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erinnerungsarbeit durch und durch

Kriege und ihre Folgen werden im TAMdrei im interkulturellen Stück durch die Intensität der Darstellung sehr präsent. 
Foto: Tim Ilskens/Theater - NW u. WB




Das Recht auf Erinnerung

Parallele Welten im TAM-drei: Heldentaten oder Verbrechen?

Von Burgit Hörttrich | WB

Wieso hatte der Großvater keine Freude daran, mit den Enkeln zu spielen? „Das kommt vom Krieg“, sagt die Großmutter. Ist der Onkel ein Held, weil sein Name irgendwo in einem Dorf im Kosovo auf einem Kriegerdenkmal steht? Die Großmutter erzählt von den Haustieren und von selbst gestrickten Socken, wenn es um die Vertreibung aus der Heimat geht. Oder sie erzählen gar nichts vom Krieg, die Verwandten.

Gibt es ein Recht darauf, zu erfahren, was Eltern, Großeltern, Onkel, Cousins im Krieg erlebt haben? Dieser Frage sind 16 Bielefelder zwischen 17 und 56 Jahren mit kurdischen, türkischen, kosovarischen, deutschen, serbischen, bosniakischen, ägyptischen, italienischen, syrischen und russischen Wurzeln seit mehr als einem Jahr nachgegangen. Gemeinsam mit Schauspieler Omar El-Saeidi und Theaterpädagogin Martina Breinlinger haben sie daraus ein Stück gemacht. „Krieg.Erinnern“ wurde bei der Premiere im TAM-drei gefeiert – nach minutenlangem, betroffenem Schweigen.

Familienfotos von „früher“, angefangen vom Ersten Weltkrieg, aber auch Alltagsszenen aus vermeintlich glücklichen Zeiten, sind Anknüpfungspunkte für Fragen, um Geschichten zu erzählen, Erinnerungen auszutauschen. Durchaus lustige Geschichten, aber auch solche Fragmente, bei denen der Erzähler mitunter nicht so recht weiß, ob er das, was er da erzählt, selbst erlebt hat, gehört hat, es seiner Fantasie entspringt. Buchstäblich laufend, suchen die Protagonisten nach Wahrheit. Oder doch nach Antworten. Denn die, die sie mitunter bekommen, passen nicht so recht ins Weltbild.

Berichtet wird auch von Kriegen, die in der Allgemeinheit längst in Vergessenheit geraten sind, bei den Betroffenen aber tiefe Narben hinterlassen haben. Die einen wollen reden, jedes Detail ausbreiten, die anderen am liebsten vergessen, nicht „darüber“ sprechen. Darüber zum Beispiel, dass der Großvater im Konzentrationslager gearbeitet hat, darüber, dass man ja nichts gewusst hat. Es gibt Geschichten von Versöhnung. Oder zumindest Versöhnungsversuchen.

Da ist die Sorge, dass die erlebte Erinnerung mit Tätern und Opfern stirbt, dass nur noch Bücher und Fotos, Erzählungen aus dritter, vierter Hand zurück bleiben. Das seien dann „Momentaufnahmen, die kalt werden“. Die Stück-Collage schildert bewegend emotionale Berg- und Talfahrten, wenn Angehörige befragt werden, die Skrupel, die eigenen Verwandten zu „verhören“ und auch die Angst davor, Dinge zu erfahren, die man gar nicht wissen wollte, die nichts ins eigene Denkmuster passen.

Die Mitwirkenden Mohammad Alhammadi, Derya Bal, Edda Barteit, Luca Buxel, Marwan El Sayed, Merisa Ferati, Canip Gündogdu, Daniel Heinrih, Khani Hussein, Delia Kornelsen, Giacomo Monaca, Gaye Mutluay, Ingo Nie, Demokrat Ramadani, Baris Solmaz und Ayhan Turan spielten mit großen Engagement. Sie waren sie selbst und auch wieder andere, deren Schicksale ihnen sichtbar nahe ging.

Die Projektreihe Parallele Welten mit Laien und Künstlern des Theaters gibt es bereits seit 2012 - und erzeugt große Aufmerksamkeit. So wurde 2015 das Stück „Ehrlos“ für das Welt-Amateur-Theatertreffen in Monaco nominiert und zum Theatertreffen der Jugend eingeladen.

„Krieg.Erinnern“ ist zu sehen am 10., 12. und 13. Dezember im TAM-drei

WESTFALEN-BLATT | Montag, 9. Dezember 2019 | Seite 12: Bielefelder Kultur



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Kriege und der Blick zurück

Wie ist das mit den Erinnerungen? Welche Rechte hat man an denen der vorherigen Generationen? Und wenn sie sich erinnern, sind diese dann wahr? Oder sind sie nicht vielmehr immer subjektiv und selektiv?

Von Christiane Buuck | NW

„Krieg. Erinnern“ lautet der Titel des aktuelles Stücks in der Projektreihe „Parallele Welten“ des Theaters Bielefeld. Ein Jahr lang haben die Mitspieler zwischen 17 und 62 Jahren unterschiedlichster Herkunft mit Menschen aus verschiedenen Ländern gearbeitet, deren Erinnerungen aufgeschrieben und szenisch umgesetzt. Dabei ging es um die zentrale Frage, wie subjektiv und selektiv Erinnerungen sind. Können sie wirklich die Wahrheit abbilden?

Unter der Leitung von Theaterpädagogin Martina Breinlinger und Schauspieler Omar El-Saeidi hatten sich die Mitspieler mit kurdischen, türkischen, kosovarischen, serbischen, ägyptischen, italienischen, syrischen, russischen und deutschen Wurzeln ein Jahr lang mit diesen Fragen auseinandergesetzt und sie szenisch umgesetzt.

Bei der Premiere am Samstag im TAMdrei hatte die Aufführung bereits begonnen, als die Zuschauer sich ihre Plätze suchen. Auf dem Boden sitzend schauen sich die Spieler alte Familienfotos an und unterhalten sich darüber. Die Familien der Spieler sind größtenteils Opfer eines Krieges. Ein Teil ihres Lebens, an das sie bisher nicht erinnert werden wollten, wurde von ihren Kindern hinterfragt. Kriege und deren Folgen werden durch die Schilderungen sehr präsent in dem kleinen Theaterraum, die Barriere zwischen Darstellern und Zuschauern verschwimmt. Diese Nähe wirkt so manches Mal – insbesondere für die erste Reihe – fast beängstigend und bei der Bewegungs- und Gefühlsintensität, mit der die Darsteller präsent sind, berührt und entsetzt der Inhalt des Vorgetragenen das Publikum. Das Erlebte, die Ängste und das Grauen der Kriege bekommen Gesichter. Die Zuschauer verfolgen Diskussionen um Fragen wie „Was bedeutet es, Pazifist zu sein?“, „Was ist wahr?“ und nicht zuletzt auch die Frage nach der Schuld. In einer Clown-Maske setzt Canip Gündogdu dem entgegen: „Ich will nicht von Dingen sprechen, von denen ich keine Ahnung habe.“ Aber wie bildet man sich eine eigene Meinung, da doch Gedanken und Gefühle von Kindheit an gelenkt werden – im Elternhaus oder auch von den Medien ?

Nach der Premiere sind alle erleichtert, Mohammad Alhammadi gibt zu, große Angst vor dem Auftritt gehabt zu haben, doch: „Ich will, dass die Kriege aufhören!“ Alle haben Mut bewiesen und Großartiges geleistet an diesem Abend, gerade, weil sie auch ganz viel von sich selbst Preis gegeben haben. Die Zuschauer waren mehr als nachdenklich – dieses Stück, so grandios es auch ist, ist schwere Kost und wirkt noch sehr lange nach.

NEUE WESTFÄLISCHE | Dienstag 10. Dezember 2019 | S. 19: Lokales Bielefeld 

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genau die hier sich offenbarenden fragen und antworten und  wirklichkeiten und behauptungen und auch das eiserne beschweigen mancher zeugen, denen es die sprache verschlagen hat - das sind die themen einer zeitgemäßen erinnerungs- und gedenkkultur, so wie sie - vielleicht auch durch aktives rollenspiel - einer jungen generation vermittelt werden können, wenn die zeitzeugen selbst allmählich die bühne verlassen.

damit lässt sich dann in szene setzen, was jetzt auch noch von den traumatisierten selbst oder eben auch von kindern, enkeln und urenkeln und neffen und großnichten er-innert wird.

schon das wort er-innern - ist für mich jedenfalls die physische umkehrung des verinnerlichens - also sousagen die "schluckauf"- und "aufstoß"-variante verinnerlichter geschehnisse, die selbst erlebt oder durch verbale und auch nonverbale überkommene erzählungen in uns herumschwirren - und die sich "gehör" und "wahrnehmung" verschaffen wollen.

denn sie sind für alle menschen, egal welcher religiöser wurzeln, staatsangehörigkeit und hautfarbe und welchen geschlechts, egal welchen alters oder welcher sexueller orientierung, profilierende und beeinflussende fakten, die ein "lebenslänglich" in irgendeiner weise prägen.
Magnetresonanztomographie-
Aufnahmen eines menschlichen 
Gehirns

und damit das "herumschwirren" in uns, auf welcher art auch immer, nicht "überhand" nimmt und pathologische nuancen ausbildet, sollten wir das, was nach außen drängt, auch nicht einfach quasi "unverdaut" wieder herunterschlucken, sondern "ausspucken" im weitesten sinne: wir sollten uns endlich mal "um kopf & kragen reden", die "seele aus dem leib" reden, ja uns mal "auskotzen", sollten einfach losstammeln und das ausdrücken, was wir da vom uropa wissen, oder von der tante, oder was wir an mitteilungshemmnissen an der eigenen mutter beobachten können oder konnten.

das sind die spuren, die in jedem von uns gelegt sind - und die uns - direkt und indirekt - berühren und betreffen - von denen wir abhängig sind.

und solche "improvisations"-elemente auf den tatsächlichen "brettern, die die welt bedeuten", also im profesionellen theater, sollten vielleicht auch in schul-kursen und laienspielgruppen unter dieser prämisse ergründet, erarbeitet, dargestellt - und so zum allgemeinen erhaltenswerten kulturgut werden, da wo er-innerung "hautnah" gelebt und ausgelebt werden kann, damit sie tatsächlich verinnerlicht, integriert und zum gesunden bestandteil des ich wird.

es sind quasi stolpersteine, vor denen man nicht stutzt, um sie zu lesen - sondern innerlich gelegt, um genauso innerlich und tatsächlich im miteinander drüber zu stolpern...


jugendvolxtheater bethel in dem stück "ich will leben", 2018

noch ein beispiel dazu siehst du auch hier...

erde zu erde - asche zu asche - staub zu staub (update: inzwischen "bedauert" das zps die aktion)))

Die Stele ist erstmal nur bis Samstag genehmigt. © SOPHIE KRATZER | Tagesspiegel




Holocaust-Asche vor dem Reichstag 

Das Mahnmal des Zentrums für Politische Schönheit ist drastisch - und notwendig

Von Patrick Wildermann | Tagesspiegel



Winston Churchill hat seinem Sohn mal eine ziemlich bedenkenswerte Lektion mitgegeben: „Lerne, so viel du kannst, aus der Geschichte – denn wie sonst könntest du wissen, was in der Zukunft passiert?“

Für das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) war dieser Satz schon immer die Schlüssel-Maxime im Guerilla-Handbuch für den engagierten Aktionskünstler.

Aus gutem Grund. Wer würde bestreiten wollen, dass das Lernen aus der Vergangenheit eine neue Dringlichkeit besitzt in Zeiten, in denen ehemalige Geschichtslehrer wie Björn Höcke angetreten sind, um genau das zu verhindern?

Die Gruppe um Philipp Ruch hat jetzt eine neue Aktion gestartet. Sie hat sich auf die Spuren der Opfer Hitlerdeutschlands begeben und dabei einen über 75 Jahre alten Auftrag verwirklicht.
„Teurer Finder, suche überall, auf jedem Zollbreit Erde. Suchet in der Asche. Die haben wir verstreut, damit die Welt sachliche Beweisstücke von Millionen von Menschen finden kann“. So wird der in Auschwitz ermordete Salmen Gradowski zitiert.

An 23 Orten in Deutschland, Polen und der Ukraine wurden über 200 Proben entnommen, erklärt das ZPS in seiner Pressemitteilung, und Knochenreste in „allen erdenklichen Körnungsgrößen“ gefunden. Sie wurden zusammengetragen und nun zum Mahnmal im Regierungsviertel gebracht, einer Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Krolloper.

Dort also, wo mit dem Ermächtigungsgesetz der Zusammenbruch der Demokratie besiegelt wurde – gegen die Stimmen der SPD, die von Hitler als „wehleidig“ verhöhnt wurde, aber mit Unterstützung der bürgerlichen Parteien.

Mit dem neuen Mahnmal (offiziell nur bis zum kommenden Samstag genehmigt) will das ZPS an eben diesen Verrat, dieses fatale Steigbügel-Halten erinnern.

„Feste Besuchstermine für alle Abgeordneten der Union im Bundestag sind festgelegt“, heißt es.

Wie bei jeder Aktion des ZPS – sei es der Bau eines Holocaust-Mahnmals vor Björn Höckes Haus oder die Errichtung einer römischen Arena für Tiger und Geflüchtete vor dem Gorki Theater – werden Bedenkenträger sich getriggert fühlen, werden auf den Nebenschauplätzen die kopfschüttelnden Chöre aufmarschieren und ihre alten „Darf man das?“- und „Ist das echt?“-Lieder singen.

Eins der Prinzipien des ZPS ist es ja, mit Wirklichkeit zu verstören, wo alle Fiktion erwarten. Die Beisetzung von Mittelmeer-Toten im Herzen von Berlin zum Beispiel – kann das mehr sein als ein theatraler Akt?

Diese Erregungsstürme an den Peripherien des Eigentlichen sind natürlich gewollt, das Spektakel ist Teil einer Inszenierung, die Scheinwerfer auf reale Verhältnisse richtet. Und dennoch sollte man beim ZPS nicht den gleichen Fehler wie etwa bei Schlingensief begehen – nur auf die Pose zu schauen, um sich mit dem Inhalt nicht auseinandersetzen zu müssen.

Der Sorge, dass es zu einer neuen Handreichung zwischen Konservativen und äußersten Rechten kommen könnte, hat Philipp Ruch unlängst schon in seinem Buch „Schluss mit der Geduld“ Ausdruck verliehen.

Da wagt er das Gedankenexperiment einer Haselnuss-Koalition, schwarz-braun also, in der die völkische AfD-Fraktion unter CDU-Führung ein Superministerium aus Innerem und Verteidigung übernimmt. Hoffentlich nur Fiktion.

In Thüringen gab es ja bekanntlich erste CDU-Stimmen, die sich ein Zusammenmarschieren gut hätten vorstellen können.

Die „Widerstandssäule“ des ZPS im Regierungsviertel, der Aufruf, dort am kommenden Samstag (7.12., 15 Uhr) einen „zivilgesellschaftlichen Zapfenstreich gegen die AfD“ zu veranstalten, sind vor diesem Hintergrund einmal mehr Einladungen, Kunst als Wirkmacht zu begreifen.

Sie kann in einem Klima helfen, in dem die politischen Talkshows versagen und sich ein seltsamer Mehltau über die Debatte gelegt hat, wie ein Zusammenleben als Zivilgesellschaft künftig ausschauen könnte.





Zur Aktion „Sucht nach uns“ (www.sucht-uns.de) gibt das ZPS auch ein Buch heraus, „An die Nachtwelt“ betitelt. Es versammelt die letzten Botschaften von Ermordeten, außerdem einen wissenschaftlichen Aufsatz über die „Wege der Asche“. Traurig, aber wahr: wo verschüttet werden soll, ist das Lernen aus der Geschichte eine Aufgabe für Archäologen geworden.


Das ZPS hat eine Stele mit vermeintlicher Asche von NS-Opfern vor den Reichstag gestellt. Foto: Christophe Gateau | Tagesspiegel


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da haben wir uns ja in mehreren der letzten beiträge hier im blog gedanken gemacht, wie heutzutage zeitgemäß ein gedenken und erinnern an die ns-mordopfer aussehen könnte, ohne in die nähe von "verkitschungen" zu kommen oder von seelenlosen "reflexritualen" an irgendwelchen vom kalender vorgegebenen terminen - wo dann ein streichquartett traurige ernste weisen intoniert und die sprecher mit tremolo in der stimme und tränen im auge mit blick auf die tv-kameras "eindringlich" immer und immer wieder "gedenken".

diese rituale sind für das seelenheil eines täter- und gleichzeitig auch opfervolkes sicherlich zur orientierung der emotionalen befindlichkeit unabdingbar, auch um einfach in dieser schnelllebigen zeit in erinnerung zu behalten für ganz jung bis ganz alt: "da war doch was"... - und von dem, was da war, waren ganze generationen der vorfahren mit betroffen - eben als täter - und eben auch als opfer - und das manchmal sogar innerhalb der gleichen familie. 

und "rechts"-politisch rumort es hier ja bereits erneut im grunde - und da wird wieder von "umvolkung" gesprochen - und das nazi-regime von einem gewählten bundestags-abgeordneten als vogelschiss in der geschichte deutschlands bezeichnet: ein vogelschiss also - der soviel unvorstellbares leid und millionenfache morde der schwachen und der "andersartigen" landsleute mit sich gebracht hat.

da kommt ja diese irgendwie "eigenwillige" und "unorthodoxe" aktion des "zentrums für politische schönheit" vielleicht gerade zur rechten zeit, mit dieser beispiellosen aktionskunst auch ein neues aufmerksammachen in den etwas abgeschliffenen ausgelatschten erinnerungs- und gedenkpfaden.

da geht das "zps" mit seinen aktionen ja schon früher immer in die vollen: betonstelen als minigedenkfeld auf dem nachbargrundstück von herrn höcke - die beisetzung von flüchtlings-mittelmeeropfern vor dem reichstag - und jetzt also die ausgebohrten und ausgebuddelten längst verrotteten überreste von holocaust-opfern aus 23 verschiedenen vernichtungslagern.

ja - da wird vor lauter "pietät" nicht lange herumgefackelt, sondern da werden ideen entwickelt, die wirklich ins gemüt gehen und auch provozieren sollen und das "eigentliche" neu in den focus nimmt, so wie das ja auch die unsägliche lea rosh empfindet.

und wie in dem beitrag zur "verkitschung" der gedenkkultur schon angesprochen, tanzt das "zps" da tatsächlich mit solchen aktionen auf dem ganz schmalen grat zwischen einer echten bezeugten verneigung vor den opfern - und auf der anderen seite einer sensations- und publicityheischenden unbotmäßigen "leichenfledderei"-show. mir wird dabei die ernsthafte trennung zwischen echtem anliegen und den fast immer einhergehenden etwas makaberen anteilen an "spaß-faktor" bei aller "künstlerischer freiheit" nicht immer klar. aber da empfindet die "kunst" der jüngeren zps-initiatoren vielleicht emotional anders als ich.

ich weiß aber auch nicht, inwieweit so etwas mit den geboten der jüdischen totenruhe in einklang zu bringen ist. ich weiß aber, dass eben die prominente fürsprecherin des großen stelenfeldes, lea rosh, einmal einen gefundenen backenzahn vom gelände des vernichtungslagers sobibor nachträglich bestatten ließ, weil es da massive kritik an ihrem umgang mit diesem relikt von seiten der jüdischen gemeinde gegeben hat. frau rosh wollte damals nämlich den zahn einer der betonstelen feierlich beigeben. aber ein solch christlicher reliquienkult sieht das judentum nicht vor. und ich finde, da ist die jetzige zps-stele mit knochenstaub ja nicht von diesem damaligen ansinnen der frau rosh ganz weit entfernt. 

und das alles hat die zps auch noch verbunden mit dem aufruf zur "weihnachts"-spende, um diese neue stele vor dem reichstag mit der vermeintlichen asche von den ns-opfern, nach der man wie die archäologie regelrecht mit schwerem gerät fahndete nach der derzeitigen probeaufstellung dann auch fest für immer zu installieren. 

also - ganz ehrlich - obwohl ich ja für neue wege des erinnerns und gedenkens immer offen sein möchte: fällt es mir verdammt schwer, meine empfindungsfrequenz vom "gängigen" ns-opfergedenken mit dem mir eingepflanzten ritualerwarten hier jetzt ganz neu auf eine themenbezogene aktionskunst-performance zu kalibrieren, die gedenken auslöst, indem sie  - nach meinem empfinden - das vielleicht zu sehr zudeckende und abschottende stelenfeld nebenan neben dem brandenburger tor nun quasi mit dieser gläsernen stele "nach außen" krempelt.

"künstlerisch" mag das ja "herausragend" und "phänomenal" sein - und vielleicht werde ich auch nur alt - aber es löst in mir wenigstens kein opfer-mitempfinden und keine nachtrauer aus - nur sensationsgier - ja - und dann abscheu - es ist für mich einfach ein zu sehr gezirkelter "klamauk".

und die richtungen, die eine zeitgemäße und durchaus auch überraschende gedenk- und erinnerungskultur beinhalten kann, sind für mich beispielsweise die stummen längen im "shoah"-dokumentar- und interview-film von claude lanzmann damals. oder auch das hallende eisentürklappen im "felix-nussbaum-haus" in osnabrück und die dortigen nackten betonwände: ein asymmetrisches, dramatisches ensemble, ganz nachempfunden der biografie des künstlers nussbaum, der in auschwitz ermordet wurde. auf den gängen und rampen dieses museumsbaus geht es beschwerlich aufwärts oder unausweichlich bergab. schmale schlitze lassen tageslicht zwar hinein, doch hinausblicken kann man nicht - und wenn, dann ist auch dieser blick blockiert. ausweglose empfindungen, die der architekt daniel libeskind bewusst mit "eingebaut" hat.

oder in einem beitrag las ich davon, dass der polnische historiker robert traba als beispiel gegen eine "verkitschung" des holocaust-gedenkens eine tonaufnahme aus dem vernichtungslager kulmhof/chelmno abspielt: nichts ist da zu hören als der wind, der über die weite, öde fläche der gedenkstätte weht...

aber auch die theater-sequenzen zu einzelnen opfer-schicksalen in schüler- und jugendtheatern und ihre dokumentarischen und emotionalen photo-/video-/audio-workshops im aufspüren der deportationswege bis in die vernichtungslager sind hervorragende erinnerungs- und gedenkanstöße, wobei durch "mittun" das ganze geschehen auch tatsächlich durch den körper geht - und nicht nur im kopf verbleibt, der rasch wieder vergisst und vielleicht im moment unkonzentriert oder abgelenkt ist.

ja - aber jeder mensch soll gedenken dürfen "nach seiner facon": der eine so - der andere so...
u p d a t e vom 4.12.2019:

  • inzwischen rudert das zps zurück: stellungnahme click here 

holocaust-gedenken auf instagram: "eva stories" . upgrade



Ihre Geschichte ist echt. Ihr Profil ist es nicht. Der Account auf Instagram im Namen von Éva Heyman will die Erlebnisse der 13‐jährigen Jüdin aus Ungarn nacherzählen, die von den Nazis ermordet wurde – von dem, was das Mädchen vor dem Einmarsch der Deutschen 1944 beschäftigte, über den Zwangsumzug ins Ghetto bis zum Abtransport nach Auschwitz, wo sie vergast wurde. Ihr Leben von damals in den Medien von heute. So wird es als »Story« mit kurzen Videos, Bildern und Textausschnitten dargestellt, die nach und nach eingestellt werden sollen. Die erste ging am Jom Haschoa online.

»In Erinnerung an die sechs Millionen Juden, die im Holocaust ermordet wurden«, steht unter dem Foto von »eva.stories«, das ein junges Mädchen mit blauem Mantel und Mütze im Stil der 40er‐Jahre zeigt. Es ist eine Schauspielerin. Hinter der Aktion stehen der israelische Hightech‐Unternehmer Mati Kochavi und seine Tochter Maya, die das private Projekt ins Leben gerufen haben. Sie wollen den Holocaust für die jüngere Generation zugänglich machen – in ihrer Sprache, auf ihren Medien. Laut der Wirtschaftszeitung »Globes« ist Kochavi mit dem Medienunternehmen »Taya Media Group« verbunden. Der von ihnen gegründete Fonds für »neue israelische Inhalte« steht hinter »eva.stories«.

TAGEBUCH Das Tagebuch von Éva gibt es tatsächlich. The Diary of Éva Heyman ist als Buch veröffentlicht worden und erzählt die Gefühle und Gedanken des Mädchens in dieser schweren Zeit, doch auch ihren unbeschwerten Alltag mit der Familie und Freunden, erste Gefühle von Verliebtheit. Ihre Mutter, die die Schoa überlebt hatte, fand das Tagebuch nach Kriegsende in dem einstigen Wohnhaus. Kochavi will es durch das Projekt lebendig machen und »eine Möglichkeit schaffen, die wahre Geschichte eines jüdischen Mädchens, das den Holocaust durchlitt, durch Storys nachzuerzählen. Millionen in aller Welt können Éva folgen und ihr Leben miterleben«. Das tun auch berühmte Israelis, unter anderem Fernsehmoderator Guy Pines, Model Agam Rodberg und Musiker Ran Dankner.

Kochavi drehte 
in der Ukraine 
mit Hunderten 
von Schauspielern und Statisten.

Tage, bevor der erste Eintrag hochgeladen wurde, hatte »eva.stories« bereits mehr als 134.000 Follower. Stündlich kamen Tausende hinzu. Für eine Seite ohne Inhalte ein massiver Erfolg. Eine Hand, die hinter Stacheldraht hervorragt und ein Mobiltelefon hält, ist das Logo des Projekts. Die Frage »Was wäre, wenn ein Mädchen im Holocaust Instagram gehabt hätte?« prangt an großen Kreuzungen im ganzen Land auf Plakaten. In den knalligen Farben Lila, Rot und Gelb sind sie nicht zu übersehen und fordern dazu auf: »Follow @eva.stories«.

Kosten und Mühen hat Kochavi für die Produktion keine gescheut. Er drehte monatelang in Lwiw in der Ukraine mit Hunderten von Schauspielern, Statisten und Filmleuten, organisierte Panzer, Fahrzeuge, Kleidung, Uniformen, Möbel, Kunstwerke, Dekorationen und vieles andere aus vergangener Zeit. Gefilmt wurde aus dem Blickwinkel des Selfies, die Videos passen ins Handy‐Format, wo Instagram fast ausschließlich aufgerufen wird.

LIKES Doch nicht alle nehmen Kochavi die ausschließlich hehren Absichten ab. Zuf Fatissi aus Tel Aviv, der durch die Plakate an der Stadtautobahn Ayalon von »eva.stories« erfahren hat, schrieb auf seiner Facebook‐Seite: »Es ist ein schreckliches Vorhaben, auf die Schoa aufmerksam zu machen, nur um Likes zu bekommen.« Auch der Passantin Hadas Suzan gefällt die Aktion nicht: »Ich musste zweimal lesen, um es zu verstehen. Den Schrecken und diese Erlebnisse so oberflächlich darzustellen, passt einfach nicht. Auch das schöne Wort ›Zugänglichkeit‹ gibt nicht das Recht, die schweren Erinnerungen und Tränen eines Mädchens im Holocaust in einer Story zu verpacken. Es gibt Dinge, die authentisch und schockierend bleiben sollten, wie sie waren. Ohne Hashtag, Gif und Location.«

Schockieren wollen die Macher offenbar nicht. Sie verzichteten gänzlich auf Gewaltszenen und hielten sich rein an das Tagebuch des Mädchens. Dennoch polarisiert die Aktion. Und hat damit immerhin bereits erreicht, dass die Schoa wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geholt wurde. Denn die Menschen diskutieren darüber – und sei es bislang nur, ob die Schoa auf Instagram und ähnlichen Plattformen thematisiert werden sollte oder nicht.

Grundlage ist die 
reale Lebensgeschichte 
von Éva Heyman.

Die Holocaust‐Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem hat zwar lediglich Informationen zu »eva.stories«, die von der Kampagne veröffentlicht wurden, meint jedoch: »Das Nutzen von sozialen Medienplattformen, um an den Holocaust zu erinnern, ist legitim und effektiv.« Die Gedenkstätte selbst nutze eine Vielzahl sozialer Medienkanäle, darunter auch Instagram, »allerdings in einer anderen Art und Weise«. Nicht nur würden die Beiträge von Yad Vashem authentisches Material und historisch belegte Fakten enthalten, »sondern wir stellen auch sicher, dass der Inhalt sowohl relevant für die Öffentlichkeit als auch respektvoll ist«.

GENERATIONEN Ein Vater, der mit seinem Sohn im Auto saß, als er das Plakat sah, findet die Aktion gut, denn »auf diese Weise haben wir eine Unterhaltung begonnen, die wir sonst so sicher nie gehabt hätten«. Und so ist »Zugänglichkeit« das Motto, das über allem steht. »Nur 2,7 Prozent der Debatten um den Holocaust in Europa und in den USA gehen von jungen Leuten aus; ein bedeutender Rückgang im Vergleich zu vorherigen Generationen«, erläutert Kochavi. Er meint, dass man in der digitalen Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne kürzer wird und die Inhalte immer aufregender werden müssen, neue Modelle für Zeugnisse und Erinnerungen finden muss – auch im Hinblick auf die schwindende Zahl von Schoa‐Überlebenden und den Anstieg des Antisemitismus.

Seiner Meinung nach ist Instagram eine Erzählplattform wie andere auch. »Es ist möglich, eine Geschichte zu erzählen, die gleichzeitig tiefgründig und oberflächlich ist. Es ist die Idee des Projekts, soziale Netzwerke zu nutzen, um ein neues Genre der Erinnerungsliteratur zu kreieren. Und wir hoffen, dass wir auf diese Weise den Zuschauern Évas Leben und die Tiefen ihrer Seele näherbringen können.«

JÜDISCHE ALLGEMEINE

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tja - so ein projekt muss ja auch anecken: da trägt man den holocaust mit den smartphone-sehgewohnheiten der jungen zu ihnen direkt hinterher auf instagram - in der hoffnung, dass möglichst viele weltweit diese neu inszenierten tagebucheintragungen eines damaligen 13-jährigen auschwitz-holocaust-opfers namens eva heyman auch schauen - und vielleicht auch ein wenig innehalten - ehe sie denn zu ihrem nächsten und übernächsten highlight weiterclicken und weiterhecheln.

innehalten - und das was sie da sehen und entdecken, vielleicht nachvollziehen und nachrecherchieren - miterleben und an sich herankommen lassen - oder für die nächste einschlägige geschichtsstunde als link mit in die klasse mitbringen.

das ist inzwischen ja wie ein tanz auf dem drahtseil: viele jugendliche stöhnen mittlerweile: kommt uns bloß nicht mehr mit "juden und nazis und krankenmorden" und lasst die alten weißen männer und frauen dazu vor der tür - lasst uns in ruhe mit all diesem gedöns - und die eltern meinen auch inzwischen, nun müsse das aber auch mal abgehakt bleiben, und es müsse endlich "für's jetzige leben gelernt werden" - obwohl vielfach die eigene verstricktheit der familie in all dem damaligen geschehen noch nie aufgearbeitet und abgeklärt wurde - und unverarbeitete traumata ja - wie die bibel schon sagt - bis in die 3. und 4. generation oft psychosomatische nachwirkungen zeitigen können - und da man als zeitspanne für eine generation ca. 30 - 40 jahre rechnet: muss man wohl bis zu 160 jahre zu 1945 hinzurechnen, wo wir ca. bei anno 2105 wären - also ca. noch 86 jahre - mindestens...

ob nun aber gerade die sozialen netzwerke mit all den "influencern"  und ihren angeboten und den katzenbildchen die richtigen foren für solche nachgedrehten und zeitgemäß aufgemachten geschichtsstunden sind - das sei mal dahingestellt.

auf alle fälle hat diese filmschnipsel für die "eva stories"-serie im aufrechten 5,7"-handy-format ein israelischer millionär drehen lassen und ins instagram-netz gestellt, was aber auch in israel nicht unumstritten ist - aber eine ("anti"-)jüdische diskussion um ein angemessenes erinnern wie bei den münchener stolpersteinen z.b. hat sich damit wohl erledigt.

im hinblick auf mein schwerpunktthema zum ns-euthanasie-opferporträt meiner tante erna kronshage ist dieser weg des gedenkens und der aufklärung mit den digitalen medien ja sooo neu nicht: schon vor 10 jahren habe ich eine youtube-playlist dazu eingestellt, deren beiträge je nach einstellzeitpunkt unterschiedlich wahr- und angenommen werden - inzwischen mit insgesamt einmal über 38.000 bis hinunter zu ca. 1.500 einzel-clicks - und ich habe konsequent memorialblogs und yumpu-bildmagazine dazu "barrierefrei" zugänglich für unterschiedliche bedürfnisse und ansprüche ins netz gestellt... (siehe dazu in einer übersicht auch hier ...)