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NACHT & NEBEL - der erste Holocaust-Film nach dem Krieg - Frankreich 1956

In einem Interview von Elisabeth von Thadden mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer in der neuen ZEIT mit dem Titel: »Ich glaube eh nicht an die Apokalypse« hieß die Frage 2:

Welcher politische Moment hat Sie geprägt – außer dem Kniefall von Willy Brandt am Warschauer Ghetto?

Welzer: Ein Film war für mich dieser prägende politische Moment: Als Schüler, im Alter von etwa 13 Jahren, habe ich den Film »Nacht und Nebel« gesehen, von Alain Resnais, mit dem Kommentar von Paul Celan


click here - bitte die bildqualität entschuldigen


Von wegen also: Wir haben nichts gewusst - dieser Film wurde bereits 1955 abgedreht und 1956 veröffentlicht - und der deutschen Kommentator war Paul Celan.

Die Bundesregierung war bei einer geplanten Teilnahme des Films an den Filmfestspielen in Cannes als französischer Beitrag "not amused". Frankreich hat daraufhin auf diese Nominierung  gänzlich verzichtet... - Aber dazu: klick hier

Rembrandt-Jahr: Auf der Suche nach der Seele

Rembrandt van Rijn

Eine Seele von Mensch

Er ist der prominenteste Holländer nach Arjen Robben: Vor 350 Jahren starb Rembrandt van Rijn. Seine Heimat ehrt den Maler mit Sonderausstellungen und einem Gedenkjahr. Wer war der Mann, der die Bibel bebilderte und der unsterblichen Seele Form und Farbe verlieh?

Von Raoul Löbbert

Ein Klischee der Kunstgeschichte besagt: Rembrandt habe die Seele gemalt, fand Bilder für all das, was unsterblich ist im Menschen – in jedem Menschen auf seine Art. Von der Sache mit der Seele abgesehen gibt es wenig, worauf sich die Nachwelt einigen konnte bei Rembrandt Harmenszoon van Rijn, dem holländischen Über-Maler des Barock. Die Romantiker fanden ihn romantisch, die Impressionisten impressionistisch, die Modernen modern. Der Schriftsteller Julius Langbehn erkannte in Rembrandt 1890 sogar den "deutschesten aller deutschen Künstler". Der niederländische Kulturwissenschaftler Johan Huizinga konterte während des Zweiten Weltkriegs: "Man kann Rembrandt nur aus Holland begreifen und Holland aus Rembrandt." Nun ja.

Unstrittig ist: Für das Holland des 21. Jahrhunderts ist Rembrandt nationaler Heiliger und Weltkulturerbe in Personalunion. Man schaut auf zu ihm, druckt seine Nachtwache auf Tassen, gedenkt seines 350. Todestags am 4. Oktober mit einem Rembrandt-Jahr für sich und die Touristen. Jeder Teilaspekt des Werks wird sonderausgestellt, jeder Fetzen Papier als Reliquie verehrt. Nur wie Rembrandt das gemacht hat mit der Seele, wie er etwas Form und Farbe gab, das gestalt- und zeitlos ist, weiß keiner so genau zu sagen. Selbst die klügsten Köpfe fühlen mehr, als dass sie wissen: Die Seele ist bei Rembrandt da. Nur wo?

Die Spur führt ins Gelobte Land, nach Emmaus. "Als er mit ihnen zu Tische saß", heißt es bei Lukas über die Begegnung des Auferstandenen mit zwei Jüngern, "nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen." Als Rembrandt 1629 den Moment der Erkenntnis malt, ist er Anfang zwanzig. Das Selbstbildnis mit Halsberge zeigt ihn im selben Jahr. Um sich männlicher zu machen, posiert Rembrandt in der Rüstung eines Kürassiers. Vergeblich. Er sieht aus wie ein Milchbubi mit Schmalzlocke.

Die Emmaus-Geschichte ist ein beliebtes Motiv. Schon Caravaggio und Rubens malten sie zwei Jahrzehnte zuvor. Doch während Jesus bei Caravaggio und Rubens unterm himmlischen Scheinwerfer in der Mitte des Geschehens hockt – bei Caravaggio mit oberlehrerhaft gerecktem Zeigefinger, bei Rubens mit verdrehten Augen und Leidensmiene – platziert Rembrandt Jesus an den Rand des Bildes. Eine Kerze hinter seinem Kopf beleuchtet spärlich die Silhouette des Erlösers. Lässig zurückgelehnt sitzt Jesus da und ist sichtlich froh, dass es diesmal nicht um ihn geht, sondern um den Jünger gegenüber. Dieser erinnert an Louis de Funès kurz vorm Explodieren: "Nein? Doch! Oh!" Die Augen sind aufgerissen, der Mund ein Strich, dazu Glatze und Gesichtsröte, ein Herzinfarktrisikopatient.

Rembrandts "Emmausmahl" von 1629 feiert die Frömmigkeit des einfachen Daseins. © The Yorck Project/Musée Jacquemart-André Paris




Rembrandt tut alles, um die Szene zu entheiligen: Als wäre nichts geschehen, werkelt im schummrigen Hintergrund eine Dienstmagd in der Küche. Jedem Riss in der Wand wird mehr Aufmerksamkeit gewidmet als dem grobkörnigen Personal des Evangeliums. So als wolle Rembrandt den Betrachter provozieren: "Du siehst keine Menschenseele? Schau richtig hin!" Wie die Persönlichkeit des Jüngers verschwindet hinter der Grimasse des Erschreckens, löst sich Jesus auf in Dunkelheit. Aber deshalb sind Jünger und Messias nicht Staffage. Im Gegenteil: Als Maler liebt Rembrandt dunkle Höhlen, schätzt das Zwielicht mehr als das Licht. Einige Interpreten erklären das mit Prägung in der Kindheit. Stunden und Tage verbringt Rembrandt als Sohn eines reichen Müllers angeblich im dunklen Bauch einer Kornwindmühle. So etwas bleibt nicht folgenlos.
Rembrandt liebt dunkle Höhlen,schätzt das Zwielicht mehr als das Licht.Ist er Mystiker oder liegt es an seiner Kindheitals Sohn eines reichen Müllers aus Leiden?
Eine weitere Möglichkeit: Rembrandt ist Mystiker. Mystiker suchen das Dunkel. So schreibt Dionysius der Kartäuser, ein holländischer Mystiker des 15. Jahrhunderts: "Und eben die allervortrefflichste, unermessliche, unsichtbare Fülle Deines ewigen Lichts wird die göttliche Finsternis genannt, in der, wie man sagt, Du wohnst", o Gott, "der Du die Finsternisse zu Deiner Zuflucht machst." Mystiker glauben, Gott verinnerlichen, ihn verdauen und ihm so ähnlich werden zu können im Diesseits. Von dieser Ähnlichkeit sieht man bei Rembrandt nichts. Der Jünger hat nichts Göttliches. Er ist und bleibt Louis de Funès.

Hier in einer Aufhellung des Schattens ist der Knieende deutlicher zu erkennen

"Schau richtig hin!" – Was auf den ersten Blick aussieht wie die ausgestreckten Beine des Erlösers, ist bei näherer Betrachtung die Silhouette eines Dritten. Wie ein Kind Geborgenheit sucht beim Vater, legt die Silhouette den Kopf in den Schoß des auferstandenen Christus. Wer ist das, was ist das? Der zweite Jünger des Evangeliums oder etwas anders? In seinem Rembrandt-Essay von 1916 schreibt der Soziologe Georg Simmel: Alle "religiösen Bilder, Radierungen, Zeichnungen" Rembrandts "haben nur ein einziges Thema: den religiösen Menschen". Ist der Schatten in Jesu Schoß also die fromme Seele, die sich hinter Louis de Funès versteckt, losgelöst vom Körper und doch vereint mit ihm im Bild?

Ist der Schatten
in Jesu Schoß
also die fromme Seele,
die sich versteckt,
losgelöst vom Körper
und doch vereint mit ihm im Bild?

Vielleicht liefert der Kontext die Antwort. Während Rembrandt das Emmausmahl konzipiert, zerfleischen sich in Deutschland Katholiken und Protestanten im Dreißigjährigen Krieg. Holland ist derweil eine Oase weltanschaulicher Indifferenz. Die Elite ist calvinistisch, große Teile der Bevölkerung katholisch, noch jedenfalls. Dazu kommen Mennoniten, Lutheraner, Juden. Man glaubt und lebt geräuschlos nebeneinanderher.

Nur als Jacobus Arminius an der Universität Leiden Calvins Prädestinationslehre verwirft und die Freiheit des Christenmenschen predigt, kommt es zum Streit: Arminius’ Remonstranten gegen die Contraremonstranten um Franciscus Gomarus.

Am Ende gewinnt Gomarus. Auf der Dordrechter Synode von 1618/19 wird die Lehre des Arminius verurteilt. Ein prominenter Leidener aber bleibt ihr und Arminius treu: Rembrandt Harmenszoon van Rijn.

Dennoch bekennt Rembrandt sich nicht öffentlich zum Remonstrantentum. Er ist angewiesen auf das Wohlwollen seiner calvinistischen Auftraggeber. Allerdings schwört er der Freiheit des Christenmenschen auch nicht ab. Sie findet sich überall in seinen Bildern. Auch im Emmausmahl. Was Rembrandt am religiösen Menschen interessiert, schreibt Simmel, ist die "Frömmigkeit des einfachen Daseins". Diese entziehe sich dem Dogma, der Eindeutigkeit und definiere die Menschen auf eigene Art.

So uneindeutig, widersprüchlich, diffus wie die Frömmigkeit des Alltags ist auch Rembrandts Bild der Seele: Er malt sie, ohne sich ein Bild von ihr zu machen, sie zu fassen, zu definieren. Denn das würde bedeuten, ihr Gewalt anzutun. Stattdessen verlagert er sie ins Niemandsland zwischen Glauben und Wissen, wo der Zweifel wohnt und kein Gesetz. In den Schatten.

Er malt die Seele,
ohne sich ein Bild von ihr zu machen,
sie zu fassen, zu definieren.
Denn das würde bedeuten,
ihr Gewalt anzutun.
Stattdessen verlagert er sie ins Niemandsland
zwischen Glauben und Wissen,
wo der Zweifel wohnt und kein Gesetz.
In den Schatten.

Auszug aus einem Artikel aus der ZEIT Nr. 29/2019 - Christ & Welt

diese detaillierte bild-betrachtung - eine betrachtung im wahrsten sinne des wortes - von raoul löbbert aus der "zeit"-beilage "christ & welt" - ist so fantastisch, dass ich sie hier unbedingt wiedergeben musste. 

ja - rembrandt hat auch einen malausdruck für die "seele" in jedem seiner bilder gefunden - als überzeugter remonstrant konnte er sie überall "verorten" - in der allgegenwart gottes: man findet sie als schatten einer halskrause über den augen bei der leichenobduktion in der "anatomie des dr. tulp", sie kniet in der nachtwache als saskia bzw. an deren gürtel hängend als ungerupftes huhn mit fein ausgearbeiteten klauen, zwischen all den porträts honoriger zahlend abgebilderter bürger einer schützengilde...: die seele - als ein ahnen nur - und ob sie rembrandt da angedeutet hat, wo wir sie heute hineininterpretieren oder doch noch ganz woanders...? 

dazu müssen wir seine werke jetzt im rijksmuseum aufsuchen und dortselbst geradezu detektivisch nach ihr fahnden. die "nachtwache" wird ja zur zeit aufwändig restauriert und untersucht - und wer weiß wieviel "seelen" dabei noch zutage treten ...

sich selbst verdauen

"Und der Tod ist nichts anderes als eine Methode der Schöpfung, sich selbst zu verdauen."

Peter Kümmel (Die Zeit) [click] 
interpretiert Castorfs derzeitige "Galilei"-Inszenierung 
am "Berliner Ensemble" 2019


... Je tiefer Galilei in den Kosmos vordringt, desto genussvoller verkriecht sich allerdings Castorfs Inszenierung im Mikro-Gekröse, in Fäulnis und Verfall. So wie einst eine Figur in einem Roman Milan Kunderas gesagt hat, die Existenz des Kotes, das "Venedig der Scheiße unter unseren Füßen", mache es ihm unmöglich, an Gott zu glauben – so benutzt auch Castorf den Kot als einen Anti-Gottesbeweis, als Zeichen dafür, dass wir allein und nicht zu retten sind. Pompös gesagt:  
Die Scheiße ist das Fundament, auf dem Castorfs Inszenierung, vielleicht auch sein Weltbild ruht. 
Die Pest, die an diesem Abend ihr Werk tut, ist bei Castorf nur eine Spielart des großen Ausscheidungsapparates, in dem wir alle verschwinden. Und der Tod, so verrät sein Ensemble in jeder lüstern-lebensmüden Regung, ist nichts anderes als eine Methode der Schöpfung, sich selbst zu verdauen.
...


Der große Jürgen Holtz in der Rolle des Galileo Galilei © Matthias Horn - see more



aus der klugen rezension der castorf-inszenierung von zeit-autor peter kümmel möchte ich nur auf diesen einen aspekt eingehen: "der tod ist nichts anderes als eine methode der schöpfung, sich selbst zu verdauen."

also der gedanke - der satz - lässt mich innehalten. wir grübeln ja alle - wir alten weißen männer mit den fortschreitenden jahren immer stärker: was das wohl ist, dieser tod: etwas belastendes - oder etwas entlastendes/befreiendes - klumpen wir zusammen - oder entfalten wir uns in neuer diversität und transversalität - zu vielfältigen weisen des beobachtens von vergehen und entstehen... ???

in unseren exkrementen ist unsere
gestalt als ich nicht mehr erkennbar ...
und da kommt mir dieser "abführgedanke" bei castorf bzw. dem rezensenten herrn kümmel etwas abrupt und einfach simpel und "entladend" - fast tatsächlich erleichternd daher: schon assoziativ ist ja so ein haufen "scheiße" eben etwas, was die vielfalt und komplexität des nur im mikroskop erkennbaren tatsächlich "eigen-artigen" mikrobioms in unseren ausscheidungen mit seinen milliarden von klitze-kleinen ureigenen lebewesen nicht ohne weiteres preisgibt ...

wenn also die ewige "schöpfung(!) sich selbst zu verdauen hat" im prozess des ewigen todes, entsteht ja in diesem gedankengang ein gewisser "kreislauf": mit jedem kommen ein gewisses gehen - mit jedem hinführen und einverleiben ein abführen. insofern würde ja jeder tod durch immer neues (oder erneuertes) leben irgendwo und über-all "die waage halten", dessen quintessenz "ein ewiges sein im ständigen nehmen und geben" wäre ...

in der einfachen noch nicht industrialisierten landwirtschaft können wir diesen kreislauf ja noch beobachten: wie der kuhfladen zum dünger wird, auf dem neues grün heransprosst, was nach dem abschlachten 
modellzeichnung eines
perpetuum mobile (nach pinterest.de)
der düngerproduzierenden kuh vom kälbchen wieder aufgenommen wird ... - um erneut - usw. usf. ... ein hamsterrad-phänomen - oder ein "natürliches" perpetuum mobile.


ein persönliches ich ist aus der metaebene betrachtet natürlich nur ein verwechselbares und winziges sandkorn im großen und ganzen - ein massenprodukt - im ständigen kommen und gehen - in ständiger ebbe und flut - hin und her:
und darin läge der nächste erkenntnisgewinn: jede "dualität" ist bestandteil des beide teile zusammenführenden "monismus" - wie sogar jede drei-einigkeit (3-d = drei-dimensionalität) ja letztlich nur die betrachtungsweise ein und derselben einheit ausmacht: beispielsweise in unserer metapher von dem was wir als "gott" oder "allah" oder "brahman" bezeichnen ...
schon in meinem leben bin ich auch im kern "viele" - und doch bin ich eins - "ich" werde mit dem tod aus-scheiden (!) oder aus-geschieden aus diesem jetzt und diesem so-sein - aber die lücke meines hinscheidens füllt sich "anderweitig" im selben moment wieder auf: ein vakuum in diesem kreislauf kann und wird es nie geben ... 
[übrigens: ist ja die ähnlichkeit im sprachduktus bei (hin)"scheiden" und aus-"scheidung" und "scheiße" durchaus frappant. "der begriff geht auf das indogermanische Wort *skei-d = „spalten“, „trennen“ zurück" (wiki)]

dieser gedankengang insgesamt ist also nicht bloße abfällig primitive koprophilie und blasphemie, sondern hat auch etwas wesentlich tröstliches in sich - für mich jedenfalls ...

und irgendwie korrespondiert in meinem empfinden eine geschichte aus einem post  - einem "märchen" - von 2012 mit diesen grundsätzlichen "erkenntnissen" - aber urteile selbst: 

traummühle im sinedi-modell
Die Traummühle 

Die besten Einfälle habe ich immer zwischen Traum & Tag: beim Aufwachen ... Heute kam mir in den Sinn, dass nachts eine imaginäre Traummühle die Träume zusammenstellt und zusammenbröselt: 

Gefiltert durch einen indianischen Traumfänger ergießt sich von oben eine Auswahl von Sequenzen - oft auch numinosen Ursprungs - aus unserem bisherigen derzeitigen Leben und aus zurückliegenden Inkarnationskombinationen - sowie aus dem unerschöpflichen kollektiven Unbewussten des Menschseins überhaupt ...  

Und vor dessem geistigen Auge entstehen dann in der Nacht - zumeist während der REM-Schlafphase (REM = engl. Rapid Eye Movement; auch paradoxer Schlaf oder desynchronisierter Schlaf) diese Traumfilme und -szenen aus all den Beigaben - je nach Dosierung der einzelnen Sequenz- und Handlungszutaten - aber oft auch sogar tagsüber - in den sogenannten "Tagträumen" - erobern sie sich als Traumfetzen einen Platz im Focus des inneren Sehens und Denkens ...  sinedi 2012