeitung Anfang Juni „Wir wollten kein Leben oder keine Karriere zerstören, aber jetzt scheint es doch so zu sein.“

Das Phänomen ist oft Symptom für eine anders gelagerte Störung

Und jetzt hat sich Marie Sophie Hingst offenbar das Leben genommen. Sie wurde, wie die Irish Times berichtete, am 17. Juli in ihrer Wohnung in Irland tot aufgefunden. Deren Berlin-Korrespondent, Derek Scally, hatte Hingst nach der Aufdeckung getroffen, und sie, alarmiert durch ihr agitiertes Auftreten, zu instabil gefunden, um über sie zu berichten. Freunde, ein Mediziner und ein Psychologe, hatten ihn darüber aufgeklärt, „das Phänomen jüdisch sein zu wollen“ sei durchaus auch unter anderen nichtjüdischen Deutschen anzutreffen, und oft Symptom für eine anders gelagerte Störung.

Ein Fall aus dem eigenen Erleben, um 1974 herum. Ein älterer Herr, etwa Jahrgang 1910, hatte seine Wohnung in Süddeutschland dekoriert mit Judaica, Chanukka-Leuchtern, Davidsternen, alles legte den Eindruck nahe, er sei jüdisch. Ein Besucher, der ihn mitfühlend darauf ansprach, fragte direkt: „Und wie haben Sie die NS-Zeit überlebt?“ Der alte Herr wurde hochrot im Gesicht, und musste einräumen, dass er gar nicht jüdisch ist.

Sein philosemitisches Ambiente brauchte er offenbar, um sich und andere von seiner belasteten Vergangenheit als glühender Antisemit wegzulenken. Einen erheblichen Schritt weiter gehen Leute wie Wolfgang Seibert, ehemals Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Pinneberg in der Nähe von Hamburg. In seiner Rolle als Holocaust-Überlebender konnte er öffentlich Judenfeindlichkeit beklagen und dafür Aufmerksamkeit erhalten. 2018 wurden seine Lügen entlarvt und er des Amtes enthoben, tatsächlich kam er – wie Hingst - aus einer evangelischen Familie und hatte sogar wegen Betrügereien im Gefängnis gesessen.

Das Publikum kann sich auf die moralisch attraktivere Seite schlagen

Als „Wilkomirski-Syndrom“ bezeichnete eine einschlägige Publikation Fälle, in denen der Drang, jüdisches Opfer oder verwandt mit Opfern zu sein, so stark ist, dass er zum Verkennen und Verdrehen von Realität verleitet, und in Illusionsgespinsten wie denen von Sophie Hingst enden kann. Der Titel bezieht sich auf Bruno Dösseker, der als Binjamin Wilkomirski 1995 die ausgedachte Geschichte eines jüdischen Kindes veröffentlichte, das Ghettos und Lager überlebt hatte, als seine ausgab und mit seinem Buch „Bruchstücke“ zunächst Erfolg hatte, bis herauskam, dass kein Wort wahr war. Vielmehr hatte er, so die Fachleute, sein Leid als Adoptivkind überhöhen und sich für Erlittenes rächen wollen.

Einige Historiker wie Raoul Hilberg hatten von Beginn an Zweifel an der Darstellung gehabt, andere waren ihr erlegen, Kritiken in deutschen Zeitungen wie in der New York Times ließen Anerkennung auf den Autor regnen.

Der Band zum Wilkomirski-Syndrom entstand aus einer Tagung am Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum, die sich der Frage stellte, warum solche Opfergeschichten derart faszinierend und attraktiv sind. In dem vermeintlichen Überlebenden sah der Historiker Stefan Mächler einen „aus der Verdrängung aufgetauchte Schuldvorwurf in Person.“ Das eindringliche Erzählen erlaubte Einfühlung, das Publikum – das deutsche zumal  - kann sich, wie Mächler schreibt, „auf die moralisch attraktivere Seite der Opfer zu schlagen.“

Bewusst und betrügerisch oder weniger bewusst und pathologischer spekulieren selbsternannte Juden auf solche Effekte – beim Publikum wie bei sich, vor sich selber. Bewunderung, Mitempfinden, Achtung, Aufmerksamkeit, Rücksicht, Ansprache – all das hatte Hingst mit ihrem Blog erfahren, dem 240.000 Leute „folgten“.

Hingsts Familie, in der es offenbar keine Juden gibt, während ein Verwandter in der NS-Zeit als Lehrer arbeitete, bot vermutlich zeithistorisch vor allem die entsetzliche und entsetzlich durchschnittliche Mischung unserer deutschen Familien der Zeit, die aus Mitläufern und Tätern besteht. Dass Sophie Hingst sich der Ungeheuerlichkeit ihrer Täuschungen und Lügen nicht bewusst war, könnte ihr mutmaßlicher Freitod belegen. 

Sie hatte in einer anderen Haut leben wollen

Im Fall Hingst verzichtete die Irish Times auf eine Reportage. Erst nach ihrem Tod beschrieb Scally das Gespräch mit ihr. Sie sagte, sie habe sich durch den Text im Spiegel „wie gehäutet“ gefühlt. Das wäre passend, denn sie hatte in einer anderen Haut leben wollen, die sie selber aus Texten gewebt hatte, wie Textilien zum Verkleiden. Diese waren ihr quasi öffentlich ausgezogen worden. Von der Mutter in Wittenberg hatte Scally gehört, ihre Tochter habe unter psychischen Probleme gelitten und einige Therapieversuche hinter sich. Im Verlauf des Gesprächs hatte Hingst einen gelben Judenstern aus Stoff hervorgeholt, das einzige, was von ihrer Großmutter nach Auschwitz geblieben sei.

In Hingsts fabulierten Geschichten hatte eine Großmutter überlebt, und der Enkelin etwa von „Isidor Eisenstein“ einem Freund des Urgroßvaters erzählt, der als Arzt noch dann half, als einer seiner jugendlichen Patienten ihn mit einem Schlägertrupp zusammen attackiert hatte. Der Mann „mit einem verschmitzten Lächeln und Karamellbonbons in der Jackentasche“ konnte nicht anders, „´Er hat ein krankes Herz´, sagte Onkel Isi und dann ging er und sah nach dem Jungen.“

Der Fall Hingst ist mitten in der Gesellschaft entstanden

Nach dem Zweiten Weltkrieg war in Deutschland die Haltung weit verbreitet, man habe „nie etwas gegen Juden gehabt“. Niemand sei Nazi gewesen, stellte Saul Padover fest, der als Mitarbeiter der US-Army gegen Kriegsende die Mentalität der Bevölkerung erkundete, und Aussagen hörte wie diese: „Jetzt, da es in den Läden praktisch nichts mehr zu kaufen gibt, sagen die Leute verbittert, dass es ein furchtbarer Fehler gewesen sei, die Juden zu vertreiben. Als es die Juden noch gab, habe man alles kaufen können, was das Herz begehrt, und zwar zu reellen Preisen.“

Neben Leugnen und Verdrängen, Bagatellisieren und Ausweichen, blieb der Antisemitismus über Jahrzehnte stark, wie parallel die andere Seite der Medaille, der Philosemitismus, der die Verbindung zu Tätern leugnen ließ.

Heute sehen sich Deutsche wie die Pegida-Marschierenden gern als Vertreter eines „christlich-jüdisches Abendlands“, und der Begriff eignet sich, Jahrhunderte der Pogrome so einzuebnen wie die Shoah als „Vogelschiss“ in der Geschichte abzutun. Hochambivalent flackert in dieser Konstellation das Phantasma, Opfer wie Retter zu sein. Sein Konstrukt lautet: Unser Abendland wird von Fremden bedroht, deren Opfer wir alle sind, wir aber retten das Abendland. Im Amalgam des „jüdisch-christlichen“ werden die jüdischen Opfer der Vergangenheit so geleugnet wie Juden vereinnahmt.

Zugleich wird zugelassen, dass an den breiter werdenden, rechten Rändern Antisemitismen und Rassismen erstarken. Und während es unter jungen Linken als richtig galt, dass Söhne und Töchter von Wehrmachtssoldaten eine Zeitlang in einem israelischen Kibbuz arbeiten, ist die Haltung kritikloser Solidarität mit Palästinensern gewichen. Die andere Seite der Medaille - auch da eine Kaskade von Projektionen. Politischer Realismus und integre Empathie würden sich anders äußern. 

Der Fall von Sophie Hingst ist nicht außerhalb der Gesellschaft entstanden, sondern mitten in ihr. Im Mikrobild des privaten Falls spiegelt sich ein Makrobild, und das besonders deutlich, wenn die verzerrende Übersteigerung so groß war, wie hier.

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mein gott - das ist jetzt mein dritter beitrag zum schicksal von frau hingst - und das hier war heute nachmittag der aufmacher in "tagesspiegel" online-news - und ich wundere mich, dass diese "tödliche verstrickung" - wie ich das gestern schon überschrieben habe - immer noch dem ressort "kultur" zugeordnet wird. ich finde, diese ausführungen jetzt zur einordnung des ganzen pathologischen backgrounds dieses phänomens, wäre eher den ressorts "wissen" oder "gesellschaft" zuzuordnen - aber das ist eine frage der redaktionellen nomenklatur dort am rande.

ich bin dankbar, dass man das schicksal von marie sophie hingst nun noch einmal mit einem anderen spot in den blick nimmt - und auch den allgemeingesellschaftlichen kontext des ganzen deutlicher beleuchtet.

eine umfassend abgeschlossene krankenakte mit ausführlicher anamnese und diagnosestellung von frau hingst als "einzelfall" wird man auch im nachhinein nicht mehr seriös erstellen und anlegen können. 

man sagt und denkt ja im turbokapitalistischen alltag gern diese floskel "...und was hab ich davon ?..." - und ich bin deshalb davon überzeugt, dass jede individuelle menschliche gestik, jede handlung, jede manipulation im sinne von handlings, jede subjektive konstruktion von "wahrheit", eine für die betreffende person (psychisch & körperlich ganzheitliche) entlastende, schützende und erhaltende ja "gesunde" funktion hat (eine "objektivität" ist aus systemischer sicht ja gar nicht möglich: denn immer ist man irgendwie "verbandelt" und irgendwomit "verstrickt" und emotional abhängig - und manchmal weiß und kennt man diese unsichtbaren leitlinien und "zwänge" (und "triebe") ja gar nicht...) - um zu "überleben", um sich (wovor?) zu wappnen, um andere schwer nagende fakten zu verdrängen und abzuwehren - und um irgendwie "seinen schnitt" zu machen...

interessant ist aber, dass es - zur zeit auffällig - scheinbar auf der 
  • einen seite "gespielte" opferrollen und ein übersteigert krankhaftes solidaritätsempfinden mit den ns-opfern bis hin zur vollständigen übernahme von neuen und ausgesponnenen (opfer-)identitäten gibt - und sogar das erfinden weiterer verzweigter "jüdischer" identitätssysteme - und dafür zigtausendfachen beifall und follower und preise gibt... 
  • auf der anderen seite gibt es nach fast 80 jahren nun kaltblütige rechtsradikale mörder und erneut antisemitische gewalttäter, die diese "andere seite" der ns-vergangenheitsmedaille brutal zurückspiegeln - und die auch in gewissen kreisen dafür "gefeiert" und "freigesprochen" werden...
und doch hat es eben den anschein, als seien diese beiden seiten der gleichen "medaille" alle dämme durchbrechende ausbrüche von aufgestauten weit zurückliegenden aggressionen und unbearbeiteten verdrängungen - und auch die jeweiligen follower und beifallklatscher spielen darin ihre rollen mit in dieser gesamtgesellschaftlichen "opfer-täter-claqueur-/retter-triade" oder auch "drama-triade"...

und doch verwirren mich diese theroretischen erklärungs-versuche in der presse mit dem offensichtlichen suizid von frau hingst - sowie fast gleichzeitig die kaltblütige ermordung des regierungspräsidenten lübcke vom offensichtlich rechtsextremen täter stephan ernst, und der mordversuch an dem hessischen eritreer, der völlig unbedarft vor seiner unterkunft auf der straße stand, mit dem späteren überlegten und bewusst verübten suizid mit abschiedsbrief dieses dortigen rechtslastigen gewalttäters roland k. - und dem nsu-komplex mit seinen zehn brutalen morden und den drei selbstmorden und den geschehnissen in chemnitz vor einem jahr und-und-und ...

und auch schon vor 50 jahren zu zeiten der "raf" gab es ja diese mordattacken und dann schließlich wahrscheinlich den kollektiven selbstmord der täter und "köpfe"...

wenn man diese jetzigen mord- und selbstmordtaten nun als zwei seiten einer medaille wahrnimmt - wie sich das ja auch aufdrängt
  • und vielleicht die projüdische identifikation nur die innerpsychische ableitung eines doch irgendwie verunglückten "wiedergutmachungs"-dranges irgendwelcher früherer "schuld" in der familie ist - 
  • was ist dann der aufkeimende und vollendete antisemitismus und der fremdenhass und die wieder eugenisch übersteigerten rassenüberlegungen in bezug auf flüchtlinge oder auch andersfarbige und andergläubige und anderswählende menschen überhaupt und z.b. auch die (kirchliche) homophobie und die abneigung gegenüber menschen mit anderen sexualvorlieben.
was wird damit innerlich "bearbeitet" und abgearbeitet und drängt "zwanghaft" in verirrungen und verwirrungen nach außen: sind das in jeden menschen irgendwelche schlummernden anfechtungen und aufrechnungen "von anderswoher", die sich da nun unabdingbar je nach sozialisation und biographie und "äußerem auslöser" bahn brechen???

frau hingst ging es ja wohl nach eigenem bekunden auch darum, endlich so ein publikum für ihre "worte" zu finden - und dafür spannte sie ihre erfundenen opferstorys ein: und sie hatte ja erfolg als mitleids-influencerin damit: zigtausend follower folgten ihrem blog - und sie bekam preise und anerkennung für ihr wackelig erdachtes kartenhaus, dessen echtheit zunächst gar nicht nachgeprüft wurde.

aber sind es wirklich diese langsam immer stärker "abgenudelten" sätze von der "schlechten kindheit" oder inzwischen auch dem "migrations-hintergrund", als voraussetzung für diese art tödliche "ausraste" und verstrickungen gegen andere und gegen sich selbst...???

"vogelschiss"

auf alle fälle, herr gauland, ist die nazi-vergangenheit deutschlands kein einfach abwaschbarer "vogelschiss" in der deutschen geschichte - sondern es ätzt und rumort und giftet noch in den menschen, die auch generationen danach mit sich selbst nicht fertig werden können - und die wohl von wilden und eigenartigen träumen und auch realitätsverschiebungen verfolgt werden, die dann nach außen drängen - unbearbeitet und unverdaut und nicht integriert - höchstenfalls oberflächlich "abgespalten" und verdrängt.

und das ist dann auch jetzt wieder einmal mein ruf an die schulen: jetzt, wo die letzten augen- und zeitzeugen der schrecken und tragödien von damals immer weniger werden, nicht nachzulassen mit der umfassenden (!) aufarbeitung dieser kollektiven traumatischen belasungsstörungen im bewusstsein der bevölkerung - und das höchstenfalls nicht nur zum thema machen in den letzten ("frei")stunden direkt vor ferienbeginn - wenn bereits alle mit ihren gedanken anderswo sind - oder als eine art "denkmal" publizitätsträchtig einmal für die lokalpresse  - denn all diese belastungen und auch die ihnen aufgezwungenen taten unserer altvorderen "wirken" tatsächlich, wie es in der bibel steht, "bis mindestens in die dritte und vierte generation nach"... (Exodus 20)

aber das ist auch gleichzeitig mein ruf an die familien: arbeitet die familiengeschichte schonungslos und vollends auf ...: das ist nach meiner überzeugung die beste prophylaxe vor charakterlichen verirrungen zur einen oder zur anderen seite ... - 

und habt acht - gebt aufeinander acht, beo-acht-et genau - und geht achtungsvoll und in achtsamkeit mit euch und den altvorderen um - aber geht den dingen achtsam auf den grund: nicht in schuld & sühne - sondern eher als "ermittlungsbeamte" und "spurensicherung" - wie im "tatort" - das aufspüren bzw. annähern an "die ganze wahrheit" - an den unverfälschten subjektive kern...

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UPDATE

die "taz" schreibt heute u.a. dazu: 

Der Skandal spielt woanders

Klar, Hingst, die Holocaust-Hochstaplerin, ist ein Faszinosum. Wie konnte sie? Und nun: Was hatte sie? Aber der Skandal spielt eigentlich ganz woanders. Er liegt in der erschütternden Erkenntnis, dass sich Holocaust-Geschichte recht einfach fälschen lässt. Dass die fabrizierten Erinnerungen bei allen beteiligten Institutionen jahrelang unhinterfragt durchgekommen sind. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bei der Bloggerszene und bis hin zur Gedenkstätte Yad Vashem, die Einsendungen im guten Glauben annimmt. All diese Institutionen schaffen Wahrheit. In diesem Fall stützten sie gegenseitig eine Lüge. Für die Erinnerungskultur ist das eine Katastrophe.

Es wäre keine Option gewesen, weder für Doerry noch für irgendwen, eine Berichterstattung über all das einfach zu unterlassen. Die Hauptverdächtige dabei aus Rücksicht aus dieser Geschichte herauszuhalten, war wiederum auch nicht möglich. Sie stand ja mit ihren Geschichten in der Öffentlichkeit.


Was hingegen Marie Sophie Hingst psychisch gequält hat, und auf welche Weise sie nun ums Leben gekommen ist, das geht uns nichts mehr an. Die Geschichte muss ab sofort woanders spielen. Marie Sophie Hingst soll in Frieden ruhen können.
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auch wenn so ein trauriges ereignis unweigerlich bei mir dann auslöst, mitzuspekulieren, welche beweggründe frau hingst an der erfindung ihrer lebenslüge und jetzt für ihren viel zu frühen tod hatte, möchte ich mich daran nicht über gebühr beteiligen.

mich interessieren viel mehr die gesellschaftlichen kollateralschäden die falsche mitleids-influencer*innen und rechte pöbler und täter hinterlassen.

die taz hat recht: "für die erinnerungskultur ist das eine katastrophe" - und deshalb fühlte ich mich als autor des opferprotokolls meiner tante erna kronshage bereits in meiner ersten stellungnahme nach dem spiegel-artikel von doerry im mai/juni geradezu von solchen falschen aktionen mit "diskreditiert".

damals schrieb ich schon in meinem post dazu
gut, dass ich von anfang an mit meinen schon in die 80er jahre zurückreichenden recherchen dann vor gut 10 jahren direkt an die öffentlichkeit gegangen bin - und die relevanten echt vorhandenen beurkundungen dieses opferschicksals erst verschlüsselt, dann aber bald schon mit klarnamen, jeweils in den blogs und magazinen mit reproduziert habe - so dass sie sich von jederfrau oder jedermann in den angegebenen auch amtlichen quellen jederzeit tatsächlich auch verifizieren und überprüfen lassen. 
bei diesen von den nazi's und allen beteiligten und deren helfern wie am fließband industriell und kleinteilig aber zum kriegsende hin immer weniger bürokratisch betriebenen massentötungen mit anschließender vernichtung der unterlagen dazu, ist dazu eine äußerst diffizile puzzle-arbeit vonnöten.
und heute würde ich hinzufügen: diese eben nur zum teil geglückten vertuschungsversuche der nazis kurz vor kriegsende führen eben leider auch dazu: "dass sich holocaust-geschichte [= und auch ns-euthanasie-opfergeschichte] recht einfach fälschen lässt ..." - wie die taz das schreibt und an die tatsächliche historie relativ hilflos ausliefert...

gesellschaftlich zeigen sich für mich dabei - 80 jahre danach - zwei diametral zueinander sich gruppendynamisch bildende schon oben erwähnte "drama-triaden" ab (die übereinander gelegt zufällig sogar einen judenstern ergeben...):

  • einmal die der eingebildeten "opfer" - und 
  • einmal die der erneut verführten rechtsradikalen nachahmer-täter, 


wobei beide aktions"bündnisse" scheinbar jeweils irgendeinen lustgewinn in den jeweiligen rollen"spielen" produzieren, der dann suchtcharakter und pathologische züge annehmen kann, wie alles, was irgendwie lustgeprägt daherkommt.

es gibt noch viel zu tun - aber bis dahin müssen wir wohl damit leben - und achtgeben ...



ermittlungsverfahren


Der Weltkrieg, vier tote Brüder und das Wort vom »Vogelschiss«

Von Heinrich Wefing | DIE ZEIT Politik

Warum der TV-Moderator Reinhold Beckmann und seine Mutter AfD-Chef Alexander Gauland anzeigten

Die Toten sind unter den Lebenden, immerzu. Sie wohnen in den Erinnerungen, in den alten Fotos und den Briefen von damals. Sie ziehen durch die Träume. Sind gegenwärtig an den Familientischen, bei Kaffee und Kuchen, wenn von früher erzählt wird. Und sie verschwinden erst ganz, wenn auch die sterben, die sich an sie erinnern.

Änne Beckmann, geborene Haber, ist siebenundneunzig Jahre alt, sie ist oft müde und hört nicht mehr gut, vielleicht hat sie nicht mehr lange zu leben. Sie weiß das, aber sie fürchtet das Ende nicht. Viermal war sie schon im Krankenhaus, viermal haben die Ärzte mit dem Schlimmsten gerechnet. Und doch sitzt sie jetzt wieder daheim in ihrem Wintergarten, eine Wolldecke über den Beinen.

Kein Tag in ihrem langen Leben ist vergangen, an dem sie nicht an ihre vier Brüder gedacht hat. »Das geht einem nicht aus dem Kopf«, sagt sie, »niemals.«

Vier Brüder hatte sie, drei ältere, einen jüngeren, »unseren Willi«. Alle sind sie gestorben, im Zweiten Weltkrieg. »Gefallen«, wie das damals hieß.


Die Brüder von Änne Beckmann: Franz, Willi, Alfons und Hans (von links nach rechts)



  • Franz Haber, geboren 1911, getötet in Danzig 1945. »Er war schon auf dem Weg nach Hause. Ich war so wütend!«
  • Hans Haber, geboren 1915, getötet im russischen Rschew 1942.
  • Alfons Haber, geboren 1919, getötet in Stalingrad, am 24. Dezember 1942.
  • Willi Haber, geboren 1928, getötet in Kassel im April 1945, nur ein paar Tage vor dem Ende des Krieges. »Er war doch noch so klein, ein Kind«, sagt Änne Beckmann.

In der Erinnerung bleiben sie immer jung, werden nicht älter als auf den Fotos von damals.

Noch nie in ihrem langen Leben hat Änne Beckmann etwas mit der Justiz zu tun gehabt. Noch nie hat sie einen anderen Menschen angezeigt.

Bis zum letzten Jahr. Bis zum 2. Juni 2018. Bis Alexander Gauland, der AfD-Fraktionschef im Bundestag, in einer Rede beim Bundeskongress der Nachwuchsorganisation »Junge Alternative« in Seebach erklärte: »Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.«

Ein Vogelschiss?

»Meine Mutter war schockiert«, sagt Reinhold Beckmann, der Fernsehmoderator, »sie war so empört. Diese Jahre – ein Vogelschiss? Alle ihre Brüder ums Leben gekommen – ein Vogelschiss?«

»Es war eine fürchterliche Zeit«, sagt Änne Beckmann, »einfach furchtbar, anders kann man das nicht sagen.«

Eine gute Woche nach der Rede erstatten die beiden Strafanzeige, Mutter und Sohn gemeinsam, gegen Alexander Gauland, wegen »Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener«, wie es juristisch umständlich in Paragraf 189 des Strafgesetzbuchs heißt. Bis zu zwei Jahre Gefängnis stehen darauf, oder Geldstrafe.

Man darf auch Tote nicht verleumden, ihnen Übles nachsagen, ihre Ehre beschmutzen, darf sie nicht verhöhnen, das ist die Idee der Vorschrift, und da sich die Toten selbst nicht wehren können, haben ihre Angehörigen das Recht, Strafantrag zu stellen.

»Meine 96-jährige Mutter, mit klarem Verstand und junger Wut, ist persönlich betroffen, zornig und empört über die Äußerungen des Herrn Gauland. Sie hat ihre vier Brüder im Zweiten Weltkrieg verloren. Alle vier, sinnlos verheizt als Kanonenfutter«, heißt es in der Strafanzeige.


Änne Beckmann und
ihr Sohn Reinhold
»Wer keinen Respekt vor den Opfern, wer keinen Respekt vor dem Leid, vor den zerstörten Leben hat, der kann sich nicht hinter der Meinungsfreiheit verstecken. Meine Mutter Änne Beckmann und ich möchten, dass gegen Herrn Gauland im Sinne des Paragrafen 189 StGB ermittelt wird.«

Änne Beckmann lebt in einem kleinen Ort, eine halbe Stunde südwestlich von Bremen, zwischen Pferdekoppeln und blühenden Rhododendren.

1947 kam sie hierher, als Lehrling, hat sich bald verliebt, 64 Jahre war sie mit ihrem Mann verheiratet. Vor sieben Jahren ist er gestorben. Sie ist eine gläubige Frau.

»Natürlich«, sagt sie, »hoffe ich auf ein Wiedersehen.«

Sie hebt ihre rechte Hand, deutet mit dem Zeigefinger in die Höhe, vielleicht lächelt sie sogar ein bisschen.

»Ein Wiedersehen, da oben.«

Fast sechs Monate hat es gedauert, bis die Staatsanwaltschaft Meiningen sich gemeldet hat. Kurz vor Weihnachten bekamen Änne und Reinhold Beckmann Post von der zuständigen Staatsanwältin, Aktenzeichen 40 Js 1110918.

Das Ergebnis ist nicht sonderlich überraschend: »Von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wird (...) abgesehen.«

»Unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (...) ist nicht von einer Strafbarkeit dieser Aussage auszugehen.«

Keine Volksverhetzung. Keine Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener.

Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht die Meinungsfreiheit von jeher sehr weit verstanden, hat auch rechtsextremistische Äußerungen in den Schutzbereich des Grundrechts einbezogen.

Gauland selbst, notiert die Staatsanwältin, habe die Bemerkung später als »missdeutbar und politisch unklug« bezeichnet.

Man könne, schreibt die Staatsanwältin, die Äußerung Gaulands so verstehen, als verharmlose und bagatellisiere er den Holocaust und die NS-Zeit, als entwürdige er »die Opfer, ihr Leid und das Leiden ihrer Angehörigen im Nachhinein«.

Das, so die Staatsanwältin, sei aber nicht die einzige mögliche Deutung. Nicht auszuschließen »und im Gesamtkontext der Rede auch nahe liegend« sei es, bloß an eine »Relativierung der zeitlichen Dauer des Deutschen Reiches (1933 – 1945) vor dem Hintergrund der gesamten deutschen Geschichte, die ca. 1000 Jahre umfasst«, zu denken. Diese Deutung »wäre strafrechtlich nicht zu beanstanden. (...) Von der Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen war daher abzusehen.«

Änne Beckmann sitzt in ihrem Rollstuhl, ihr Sohn neben ihr. Jetzt, ein Jahr nach der Gauland-Rede, ist der Zorn wieder präsent, auch die Enttäuschung, das Unverständnis über die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Meiningen.

Aber was sagt schon ein juristischer Schriftsatz? Welches Gewicht hat er im Vergleich zu den Erinnerungen eines Menschen?

»Unser Willi«, sagt Änne Beckmann, »war erst sechzehn«, als ihn die Feldjäger mitnahmen. »Er hat sich im Keller versteckt, er hatte solche Angst.«

Vor ihr auf dem Tisch liegt ein Fotoalbum, fast alle Bilder in Schwarz-Weiß, viele älter als sie selbst. Neben dem Album steht ein Schuhkarton, darin die grauen Feldpostbriefe der Brüder, in vier schmalen Bündeln.

»Soll ich die eigentlich mal wegwerfen?«, fragt sie leise.

»Nein«, sagt ihr Sohn, »auf keinen Fall!«, zieht einen der Briefe hervor und reicht ihr das dünne Blatt. Sie liest den Brief leise vor, »die Augen machen nicht mehr mit«, sagt sie, halb entschuldigend, wenn sie stockt. Manche Wörter verschluckt sie, andere formt sie unhörbar nur mit den Lippen, dann ist sie wieder zu verstehen: »Schreib uns mal, ob Du das Weihnachtsgeschenk bekommen hast.«

Sie selbst hat das geschrieben, im Januar 1943, ein Brief aus der Heimat an die Front. Da war ihr Bruder Alfons schon tot, umgekommen in Stalingrad. 50 Jahre galt er als vermisst, dann erst kam die Bestätigung des Roten Kreuzes.

Erinnert sie sich eigentlich noch an die Momente, als die Briefe mit den Todesnachrichten kamen?

»Ja«, sagt sie, aber mehr sagt sie nicht.

Zwei ihrer eigenen Söhne tragen die Namen der Verstorbenen. Und die Erinnerungen weiter.

Fotos: privat | DIE ZEIT
Text: DIE ZEIT, No. 23 v. 29.05.2019, S. 9 - Politik

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statt kommentar - ein  bild (mit bildunterschrift) sagt mehr als 1000 worte:

Gauland selbst, notiert die Staatsanwältin, habe die Bemerkung [vom "Vogelschiss"] später als »missdeutbar und politisch unklug« bezeichnet...



störmeldungen aus dem musterland der nazi-aufarbeitung

HOLOCAUST-GEDENKTAG - WIE ERINNERN SICH DIE NACHGEBORENEN GENERATIONEN?

Das unheimliche Wissen

Soldaten der Roten Armee befreiten am 27. Januar 1945 das Vernichtungslager Auschwitz. Der Tag gilt dem Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus. Wie vermittelbar ist das Wissen darüber heute?

Von Caroline Fetscher | Tagesspiegel

Wir Kinder wurden hellhörig, wenn Erwachsene in den sechziger Jahren seltsame Wörter sagten, die wie Andeutungen klangen. Vermutlich kam das häufiger vor, als Zeitungen und Radiosender von den Auschwitz-Prozessen berichteten, die 1963 am Landgericht in Frankfurt am Main begonnen hatten, initiiert von Hessens Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Keiner entkam diesen Nachrichten. Mitten im habituellen Beschweigen wurden die Deutschen heimgesucht von der Erinnerung an die unmittelbare Vergangenheit, der Wiederaufbau und Wirtschaftswunder wirksam die Tür verriegelt hatten. Schuld und Beklommenheit schwangen mit in den seltsamen Wörtern der Erwachsenen. Eins davon war „die Zone“. Verwirrend stand das für ein irgendwie verbotenes Gebiet, das von unserem Land abgeschnitten worden war, weil es „den Krieg“ gegeben hatte. In dem Krieg war Unaussprechliches geschehen, und dafür war das Abspalten „der Zone“ offenbar die Strafe.

Nach und nach kamen weitere geheimnishafte Begriffe dazu, wie „die Juden“, „die Nazis“ oder „der Transport“. Von einer Nachbarin sagten Leute, sie hätte „den Transport überlebt“, was „schier unglaublich“ war. Das sagten sie so gehemmt wie bewundernd. Über einen Mann am Ende der Straße hieß es hinter vorgehaltener Hand: „Der war ein dicker Nazi“. Ein Lehrer ging an Krücken. Wenn er in Wut geriet, drohte er der Klasse mit der rechten Krücke. „Der war eben im Krieg“, beschwichtigten uns jüngere Lehrer. Verstohlen deutete ein Bekannter der Eltern auf eine Dame, die in der Grünanlage ihren Hund ausführte: „Die hat damals welche verraten und ins KZ gebracht.“ Der stärkste der schwer lastenden Begriffe war „das KZ“. Das war ein anderes Wort für Grauen, soweit hatten wir verstanden. Aber die Frau dort lief frei herum. Warum?

Wie war das damals eigentlich? Jugendliche besuchen die Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen, ein ehemaliges Konzentrationslager. Foto: imago/Jürgen Ritter


Was sich in der Vergangenheit ereignet hatte, erhielt später festere Umrisse und dichteren Gehalt. Je mehr die Nachkriegskinder vom Nationalsozialismus erfuhren, desto unheimlicher konnten ihnen die Erwachsenen werden, dieselben Menschen, auf die sie angewiesen waren, zu denen sie Vertrauen brauchten. Spätestens am Ende der Adoleszenz war den meisten von uns klar: Auf der Generation der Eltern und Großeltern lastet die Beteiligung an einem maßlosen Verbrechen - oder jedenfalls das Wissen darüber. Millionen Kinder, Frauen, Männer, die genauso wie wir und genau da gelebt hatten, wo wir heute lebten, waren grundlos diffamiert und systematisch ermordet worden, da sie zu „den Juden“ gehörten. Oder zu denen, die das Ermorden der Juden nicht dulden wollten.

Viele Nachkriegskinder lasen das Tagebuch von Anne Frank, Aufzeichnungen eines jüdischen Mädchens, das in Amsterdam im Versteck lebte, ehe es ins Todeslager deportiert wurde. Wir lasen mit Entsetzen, weinend und zornig. Wie war derart monströses Unrecht möglich geworden? Gespräche darüber mit den Eltern, den Älteren waren rar. Wir wuchsen unter Zeitzeugen auf, als bei diesen der zeitverzerrende Begriff „Schlussstrich“ Karriere machte.

Laut geworden war die Forderung schon im Gründungsjahr der Republik, als die Wahlwerbung der Freien Demokraten, die damals sehr nationalistisch gesinnt waren, „Schlussstrich drunter!“ verlangte, und das Abschaffen von „Entnazifizierung, Entrechtung, Entmündigung“. Bei Umfragen ab Ende 1945 bis Ende 1946 bejahte rund die Hälfte der Befragten die Aussage, der Nationalsozialismus sei „eine gute Idee“ gewesen, die nur „schlecht ausgeführt“ wurde.

Es folgte, in mehreren Schüben, die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit: Prozesse gegen Kriegsverbrecher, Theaterstücke wie „Die Ermittlung“ von Peter Weiss, Kino- und Fernsehfilme zur Shoah, die Aufnahme des Stoffs in die Curricula der Schulen, das Einrichten von Gedenkstätten, das Verlegen von Stolpersteinen zur Erinnerung an individuelle Opfer - und immer wieder öffentliche Skandale, etwa Martin Walsers Aufbegehren wider „Auschwitz“ als „Moralkeule“. Walser führte,
zwanzig Jahre vor dem „Vogelschiss“ der AfD, exemplarisch vor, dass Wissen (über welches er verfügte) noch lange nicht Bewusstsein bedeutet (über welches er nicht verfügte).

Indes sinkt die Zahl der Zeitzeugen stetig. Jugendliche begegnen ihnen inzwischen nur selten. Einige Schulen laden die letzten, betagten Überlebenden ein, und Lehrerinnen und Lehrer haben Mühe, die in die Ferne rückende Vergangenheit zu vermitteln, während parallel alte und neue antisemitische, antiisraelische Stereotypen Raum greifen, gerade auch bei muslimischen Kindern und Jugendlichen. „Nicht schon wieder Juden und Nazis!“ meutern Schüler häufig. Sind das Echos der Walserianer oder Palästinastreiter aus ihrem Zuhause? Erzeugt allzu drängendes oder zu flaches Vermitteln den Überdruss? Keine Umfrage könnte darauf eine Antwort liefern. „Zeigen Sie uns mal Ihr Tattoo?“, fragten Kinder einer ostdeutschen Schulklasse vor einer Handvoll Jahren einen KZ-Überlebenden, der darüber milde lächelte, während der Lehrer in Scham versank. Eine Deutschlehrerin im Rhein-Main-Gebiet erlebt, dass Lektüre wie „Damals war es Friedrich“ von 1961 oder „Adressat unbekannt“ von 1983 immer noch packen kann, „allerdings zieht das nicht bei allen.“ Anne Franks Tagebuch erweise sich, berichtet sie, meist als „zu zähe Lektüre“. In die Lage der Teenagerin, die sich vor uniformierten Mördern in Sicherheit bringen musste, können oder wollen sich nur noch wenige versetzen.

Erzählte Schicksale von Tierwaisen berührten sie stärker als Anne Franks Briefe an die imaginäre Freundin Kitty, bekennt eine vierzehnjährige Berlinerin. Beim Besuch einer Ausstellung zur Entrechtung der Juden erfuhren Zehntklässler, dass jüdische Familien ihre Haustiere, ihre Hunde abgeben mussten. „Die armen Hunde! Wohin kamen die dann?“ erkundigte sich die Gruppe bei der konsternierten Museumsführerin. „Juden zahlen keine Steuern, und denen gehört Aldi, Lidl, Mediamarkt - alles!“ Solchen Vorstellungen begegnet der Psychologe Ahmad Mansour regelmäßig in seiner Arbeit gegen den Antisemitismus muslimischer Jugendlicher in Deutschland.

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung wollten 2014 etwa acht von zehn Deutschen die Geschichte der Judenverfolgung „hinter sich lassen“; gerade die Jüngeren stachen hier besonders hervor. Ein paar Wochen alt ist der „Eurobarometer 484“, eine Umfrage der Europäischen Kommission zur Wahrnehmung des Antisemitismus in jenen Mitgliedsstaaten, in denen 96 Prozent der jüdischen EU-Bevölkerung leben. Danach halten fünfzig Prozent Antisemitismus für ein Problem in ihrem Land, eines, das in den vergangenen fünf Jahren zugenommen hat.

Weit, weit weg wirkt der Holocaust auf viele heutige Jugendliche. Früher waren Kinder und Jugendliche fasziniert von den Verliesen und Folterkammern in Ritterburgen am Rhein. Jetzt werden vereinzelt Tendenzen deutlich, den Zivilisationsbruch der Shoah einzureihen in die Serien der Horrorvideos und Gruselthriller, die junge Leute im Internet konsumieren. Einige, vor allem Jungen, sind erpicht auf einen Ausflug zum „total echten“, „voll krassen“ Ort Auschwitz, bar jeder politischen oder empathischen Absicht. Und Entsetzen allein wird dagegen gar nichts ausrichten.

Freilich gibt es auch engagierte Jugendliche, die etwa Biographien von NS-Opfern nachspüren, wie die Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Geschichte am Albert-Einstein-Gymnasium. Mit der sozialistischen Falken-Jugend sorgten sie dafür, dass im November 2018 in der Britzer Hufeisensiedlung in Berlin ein Stolperstein für den jüdischen Sozialdemokraten und Autor Bruno Altmann gesetzt wurde. Die Gedenkfeier für ihn hatten die Jugendlichen selber gestaltet.

Monika Grütters, die amtierende Kulturstaatsministerin, will jetzt das Geschichtsbewusstsein der jungen Generationen stärken. Für ihr Programm „Jugend erinnert“ haben Historiker und Bildungsexperten praxisnahe Konzepte entwickelt, die Begegnungen und Besuche in Gedenkstätten fördern sollen. Vorgestellt wird das Programm am 29. Januar am Ort der Information des Berliner Mahnmals für die ermordeten Juden Europas.

So notwendig das Erinnern an Massenmord, Menschheitsverbrechen und die Schuld der Tätergesellschaft ist, so wichtig scheint das Auffalten einer lebendigen Sphäre jüdischen Lebens. Rund siebzig Prozent der EU-Bürger meinen derzeit laut der Eurobarometer-Studie, dass die Mehrheit in ihrem Land mangelhaft informiert ist über jüdische Geschichte und Kultur - sprechender Beleg für Forderungen wie die von Nicola Galliner, Leiterin des Jüdischen Filmfestivals Berlin und Brandenburg. Historische wie aktuelle Vermittlung müsse endlich über „tote Juden“ hinausreichen, sagt Galliner, und erwähnt den verblüffenden Effekt etwa von Eyal Halfons Filmkomödie „90 Minuten - bei Abpfiff Frieden“, worin ein Fußballmatch zwischen Israelis und Palästinensern zum Mikrokosmos des Friedensprozesses im Nahen Osten wird. Jugend kann de facto nicht „erinnern“, was sie nicht erlebt hat. Jugendliche können Wissen erlangen - und nur durch Empathie wird Wissen zu Bewusstsein.

TAGESSPIEGEL, Sonntag 27.01.2019 | KULTUR S. 25

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tja - so isses - genauso - und schlimmer - so wie es ganz ungeschminkt in diesem artikel dargestellt wird. und dahintersteckt ein konglomerat aus verschiedenen be- und ge-wusstheitsstufen, die da alle oft ziemlich verquer eher zufällig als geplant aufeinandertreffen: und trotzdem - das ausland bewundert deutschland ja für seine emsige gedenk- und erinnerungskultur und für die "unumwundene übernahme" von "verantwortlichkeit" für das geschehen in nazi-deutschland und im weltkrieg. aber wir "betroffenen" hier im innern des landes sind damit längst nicht zufrieden - und wollen tiefergehende auseinandersetzungen mit jener epoche und der eigenen betroffenheit.

die authentischen zeitzeugen des "holocausts" etc. werden immer weniger - und haben immer weniger lust vor jungen, oft kaum vorbereiteten und irgendwie emotional "satten" und mit den gedanken ganz woanders spazierengehenden 13-18jährigen schülern immer wieder ihr "holocaust"-programm des "ganz anderen" mit der obligatorischen powerpoint-präsentation abzuspulen und vorzuführen - oder die wenigen unmotivierten oder völlig indisponierten pflichtfragen der schülerschaft zu beantworten (das verschlägt einem oft die sprache) - denn dazu kommt noch: oftmals steht in unserem digitalen zeitalter ein laptop oder eine vernünftige ungefilterte internet-verbindung oder ein router und ein beamer gar nicht zur verfügung. aber jeder schüler hat sein smartphone in der tasche - und es sind extra "smartphone-regeln" für die benutzung im unterricht vereinbart worden ... 

für eine entsprechende störungsfreie präsentation durch die oft jeweils 70- bis über 80-jährigen referent*innen, die experten oder gar zeitzeugen, die ja auch nur in mühevoller kleinarbeit oft mit ungenügendem knowhow ihre datenträger-sticks aufgeladen haben mit dem entsprechenden dokumentationsmaterial, ist da "seriös" kaum noch raum gegeben - aber die offiziellen unterrichtsmaterialien geben da ja auch wenig her oder dürfen nicht (mehr) verwandt werden.

und neulich sagte ein ach so flott daherkommender geschichtslehrer, der eine unterrichtseinheit und einen kz-besuch plante, dass die schüler ausdrücklich keinen dieser "alten weißen männer" im unterricht hören & sehen wollten - das thema müsse "flotter" und "zeitgemäßer" angegangen werden - und vor einem erhobenen zeigefinger schreckten die schüler eh zurück ...

aber die tücke steckt ja auch oft im detail - also auch wenn das equipment irgendwo in der schule aufzutreiben wäre - weiß oft weder die lehrkraft noch jemand von den schülern, wie denn die einzelteile anzuschließen sind - und wie etwas mit welchen dingen vor ort kompatibel ist usw. usf. und der it-spezialisierte hausmeister oder der "fachlehrer" ist im moment nicht aufzufinden...
und da kommt dann eben frust auf - und der wird nicht auf das unvermögen in der ausführung festgemacht, sondern mündet dann eben nach ein paar so desolat erlebten "versuchen" in diesen resignativen satz „nicht schon wieder juden und nazis!“ - aber die "juden und nazis" haben mit dem frust ja gar nichts zu tun...

aber es ist auch kein echtes "interesse" an der sache da - und dafür lässt sich ja auch nicht mit den üblichen mitteln entsprechend "motivieren". das thema "holocaust" & co. ist (gefühlt) bei den meisten "durch" & abgehakt und teilweise ausgelutscht: dazu hat man eh keinen "bock" - das wäre vielleicht was für freiwillige arbeitskreise und leistungskurse oder vertiefungs-zirkel ...

denn "meinungs- und wertneutral" lässt sich ein solches thema in einer schule nicht verhandeln - wie sonst vielleicht gefordert im alltag. ich wenigstens bin bei meinen vorträgen zu diesen themen völlig einseitig und total festgelegt - ganz klar ...

ich habe ja ca. 8 jahre immer mal wieder jeweils auf einladung schülern das leidensporträt meiner tante erna kronshage näherbringen wollen, die als nazi-"euthanasie"-opfer in einer tötungsanstalt ermordet wurde. ich habe nie initiativ bei schulen "getingelt" mit diesem thema - ich habe lediglich meine memorial-blogs im internet dazu für verschieden unterschiedlich interessierte und berührte ansprech-kreise entwickelt, gestaltet und schließlich online gestellt.

aber obwohl der historiker götz aly errechnet hat, dass ca. jeder achte derzeitige erwachsene zeitgenosse, dessen vorfahren zwischen 1939 und 1945 in deutschland gewohnt haben, in irgendeiner weise in der familie und in der verwandtschaft - durch verheiratung und cousin und großcousine - und und und - mit dem thema "euthanasie" konfrontiert sein müsste, ist das aufarbeitungs-geschehen - bei ca. 300.000 vermeintlichen gewaltopfern - in den familien durch gespräche und erforschungen und erkundungen zwischen den generationen kaum gegeben - und als sehr sehr "mau" zu bezeichnen... - das thema wird ausgeklammert und abgespalten und verdrängt. was aber innerpsychisch ja "bis in die 3. und vierte generation" danach ungesund ist, weil viele traumatische ereignisse oft sogar in störenden verhaltensnuancen weitervererbt und "übertragen" sind oder werden ("das hat er von seinem opa ...").  
ich schätze, dass vielleicht 400 - 500 euthanasie-einzel-opfer-biografien derzeit bundesweit publiziert und bekannt und erforscht sind, also vielleicht gerade mal etwas über 1 promille ... 

hinzu kommt inzwischen eine junge garde von lehrkräften, die wenig interesse daran hat, selbst aktiv zu forschen oder das eigene forschungsfach auszuposaunen - und wenn schon, kann und darf der eigene "hobby"-enthusiasmus oft nicht übertragen werden auf die schüler, was aber auch mit den permanentkritischen elternhäusern zu tun hat, die derartigen "besonderheiten" je nach politischem habitus oft sehr kritisch gegenüberstehen und das als "übergriffig" erleben wollen ...

die schüler sollen nämlich etwas lernen "für's leben und für den job" - und das wird häppchenweise je nach lehrplan hübsch aufbereitet dann vorgetragen und durchgekaut - und da ist die zeit knapp genug, als dass man sich dann noch initiativ auf irgendwelche "privaten" extra-unterrichtseinheiten vorbereiten will, kann oder soll ... 

und wenn erst die eigene begeisterung und das interesse für irgend etwas in der eigenen unterrichtsgestaltung einmal abhanden gekommen ist, spult man nur noch stumpf die vorgeschriebenen unterrichtseinheiten ab - und wartet auf die nächsten ferien oder auf das klingelzeichen zur nächsten pause - un gutt is ... - man macht sich nur "verdächtig", wenn man gar schüler für ein besonderes thema mitnimmt und mitbegeistert - außerhalb dieser inzwischen "normal" gewordenen digitalen smartphone-scheinwelt ...

also auch die lehrer und die eltern meinen inzwischen „nicht schon wieder juden und nazis!“ - und ich füge eben mein spezialthema, das "randthema" euthanasie-mord-opfer, da mal hinzu ... 

und die obligatorischen fahrten zu kz's und vernichtungsanstalten werden dann mehr als muss-"event" und als "klassen-ausflugsfahrt" mit allem drum & dran organisiert - und zuschüsse gibt es da ja auch, warum soll man die nicht abrufen - und gleichzeitig kann man den "reichstag" besuchen und das "stelenfeld" - und dem befreundeten schulpaten-bundestagsmitglied aus der stadt einen besuch abstatten mit einer nachmittags-sequenz "politischer bildung", vorgetragen - ganz "political correctness" - von einem assistenten des entsprechenden besucherdienstes des bundestages ... - und in der zeit kann die begleit-lehrkraft ja shoppen gehen ins kdw ...

ja - das ist echter einsatz: einigkeit und recht und freiheit ...

"oral history":  hier informiere ich zu erna kronshage in einer schule

auch im "tagesspiegel"-artikel oben wird ja mein "spezial-randthema", die 300.000 "euthanasie"-opfer, erst gar nicht extra erwähnt - und ich habe jetzt seit fast 2 jahren nur noch eine anfrage zum leidensporträt meiner tante erna kronshage erhalten - allerdings kam ich da wegen organisatorischen missverständnissen mit der schule und der betreuungslehrkraft in der vorab-kommunikation und der planungsvorbereitung im miteinander nicht auf einen nenner, sodass ich da die anfrage für eine info-veranstaltung schließlich abgesagt habe - schade - aber das ist auch alltag in dem "geschäft"...


szenenbild aus dem "erna"-stück des jugendvolxtheater bethel - click here


sehr erfreut war ich dann aber doch noch im letzten jahr über eine theateraufführung eines jugendtheater-kollektivs, dass sich ein stück mit eigenen reaktionsparallelen auf das opfer-schicksal meiner tante erna kronshage erarbeitet hat - [click hier]

und diese "privat"initiative, dieses hobby-engagement nach schulschluss, hat dann das "mitgehende" interesse der mitspieler*innen geweckt - und ich bin davon überzeugt: diese 12- bis 18-jährigen "schauspieler" werden das schicksal meiner tante ihr lebtag nicht mehr vergessen ... - aber dafür auch empathie und bewusstheit für diese zeit entwickeln ...

trotzdem - nix für ungut - chuat choan ...


Lies dazu auch: hier
und vor allen dingen auch: hier