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sonderkommando

© Kacper Pempel - Reuters


Bilder aus Sobibor 

Feierndes Mordpersonal im Holocaust

Von Christoph David Piorkowski | Tagesspiegel

Die Fotos aus dem Nachlass des NS-Täters Johann Niemann geben unbekannte Einblicke in die Verbrechen der Nazis. Jetzt wurde die Sammlung veröffentlicht.


Ausgelassene NS-Verbrecher: Johann Niemann und Kollegen bei der Freizeitgestaltung in Sobibor.

Ein paar Männer sitzen bei Bier und Wein um einen runden Terrassentisch. Im Hintergrund stehen weitere Personen vor einem weißen Häuschen mit geöffneten Fensterläden und scheinen in der Sonne zu plaudern.


Was das Foto mit der idyllisch anmutenden Szene dem uninformierten Betrachter vorenthält, ist der Kontext seiner Entstehung. Die Aufnahme zeigt nämlich das sichtlich entspannte Mordpersonal des NS-Vernichtungslagers Sobibor bei seiner Freizeitgestaltung – in nächster Nähe zu den Gaskammern.

Hier und in den anderen beiden Tötungszentren der „Aktion Reinhard“, Belzec und Treblinka, wurden von März 1942 bis Oktober 1943 etwa 1,6 Millionen überwiegend osteuropäische Jüdinnen und Juden sowie 50.000 Roma und Romnija ermordet. Bislang waren lediglich zwei bildliche Aufnahmen aus Sobibor überliefert. Die Täter hatten nach Schließung der Lager gründlich ihre Spuren verwischt.

Nun hat die Öffentlichkeit Zugang zu 62 weiteren Fotos aus der zweiten der drei planmäßigen Massenmordstätten im sogenannten Generalgouvernement. Zusammen mit 299 zusätzlichen Fotos aus dem Kosmos der NS-Vernichtungspolitik sowie zahlreichen Textdokumenten bilden sie die kürzlich im niedersächsischen Völlen entdeckte Niemann-Sammlung, die am heutigen Dienstag in der Topographie des Terrors vorgestellt und außerdem in Buchform veröffentlicht wurde.

Sensationsfund für Aufarbeitung von NS-Verbrechen

Der Fund sei nicht weniger als eine Sensation, ein „Quantensprung in der visuellen Überlieferung der Aktion Reinhard“, sagte der Historiker Martin Cüppers in Berlin. Er hoffe, dass die Fotos im öffentlichen Gedächtnis haften bleiben und sich in der Erinnerungskultur dauerhaft verankern werden. Der wissenschaftliche Leiter der zur Uni-Stuttgart gehörenden Forschungsstelle Ludwigsburg, an der zur Verbrechensgeschichte des Nationalsozialismus geforscht wird, gibt die Sammlung gemeinsam mit dem Bildungswerk Stanisław Hantz heraus.

Das Foto mit den feiernden SS-Leuten ist Teil der Sammlung. Was aber ist sonst auf den Bildern zu sehen, welche Erkenntnisse fördern sie zutage? Und wie ist eigentlich der Umstand zu erklären, dass die Fotos erst jetzt, gut 76 Jahre nach ihrer Entstehung, mitten in Deutschland entdeckt worden sind?

Der Fund kam dadurch zustande, dass der Regionalhistoriker Hermann Adams vom Enkel des stellvertretenden Lagerkommandanten von Sobibor, Johann Niemann, 2015 zahlreiche Fotos erhielt, die Niemann und andere SS-Verbrecher bei ihrem Alltag in Sobibor zeigen, erklärt Cüppers. Adams übergab die Fotos dem Bildungswerk Stanisław Hantz, das Bildungsreisen zu den einstigen Tötungsstätten der „Aktion Reinhard“ organisiert, und vermittelte dem Werk den Kontakt zu Niemanns Enkel. Für die anstehende Forschungsarbeit tat sich das Bildungswerk dann mit der Forschungsstelle Ludwigsburg zusammen.

Statt Opfern zeigen die Bilder fröhliche Täter

In der Folgezeit tauchten weitere Fotos und Dokumente auf, die jahrzehntelang – von Niemanns Nachkommen offenbar wenig beachtet – in Schränken, Kisten und Abseiten und auf dem Dachboden eingelagert waren. Schlussendlich lagen den Forscherinnen und Forschern nicht nur zahlreiche Dokumente und Einzelfotos, sondern auch zwei komplette Fotoalben vor, die die verschiedenen Stationen von Johann Niemanns in Sobibor gipfelnder SS-Karriere zeigen. Und damit – bislang einzigartig – das Leben eines deutschen NS-Verbrechers visuell ausführlich nachzeichnen.


Das Lagertor des Vernichtungslagers Sobibor - bisher
nur aus Erzählungen bekannt.
© UNITED STATES HOLOCAUST MEMORIAL MUSEUM (USHMM)

Was dabei sofort ins Auge sticht, ist der scharfe Kontrast zwischen dem, was die Bilder zeigen, und dem, was sie eben nicht zeigen. Denn was fehlt, sind Fotos von Gemarterten, von ausgezehrten, halbtoten Körpern, wie sie aus Auschwitz überliefert sind. Stattdessen eine ausgestellte Fröhlichkeit der Nazis und ihrer meist aus Ländern der Sowjetunion stammenden Helfershelfer, den sogenannten Trawniki.

Das Mordgeschehen galt weithin als „geheime Reichssache“, im Hinblick auf die Gräueltaten existierte ein umfassendes Bilderverbot. Dieses aber wurde oft ignoriert. Denn trotz des Verbots existieren Fotos von Holocaust-Opfern in anderen privaten Sammlungen, oder aber es lässt sich nachweisen, dass solche Bilder von den Tätern in der Nachkriegszeit aus Angst vor Strafverfolgung vernichtet wurden.

Nazi-Größe Johann Niemann wollte als Held erinnert werden
Die zusammenhängenden Alben von Johann Niemann, in denen es keine Leerstellen - etwa durch herausgerissene Bilder - gibt, legen jedoch den Schluss nahe, dass der stellvertretende Sobibor-Kommandant kein Interesse an Fotos hatte, die seine Opfer zeigten, sagt der NS-Forscher Cüppers dem Tagesspiegel. „Niemann verfolgte mit der Sammlung die Intention, als strahlender SS-Soldat und Held erinnert zu werden.“ Für Bilder von Gequälten und Ermordeten sei in dieser Selbstinszenierung kein Platz gewesen.

Auffällig ist die Veränderung von Niemanns Habitus im Laufe der verschiedenen Karrierestationen. „Niemann, der zunächst im Kontext der NS-Krankenmorde in den Tötungszentren der sogenannten Euthanasie in Erscheinung tritt und später über Belzec nach Sobibor kommt, entwickelt sich von einer Nebenfigur zu einem Hauptakteur der NS-Vernichtungspolitik.“, sagt Cüppers. Am Ende dieses Prozesses stehe eine selbstherrliche SS-Größe, die sich zu Pferd auf der Rampe stehend als „Muster-Arier“ ablichten ließ.

Dabei sei Niemann eitel gewesen und habe sich von Häftlingen des Lagers immer wieder Mäntel und Jacken nähen lassen, schreiben die Projektbeteiligten im Buch zur Sammlung. Ein Foto zeigt den stellvertretenden Lagerkommandanten im Frühsommer 1943 auf der Terrasse des SS-Hauptgebäudes in der Kopie einer zu dieser Zeit gar nicht mehr offiziellen Galauniform, die sich Niemann nichtsdestotrotz von jüdischen Gefangenen anfertigen ließ.

Seine Eitelkeit hat ein halbes Jahr später denn auch sein Schicksal besiegelt. So war Niemann der erste eines knappen Dutzends SS-Leute, die im Zuge des jüdischen Aufstands in Sobibor von Insassen getötet wurden. In der Schneiderbaracke war Niemann gerade im Begriff eine Lederjacke anzuprobieren, als ein jüdischer Gefangener ihm ein Beil in den Kopf rammte.

300 Juden flohen nach Aufstand aus Sobibor

Etwa 600 Jüdinnen und Juden, zu denen die Information durchgesickert war, dass Sobibor bald geschlossen und sie damit getötet werden sollten, revoltierten – vom jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto inspiriert – mehr oder weniger erfolgreich gegen ihre Peiniger. 300 Gefangenen gelang so die Flucht, von denen rund 50 die Shoah überlebten.

Von den wenigen Überlebenden der Aktion Reinhard stammen auch die relevanten Informationen über das Erscheinungsbild des Lagers, die durch die Niemann-Sammlung nun bildlich ergänzt werden können. So kannte man etwa das Tor mit den eingeflochtenen Kiefernzweigen und die Baracken der Insassen bisher nur aus Erzählungen, da die Nazis mit der Abwicklung Sobibors das Lager dem Erdboden gleichmachten. Nun also gibt es vom architektonischen Aufbau des Vernichtungslagers Sobibor auch zahlreiche visuelle Zeugnisse.

Was den Quellenfund insgesamt so bahnbrechend mache, seien auch die neugewonnen Erkenntnisse über jene Akteure, die den Holocaust direkt ins Werk setzten, erklärt Cüppers den historiographischen Wert der Sammlung. Unter anderem werde die Kontinuität des Vernichtungspersonals augenfällig, wenn sich auf den Fotos aus der Zeit der „Euthanasie“-Morde dieselben Personen wiederfänden, wie auf den deutlich späteren Bildern aus Belzec und Sobibor.

Ob Bilder auch Demjanjuk zeigen, ist nicht erwiesen

„Wir wissen nun noch genauer, wer sich bei der Realisierung der ‚T4‘-Morde als tauglich erwiesen hatte und deshalb dann auch an den Rampen und vor den Gaskammern der ‚Aktion Reinhard‘-Lager eingesetzt wurde.“, sagt Cüppers. Neben dem in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannten SS-Mann Niemann und seinen deutschen Kameraden fokussieren die Bilder und Dokumente auch umfassend die SS-Hilfstruppe der Trawniki.

Zu dieser gehörte auch der ehemalige ukrainische Rotarmist und 2011 in Deutschland wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Jüdinnen und Juden verurteile John Demjanjuk, der womöglich auf zwei der Fotos im Hintergrund abgebildet ist. Ob es sich tatsächlich um Demjanjuk handelt sei aber auch nach biometrischen Untersuchungen des LKA Baden-Württemberg nicht zweifelsfrei erwiesen, sagt Cüppers. Eines der beiden Fotoalben illustriert auf insgesamt 80 Bildern eine „Belohnungsreise“, die Niemann mit zwei SS-Kollegen und insgesamt 22 Trawniki nach Berlin unternahm. Die Fotos legen ein enges Verhältnis der Nazis und ihrer Helfershelfer nahe.


Ein Zug der SS-Hilfstruppe der Trawniki. Bei dem Mann vorne in der Mitte könnte es sich um Demjanjuk handeln -
© USHMM

Nicht zuletzt unterstreichen die Bilder und Dokumente die große Bedeutung, die auch Akteure unterer Hierarchieebenen bei der Realisierung der Menschheitsverbrechen innehatten, meint Cüppers. Anders als manchmal vermittelt werde, seien die genauen Abläufe im Vernichtungslager eben nicht im Einzelnen „von oben“ angeordnet worden. Vielmehr habe die konkrete Umsetzung des Mordens in der Verantwortung der Akteure vor Ort gelegen. Diese lernten und verstanden erst in der konkreten Situation, was möglich war und was nicht.

„Wie man die Menschen ermordete, war nicht im Detail durch Befehle vorgegeben, vielmehr folgte die Verwirklichung des Holocaust einem Prinzip von Trial-and-Error“, sagt Cüppers. So sei man zu Beginn der „Aktion Reinhard“ erst allmählich von ungenügend funktionierenden Gaswagen zum Töten in fest installierten Gaskammern übergegangen.

 Die Reste der Lager wurden überpflanzt

Ihr tödliches Werk in den nichtannektierten, aber besetzten polnischen Gebieten jedenfalls haben die Nazis zu Ende gebracht. Nach dem jüdischen Aufstand in Sobibor, dem ein ähnlicher Aufstand in Treblinka vorausgegangen war, schloss die SS das Lager. Mit einer zynisch als „Aktion Erntefest“ bezeichneten Massenerschießung von 43.000 Jüdinnen und Juden wurde die „Aktion Reinhard“ am 3. November 1943 offiziell abgeschlossen.


Inszenierung als "Muster-Arier": Johann Niemann auf der Rampe von Sobibor.
© USHMM
Danach gab es im sogenannten Generalgouvernement nur mehr wenige in Verstecken lebende oder in einigen Partisanengruppen kämpfende Jüdinnen und Juden. Da die Vernichtungslager anschließend von den Nazis selbst abgerissen und, zwecks Spurenverwischung, überpflanzt wurden, bezeugen die Orte heute – anders als Auschwitz – nicht mehr von sich aus den Terror der Shoah.

Vielleicht kommt die „Aktion Reinhard“ im offiziellen Gedenken der Bundesrepublik Deutschland auch deshalb eher selten vor. Die Erinnerungskultur fokussiere in der Regel auf die Konzentrationslager oder das Tötungszentrum Auschwitz-Birkenau, sagt Cüppers. Nicht von ungefähr erklärte Brigitte Freihold, die erinnerungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, kürzlich, die Bundesregierung komme ihrer Verantwortung nicht nach, die „Aktion Reinhard“ und mithin die jüdischen Aufstände in Treblinka und Sobibor angemessen zu erinnern. 

Mit der Veröffentlichung der Niemann-Sammlung, die vom Bildungswerk Stanisław Hantz und der Forschungsstelle Ludwigsburg mit Einverständnis des Niemann-Enkels nun an das United States Holocaust Memorial Museum in Washington übergeben wird, besteht indes eine Chance, diese Lücke im Gedenken zu schließen. 

  • Fotos aus Sobibor. Die Niemann-Sammlung zu Holocaust und Nationalsozialismus. Hrsg.: Bildungswerk Stanislav Hantz e.V. und Forschungstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Metropol-Verlag 2020, 382 Seiten, 29.00 €

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das diesjährige gedenken an die opfer des holocaust mit den feierlichkeiten in auschwitz zur befreiung des kz vor 75 jahren durch rote armee zieht doch eine ganze reihe von neuen erkenntnissen, veröffentlichungen und erinnerungs"politischen" überlegungen zu dem themenkomplex nach sich, die ich dann hier - um nichts zu übergehen - vielleicht thematisch zu einseitig und zu geballt mit abhandeln und überdenken möchte - aber auch, wo doch insgesamt die "zeitzeugen" dazu immer weniger werden, aber die themen stabil verankert bleiben müssen, gerade auch mit den neuen erkenntnissen.

das wird ja von einigen historikern angezweifelt, dass die krankenmorde, die ns-"euthanasie", das training und die direkte vorstufe war zu den etwas später einsetzenden massentötungen der juden und der weiteren opfer wie sinti und roma und homosexuelle.

in den krankenmorden wurden auch die wirksamsten raschen und effizientesten tötungsmechanismen getestet - zuerst mit gaswagen, in die auspuffgase geleitet wurden, was beispielsweise das ss-sonderkommando herbert lange an 1200 polnischen patienten in der psychiatrischen klinik "tiegenhof" (die bis zu deutschen besetzung und hinterher "dziekanka" hieß) bei gnesen direkt nach der okkupation durch die deutsche wehrmacht durchführte, wobei die leichen dann in die wälder der näheren und weiteren umgebung verscharrt und vergraben wurden.

aus den gaswagen entwickelten sich dann die gaskammern mit den einfüllstutzen des giftes "zyklon b" - und die "todsichere" giftspritze, und die von ärzten durchgeteste durchführung einer oft mehrwöchigen "hungerkost", die dann mit einer gabe von luminal-barbituraten zum tod führte, wobei aber die tatsächliche todesursache verschleiert wurde. 

auch dieses sonderkommando lange aber zog durch verschiedene psychiatrische vernichtungskliniken als ermordungskommando von dortigen insassen, dann auch um die betten für die einquartierung von kriegsverletzten freizubekommen.

schließlich landete das sonderkommando lange dann auch ab dezember 1941 im vernichtungslager chełmno (kulmhof) und war dort für die ermordung zehntausender juden, roma und sinti verantwortlich. 

aber auch hier mit diesen neuen fotomaterialien aus sobibor ließen sich diese "rundum-verteilungen" der "todesschwadrone" und der emsigsten einzeltäter auf vorliegenden bildern eindeutig nachweisen.
geradezu perfide zeigen dann diese "gesellschaftsfotos", wie unbekümmert dieses morden tagsüber vonstatten ging und wie man sich abends zum munteren plausch bei bier und wein und snacks mit den frauen und freunden zusammensetzte - und vielleicht sogar in der nähe der gaskammern noch ein frohes lied in den abendhimmel schmetterte.

skrupellos gehörte das morden eben zum alltäglichen handeln, wie man es ab und zu vielleicht in aufrüttelnden romanen von henkern beim ausführen der todesstrafen kannte, was aber bei den akteuren zumeist mit großer betroffenheit und belastung geschildert wurde.

hier geschah das alles in zunehmender gleichgültigkeit - und abends sang man seinem kind womöglich noch: "guten abend - gute nacht" am kleinen himmelbettchen...

wess das herz voll ist - dess geht der mund über


Das war meine Rettung
Die Ho­lo­caust-Über­le­ben­de 
führ­te ein ein­sa­mes Le­ben, 
bis sie über ih­re Er­leb­nis­se re­den konn­te

ZEIT | ZEITMAGAZIN Nr. 3 v. 09.01.2020 - S. 54 - Feuilleton

Frau Schloss, Sie ha­ben sich als Kind in Ams­ter­dam ver­steckt, wur­den ver­ra­ten und de­por­tiert. Sie und Ih­re Mut­ter ha­ben Ausch­witz über­lebt. Doch nicht Ihr Schick­sal, son­dern das Ih­rer Stief­schwes­ter An­ne Frank hat die Welt be­wegt. Wie ha­ben Sie das emp­fun­den?

Ich war ei­fer­süch­tig. Das ist ge­nau­so, als wür­de man has­sen. Auf den Ti­tel mei­nes ers­ten Buchs hat der Her­aus­ge­ber »Stief­schwes­ter von An­ne Frank« ge­schrie­ben. Das ha­be ich noch ver­stan­den, weil es sonst nicht so gut ver­käuf­lich ge­we­sen wä­re. Vie­le Jah­re spä­ter bin ich aber wei­ter als »die Stief­schwes­ter« vor­ge­stellt wor­den. Das hat mich dann doch ge­är­gert. Je­der kennt An­nes Ta­ge­buch, aber nie­mand hat je von Eva Schloss ge­hört. Es hat lan­ge ge­dau­ert, bis ich das ak­zep­tie­ren konn­te. Ich hat­te ja das­sel­be mit­ge­macht und bin so­gar am Le­ben!

Eva Schloss - sinedi.@rt-graphic 
nach einem Foto von Herline Koelbl
An­nes Va­ter Ot­to Frank hat als Ein­zi­ger sei­ner Fa­mi­lie den Ho­lo­caust über­lebt. 1953 hei­ra­te­ten er und Ih­re Mut­ter. Ih­re Fa­mi­li­en kann­ten sich be­reits aus Ams­ter­dam. An­ne und Sie wa­ren fast gleich alt, aber nicht be­freun­det. War­um?

An­ne hat­te zwei gu­te Freun­din­nen und ei­ne fes­te Cli­que: An­ne, San­ne und Han­ne. Das ma­chen Mäd­chen doch gern so, und die­se Cli­que woll­ten sie nicht er­wei­tern. An­ne ist mit vier Jah­ren nach Ams­ter­dam ge­kom­men, sprach flie­ßend Nie­der­län­disch und war an der Montes­so­ri-Schu­le. Ich bin erst mit neun aus Wien da­zu­ge­kom­men und war an der ge­wöhn­li­chen Schu­le. Wir ha­ben uns aber mit al­len Kin­dern oft auf dem Platz vorm Haus ge­trof­fen, die Woh­nun­gen hat­ten ja kei­nen Gar­ten. Ich ha­be mit den Bu­ben Sport ge­macht, die An­ne ei­gent­lich nie. Sie hat­te im­mer Kin­der um sich her­um, hat Ge­schich­ten er­zählt, Klei­der und Haa­re wa­ren ihr wich­tig, und sie hat mit Jungs ge­flir­tet. Sie schreibt das auch im Ta­ge­buch. Mir wa­ren sol­che Din­ge ganz egal, und so ähn­lich ist es auch heu­te noch.

Ih­re Kind­heit en­de­te schlag­ar­tig an Ih­rem 15. Ge­burts­tag 1944. Sie wur­den ver­haf­tet und de­por­tiert. In Ausch­witz er­krank­ten Sie rasch an Ty­phus. Ei­gent­lich das si­che­re To­des­ur­teil ...

Es war ein Wun­der! Auf der Kran­ken­sta­ti­on ha­be ich Min­nie, die Cou­si­ne und bes­te Freun­din mei­ner Mut­ter aus Prag, wie­der­ge­trof­fen. Sie muss­te für den La­ger­arzt Jo­sef Men­ge­le ar­bei­ten und hat nicht nur mich auf­ge­päp­pelt, son­dern auch mei­ne Mut­ter vor der Se­lek­ti­on ge­ret­tet. Ich dach­te da­mals, sie wä­re tot. Das ha­be ich auch mei­nem Va­ter ge­sagt, als ich ihn das letz­te Mal im La­ger traf: Sie wur­de ver­gast! Ich ha­be ihm da­mit die Hoff­nung ge­nom­men. Dann be­gan­nen die To­des­mär­sche, und ich war zu schwach, um mit­zu­ge­hen. Mein Va­ter und mein Bru­der ka­men da­bei um, mei­ne Mut­ter und ich wur­den von den Rus­sen be­freit. Die Zeit nach Ausch­witz war für mich ei­gent­lich schwe­rer als die Zeit im La­ger.

War­um?

Im La­ger muss­te ich tap­fer sein, ich hat­te den Wil­len und die Hoff­nung zu über­le­ben. Aber als ich er­fuhr, dass mein Va­ter und Bru­der tot wa­ren, ha­be ich al­les ver­lo­ren, auch den Glau­ben an Gott. Ich fühl­te mich schul­dig, weil ich über­lebt hat­te. Mei­ne Mut­ter und ich ha­ben uns nie ge­sagt, wie un­glück­lich je­de von uns war. Wir ta­ten so, als ob uns das nichts aus­mach­te. Ko­misch, nicht? Ich war vol­ler Hass. Am 1. Ja­nu­ar 1946 ha­be ich auf ei­nen Zet­tel ge­schrie­ben, dass das Le­ben oh­ne Va­ter, Bru­der und Fa­mi­lie sinn­los ist. Ich woll­te mich um­brin­gen.

Has­sen zer­stört das ei­ge­ne Le­ben, ein Bu­me­rang. Wie über­wan­den Sie den Hass?

Ich woll­te Kin­der ha­ben. Mein Va­ter hat mir früh ge­sagt, du wirst na­tür­lich ster­ben, aber in dei­nen Kin­dern lebst du wei­ter. Er hat mich zur Tap­fer­keit er­zo­gen und als Kind ins Was­ser ge­wor­fen, be­vor ich schwim­men konn­te. Das hat ge­passt, da­nach ha­be ich mich al­les ge­traut. Mei­ne Kin­der woll­te ich ge­nau­so er­zie­hen, weil ich weiß, wie schwer das Le­ben sein kann. Ich ha­be ih­nen aber nie er­klärt, war­um ich so streng bin. Selbst mei­nem Mann ha­be ich nichts er­zählt. Da war völ­li­ge Sprach­lo­sig­keit. Ich ha­be ein ein­sa­mes, schreck­li­ches Le­ben ge­führt. Erst als ich in Lon­don 1986 bei ei­ner An­ne-Frank-Aus­stel­lung über den Ho­lo­caust spre­chen soll­te, ist es aus mir her­aus­ge­bro­chen. Es war al­les in mei­nem Kopf. Al­les. So­lan­ge man nicht da­von spricht, sitzt es da. Und dann konn­te ich auf ein­mal los­las­sen. Mei­ne Kin­der se­hen mich seit­dem wahr­schein­lich in ei­nem ganz an­de­ren Licht.

Ha­ben Sie Ih­ren Frie­den ge­fun­den?

Mit der Zeit ha­be ich we­ni­ger ge­hasst, aber der Hass war noch da. Nachts ha­be ich von der Se­lek­ti­on mei­ner Mut­ter ge­träumt. Dar­über zu spre­chen war mei­ne zwei­te Ret­tung. Ot­to Frank hat im­mer ge­sagt: Die Leu­te, die du hasst, die wis­sen das ja nicht, nur du lei­dest dar­un­ter. Ich ha­be jetzt Frie­den in mir selbst, aber nicht mit der Welt ge­fun­den.

  • Das Gespräch führte Her­lin­de Ko­elbl
  • Eva Schloss, 90, stammt aus Wien. 1938 emi­grier­te sie mit El­tern und Bru­der nach Ams­ter­dam. 1944 wur­de die jü­di­sche Fa­mi­lie dort ver­haf­tet und nach Ausch­witz de­por­tiert. Ihr Bru­der und ihr Va­ter star­ben. Ih­re Mut­ter hei­ra­te­te 1953 Ot­to Frank, den Va­ter von An­ne Frank. Über ih­re Er­leb­nis­se schrieb Eva Schloss meh­re­re Bü­cher, sie lebt in Lon­don und hat drei Töch­ter
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und auch in diesem, ja man kann ja sagen, "prominenten" zeitzeugen-artikel - kommen bei frau schloss auch wieder einige typisch haftengebliebene symptome einer traumatischen erlebnisaufarbeitung des holocaust zum tragen, die ihr leben bis heute entscheidend beeinflussen und beeinflusst haben. 

da ist diese "jugendliche eifersucht" auf ihre stiefschwester anne frank, mit der sie ja gar nicht so sehr verbandelt war zu ihren gemeinsamen lebzeiten. anne hatte ja andere dinge im kopf als sie - und den vater frank heiratete die mutter von frau schloss ja erst in den 50er jahren.

aber da war diese nagende eifersucht, dass diese andere mit ihrem mörderischen schicksal und ihrem jugend-tagebuch dazu in den gleißenden fokus der welt-aufmerksamkeit rückte - und eva "nur" immer als die "stiefschwester von anne frank", vielleicht auch nur unter dem einsatz von ellenbogen des stiefvaters otto frank, "auch" dann öffentlich wahrgenommen wurde.

und dann war da dieses eisige schweigen in den opferfamilien, dieses randvolle "zusitzen" voller wut und scham und unverarbeiteter erlebnisse im lager, die einem die kehlen abschnürte... 

und dann eben auch die allmähliche morgendämmerung: bei eva die durchgemachte typhus-erkrankung, die sie überstanden und überlebt hatte, und die zu der zeit, zumal in auschwitz, zumeist tödlich verlief. sie war stark - sie hatte den tod besiegt. sie hat das lager überlebt, auch weil auschwitz ja dann fast genau vor 75 jahren am 27. januar 1945 von der sowjetischen armee endlich befreit wurde.

damals war eva 15 jahre alt, und fiel aber direkt danach in ein tiefes emotionales loch, mit viel leid und trauer um bruder und vater, aber sicher auch in selbstmitleid und lebensnot, bis hin zu selbstmordgedanken - und die enge einschnürung in diese schicksalseinsamkeit der eigenen person, auch vor der eigenen familie dann, vor den eigenen kindern und dem ehemann.

und erst 41 jahre nach der befreiung von auschwitz, bei einer ausstellungseröffnung zum schicksal ihrer stiefschwester anne frank fielen diese eigenen fesseln endlich ab - und der bibel-evangelist würde jetzt wohl formulieren: "und ihre zunge löste sich" - und "wess das herz voll ist, dess geht der mund über" und sie konnte plötzlich über all das verdrängte und abgespaltene sprechen - ja geradezu lossprudeln - und seitdem - also jetzt auch schon wieder seit über 30 jahren - reist sie durch die welt und berichtet als noch "echte zeitzeugin der ersten generation" schulklassen und hält vorträge bei ausstellungen, kongressen und tritt als zeugin auf.

und nun wissen auch die töchter und deren kinder und kindeskinder, warum sie so sind wie sie sind, und warum mutter und (ur-)oma so ist wie sie ist und wie sie war.

erde zu erde - asche zu asche - staub zu staub (update: inzwischen "bedauert" das zps die aktion)))

Die Stele ist erstmal nur bis Samstag genehmigt. © SOPHIE KRATZER | Tagesspiegel




Holocaust-Asche vor dem Reichstag 

Das Mahnmal des Zentrums für Politische Schönheit ist drastisch - und notwendig

Von Patrick Wildermann | Tagesspiegel



Winston Churchill hat seinem Sohn mal eine ziemlich bedenkenswerte Lektion mitgegeben: „Lerne, so viel du kannst, aus der Geschichte – denn wie sonst könntest du wissen, was in der Zukunft passiert?“

Für das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) war dieser Satz schon immer die Schlüssel-Maxime im Guerilla-Handbuch für den engagierten Aktionskünstler.

Aus gutem Grund. Wer würde bestreiten wollen, dass das Lernen aus der Vergangenheit eine neue Dringlichkeit besitzt in Zeiten, in denen ehemalige Geschichtslehrer wie Björn Höcke angetreten sind, um genau das zu verhindern?

Die Gruppe um Philipp Ruch hat jetzt eine neue Aktion gestartet. Sie hat sich auf die Spuren der Opfer Hitlerdeutschlands begeben und dabei einen über 75 Jahre alten Auftrag verwirklicht.
„Teurer Finder, suche überall, auf jedem Zollbreit Erde. Suchet in der Asche. Die haben wir verstreut, damit die Welt sachliche Beweisstücke von Millionen von Menschen finden kann“. So wird der in Auschwitz ermordete Salmen Gradowski zitiert.

An 23 Orten in Deutschland, Polen und der Ukraine wurden über 200 Proben entnommen, erklärt das ZPS in seiner Pressemitteilung, und Knochenreste in „allen erdenklichen Körnungsgrößen“ gefunden. Sie wurden zusammengetragen und nun zum Mahnmal im Regierungsviertel gebracht, einer Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Krolloper.

Dort also, wo mit dem Ermächtigungsgesetz der Zusammenbruch der Demokratie besiegelt wurde – gegen die Stimmen der SPD, die von Hitler als „wehleidig“ verhöhnt wurde, aber mit Unterstützung der bürgerlichen Parteien.

Mit dem neuen Mahnmal (offiziell nur bis zum kommenden Samstag genehmigt) will das ZPS an eben diesen Verrat, dieses fatale Steigbügel-Halten erinnern.

„Feste Besuchstermine für alle Abgeordneten der Union im Bundestag sind festgelegt“, heißt es.

Wie bei jeder Aktion des ZPS – sei es der Bau eines Holocaust-Mahnmals vor Björn Höckes Haus oder die Errichtung einer römischen Arena für Tiger und Geflüchtete vor dem Gorki Theater – werden Bedenkenträger sich getriggert fühlen, werden auf den Nebenschauplätzen die kopfschüttelnden Chöre aufmarschieren und ihre alten „Darf man das?“- und „Ist das echt?“-Lieder singen.

Eins der Prinzipien des ZPS ist es ja, mit Wirklichkeit zu verstören, wo alle Fiktion erwarten. Die Beisetzung von Mittelmeer-Toten im Herzen von Berlin zum Beispiel – kann das mehr sein als ein theatraler Akt?

Diese Erregungsstürme an den Peripherien des Eigentlichen sind natürlich gewollt, das Spektakel ist Teil einer Inszenierung, die Scheinwerfer auf reale Verhältnisse richtet. Und dennoch sollte man beim ZPS nicht den gleichen Fehler wie etwa bei Schlingensief begehen – nur auf die Pose zu schauen, um sich mit dem Inhalt nicht auseinandersetzen zu müssen.

Der Sorge, dass es zu einer neuen Handreichung zwischen Konservativen und äußersten Rechten kommen könnte, hat Philipp Ruch unlängst schon in seinem Buch „Schluss mit der Geduld“ Ausdruck verliehen.

Da wagt er das Gedankenexperiment einer Haselnuss-Koalition, schwarz-braun also, in der die völkische AfD-Fraktion unter CDU-Führung ein Superministerium aus Innerem und Verteidigung übernimmt. Hoffentlich nur Fiktion.

In Thüringen gab es ja bekanntlich erste CDU-Stimmen, die sich ein Zusammenmarschieren gut hätten vorstellen können.

Die „Widerstandssäule“ des ZPS im Regierungsviertel, der Aufruf, dort am kommenden Samstag (7.12., 15 Uhr) einen „zivilgesellschaftlichen Zapfenstreich gegen die AfD“ zu veranstalten, sind vor diesem Hintergrund einmal mehr Einladungen, Kunst als Wirkmacht zu begreifen.

Sie kann in einem Klima helfen, in dem die politischen Talkshows versagen und sich ein seltsamer Mehltau über die Debatte gelegt hat, wie ein Zusammenleben als Zivilgesellschaft künftig ausschauen könnte.





Zur Aktion „Sucht nach uns“ (www.sucht-uns.de) gibt das ZPS auch ein Buch heraus, „An die Nachtwelt“ betitelt. Es versammelt die letzten Botschaften von Ermordeten, außerdem einen wissenschaftlichen Aufsatz über die „Wege der Asche“. Traurig, aber wahr: wo verschüttet werden soll, ist das Lernen aus der Geschichte eine Aufgabe für Archäologen geworden.


Das ZPS hat eine Stele mit vermeintlicher Asche von NS-Opfern vor den Reichstag gestellt. Foto: Christophe Gateau | Tagesspiegel


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da haben wir uns ja in mehreren der letzten beiträge hier im blog gedanken gemacht, wie heutzutage zeitgemäß ein gedenken und erinnern an die ns-mordopfer aussehen könnte, ohne in die nähe von "verkitschungen" zu kommen oder von seelenlosen "reflexritualen" an irgendwelchen vom kalender vorgegebenen terminen - wo dann ein streichquartett traurige ernste weisen intoniert und die sprecher mit tremolo in der stimme und tränen im auge mit blick auf die tv-kameras "eindringlich" immer und immer wieder "gedenken".

diese rituale sind für das seelenheil eines täter- und gleichzeitig auch opfervolkes sicherlich zur orientierung der emotionalen befindlichkeit unabdingbar, auch um einfach in dieser schnelllebigen zeit in erinnerung zu behalten für ganz jung bis ganz alt: "da war doch was"... - und von dem, was da war, waren ganze generationen der vorfahren mit betroffen - eben als täter - und eben auch als opfer - und das manchmal sogar innerhalb der gleichen familie. 

und "rechts"-politisch rumort es hier ja bereits erneut im grunde - und da wird wieder von "umvolkung" gesprochen - und das nazi-regime von einem gewählten bundestags-abgeordneten als vogelschiss in der geschichte deutschlands bezeichnet: ein vogelschiss also - der soviel unvorstellbares leid und millionenfache morde der schwachen und der "andersartigen" landsleute mit sich gebracht hat.

da kommt ja diese irgendwie "eigenwillige" und "unorthodoxe" aktion des "zentrums für politische schönheit" vielleicht gerade zur rechten zeit, mit dieser beispiellosen aktionskunst auch ein neues aufmerksammachen in den etwas abgeschliffenen ausgelatschten erinnerungs- und gedenkpfaden.

da geht das "zps" mit seinen aktionen ja schon früher immer in die vollen: betonstelen als minigedenkfeld auf dem nachbargrundstück von herrn höcke - die beisetzung von flüchtlings-mittelmeeropfern vor dem reichstag - und jetzt also die ausgebohrten und ausgebuddelten längst verrotteten überreste von holocaust-opfern aus 23 verschiedenen vernichtungslagern.

ja - da wird vor lauter "pietät" nicht lange herumgefackelt, sondern da werden ideen entwickelt, die wirklich ins gemüt gehen und auch provozieren sollen und das "eigentliche" neu in den focus nimmt, so wie das ja auch die unsägliche lea rosh empfindet.

und wie in dem beitrag zur "verkitschung" der gedenkkultur schon angesprochen, tanzt das "zps" da tatsächlich mit solchen aktionen auf dem ganz schmalen grat zwischen einer echten bezeugten verneigung vor den opfern - und auf der anderen seite einer sensations- und publicityheischenden unbotmäßigen "leichenfledderei"-show. mir wird dabei die ernsthafte trennung zwischen echtem anliegen und den fast immer einhergehenden etwas makaberen anteilen an "spaß-faktor" bei aller "künstlerischer freiheit" nicht immer klar. aber da empfindet die "kunst" der jüngeren zps-initiatoren vielleicht emotional anders als ich.

ich weiß aber auch nicht, inwieweit so etwas mit den geboten der jüdischen totenruhe in einklang zu bringen ist. ich weiß aber, dass eben die prominente fürsprecherin des großen stelenfeldes, lea rosh, einmal einen gefundenen backenzahn vom gelände des vernichtungslagers sobibor nachträglich bestatten ließ, weil es da massive kritik an ihrem umgang mit diesem relikt von seiten der jüdischen gemeinde gegeben hat. frau rosh wollte damals nämlich den zahn einer der betonstelen feierlich beigeben. aber ein solch christlicher reliquienkult sieht das judentum nicht vor. und ich finde, da ist die jetzige zps-stele mit knochenstaub ja nicht von diesem damaligen ansinnen der frau rosh ganz weit entfernt. 

und das alles hat die zps auch noch verbunden mit dem aufruf zur "weihnachts"-spende, um diese neue stele vor dem reichstag mit der vermeintlichen asche von den ns-opfern, nach der man wie die archäologie regelrecht mit schwerem gerät fahndete nach der derzeitigen probeaufstellung dann auch fest für immer zu installieren. 

also - ganz ehrlich - obwohl ich ja für neue wege des erinnerns und gedenkens immer offen sein möchte: fällt es mir verdammt schwer, meine empfindungsfrequenz vom "gängigen" ns-opfergedenken mit dem mir eingepflanzten ritualerwarten hier jetzt ganz neu auf eine themenbezogene aktionskunst-performance zu kalibrieren, die gedenken auslöst, indem sie  - nach meinem empfinden - das vielleicht zu sehr zudeckende und abschottende stelenfeld nebenan neben dem brandenburger tor nun quasi mit dieser gläsernen stele "nach außen" krempelt.

"künstlerisch" mag das ja "herausragend" und "phänomenal" sein - und vielleicht werde ich auch nur alt - aber es löst in mir wenigstens kein opfer-mitempfinden und keine nachtrauer aus - nur sensationsgier - ja - und dann abscheu - es ist für mich einfach ein zu sehr gezirkelter "klamauk".

und die richtungen, die eine zeitgemäße und durchaus auch überraschende gedenk- und erinnerungskultur beinhalten kann, sind für mich beispielsweise die stummen längen im "shoah"-dokumentar- und interview-film von claude lanzmann damals. oder auch das hallende eisentürklappen im "felix-nussbaum-haus" in osnabrück und die dortigen nackten betonwände: ein asymmetrisches, dramatisches ensemble, ganz nachempfunden der biografie des künstlers nussbaum, der in auschwitz ermordet wurde. auf den gängen und rampen dieses museumsbaus geht es beschwerlich aufwärts oder unausweichlich bergab. schmale schlitze lassen tageslicht zwar hinein, doch hinausblicken kann man nicht - und wenn, dann ist auch dieser blick blockiert. ausweglose empfindungen, die der architekt daniel libeskind bewusst mit "eingebaut" hat.

oder in einem beitrag las ich davon, dass der polnische historiker robert traba als beispiel gegen eine "verkitschung" des holocaust-gedenkens eine tonaufnahme aus dem vernichtungslager kulmhof/chelmno abspielt: nichts ist da zu hören als der wind, der über die weite, öde fläche der gedenkstätte weht...

aber auch die theater-sequenzen zu einzelnen opfer-schicksalen in schüler- und jugendtheatern und ihre dokumentarischen und emotionalen photo-/video-/audio-workshops im aufspüren der deportationswege bis in die vernichtungslager sind hervorragende erinnerungs- und gedenkanstöße, wobei durch "mittun" das ganze geschehen auch tatsächlich durch den körper geht - und nicht nur im kopf verbleibt, der rasch wieder vergisst und vielleicht im moment unkonzentriert oder abgelenkt ist.

ja - aber jeder mensch soll gedenken dürfen "nach seiner facon": der eine so - der andere so...
u p d a t e vom 4.12.2019:

  • inzwischen rudert das zps zurück: stellungnahme click here 

das inszenierte pflichtgedenken

Verkitschung des Grauens

Gedenken angesichts der Banalisierung des Bösen

Die Zeitzeugen sterben langsam weg, aber gemeinsames Erinnern bleibt trotzdem bedeutsam - gerade in rauen Zeiten. Eine Kolumne. 

Von GERD APPENZELLER | Tagesspiegel


Geschichte gerät nicht in Vergessenheit, wenn die letzten Zeitzeugen des Erlebten gestorben sind. Was die Erinnerung des Menschen und eines Volkes beschäftigt, traumatisch oder verklärend, spaltend oder zusammenführend, lebt im Gespräch fort. Das aber entfaltet seine Kraft auch als Reflexion auf aktuelles Geschehen, oder im Anblick jener Orte, an denen Geschichte geschah. Zu keiner Zeit des Jahres verdichtet sich der Blick auf das, was war, so sehr wie im November. Totensonntag und Volkstrauertag als Marken des Gedenkens an unsere Toten, an die Opfer von Krieg und Rassenhass.

Und der 9. November, an dem eben nicht nur vor 30 Jahren die Mauer fiel, sondern an dem 1938 mit der Pogromnacht die Vernichtung jüdischen Besitzes und der millionenfache Mord an den europäischen Juden begannen. Vor allem dessen zu gedenken ist heute aktueller denn je, auch wenn die letzten Zeitzeugen, die uns berichten können, bald nicht mehr unter uns sein werden. Aber Antisemitismus und Antiziganismus – die sind heute virulenter als noch vor wenigen Jahren.

Juden sind in Deutschland immer öfter Anpöbeleien und nicht nur verbalen, sondern auch körperlichen Attacken ausgesetzt. „Die Zeiten und der Ton sind rauer geworden“, wurde gerade in Berlin bei einer Tagung des Fördervereins Sachsenhausen konstatiert. Und in der dabei gehaltenen „Sachsenhausen Lecture“, einem Vortrag zum nationalsozialistischen Massenmord, veranschaulichte der polnische Historiker Robert Traba, wie sich das Gedenken am Ort des Geschehens, in den ehemaligen Konzentrationslagern, verändert habe.

Da sind Touristen, die in die Gedenkstätten, gerade auch nach Sachsenhausen, fahren, nicht, um mit dem Furchtbaren konfrontiert zu werden, sondern um ein Foto zu machen – „Ich vor dem Wachturm“. Andere kommen in das ehemalige KZ nur, um zu provozieren. Reiner Walleser, Abteilungsleiter für Kultur im brandenburgischen Wissenschaftsministerium, hat ihr Vorgehen anlässlich der erwähnten Tagung beschrieben.

Zweifel werden von rechten Besuchergruppen in KZ´s selbstbewusst gestreut

Es ist eine neue, aber bereits verbreitete Methode rechter Gruppierungen, die dann bei Führungen Zweifel äußern, ganz selbstbewusst: Waren das wirklich sechs Millionen Juden, die umgebracht wurden? Und das mit den Verbrennungsöfen glaube doch sowieso keiner. Das griff Robert Traba, der von 2006 bis 2018 Gründungsdirektor des Berliner Zentrums für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften war, auf. Erinnerte an die NS-Aktion Damosz und ihre Verbrechen zwischen dem Frühjahr 1942 und dem Sommer 1944 – von 400.000 ermordeten Juden ist keine Spur zurückgeblieben, nicht in Sobibor, nicht in Maidanek, nicht in Lublin.

Wie gedenkt man angesichts der Banalisierung des Bösen? Robert Traba fürchtet die Verkitschung des Grauens. Er führt dem Publikum das Gegenteil vor, eine Tonaufnahme aus dem Vernichtungslager Kulmhof. Nichts ist da zu hören als der Wind, der über die weite, öde Fläche der Gedenkstätte weht. Wird Einsamkeit so spürbar? Kann, fragte ihn Gesine Schwan, die Berliner Sozialwissenschaftlerin, und wollte das auch von den Hörern wissen, kann ein Erinnerungsort im Besucher das Gefühl auslösen, das ein Mensch hatte, der dort einmal als Opfer gewesen ist? Sie gab Robert Traba und anderen diesen Gedanken mit: Du, Robert, hast Sehnsucht nach etwas, was es nicht geben kann.

Die Zeitung "Jüdische Allgemeine" unterschrieb dieses Foto 2012:
"Der Höhepunkt der Geschmacklosigkeit war allerdings erreicht,
als Anne Frank auf einem holländischen Graffito mit Palästinensertuch
dargestellt wurde. Soll wohl heißen: Anne Frank gehört zum
palästinensischen Volk, die Israelis sind die neuen Nazis." Foto: CC


Die Verkitschung des Gedenkens ist ein zulässiges Mittel - um Empathie zu wecken

Dennoch ist die Verkitschung des Gedenkens ein künstlerisches und wohl auch zulässiges Mittel, Empathie zu wecken, sich eben doch in das Leid der Opfer hineinzufühlen. Die Holocaust-Verfilmung mit Meryl Streep aus dem Jahre 1974 ist, schaut man die Folgen mit dem Wissen und dem ästhetischen Empfinden von heute noch einmal an, Kitsch. Und doch hat dieses Doku-Drama in einer ganzen Generation – ich selber zähle dazu – völlige Fassungslosigkeit über das Leid ausgelöst, von dem wir alle aus Schulbüchern und aus Seminaren wussten und das uns doch hier das erste Mal, am Beispiel des Schicksals einer Familie, wirklich ergriff.

Die Erinnerung an den Holocaust und an die Toten der beiden Weltkriege ist gleichermaßen eine europäische wie eine nationale Erinnerung. Es ist eine Erinnerung daran, dass das, was zwischen 1939 und 1945 geschah, etwas anderes ist als ein Vogelschiss in der Weltgeschichte. Man muss nur nach Sachsenhausen fahren. Es ist ganz nah. In jeder Beziehung, und nicht nur im November.

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der drahtseilakt zwischen kunst und kitsch ist immer nur ein halten einer schmalen imaginären balance, die sicherlich nur authentisch und "original" im einzelnen menschen selbst beurteilt und bewertet werden kann. und ebenso geht es dann mit der "verkitschung der gedenkkultur": das ist eine frage des geschmacks, der erziehung, der "reife", der sozialisation, der gewonnenen und überkommenen ethik und ästhetik...

vielleicht das beste beispiel dazu war ja die unterschiedliche bewertung der "stolpersteine" des künstlers gunter demnig, der inzwischen wohl über 70.000 kleine pflastersteine in ganz europa verlegt hat, versehen mit einem plättchen aus messinglegierung, in dem der name und die daten jeweils eines ns-mordopfers eingraviert sind. die ganze aktion wird bgleitet durch örtliche patengruppen, die auf die pflege dieser steinchen achten - und sie sogar ab und zu gemeinsam säubern.

in münchen aber hat sich der rat der stadt mit der zulassung der verlegung solcher stolpersteine jahrelang über einige abstimmungen hinweg sehr schwergetan, weil die vorsitzende der jüdischen gemeinde dort, frau knobloch, der ansicht war, durch die verlegung im bürgersteigpflaster vor dem letzten bekannten wohnsitz der ermordeten, würden diese "opfer" erneut mit füßen getreten.
und aufgrund dieser prominenten meinung wollte der stadtrat lange zeit keine verlegungen auf öffentlich zugänglichen flächen zulassen. 

inzwischen hat man sich auf im wahrsten sinne des wortes "aufwändigere" schicke namensgravurschienen an senkrecht stehenden mauern oder stelen jedoch durchringen können.

aber beide lösungen kann man nun nicht als "kitsch" abtun, obwohl eben schon für manche die platzierung im öffentlichen profanen und urbanen raum 80 jahre nach den gräueltaten geschmacklich ein problem darstellen, war die ganze epoche doch für herrn gauland von der afd ein vogelschiss in der geschichte.

um das damalige geschehen in diese zeit herüberzuretten und angemessen zu vermitteln, habe ich mich bei meiner gedenk- und erinnerungsarbeit für meine tante erna kronshage in der betitelung und in der präsentation immer wieder erneut schwergetan - und in  mir gab es sicherlich ähnliche auseinandersetzungen und abwägungen zur gestaltung des gedenkens wie im münchener rat, allerdings konnte ich dann völlig unpolitisch "aus dem bauch heraus" meine entscheidungen dazu jeweils im alleingang treffen oder auch wieder verwerfen und neu gestalten - je nach innerem gusto und von wo ich anregungen dazu erhielt. es gibt ja zur gestaltung solcher geschichte und solcher geschichtsblogs keine normierung und zum glück (noch?) keine bewertung, was und wie man das jeweils tut - oder wie man es zu unterlassen oder was man zu vermeiden hat.

mir ist es dabei immer wichtig, möglichst authentisch mit einschlägigem dokumentarischen bildmaterial  aus der familie oder eben aufhellenden symbolischen abbildungen "erna's story" - ihre "euthanasie"-ermordung in 484 tagen - möglichst  "protokollarisch" in ihren dynamischen abläufen zu recherchieren und zu erzählen - und damit besonders auch jungen menschen, schülern und studenten nahezubringen, damit sie vielleicht in der eigenen familie auch dazu forschen oder die sachverhalte bearbeiten für seminare und prüfungen - um diese manchmal zufällige todbringende willkür damals bloßzustellen und anzuzeigen - und sie gegen wiederholungstäter entsprechend zu wappnen - damit sie rechtzeitig sensibilisiert werden: "nachtijall - ick hör dir trapsen"...


erna kronshage - ausschnitt aus dem
original-fotoabzug - ca. 1940
ist das verkitschung? - das gleiche foto
von 1940 digital coloriert...
da war die frage, ob ich das authentische alte bildmaterial, "geknipst" mit einer damals zeitgenössischen agfa-box-billigkamera auf rollfilm, überhaupt vergrößern und bearbeiten darf - und ob die beige- oder sepia-grautöne "nachgebessert" werden können, und ob ich mit einer software die "schwarz-weiß"-fotos jetztzeitmäßig colorieren kann - und dann kam eben auch die frage: sind die roten lippen auf erna's foto nun kitsch - oder zeigen sie doch auch ein wenig ihre aufmüpfigkeit, dass sie als "junges ding" vom lande damals in den vierziger jahren für ein porträtfoto lippenstift auftrug, denn zweifellos war das auch im sepia-originalfoto als fakt deutlich auszumachen.

ich will aber auch "hingucker" ins netz stellen, die überhaupt wahrgenommen werden - und mit denen sich dann die betrachtenden, vielleicht auch über ein "blättern" und "durchscrollen" hinaus, weiterbeschäftigen. das mordprotokoll soll "profil" gewinnen was so durchaus auch gewollt "be-eindruckt" und die betrachter dadurch auch mitnehmen und führen und leiten.

ich hab an anderer stelle mein selbstverständnis dabei einmal den "lotsen-dienst eines fährmanns" genannt. und da möchte ich in den betrachtern interesse wecken, damit sie dann auch imaginär rufen "fährmann - hol über"... - hol über in eine inzwischen entfernte vergangenheit, die uns aber noch so viel lebenswichtiges zu sagen hat.

ausgeblendet

Beschwerdebrief des Ministerpräsidenten

Polen wirft Netflix historische Fehler vor

Die Dokuserie "Der Teufel wohnt nebenan" handelt von dem Kriegsverbrecher John Demjanjuk. Die NS-Konzentrationslager würden in der Netflix-Produktion auf historisch falschen Karten gezeigt, kritisiert Warschau.

Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki hat sich in einem Brief bei Netflix-Chef Reed Hastings über Fehler in der Serie "Der Teufel wohnt nebenan" (Originaltitel "The Devil Next Door") beschwert.

Am Montag begründete der nationalkonservative Politiker auf Facebook selbst diesen Schritt: Historische Darstellungsfehler in solchen Filmproduktionen seien "für deren Schöpfer vielleicht nur unwichtige Irrtümer, aber für Polen sind sie sehr schädlich, deshalb ist es unsere Aufgabe entschlossen zu reagieren". Ein Netflix-Sprecher erklärte, man prüfe den Sachverhalt mit Dringlichkeit.


In der Dokumentarserie über NS-Konzentrationslager und die Suche nach dem Kriegsverbrecher John Demjanjuk sei insbesondere durch historisch falsche Landkarten der Eindruck entstanden, Polen sei für Konzentrationslager und darin begangene Verbrechen verantwortlich gewesen, kritisierte Morawiecki in einem Brief, den er auf seiner Facebookseite veröffentlichte.

Tatsächlich aber habe Polen während des Zweiten Weltkriegs gar nicht als Staat existiert, sondern habe unter der deutschen Besatzung und Gewaltherrschaft gelitten. Viele polnische Bürger seien ermordet worden, weil sie versucht hatten, ihre jüdischen Nachbarn zu retten.

Zuvor hatte bereits das polnische Außenministerium via Twitter kritisiert, die in der Serie genutzte Karte zeige nicht historisch korrekte Grenzen.



Die polnische Regierung achtet streng darauf, dass beispielsweise deutsche Konzentrationslager auf heute polnischem Gebiet nicht als "polnisch" bezeichnet werden. Dies ist durch ein eigenes Gesetz ausdrücklich verboten. Vor allem Vertreter Israels kritisierten in der Vergangenheit wiederholt, das Gesetz könnte auch dazu missbraucht werden, jede Mittäterschaft von Polinnen und Polen an NS-Verbrechen zu leugnen.

Die von den israelischen Regisseuren Yossi Bloch und Daniel Sivan gedrehte fünfteilige Serie "Der Teufel wohnt nebenan", die unter anderem die Prozesse gegen John Demjanjuk in Israel und Deutschland nachzeichnet, wurde bisher überwiegend positiv rezensiert. So konnte sich das "Wall Street Journal" kaum "lohnendere fünf Stunden Fernsehen" vorstellen.

Auch die Betreiber der Auschwitz-Gedenkstätte würdigten auf Twitter, dass "Der Teufel wohnt nebenan" eine wichtige Geschichte erzähle. Allerdings könne man mehr Genauigkeit von einer solchen Produktion erwarten.



Text und Bildmaterial: SPIEGELonline

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also - da hat polen nach meiner meinung eine "minderwertigkeits"- vielleicht auch eine "vertuschungs"-macke im geschichtlichen selbstverständnis und bewusstsein - und mit dem allseits modernen "political-correctness" - ja und mit begriffs- und sprachverwirrung... 

gerade in der "oder-neiße-linie"-debatte früher in meinen ganz jungen jahren in der nachkriegszeit wies polen jeden deutschtümelnden anspruch der landsmannschaften auf gebiete östlich von oder und neiße strikt von sich und beharrte auf "ur-polnisches" gebiet dort.

und heute, wenn es opportun erscheint, radiert man sich von 1939-1945 mal einfach just von der landkarte, um sich ganz klein zu machen und jeden hauch von mittäterschaft oder gar kollaboration von "polnischen bürgern" mit ns-deutschlands truppen zu leugnen und wegzudiskutieren durch eine "nichtexistenz" polens in jener zeit auf diesem gebiet - mit der intention, dass kein pole jemals am holocaust auf der täterseite mitbeteiligt war.

mich erinnert das an früher - an die jahre vor 1989 - als man sich hier in der brd fragte, ob es opportun sei, von der ddr als staat zu sprechen, oder ob man das kürzel doch lieber in anführungsstriche versetzte: "ddr" - oder von der "sogenannten ddr" sprach, oder doch lieber von "ostzone" oder "ostdeutschland" - und der heutige "ossi"/"wessi"-kladeradatsch wirkt darin immer noch fort.

als mitte 2018 das jugendvolxtheater in bethel ein stück spielte auf dem hintergrund des euthanasie-opferschicksals meiner tante erna kronshage, kam ganz am rande diese diskussion um polen oder nicht-polen auch auf, wurde erna doch in der heute polnischen stadt gniezno (deutsch: gnesen) in der dort bestehenden dziekanka-psychiatrieanstalt ermordet, die die deutsche besatzung damals in eine tötungsanstalt namens "tiegenhof" verwandelt hatte.

und als in einem text zur vorstellung des stückes dann eine "vernichtungsanstalt" im "heutigen polen" mit benannt wurde, gab es prompt protest, ganz im sinne des polnischen regierungschefs mateusz morawiecki - obwohl eigentlich jeder einigermaßen geschichtlich informierte zeitgenosse weiß, dass es eine von ns-schergen betriebene tötungsanstalt in der deutschen besatzungszeit polens zwischen 1939-1945 war - allerdings muss man hier durchaus "political correct" auch festhalten, dass neben deutschem personal durchaus auch polnisches "pflege"-personal mitbeteiligt war - und der ärztliche direktor dr. victor ratka sich als sogenannter "volksdeutscher" rasch nach der okkupation den deutschen besatzern anbiederte, weiterhin als direktor zu fungieren, und sich hochkollaborierte bis zum "tötungs-facharzt" in der euthanasie-zentrale "tiergartenstraße 4" in berlin.

er starb in den 60er jahren im sonnigen breisgau als "deutscher" beamter mit pensionsberechtigung - zwei anklagen wegen seiner tätigkeiten als ns-mordarzt wurden wegen "verhandlungsunfähigkeit" eingestellt. hört-hört!

ich habe aber auch den eindruck, als verfahre man in der polnischen klinik dziekanka in gniezno und nicht nur dort auch in der historischen aufarbeitung der zeit von 39-45 in ähnlicher weise des ausblendens und kopf-in-den-sand-stecken - nach dem motto "da haben wir doch nichts mit zu tun": ob alle akten und unterlagen bis in die letzten verwinkelten kellerräume tatsächlich gesichtet, systematisiert und ausgewertet und ggf. "an den absender zurück" überstellt worden sind, oder auch nur der hauch einer durchgehenden übergeordneten systematik darin entwickelt wurde, möchte ich mal bezweifeln. 

da wird dann oft etwas verwinkelt abseits ein raum hergerichtet zur "historie" der einrichtung - und auch aus dieser zeit zeigt man dabei ein paar exponate - aber es ist mehr ein vorzeige-privatmuseum als ein offenes archiv zur aufarbeitung - und schwupps: schon bekommt "psychiatrie" wieder diesen geheimnisvollen verschwiegenen gediegenen touch - dabei will man doch da auch gegensteuern und sich "in der mitte der gesellschaft" zeigen, versteckt sich aber gern hinter "datenschutz" und "persönlichkeitsrechte" und "ärztlicher schweigepflicht".

aber das kann ich nicht einmal allein der polnischen klinik anlasten: auch in deutschland liegt in dieser hinsicht vieles im argen - und auch hier glaubt man, mit einem angemessen seriös gestalteten "gedenk- und erinnerungsort" habe man in dieser hinsicht seine "verdammte" pflicht getan -  

"nun lasst es endlich auch mal gutt sein" - und der schäbige rest muss auch aus irgendwelchen schutzbedürfnis-aspekten und -interessen einfach mal "vertuscht" werden - wie hochoffizielle akten ja auch gern mal "geschwärzt" werden...