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"ecce homo" - siehe, ein mensch...

Ecce Homo, 1871 - Antonio Ciseri (1821-91) - Öl auf Leinwand
Betr.: Doppel-Literatur-Nobelpreise





Die Stock­hol­mer Jury mag sich er­neu­ert ha­ben und ge­läu­tert, sie mag trans­pa­ren­ter auf­tre­ten, so­gar jün­ger ge­wor­den sein – in ei­nem ist auch beim neu­en Li­te­ra­tur­no­bel­preis al­les beim Al­ten: Wer auch im­mer die Aus­zeich­nung be­kommt, eine Preis­trä­ge­rin, ei­nen Preis­trä­ger ohne Schwä­chen kann es nicht ge­ben. Ent­spre­chend ge­spal­ten war das Echo in den di­gi­ta­len Netz­wer­ken.

Das ist viel­leicht die ent­schei­den­de Er­kennt­nis, die die­se bei­den ers­ten Li­te­ra­tur­no­bel­prei­se nach der Kri­se der Aka­de­mie ver­mit­teln: Die Zeit der Dich­ter­fürs­ten ist ab­ge­lau­fen. Schrift­stel­ler sind kei­ne Göt­ter. Den un­strit­tig alle über­ra­gen­den Au­tor gibt es nicht.

aus: "Abschied von den Göttern - Umstrittene Literaturnobelpreise für Handke und Tokarczuk" - spiegel+ v. 11.10.2019 


ja - das ist erleichternd aber auch bedrückend zugleich: das auch die nobelpreis-stars - hier also der literatur von 2018 und 2019: olga tokarczuk und peter handke - ihre jeweiligen "brüche" mit sich herumschleppen oder in sich tragen.

bei tokarczuk ist es angeblich ihr begrenztes sprachausdrucksvermögen, wie es ihre übersetzerin ins deutsche, die schriftstellerkollegin esther kinsky, wahrzunehmen scheint: "ihre stärke ist nicht die sprache", meint sie anmerken zu müssen - vielmehr sei ein "esoterischer feminismus" ihr ding, der ihr in polen und anderswo viele anhängerinnen beschert hat. und das "deutsche polen institut" verortet sie in die nähe des gigantisch geheimnisumwobenen mystisch-mythischen psychonalytikers c.g. jung, von dessen überlegungen und nischenbildungen sie "inspiriert" würde, wie sie selbst betont.

ja - und handke trägt ja als "bruch" trotz all seiner genialen sprach- und betrachtungsakrobatik seinen milosevic-spleen mit sich herum: seine serbien-affinität, besonders auch während des balkan-kriegs, in die er sich völlig verrannt hat. er soll außerdem eine lebensgefährtin geschlagen und getreten haben, einen unliebsamen interviewer angegangen sein - und soll sich nicht immer unter kontrolle haben, wenn er in frage gestellt wird, bei aller ruhiger naturbetrachtung, die er ansonsten gern heraushängen lässt.

aber so ist das mit den "brüchen", eben jener kehrseite jeweils der medaille: emil nolde ist deutschlands bekanntester und wirkmächtig-meisterlich buntester expressionist, aber er dient sich wahrscheinlich auch aus purem geschäftssinn über die maße dem ns-regime an und tritt als grenzbewohner in einen zweig der nsdap im deutsch-dänischen nordschleswig ein. inwieweit er nun tatsächlich auch innerlich ein durch und durch "überzeugter" nazi war oder es doch in erster linie um seine kunstmarkt-verkaufschancen in jener zeit dabei ging, hat er uns ja nicht zweifelsfrei offenbart - wohl aber, wie er pünktlich nach kriegsende am ende des nazi-spuks sein dortiges engagement vehement verleugnete und mit dem mantel des schweigens zudecken oder gar ins gegenteil verkehren wollte, was ihm auch mit unterstützung zunächst gelang.

zwar hat die bundeskanzlerin nolde nun aus ihrem büro wegen der erst jetzt so richtig öffentlich gewordenen ns-verquickungen abhängen lassen und für immer verbannt - aber sie besucht wie selbstverständlich mitsamt der angeblich großen deutschen (finanz)"elite" regelmäßig die wagner-festspiele jährlich in bayreuth, wo auch ein adolf hitler seinerzeit regelmäßig ein gern gesehener gast manchmal sogar ohne uniform und im festanzug war - und vielleicht sitzt frau merkel heute auf einem ähnlich günstigen platz bei den stundenlangen aufführungen wie er damals - der wagner-clan des komponisten insgesamt wenigstens war damals eindeutig und verbrieft pro-nationalsozialistisch...

aber: ich bin inzwischen davon überzeugt - desto älter ich werde - dass in jeder biographie bei objektiver "belichtung" und "durchleuchtung" solche oder ähnliche brüche auszumachen sind. und das ist auch dem jeweiligen "zeitgeist" natürlich geschuldet, der sich mit den nachfolgenden generationen jeweils ändert - und dann im nachhinein heutzutage vielleicht von algorithmen aber auch von historikern und soziologen anders bewertet und verdeutet werden kann - oft genug sogar diametral entgegengesetzt.

beispielsweise standen die eugeniker und rassenhygieniker der zwanziger bis fünfziger jahre des letzten jahrhunderts nach eigener überzeugung auf der damals "modernsten" und wissenschaftlich fortschrittlichsten stufe der menschlichen entwicklung und forschung überhaupt - und das nicht etwa nur in ns-deutschland, sondern weltweit gleichermaßen... - und erst heutige genetische mikrountersuchungen lassen den schluss zu, dass man überhaupt keine durchgängige verschiedenheit menschlicher "rassen" in statur und hautfarbe etc. ausmachen kann.

streng biologisch heißt es jetzt in der "jenaer erklärung" im september 2019: »Es gibt im menschlichen Genom unter den 3,2 Milliarden Basenpaaren keinen einzigen fixierten Unterschied, der zum Beispiel Afrikaner von Nicht-Afrikanern trennt. Es gibt – um es explizit zu sagen – somit nicht nur kein einziges Gen, welches ›rassische‹ Unterschiede begründet, sondern noch nicht mal ein einziges Basenpaar.«

diese Erklärung, so genau sie wissenschaftlich argumentiert, ist vor allem ein politisches zeichen: ein signal an eine gesellschaft, in der rassistisches gedankengut in den vergangenen jahren immer weiter in die mitte gerückt ist. - und inzwischen verortet die einschlägige wissenschaft eine individuell ausgeprägte persönlichkeitsbildende prägekraft den spiegelneuronen mit der transgenerationalen emotionalen "vererbung" durch (traumatische) familienereignisse und durch die jeweiligen reaktionen der bezugspersonen.  

der schon oben erwähnte c.g. jung nannte diese phänomene der immer mitschwingenden und einhergehenden "dunklen" und "entgegengesetzten" unbewussten persönlichkeitsanteile den (noch) nicht integrierten und einverleibten "schatten". dieser schatten enthält nach jung die anteile, die seinem positiven  und naiv-einfach eingebildeten und nach außen projizierten selbstbild und seiner so der umwelt vorgegaukelten 'theatermaske' (die bei jung "persona" heißt) entgegenstehen. des schattens dunkle seite – vom ich-bewusstsein aus gesehen – umfasst auch seine unbewusstheit, und außer 'bösem' können aus dem schatten auch positive impulse bei geglückter motivierender bewusstmachung und integration erwachsen. 

der schatten umfasst also nach jung un- oder teilbewusste persönlichkeitsanteile, die häufig verdrängt oder verleugnet werden, weil sie dem nach außen vorgetäuschten vorstellungsbild des ichbewusstseins von sich selbst entgegenstehen. 

folglich gehören zum kompletten umfassenden persönlichkeitsbild alle 'licht'- und 'schatten'-seiten: also immer die jeweils vorgegaukelte und gelebte "schokalenseite" mit all den oftmals entgegengesetzten bruchstücken und brüchen aus dem verborgenen. 

derzeitig suchen ja die medien und #me-too-aktivist(inn)en wie wild gerade bei prominenten, die sich für eine besonders hehre sache einsetzen oder die als mann irgendwie auffällig und übergriffig wurden  - wie z.b. eben auch auch bei handke aber auch bei greta thunberg - flugs diese "brüche" und "unpassenden" anteile auf - und dann steigert das die leser- und publicity-clicks und die verkaufte auflage, wenn man dann solche brüche "entlarvt" und sich daran hochzieht.

jesus sagte den männern, die die ehebrecherin steinigen wollten: "wer von euch ohne sünde (ohne irgendeinen "bruch") ist, der werfe den ersten stein auf sie. und da ließen diese moralischen "rächer" ihre pflastersteine fallen und trollten sich... - einer nach dem anderen... 

das all zusammenfassende resultat lautet dazu in den meisten fällen bei solchen "aufklärerischen" und bloßstellenden unternehmungen - wie schon vor 2000 jahren bei pontius pilatus nach dem "verhör" des vor ihm stehenden geschundenen jesus von nazareth: "ecce homo" - siehe, ein mensch...



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