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otto malt auch für's museum


OTTO Coming Home (he kummt na Huus) from Kunsthalle Emden on Vimeo.

Otto bildschön

Die Kunsthalle Emden zeigt den Maler im Waalkes: „Coming Home - he kummt na Huus“

Von Alexandra Knief | Tagesspiegel

Es ist wohl eines der populärsten Kunstwerke überhaupt: „Nighthawks“ („Nachtschwärmer“) von Edward Hopper aus dem Jahr 1942. Drei einsame Gestalten sitzen in einer beleuchteten Bar, draußen menschenleere Straßen. Zu sehen ist das Bild aktuell in der Kunsthalle Emden. Aber Moment. Irgendetwas stimmt hier nicht. Statt rothaariger Frau sitzt ein glubschäugiges Faultier rechts an der Theke. Statt zweier Männer mit Anzug und Hut belagern ein Ottifant und ein Mann mit Zipfelmütze die Bar. Und steht da außen am Gebäude wirklich „Leber an Großhirn“?

Es ist keine Hopper-Ausstellung, die in Emden aktuell für eine gut besuchte Kunsthalle sorgt. Es ist der wohl berühmteste Bürger der ostfriesischen Stadt, der hier geehrt wird: Otto Waalkes. Die Ausstellung „Otto Coming Home - he kummt na Huus“ versammelt ein buntes Potpourri an Werken des Emder Ehrenbürgers, der in seiner einstigen Heimat seit Kurzem sogar eine eigene Ampel hat, die einen hopsenden Otto anstelle des grünen Ampelmännchens zeigt.

Neben alten Bühnenrequisiten, Fernsehbeiträgen, Fotos aus Kinder- und Jugendzeiten, Skizzen aus jungen Jahren und selbst gestalteten Schallplatten findet sich in der Ausstellung vor allem eins: jede Menge Kunst - gemalt auf Teeuntergrund mit Mischtechnik. Denn Otto ist nicht nur Komiker, Musiker und Regisseur, er hat auch Kunstpädagogik studiert - und er hat künstlerisch richtig was drauf.

In den vergangenen Jahren hat der Entertainer sich diesem Talent wieder verstärkt gewidmet, dabei sind vor allem diverse Persiflagen berühmter Gemälde entstanden. Caspar David Friedrich, Leonardo da Vinci, Pablo Picasso, Jean Baptiste August Ingres, Edvard Munch, Edward Hopper, Franz Marc, Roy Lichtenstein, Salvador Dalí, Banksy und diverse andere große Namen der Kunstgeschichte werden von Otto in seinen Bildern zitiert, kopiert, imitiert, verfremdet.

Waalkes hatte schon immer seinen ganz eigenen Humor, der zieht sich auch durch seine Kunst - neben allem Witz nicht ohne ein hohes Maß an künstlerischem Ernst: Gekonnt greift er die unterschiedlichsten Stile auf und imitiert die großen Meister auf technisch hohem Niveau. In die Bilder setzt er natürlich seine eigenen Akzente, oder um genau zu sein: seine eigenen Ottifanten. Die sind die Stars in so gut wie jedem Werk.

Da hat Jan Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“ plötzlich einen Ottifantenohrring, da wünscht sich die blonde Frau im Pop-Art-Werk Roy Lichtensteins auf einmal nichts sehnlicher als einen Plüschottifanten. Aus Munchs „Der Schrei“ wird „Der letzte Schrei“, ein Werk, das Otto selbst zeigt, kreischend, das Gesicht in die Hände gestützt, weil im Hintergrund jemand singt und Gitarre spielt, der verdächtig nach Heino aussieht. David Hockneys Poolkulisse wird zum Ottifanten-Arschbomben-Paradies, und Leonardo da Vincis „Dame mit Hermelin“ trägt in der Ottoversion ein Faultier auf dem Arm.

Auch Größen aus Film und Fernsehen treffen auf Ottos Ottifanten, darunter zum Beispiel Star-Wars-Charaktere oder Disney-Figuren. Das Bild „Breakfast At Ottili I“ zeigt Audrey Hepburn mit einem Ottifanten auf der Schulter; ein anderes Gemälde beweist, dass es Ottifanten waren, die einst Marilyn Monroes weißes Kleid nach oben pusteten, und kein Windstoß aus einem Lüftungsgitter. Und auch wenn die Idee, immer wieder kleine Rüsseltiere in weltberühmte Gemälde und ikonische Darstellungen zu schmuggeln, eine simple ist, sorgt sie bei den Besuchern mit jedem neuen Bild für ein weiteres Schmunzeln, das nicht selten in ein lautes Lachen übergeht. Langweilig wird der Witz nie. Nach jedem Ausstellungsraum freut man sich bereits auf den nächsten.

Otto weiß auch nach Jahrzehnten im Rampenlicht noch, wie es gelingt, Menschen egal welchen Alters zu begeistern. Zu seinem Geheimrezept gehört wohl, das seine Witze nie bösartig sind oder auf Kosten anderer gehen. Im vergangenen Jahr wurde der 70-jährige Ostfriese nicht nur zum Ehrenbürger Emdens ernannt, er erhielt auch das Bundesverdienstkreuz. Bilder von der Ehrung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und auch das Kreuz selbst sind ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.

Aktuell, so vermeldet die Kunsthalle, die sich wohl vom Humor des Ostfriesen hat anstecken lassen, diskutiere man über die Ernennung Otto Waalkes' zum Weltkulturerbe. Damit stünde Otto als einziger Mensch auf der gleichen Liste wie der Kölner Dom oder das Bremer Rathaus. Absurd? Mehr als absurd. Aber bei Otto kann man nie wissen.

Bis 22. September, Kunsthalle Emden, Tel.: 04921-97 50 50, kunsthalle-emden.de


„Otto, Sittin' in the Morning Sun“ heißt dieses Bild nach Edward Hoppers Gemälde „Morning Sun“. Bei Otto fehlt natürlich auch der Ottifant nicht.Foto: Otto Waalkes












Lichtenstein oder Picasso? Für den Künstler geht es bei „Her Desire II“ und bei „Pablos Geschenk II“ vor allem darum, Ottifanten unterzubringen. Fotos: Otto Waalkes









































otto ist also nicht nur der blödel-barde, sondern er kann ja auch musizieren und sich inszenieren - und hat last not least kunstpädagogik studiert, was ihn nun mit 70 in die kunsthalle emden gebracht hat, wo er natürlich ein heimspiel hat.

und er hat auch bei seinen kunstwerken nicht etwa einfach "kopiert", sondern er hat gekonnt und sauber zumeist seinen unverwechselbaren original-marken-ottifanten mit dem pinsel überall gut platziert - ansonsten hat er die verschiedensten malstile aller kunstepochen natürlich ausgezeichnet nachempfunden, was den kult-komiker dann ja auch nicht nur als ein später geburtstags-"gag" jetzt museal und künstlerisch ehrt.

helmut schmidt hat mal im alter im fernsehen klavier gespielt - geradezu ein konzert gegeben - und otto stellt nun seine kunst im museum aus - ich meine schon: da stimmt es wieder: die politische kunst des vormaligen alt-kanzlers und auch die "blödel"-kunst von otto mit seinem ottifanten kommen wohl doch letztlich von "können". danke - otto

wir haben keine chance - nutzen wir sie


"wir haben erst angefangen - wir werden immer mehr - wir werden immer mehr" --- | foto: stefan boness | ipon |spiegel-online




und das sieht und hört man ja auch in den "großen" kultursendungen - z.b. auf 3sat: "kulturzeit" - oder auf arte: "metropolis"  - oder sonntagabend oder in der mediathek der ard: "ttt": die politik im weitesten sinne dominiert auch die kulturthemen - und die derzeitigen politthemen sowieso: die (e)-uropawahl und "friday for future" und das "rezo-video" - allesamt mit einem entertainment unterlegt, das an kunst & kultur stark erinnert und derzeit sowieso: auch auf der biennale in venedig - und auf der letzten documenta - und - wetten: auch auf der nächsten!

nehmt euch also jetzt mal 2 stunden zeit - und seht euch dieses "fucking"-video (noch) mal an - vielleicht aber mit pausentaste zwischendurch - und mit dem studieren all der fußnoten, hyperlinks & zitate & hinweise - deshalb auch 2 stunden, denn das video in netto dauert ja nur seine bekannten 55:09 min. - aber studiert es mal tatsächlich - genau - wie es der festspielintendant thomas oberender jetzt im tagesspiegel getan hat - und dessen analyse ich euch nicht vorenthalten darf  -

also - jetzt zum wochenende - wenn es draußen plötzlich am sonntag so um die 30 ° grad warm werden wird, sucht euch ein kühles plätzchen und er-pausen-tastet euch dieses video, damit wir mit rezo - und auch mit greta thumberg und den friday for future-schülern mitahnen lernen, warum das plötzlich so überheiß wird - und das und was wir alle miteinander tun können, dagegen anzustinken - wir haben keine chance mehr - also nutzen wir sie ...

die "volksparteien" haben in dieser hinsicht versagt und auch ihren kredit längst verspielt - sie beschäftigen sich lieber mit den machtspielen in den eigenen reihen (genosse merz - genossin akk - genossin nahles u.a.) - und geben sich ihrer exzessiven masturbation hin: immer mehr desselben - dreh dich also nicht wieder einfach um - sondern "dreh dich um und stelle dich all dem seltsamen um dich und uns herum entgegen" (david bowie).


Thomas Oberender - Foto: promo | tagesspiegel




„Wir sind Rezo“

Die revolutionäre Kraft von 55 Minuten Youtube

Von Thomas Oberender - im Tagesspiegel

Die CDU-Abrechnung von Rezo hat viele Menschen aufgerüttelt – auch den Festspielintendanten Thomas Oberender. Hier beschreibt er, warum ihn das Video so bewegt.

Was tun wir unseren Kindern an, wenn sie - mit der Frische ihrer Jugend, ihrem Charme und Lächeln, nur noch so sprechen können über die Welt, die wir angerichtet haben, wie dieser Rezo in seinem Video. Ich kenne nicht mal seinen Namen und muss so sprechen, als sei ich ein alter Bekannter von ihm. Aber ich bin ein ganz neuer Bekannter, wie bald 12 Millionen andere auch. Mich hat dieser Film sehr nachdenklich gemacht. Was für ein Dokument dieses Video ist. Und was ist eigentlich passiert, dass es gedreht werden musste? Man erfährt nichts Privates über Rezo, obwohl seine Äußerungen glaubhaft und persönlich wirken. Was brachte das Fass zum Überlaufen? Warum wollte er auf seinem Youtube-Kanal nicht länger „nur“ über Musik sprechen?

Wer ist dieser Mann mit der blauen Locke?

"Ch-ch-ch-ch-changes", singt Bowie, "Turn and face the strange." Wer ist dieser Mann mit der blauen Locke? Es ist jemand, der das Spiel ändert. Wir, das sage ich im Blick auf Zeitungen wie die, in der ich jetzt schreibe, haben noch gar keine Sprache für das, was er da sagt und wie er es sagt. Wer hier von „Meinungsmache“ spricht, sollte sich jedenfalls bei Rezo, Bruno Latour und den Lehrern, die Freitags mit ihren Schülern und Schülerinnen auf die Straßen ziehen, entschuldigen.

Auf Youtube hat Rezo mehr Sendezeit als der Bundespräsident in der ARD. Auf Youtube kann sich jeder Dödel Zeit nehmen, so viel er will, aber auch jeder, der weiß, dass bestimmte Botschaften Zeit und Komplexität in der Darlegung brauchen. Alle schreien und reden wahnsinnig schnell auf Youtube und wollen durch pure Energie die Betrachter binden.

Das Rezo-Video sind 55 Minuten Schlagzeilen, weil das Medium so einseitig ist und anmaßend. So wirkt der Film auch eher als Manifest denn als Dossier. Er schafft einen Flow an sorgfältig konstruierten Evidenzen, und erst mit den Fingern auf der Pausentaste wird der Film zum Dossier, der komplex und dicht mit Fußnoten, Lauftext und Filmeinspielungen argumentiert, vor allem aber durch die Form der direkten Ansprache, des „du“ im Blick.

Wer diesen Film mit dem Finger auf der Pausentaste anschaut und all die Hyperlinks und Zitate liest, braucht die doppelte Zeit zum „entpacken“ der Botschaft. Unsere öffentlich rechtlichen Sendeformate der Kritik machen im Grunde das Gleiche wie Rezo: Schauen Politikern auf die Finger, veröffentlichen Fakten und Panamapapiere. In Rezos Film habe ich aber den Eindruck, es geht nicht nur um die Bloßlegung des zu Verachtenden, sondern dahinter ist eine Sorge spürbar, ein anderes Denken des Ganzen. Es gibt etwas, wofür dieser Rezo ist.

Er macht keine Wahlwerbung, er wirbt für die Wahl

Man sagt den sozialen Netzwerken Oberflächlichkeit nach, ein Denken in Blasen, in Filtern. Auf mich wirkt dieser Rezo allerdings sehr gut informiert, professionell und vernetzt in seiner Argumentation. Wenn ich Christian Lindner höre, habe ich das Gefühl, ich erlebe, wie ein Gefallsüchtigkeitsalgorithmus spricht. Rezo hingegen führt eine politisch direkte Rede ohne das Buzzword-Sprech der Politiker. Er hat die Rohheit des Mediums YouTube auf seiner Seite und wollte dieses Dokument schaffen.

Sein Film ist politischer Aktivismus. Aber er spricht nicht als Bewegung, er macht keine Wahlwerbung, sondern wirbt für die Wahl. Er streift die Schummeldecke ab, weil er einen Countdown hört, an dessen Ende, es klingt wie bei Star Wars, die Rettung der Erde steht. Und wir hören ihn nicht.

Mehr zum Thema: Wie die SPD bei Rezo plötzlich etwas richtig machte

Etwas an diesem Film ist für mich die Essenz reiner Jugend: Die Wut, der Charme dieses Jungen, sein Ernst, sein Witz, das spürbare Bemühen, sich zu vermitteln, das zu Tränen rührende Finale mit einem Statement voller Pathos und Dringlichkeit. Er ist klug, jetzt nicht in all diese Talksshows zu gehen und die moderierte Sprache der anderen zu sprechen. Wenn nicht mal die heute-show Witze über ihn macht, das will was heißen.

Die Jugend, schreibt Jon Savage in seinem Teenagerbuch, ist die einzig revolutionäre Kraft. Rezos Film hat die Radikalität, die auch die ganz Rechten haben. Jetzt gibt es dieselbe Einfachheit von links – mit einer völlig anderen, terrestrischen Agenda, die uns als Erdlinge begreift, als Planetenbewohner auf Zeit, die ihre Pflichten haben.

Deshalb weiß ich nicht, ob man überhaupt noch „links“ sagen kann. „Wir haben noch neun Jahre“, heißt Rezos schlichte Botschaft. Neun Jahre, bis die Zerstörung der Erde irreversibel wird. Wir sollten zuhören. Nicht gleich richtigstellen. Nicht denunzieren. Turn and face the strange: Da ändert sich gerade was. Wer hier von „Meinungsmache“ spricht, hat die Zeichen der Zeit nicht gehört. Der verschickt noch Tagesordnungen per Fax.

Der Erfolg von Rezos Video ist auch der von Greta Thunberg. Ihr Tunnelblick auf das Klimaproblem hat die Welt verändert. Rezo und formerfindende Youtube-Journalisten wie Tilo Jung gehen vom „gesunden Menschenverstand“, schwieriges Wort, aus und setzen ihre „Naivität“ als entlarvendes Instrument ein. Sie sind im Neoliberalismus aufgewachsen und ihnen wurde lange gesagt, dass sie selbst an allem Schuld sind, was passiert oder nicht passiert; und so handeln sie jetzt.

Wer sich auf der Überholspur drängelt, wird auf der Kriechspur überholt

Rezo ist eine Systemfolge der Schröderjahre. Weil „die Gesellschaft“ nach Lage der Fakten eben nicht gewährleistet, dass diese Spätgeborenen auf die Rettung ihrer Zukunft hoffen dürfen, bleibt nur die kleine YouTube-Ich-AG. Und die solidarisiert sich jetzt selbst. Arme SPD, das war mal euer Versprechen. Arme CDU, die jetzt versucht, grün zu werden, statt christlich. Niemand von den etablierten Parteien war bislang in der Lage, auf dieses Video adäquat Antwort zu geben. Und so werden sie, die sich auf der Überholspur drängeln, auf der Kriechspur überholt.

Rezo und die Youtuber des zweiten Klimawandelwahlwerbevideos verlangen Respekt. Warum nicht mit Demut zuhören? Da sprechen unsere Kinder zu uns. Warum das gleich wieder relativieren, zurückweisen und sagen: Das dürfen die nicht, wie Annegret Kramp Karrenbauer meint. Die dürfen das! Rezo stellt als Gegenfrage: Könnt ihr das überhaupt? Ich kenne einzelne CDU-Abgeordnete, die im Parlament seit Jahren sehr qualifiziert für den Klimaschutz kämpfen und zur Rettung des Waldes Vereine gründen. Die Sichtweise des Rezo-Filmes ist fundamentaler - wenn diese Politik und Koalition in dieser Sache gescheitert sind, werden die daraus entstehende Problem für uns so gravierend sein, dass es wirklich disruptive Veränderungen braucht.

Nach der Schockwirkung dieser Rezo-Analyse hilft es nichts, dass die CDU und SPD  ihren Standpunkt verteidigen und die verbliebenen Prozente zusammenkratzen. Es geht jetzt um die Sache: dieses Dritte, uns Gemeinsame, die Erde, das Klima - das vor allem, und die soziale Frage. Es geht nicht um im Wahlkampf fehlende Vokabeln. Es hätte nicht geholfen, mehr „zum Thema Klima und digitaler Wandel“ zu sagen. Es geht nicht darum, wer abgelöst und ausgetauscht wird, sondern um die Dringlichkeit der Sachfrage. Wer sich jetzt selbst zu retten versucht, wird verlieren.

Jetzt ist Langsamkeit wichtig. Seltsam, ja, aber so viele Schritte sind zu tun. Tilo Jung schlägt vor, Journalismus staatlich zu fördern, indem die Arbeit von Journalisten gefördert wird, nicht die von Medienanstalten. Ungeheuerlich; wirklich? Ja, vielleicht. Grundeinkommen, doch, nochmal nachdenken! Turn and face the strange. Mein Eindruck ist, wenn ich mit Jugendlichen in Rezos Alter spreche, dass sie sich eine Gesellschaft ohne Angst wünschen. Dass die Angst allgegenwärtig ist, die ein alles durchdringender Wettbewerb verursacht.

Die Privilegierten und Geschonten haben die Welt aufgefressen

 Niemand hat mehr Zeit. Die Universitäten sind voll von Achtzehnjährigen, die in der Regelstudienzeit durch die Kurse eilen, um schnell den Bachelor zu machen und schnell in den Markt zu kommen. Vielleicht war diese sich immer weiter verschärfende Konkurrenz lange gut, aber die sozialen Seelenpuffer sind aufgezehrt. Es geht um gescriptete Realitäten, die uns vermessen und programmieren. Es geht um die Dominanten, Privilegierten und Geschonten, deren „Universalismus“ die Welt unterjocht und aufgefressen hat. Und das hat ein neues Verständnis und eine neue Sensibilität von Hierarchien und Macht erzeugt.

 Diese Verletzung, die Rezo getroffen hat, hat uns alle getroffen. Wir sind Rezo. In seinem Film hat sich die Jugend als Minderheit entdeckt. Er argumentiert, dass die Teilwählergruppe der über Siebzigjährigen größer und wahlentscheidender ist als alle unter dreißig. Ich verstehe seine Panik. Das Absurde ist, dass es diese von der Politik nicht gehörte Minderheit so riesig ist. Das spricht sehr für ein Wahlrecht ab 16.

 Und ich muss mich richtig bemühen, nicht gleich von einer „Generation Rezo“ zu sprechen. Aber: Lieber nichts in diese Akteure hineininterpretieren. Nicht vorwegnehmen, was sie, die sich auf diesen Wegen hörbar machen, angeblich tun oder nicht. Lieber zuhören, ihnen Raum und Respekt geben, nichts besser wissen.

Über weite Teile, nein, als Ganzes wirkt dieses Video wie ein Manifest der Klarheit. Es geht um Ehrlichkeit und Respekt. Es ist wie bei einem Familienstreit, wo nach einigem Gezeter plötzlich dem ältesten Sohn die Hutschnur platzt und er Klartext redet, Fakten auf den Tisch bringt und Schlüsse daraus zieht, die Papa komplett den Atem rauben. Da steht alles auf einmal in einem anderen Licht. Wir verbrauchen die Zukunft unserer Kinder. Und sie sagen es uns.

 Die Politik ist zurück in den Klassenzimmern und Unis. Vor allem auf der Straße. Durch die drohende Klimakatastrophe entsteht ein ähnliches Bedrohungsszenario wie in den späten siebziger Jahren durch die Atomkraft und den Nato-Doppelbeschluss. Damals entstanden die Friedensbewegung, die neuen sozialen Bewegungen und die Grünen. Dies geschah an den üblichen Kollektivierungsformen und Parteien vorbei, genauso wie 1989. Es sind wieder die jungen Leute, die heute die Plätze, die analogen und die digitalen, besetzen und „denen da oben“ Stress machen. Ch-ch-ch-ch-changes!


Quelle: Tagesspiegel.de

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CHANGES - DAVID BOWIE

SONGTEXT ÜBERSETZUNG

Ich weiß immer noch nicht, auf was ich gewartet habe
und meine Zeit ist frei gerannt
Eine Millionen Sackgassen
Jedes Mal dachte ich, ich hätte es geschafft
Es schien, als sei der Geschmack nicht so süß
Also habe ich mich gedreht, um mir entgegenzutreten
Aber ich habe nie einen Blick erhaschen können,
wie die anderen den Fälscher sehen müssen
Ich bin viel zu schnell, um diesen Test zu machen

Ver-Ver-Ver-änderungen
(Drehe dich um und trete dem Seltsamen entgegen)
Veränderungen
Will kein reicherer Mann sein
Veränderungen
(Drehe dich um und trete dem Seltsamen entgegen)
Veränderungen
Muss nur ein andere Mann sein
Die Zeit kann mich verändern,
Aber ich kann der Zeit nicht hinterherlaufen.

Ich sehe, wie die Wellen ihre Größe verändern,
aber niemals den Strom verlassen,
den Strom warmer Unbeständigkeit
So fließen die Tage durch meine Augen
und dennoch scheinen alle Tage gleich
und diese Kinder, auf die du spuckst,
während sie versuchen, ihre Welten zu verändern
sind immun gegenüber deinen Ratschlägen
Sie sind ziemlich bewusst darüber, was sie durchmachen

Veränderungen
(Drehe dich um und trete dem Seltsamen entgegen)
Veränderungen
Sag mir nicht, ich solle auf- und darauswachsen
Veränderungen
(Drehe dich um und trete dem Seltsamen entgegen)
Veränderungen
Wo ist deine Scham
du hast uns bis zum Hals darin gelassen
Die Zeit kann mich verändern,
Aber ich kann der Zeit nicht hinterherlaufen.

Ein seltsamer Zauber fasziniert mich
Veränderung bestimmen das Tempo
Mit denen ich mitgehe

Veränderungen
(Drehe dich um und trete dem Seltsamen entgegen)
Veränderungen
Oh, passt auf, ihr Rock´n Roller
Veränderungen
(Drehe dich um und trete dem Seltsamen entgegen)
Veränderungen
Ziemlich bald nun werdet ihr älter
Die Zeit kann mich verändern,
Aber ich kann der Zeit nicht hinterherlaufen.
Ich hab gesagt: Die Zeit kann mich verändern,
Aber ich kann der Zeit nicht hinterherlaufen.


die unendliche geschichte einer "konkreten poesie" zu alleen, blumen, frauen und bewunderer/*in auf den ramblas in barcelona - 1951

"Tagesspiegel": Ausschnitte aus einem Artikel von Ingo Salmen

Foto: Tagesspiegel - Maria Mercedes Hering






Selten hat eine Hauswand so die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt wie die Fassade der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) in Hellersdorf. Wochenlang stritt das halbe Land vor einem Jahr über die Entscheidung, das Gedicht „avenidas“ zu übermalen. Das Feuilleton debattierte, in sozialen Medien machten Werk und Wut die Runde, selbst CDU-Politiker Jens Spahn twitterte Eugen Gomringers Verse.

Jetzt hat die Wohnungsgenossenschaft Grüne Mitte das Gedicht wieder an einer Hauswand in der Nähe der ASH angebracht. Es solle dadurch einen „würdigen Rahmen“ erhalten und „untrennbar“ mit Hellersdorf verbunden bleiben, erklärt Vorstand Andrej Eckhardt die Motivation der Genossenschaft.

Untrennbar gehört die neue Installation auch zu ihrer Nachbarschaft: Nach Angaben der Grüne Mitte ist das Werk „an sieben Tagen die Woche 24 Stunden lang“ lesbar, weil die Buchstaben nachts von hinten beleuchtet werden. „Wir finden, dass das Gedicht [...] auch in Deutsch und Spanisch eine Leichtigkeit widerspiegelt und ein Gefühl der Lebensfreude vermittelt“, schreibt Eckhardt.

Ein offener Brief des Vorstands zeigt, wie tief die Abneigung gegen die „avenidas“-Kritiker bis heute ist. Eckhardt spricht von „absurden sexistischen Vorwürfen von Studentinnen“, denen Gomringers Werk „geopfert“ worden sei. „Wie werden sich die wahren Sexismus-Opfer (Gewalt, Missbrauch) dabei gefühlt haben, angesichts dieser Debatte?“

Die Hochschule nahm die Nachricht vom „avenidas“-Comeback in der Nachbarschaft gelassen auf. Sie freue sich, wenn Werke von Trägern des Alice-Salomon-Poetikpreises im öffentlichen Raum sichtbar seien, teilte eine Sprecherin mit. Bei der Wohnungsgenossenschaft bedanke man sich „herzlich“.


ich will hier die ganze geschichte bezüglich dieses unschuldigen gedichts gar nicht mehr rekapitulieren - in diesem blog kannst du unter "avenidas" einiges dazu finden oder in den feuilletons aller großen medien vor gut einem jahr ... ein paar persönliche stellungnahmen dazu habe ich inzwischen hier aus dem blog gelöscht - weil es mich damals derartig einseitig gefangennahm, dass ich mich bewusst mit einem rigorosen schnitt anderweitig orientieren musste ... -

ja - man kann sich da hineinsteigern: hineingesteigert haben sich diese zwei #me-too-streiterinnen in der hochschule, als sie in ein unschuldiges gedicht einen popanz malten - als der/oder die betrachter*innen einer typischen straßenszene auf den ramblas in barcelona plötzlich als eine art "lüstling(e)" wahrgenommen wurde(n).

ich wenigstens werde ab jetzt nicht schamvoll die augen senken, wenn mir eine frau entgegenkommt - und von alleen und blumen etwa werde ich nicht "keusch" meinen blick abwenden - schon gar nicht auf den ramblas von barcelona.

aber was ist das ergebnis jetzt - nach einem jahr der argumente hinüber und hernüber: ist jetzt das zweisprachige, nachts hinterleuchtete gedicht an einem gebäude der "grünen mitte" - immer noch ganz in der nähe der hochschule - jetzt ein kompromiss - oder eine bleibend sichtbare kriegserklärung? hat sich irgendeine seite durchgesetzt - und ist das jetzt "demokratie", wie die leitung der alice-salomon-hochschule immer wieder beteuert?

die "kleine" greta thunberg aus schweden hat es auf ihrem asperger-syndrom-hintergrund wesentlich cleverer angestellt, zivilcourage wieder gesellschaftsfähig zu machen: sie hat mit der "zukunft unserer umwelt" einfach das umfassendere thema besetzt - und keine nischenmeinung - sie wurde zum "vorbild" für viele schüler in der westlichen welt - sicherlich auch um "halblegal" freitagmorgens die schule zu schwänzen und so das wochenende zu verlängern.

okay - wir haben ja schon viele bewegungen wieder scheitern sehen: die 68er-bewegungen, die occupy- und die attac-bewegungen - und die pegida-bewegung auf der rechten seite bröckelt etwas stiller vor sich hin oder geht in der afd auf ... - aber z.b. die "grünen" sind aus diesen "graswurzel-bewegungen" mit emporgewachsen und zur zeit immerhin in umfragen die zweitstärkste politische kraft in deutschland ...

wenn sich aber eine öffentliche - also auch mit meinen steuergeldern finanzierte "hoch"schule - hauptsächlich für zukünftige sozialarbeiter*innen mit pädagogischen aufgaben in der öffentlichkeit - derartig von einer kleinstgruppe erpressen lässt - und das dann um der anmeldungen und um "des rufes" willen als "demokratischen prozess" bekundet, unterliegt sie meiner meinung nach einem gefährlichen missverständnis: die demokratie ist nämlich auch kein selbstbedienungsladen: ach da empfindest du etwas missverständlich ? - okay - streichen wir über ... - einfach mit noch missverständlicherem ... 

und ich habe gestern - in einem rückblick - einen tatsächlichen demokratischen prozess um die (nur vorübergehende) gestaltung einer hausfassade noch einmal nachvollziehen können: die verhüllung des reichstages durch das künstlerehepaar christo und jeanne-claude - vor jetzt 25 jahren: mit einer abstimmung im parlament - und gegen den widerstand von ganz prominenten köpfen wie schäuble und hemut kohl - und mit einem tatsächlichen event für 16 millionen euro, finanziert von den künstlern durch die einnahmen ihrer vermarktung des events (übertragungsrechte, bildrechte usw.) ... - also für den steuerzahler für nothing: und wieviele menschen sind deshalb damals nach berlin gepilgert - und haben da geld ausgegeben ...

die übertünchte fassade
die alice-salomon-hochschule sagt nun, man habe ihre erzwungene umgestaltung der fassade mit der übertünchung des gomriner gedichts und dem anbringen von neuen noch wesentlich kryptischeren zeilen aus "ihrem instandsetzungs-etat" beglichen ... - aber als steuerfinanzierte institution unterliegt sie meines erachtens nicht nur ihrer ureigen geprägten hier absurden "demokratischen" überzeugung - sondern eben auch einer öffentlichen kontrolle  - zumal ja auch die fassade offentlich sichtbar ist...

vor allem auch auf dem hintergrund der eigenen vergangenheit in nazi-deutschland - als die namenspatronin alice salomon als jüdin ausreisen musste, und die dann unter neuer strammer nsdap-nahen führung in eine "schule für volkspflege" umbenannt wurde - und sicherlich manche nsv-gemeindepflegerinnen ("braune schwestern") ausgebildet hat - und die nach dem krieg "sich nur zögernd" (s. wikipedia) dem "reeducations-program" der amerikanischen siegermacht beugte und daraufhin nur sehr spröde sich auch öffnen musste für junge männer ...: männer - das waren - und sind offensichtlich - immer noch die "anderen" - etwas ziemlich fremdes und deutlich unterpriveligiertes an dieser ursprünglichen frauenbildungsstätte aus dem jahre 1908 ... - 

frauen wurden also nicht immer und überall und in allen berufszweigen benachteiligt - sozialarbeit und pflege dominierte eindeutig die frau - auch in den führungsetagen - aber niemand wurde zu einer solchen ausbildung verpflichtet !...


Takis Würgers „Stella“

Takis Würgers „Stella“

Ein Fall von literarischer Hochstapelei

von Carsten Otte | taz
Takis Würger erzählt in „Stella“ von einer Jüdin, die zu NS-Zeiten viele hundert Menschen verriet. So bestürzend die Geschichte, so hilflos das Buch.
Was für eine Geschichte! Die Jüdin Stella Goldschlag überlebte den Naziterror, indem sie andere Juden verriet. Erst ließ sie sich mit der Gestapo ein, weil sie versuchte, die Eltern vor der Deportation nach Auschwitz zu bewahren. Aber auch als sie später erfuhr, dass Mutter und Vater nicht mehr zu retten waren, kollaborierte sie mit dem SS-Hauptscharführer Walter Dobberke und spürte als sogenannte Greiferin viele hundert untergetauchte Juden auf. Zu ihrer perfiden Methode gehörte es, auf Beerdigungen aufzutauchen und Juden, die durch den Tod des „arischen Partners“ vogelfrei waren, den Mördern in Uniform auszuliefern.

Diese Geschichte wurde von Peter Weyden, einem ehemaligen Mitschüler Stellas, Anfang der 1990er Jahre in einem Sachbuch ausführlich dargestellt. Es gab eine mehrteilige Spiegel-Geschichte, die ebenfalls von Weyden stammte. Es wurden Dokumentarfilme und Spielfilme über Stella Goldschlag gedreht, auch eine Doku mit Spielszenen, sogar ein Musical mit dem Titel „Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“. Zudem hat sich die Wissenschaft mit den jüdischen Kollaborateuren eingehend befasst. Nur einen Roman gab es bislang nicht.

Der Schriftsteller und Spiegel-Redakteur Takis Würger, so verrät es eine kleine, aber sehr aufschlussreiche Werbebroschüre, habe von der Geschichte zufällig gehört und sofort wissen wollen, ob die Geschichte schon, so nennt man das wohl, „literarisiert“ worden sei. „Ich habe es sofort nachgeschlagen. Am nächsten Tag habe ich die Arbeit am Roman begonnen.“ Reporter müssen schnell sein. Herausgekommen ist schließlich ein schmales Buch, das im Jahre 1942 spielt und formal betrachtet aus drei Textsorten besteht.

Geprügelt. Takis Würger. Foto: S. Döring/Hanser - taz


Neben historischen Ereignissen und Zitaten, die clever kompiliert sind und einen Überblick über die politischen Geschehnisse geben, aber auch so wichtige Informationen wie die Geburt Wolfgang Schäubles vermerken, tauchen in regelmäßigen Abständen kurze Auszüge aus Gerichtsakten auf, die von den Vergehen der Angeklagten Goldschlag berichten. Nach dem Krieg wurde sie nämlich von den Sowjets zu mehreren Jahren Lagerhaft, 1957 in Westberlin noch einmal zu zehn Jahren Zuchthaus wegen Beihilfe zum Mord und Freiheitsberaubung verurteilt. So weit, so journalistisch.

Unfreiwillig komisch

Um die Geschichte nun als emotionales Drama zu verwerten, erfindet Takis Würger einen 20-jährigen Schweizer namens Friedrich, aus dessen Perspektive der nicht gerade originelle Plot erzählt wird: Aufgewachsen in betuchten Verhältnissen, möchte der junge Mann, der nicht nur naiv, sondern leider auch farbenblind ist, ins nationalsozialistische Berlin zu reisen, um dort Zeichenunterricht zu nehmen und nebenbei herauszufinden, ob was dran sei an den schlimmen Gerüchten über die Nazis.

Der Vater, ein polyglotter Samthändler, hält nicht viel von den Plänen des Sohns. Die Mutter, eine daueralkoholisierte Nazisse, ist zumindest froh, dass der Spross in Deutschland weilt. Kaum in der Hauptstadt angekommen, freundet sich Friedrich mit dem blonden und etwas molligen Nacktmodell Kristin an, die er nicht nur beim Aktzeichnen bewundert, sondern auch in geheimen Musikkneipen, wenn sie dort auf der Bühne steht.

Er verliebt sich in die frivole Berlinerin, genießt bald auch die Freundschaft eines Deutschen, der zwar SS-Mann ist, sich aber für gutes Essen interessiert. Friedrich ist erst erschüttert, als herauskommt, dass die Angebetete nicht nur anders heißt, sondern grauenhafte Dinge tut, nämlich „Juden jagen“. Kristin ist eben jene Stella Goldschlag.

Takis Würger orientiert sich am biografischen Material, nimmt sich ein paar erzählerische Freiheiten und bleibt einem Erzählton verhaftet, der zwischen Reportage und einem etwas übersteuerten Sound changiert, der wohl zeigen soll, dass es sich um Literatur handelt. Dabei fallen nicht wenige Sätze auf, die unfreiwillig komisch sind, weil sie etwas zu pathetisch daherkommen, in einem ansonsten biederen Textumfeld geradezu herausstechen und weil sie auf seltsame Weise Symbolcharakter haben: „Jemand musste die Gerüchte von der Wirklichkeit trennen.“

Semifiktionale Collage

Man muss nicht besonders pingelig sein, um die Frage zu stellen, ob Gerüchte nicht eben auch eine „Wirklichkeit“ besitzen, aber auf sprachliche Genauigkeit kommt es in „Stella“ ohnehin nicht an, und so spielt es vielleicht auch nur eine marginale Rolle, ob nun doch die „Wahrheit“ und nicht die „Wirklichkeit“ gemeint ist. Die Wirkmacht der Lüge wiederum war und ist seit Wochen ein großes Thema nicht nur im Feuilleton, sondern in einer breiteren Öffentlichkeit, die zunehmend gereizt reagiert, wenn wieder ein neuer publizistischer Fake bekannt wird.
DAS BUCH
Takis Würger: „Stella“. Hanser, München 2019, 224 Seiten, 22 Euro.
Auch bei „Stella“ handelt es sich um eine Art Täuschung, nämlich um eine literarische Hochstapelei. Das Buch wird als „Roman“ verkauft, es ist jedoch schwierig zu bestimmen, worum es sich wirklich handelt, um eine semifiktionale Collage vielleicht, ein schlampig gemachtes Stück Histotainment gewiss. Der Text liest sich wie ein ausführliches Treatment für ein Filmdrehbuch. Es ist ein Funktionstext in einer Funktionssprache, mit emotionalen Ausrufezeichen, die vielleicht nötig sind für eine verdichtete Version auf der Leinwand. Was bei einem solchen Arbeitspapier nur eine untergeordnete Rolle spielt, nämlich der Stil der Prosa, sollte allerdings die einzige Maßgabe für einen Roman sein. Würger aber scheitert auf allen ästhetischen und auch ethischen Ebenen.

So ungebrochen naiv die Erzählerperspektive, so simpel gestrickt und klischiert die Figuren in ihrer ausgestellten Doppelbödigkeit, so hölzern und mit einfachsten Mitteln wie Dialektwürze und Derbheit versetzt die banalen Dialoge. Immer wieder stolpert man über Formulierungen im nicht andeutungsweise ironisierten Kitschmodus.

Der Ich-Erzähler, der Schlimmes über seine Kindheit zu berichten weiß, räsoniert mit einer gerade noch unterdrückten Träne: „Schweigen wurde meine Art zu weinen.“ Der Berliner SS-Mann Tristan von Appen darf, kaum hat er Friedrich kennengelernt, über das vom Schweizer Ehrenmann angehimmelte Weibsbild mal so richtig vom Leder ziehen: „Die hat Titten, da kannst du Mäuse drauf kacken.“ Und Stella, ganz Berlinerin, sagt auch nicht gerade selten: „Mein lieber Scholli.“

Erschütternd unterkomplex

Damit auch wirklich alle begreifen, worum es in dem Buch geht, muss der etwas einfältige und immer treuherzige Friedrich wirklich alles aussprechen, was gerade verhandelt wird, sodass selbst der nicht wirklich verborgene Glutkern der Geschichte zur Phrase verkommt: „Ich weiß nicht, ob es falsch ist, einen Menschen zu verraten, um einen anderen zu retten.“ Ach wirklich?

Man könnte eine lange Liste der überflüssigsten Dialogfragen anfertigen: „Warum tun wir, was wir tun, meine Liebe?“, heißt es an natürlich entscheidender Stelle. In „Stella“ bleibt vom Wahrheitsanspruch schließlich nur eine entmoralisierter und sinnentleerter Klippschuldefätismus: „Das Leben formt uns zu Lügnern“, lautet Friedrichs dürftiges Resümee. Was auch immer er mit dem „Leben“ meint, was auch immer das Verb „formen“ hier ausdrücken soll, aber wenn sich in diesem Satz eine Lüge offenbart, steckt sie im gewissenlosen Geraune des Autors.

In solchen Sentenzen, die ganz nebenbei die Frage nach Schuld und Verantwortung in einem Kalenderspruch auflöst, zeigt sich nämlich die moralisierende Amoralität des Textes, der sich nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich völlig unreflektiert und erschütternd unterkomplex einem äußerst komplexen Thema nähert.

Der Hanser-Verlag sollte sich zumindest die Frage gefallen lassen, ob es sinnvoll ist, für diesen Roman ausgerechnet mit einem Satz von Daniel Kehlmann zu werben, der die Latte nicht nur hoch hängt, sondern literaturhistorischen Unsinn verbreitet: „Takis Würger hat sich etwas Aberwitziges vorgenommen: das Unerzählbare zu erzählen.“

Es handelt sich keineswegs um etwas „Unerzählbares“

„Stella“ erzählt garantiert nicht das „Unerzählbare“, also die Massenvernichtung der Juden. Es geht Takis Würger eher um die Blindheit der Liebe (oder so ähnlich) und den Willen zum Überleben auch auf Kosten der anderen – die Bedingungen und Gründe für den Genozid sind nicht Thema des Buchs.

Die Formulierung ist ohnehin Quatsch, weil es zahlreiche Romane, Sachbücher, Gedichte und auch filmische Dokumentationen über die Schoah gibt, die genau das ausführen, was Takis Würger nur am Rande streift.

Insofern handelt es sich keineswegs um etwas „Unerzählbares“. Vielleicht sollten sich Würger und Kehlmann noch mal den „Roman eines Schicksallosen“ von Nobelpreisträger Imre Kertész anschauen. Oder die Arbeiten von Claude Lanzmann. Eine verkaufsfördernde Debatte sollte es um „Stella“ nicht geben. Dafür bietet dieses in so vielerlei Hinsicht schwache Buch keine angemessene Grundlage.

taz - Dienstag, 15.01.2019, S17 - kultur


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Furor, Fakten, Fiktion

Takis Würgers Roman „Stella“ und die Kritik

Seit einiger Zeit wird den deutschen Feuilletons gerne nachgesagt, sie seien handzahm geworden. Bücher, Filme, Premieren allerorten - und keine Verrisse mehr. Es wird nur noch gekrittelt, nicht mehr kritisiert, so der Vorwurf. Jetzt dürften diese Stimmen verstummen, denn die Rezensionen zu dem bei Hanser erschienenen Roman „Stella“ von Takis Würger über die jüdische Gestapo-Agentin und Verräterin Stella Goldschlag fallen nicht nur kontrovers aus (positiv: „Welt“, „Tagesspiegel“, negativ: „Süddeutsche“, „FAZ“,  „Zeit“-online), sondern auch derart harsch, dass man sich an den Furor eines Marcel Reich-Ranicki erinnert fühlt.

Von „Schund, der noch nicht mal als Parodie durchgeht“ ist die Rede, von „Ärgernis, Beleidigung, oder einem richtigen Vergehen“, von „Gräueln im Kinderbuchstil“ und „Nazischnurre mit Fertigfiguren“. Das ist heftig, wütend, wüst.

Es geht im Wesentlichen um die Frage, ob ein Roman über den Holocaust mit einer authentischen Figur als Titelheldin auch unterhaltsam sein darf, flott, leicht konsumierbar, etwas zum Verschlingen. Es geht um Moral und Wahrhaftigkeit, um Realität, Fantasie und Ausbeutung der Wirklichkeit, um die Freiheit der Literatur und die Grenzen dieser Freiheit.

"Mein lieber Scholli." Stella Goldschlag im Gerichtssaal 1957, Ullstein-Foto | taz



Vor zwei Jahren reüssierte der Stoff als Musical an der Neuköllner Oper und stieß auf positive Resonanz - als wahrlich leichte Muse. Und der Holocaust ist längst Vor- und Grundlage für alle möglichen Sorten von Bestseller-Literatur und Kinomelodramen, von der gerade wieder aufgeführten TV-Serie „Holocaust“ über den „Jungen im gestreiften Pyjama“ bis zu Bernhard Schlinks mit Kate Winslet verfilmtem Roman „Der Vorleser“.

Es ist klar, dass sich die Aufregung vor allem aus den jüngsten Auseinandersetzungen um den „Spiegel“-Reporter und Ex-Kollegen von Takis Würger, Claas Relotius, speist, der Reportagen erfunden hat. Und aus dem Streit um den österreichischen Schriftsteller Robert Menasse, der dem Europapolitiker Walter Hallstein Zitate in den Mund gelegt hat, nicht nur in seinem Brüssel-Roman „Die Hauptstadt“, sondern auch in Reden und Essays. Seit der Causa Relotius ist die Medienöffentlichkeit in Sachen Fakt und Fiktion sensibilisiert. Und auch hysterisiert.

Die „FAZ“ stellt in ihrer „Stella“-Rezension jedenfalls einen direkten Zusammenhang her. „Relotius reloaded: Hanser blamiert sich mit einem kitschigen Roman“, heißt es da. Die „Süddeutsche“ nennt den Roman das „Symbol einer Branche, die jeden ethischen und ästhetischen Maßstab verloren zu haben scheint“. Interessant wäre die Frage, ob die grundverschiedenen Genres von Belletristik und literarischer Reportage auch einer jeweils eigenen oder doch ähnlichen Moral gehorchen. Dass bei Journalismus und Literatur andere Regeln gelten, ist eine Binsenweisheit. Wird sie nun obsolet?

Die besonders reißerischen Berichte über den Fall „Stella“ weisen neben der Tatsache, dass Würger einen - nicht näher bezifferten - hohen Vorschuss erhalten habe, auch darauf hin, dass Hanser-Verleger Jo Lendle persönlich das Buch lektoriert habe. Nun versteht es sich bei Spitzen-Titeln eines Verlags von selbst, dass der Chef persönlich beteiligt ist, alles andere wäre verantwortungslos.

Lektor Florian Kessler, der ebenfalls an dem Buch mitgearbeitet hat, reagierte detailliert auf die Vorwürfe der ersten Kritiker - auch ein eher ungewöhnlicher Vorgang. „Au Backe“: Er plädiert gegen einen Bannfluch. Letzten Sommer habe ihm ein Literaturredakteur vor jeglicher Lektüre von „Stella“ gesagt, dass er das Buch verreißen werde. Kessler wirbt für eine offene Diskussion über Bücher, die versuchen, in „moralische Komplexionen“ hineinzuführen, über die Vielfalt von Erzählweisen.

Der Streit um die Wahrheit von Geschriebenem in Zeiten einer sich immer schneller drehenden Medienwelt muss unbedingt weiter geführt werden. Nur Hysterie ist nicht hilfreich. Christiane Peitz

TAGESSPIEGEL, 15.01.2019, S. 23 - Kultur

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gleich vorweggeschickt: ich habe weder das buch gelesen noch vorher jemals von stella goldschlag gehört. wahrscheinlich ist das eine nie wiedergutzumachende lücke in meiner allgemeinbildung - aber deshalb wusste ich bis dato auch nicht, dass es auch jüdische kollaborateurinnen gab, sogenannte "greiferinnen" (hab ich erst jetzt in diesem zusammenhang als bezeichnung dafür wahrgenommen), die gemeinsame sache mit den nazis machten.

aber vielleicht hatten sie ja einen - heutzutage würde man sagen - "deal", der ihr das überleben zusicherte bei denunziation - und dann bewegt sich ja der kern der geschichte um stella goldschlag (unbedingt dazu den "neutralen" wiki-eintrag lesen ...) auf einem recht zweischneidigen schwert (= so etwas wie "verrat aus notwehr") ...

und wenn eine solche zweischneidige angelegenheit dann einem "roman" unterlegt ist, setzt sich diese ambivalenz dann höchstwahrscheinlich auch fort - und kommt auch bei den rezensenten - je nach gusto - ebenso zweischneidig an - wie oben beschrieben: die einen schreiben so ("welt" und "tagesspiegel" usw.) - die anderen so („süddeutsche“, „faz“, "taz", „zeit“-online usw.) ... 

und mein böser verdacht flammt dann auf: die einen schreiben als pr-kampagne gegen knete vom hanser-verlag - die anderen hatten nur ein beleg-exemplar zur rezension ohne weitere pr-absprachen oder konto-überweisungen im hintergrund ...

und: der autor takis würger arbeitet ja als redakteur beim "spiegel" - ausgerechnet in der seit dem "relotius-skandal" stark umwölkten "gesellschafts"-redaktion - - und das vorgelegte buch hat ja deshalb schon ein gewisses "gschmäckle".

und da wird dann auch noch einmal zwischen "kollegen" und "konkurrenten" jeweils um auflagenhöhe und clicks ganz besonders ausgewertet und "verrissen" oder "goutiert", auch je nachdem auf welcher journalisten-kaderschmiede man seine schreibe "erlernt" hat, und wer neben wem am tisch der ausbildungsstätte gesessen hat ... - 

dann die knallharte konkurrenz unter den buchverlagen um auflagenhöhe, preise, zeitgeist, politische ausrichtung, film- und übersetzungsrechte usw. usf.

und weiterhin: ist es ein rezensent oder eine rezensentin? - wo ja die protagonistin eine schillernde weibliche persönlichkeit war - und dann noch jüdin - und dann auch noch nach der jeweiligen heirat mit insgesamt 5 männern letztlich 1994 im suizid mit einem sprung aus dem fenster endete ... - verzwickter kann also der wust an interessenlagen in abscheu und sympathie zu diesem werk gar nicht sein - und insgesamt auch schon wieder der stoff eines plots für eine neue durchaus beschreibbare und verfilmbare geschichte ...

wahrscheinlich muss ich das buch erst tatsächlich selbst lesen - und lass es auf mich wirken - und bewerte erst danach - ich muss es ja nicht gleich kaufen: in meiner ausleih-bibliothek gibt es die neuerscheinungen jeweils gegen eine gebühr von 2,00 uro - und bei bedarf - wenn es denn über gebühr in mir nachwirkt - kann ich es immer noch kaufen ... - und - nix für ungut - chuat choan

# nazis raus

Hass im Internet

Ein "# nazis raus" und seine Folgen

Eine ZDF-Reporterin erhält massenhaft Mord- und Vergewaltigungswünsche. Sie hatte gewagt, eine demokratische Selbstverständlichkeit auszusprechen. Ein Kommentar 

Von SEBASTIAN LEBER | Tagesspiegel

  • Seit sechs Tagen wird sie auf Twitter mit Hass überzogen. Männer wünschen ihr, sie möge vergewaltigt, verstümmelt, erschossen werden. Gemäßigtere nennen sie "Abfall", der entsorgt gehöre.

Was sich Nicole Diekmann, Korrespondentin aus dem ZDF-Hauptstadtbüro, zuschulden kommen ließ? Sie hatte zunächst auf ihrem privaten Twitter-Account am Neujahrstag zwei Wörter gepostet, die eigentlich eine demokratische Selbstverständlichkeit sind: “Nazis raus”. 


Die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann. S!|art-graphic nach einem ZDF-screenshot


Der Spruch wird seit mehr als 30 Jahren von Menschen benutzt, die nicht wollen, dass Nationalsozialisten in Deutschland je wieder Macht erlangen. Er ist eine Entgegnung auf die rechtsradikale Parole “Ausländer raus”, wurde nach den Morden von Mölln und Solingen gerufen, auch bei Gerhard Schröders “Aufstand der Anständigen” im Jahr 2000 und immer wieder am Wegesrand von Märschen Rechtsradikaler, die in Deutschland eine Diktatur errichten wollen.

“Nazis raus” bedeutet: Nie wieder Faschismus. Es ist ein Bekenntnis zum Grundgesetz, zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, ja zur Bundesrepublik Deutschland an sich. Wer sollte sich von so einem Spruch angesprochen und angegriffen fühlen, außer vielleicht ein Nazi?

Dass eine Journalistin für ihre Haltung, die zum Glück auch 2019 einen gesellschaftlichen Grundkonsens widerspiegelt, Hass erfährt, sagt womöglich etwas über Diskursverschiebungen der vergangenen Monate aus. Vor allem aber über die Drastik, mit der Rechtsextreme virtuell, oft im Schutz der Anonymität, gegen Demokraten vorgehen.

Wie umgehen mit dem Shitstorm?

Ähnliche Hetzkampagnen gab es zuletzt gegen die SPD-Politikerin Sawsan Chebli oder die Moderatorin Dunja Hayali. Der Journalist Richard Gutjahr hat bei der jüngsten re:publica eindrucksvoll beschrieben, wie er selbst gegen Hetzer vorgeht. Andere Opfer versuchen sich zu schützen, indem sie vorübergehend ihre Accounts in sozialen Netzwerken deaktivieren, also untertauchen in der Hoffnung, dass der "Shitstorm" vorüberzieht.

Nicole Diekmann entschloss sich für einen anderen Weg: Sie veröffentlichte einige der Kommentare und antwortete mit Ironie. Dadurch wurde es noch viel schlimmer. Denn neben Gewaltfantasien bekam Diekmann auch Reaktionen von Nutzern, die versuchten, sie in absurde Diskussionen zu verwickeln. Einer fragte: "Was ist denn für Sie ein Nazi?" Als ob das Wort nicht für sich stände. Um zu zeigen, wie albern die Frage ist, antwortete Diekmann: "Jede/r, der/die nicht die Grünen wählt."

Ich habe gelacht, als ich auf Twitter die clevere Antwort las. Und war erschrocken, als ich feststellen musste: Rechte verbreiteten ihren Witz weiter, behaupteten aber allen Ernstes, die Journalistin würde es tatsächlich so meinen. Und noch irrsinniger: Andere glaubten das. So geriet der Tweet in Kreise, die für Argumente überhaupt nicht mehr zugänglich sind: die Blase der Verschwörungstheoretiker. Eine Blase, in der Menschen an Chemtrails und Freimaurer im Bundestag glauben oder die behaupten, beim Anschlag vom Breitscheidplatz habe es 2016 gar keine Toten gegeben, weil die ganzen blutüberströmten Menschen eigentlich vom Staat bezahlte Schauspieler waren… Mit den Menschen in dieser Echokammer kann man nicht diskutieren, in diese Echokammer dringt keine Vernunft ein, dringt nur sehr viel Hass heraus.

Man kann nur hoffen, dass die Journalistin von ihrem Umfeld alle erdenkliche Unterstützung bekommt, auch von den Kollegen.

# nazis raus.
auch im stadion gilt: # nazis raus - bundesligaclubs solidarisieren sich mit nicole diekmann - nach einem foto von imago (sportbuzzer)
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ich möchte mich dem slogan von nicole diekmann anschließen und mich voll & ganz solidarisieren - als 72-jähriger linksgrünversiffter alt-68er: nazis raus !!!

dazu gab es ja auch schon beispielsweise die "unteilbar"-demonstration im vergangenen herbst, als mehr als 250.000 menschen ein gemeinsames zeichen für solidarität und gegen rechte hetze gesetzt haben.

ja - aber es muss wohl wieder einmal "ein ruck durch deutschland" gehen: denn es ist die aufgabe aller demokraten, lautstark dagegen zu protestieren und den rechten nicht die meinungshoheit zu überlassen: 
# nazis raus aus den behörden, 
# nazis raus aus der bundeswehr und polizei - und 
# nazis raus aus den parlamenten - und ich meine auch: 
# nazis raus aus den leserbrief-meinungsforen der medien, die dort nur noch mehrheitlich einseitig geflutet werden ...

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meinungsmanipulation in den leserbrief-foren 

die meinungsforen unter den infragekommenden zeitungs-onlineartikeln werden inzwischen nach meinen unmaßgeblichen beobachtungen von 70 - 80% rechtspopulistischen vielschreibern - wahrscheinlich auch unter einsatz von meinungsmachenden algorithmengesteuerten bots dominiert - die tatsächlich wie in einer blase massenhaft mit immer gleichen argumenten aber mit unterschiedlichen meist rüden texten völlig einseitig operieren ..., und wo beispielsweise unter dem größtenteils einschlägig zynischen "meinungs"-geschwafel eines henryk m. broder in der "welt" in der regel binnen 120 bis 180 minuten mit bis zu 300-400 "leser" ihm fast ausnahmslos beifall zollen - und ihn euphorisch mit "weiter so" wie einen "messias" feiern...

ich habe auch deshalb mein "'welt'-gold plus"-abo letzte woche nach über einem jahr gekündigt - aber auch, weil ich bei anderen "welt"-redakteuren immer öfter mit einer regelrechten "68er-phobie" - über das ganze 50-jährige "jubiläums"jahr verteilt - konfrontiert wurde ... - unterbrochen allerdings mal von einem interview von stefan aust mit gretchen dutschke - aber wohl mehr unter sozialen aspekten und aus alter verbundenheit - und vielleicht unter der prämisse, den einschlägigen "welt"-lesern eine wasserstands-meldung zu geben, wie die witwe von rudi dutschke  nach all den jahren in freud und leid immer noch tickt ...

ich erlebe diese ad-hoc-kündigung meines "welt-abos" wohl so ähnlich, wie der robert habeck seinen ausstieg aus facebook und twitter ... - als befreiungsschlag und als neues durchatmen ...

ich hatte die "welt" seinerzeit abonniert, um mich - wie oben beschrieben - als alt-68er im "reifen" alter "umfassend" und eben nicht einseitig ausschließlich durch "taz" und "spiegel" usw. zu informieren - allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, eben sporadisch mit solchen verrissen meiner generation und meiner persönlichen wurzeln konfrontiert zu werden - wenn ich mich mal in den foren äußerte und meine für die mehrheit der leserschaft sicherlich "exotische" minderheitenmeinung kundtat, erntete ich meist hohn & spott - von wegen: "meinungsforum" der leser-"community": es ist einfach unmöglich, von leuten, die einen falsch verstehen wollen, richtig verstanden zu werden. und da will man gar nicht "meinungen" austauschen und bewerten und stehenlassen können - sondern da will man lediglich den jeweiligen meistens oft verquer daherkommenden rechts-populistischen mainstream bestätigt bekommen und gesinnungskameraden rekrutieren ... - und sich vergewissern: "wir werden immer mehr" 

und ich muss mich und meine generation ja nicht darüberhinaus auch noch von den machern, die mir ihre meinung gegen knete - in einem zugegeben: hervorragenden layout - verkaufen wollen, auch noch beleidigen und desavouieren lassen  - und deshalb: so long - und ich werde auch mit meinen "clicks" zu den seiten und artikeln des "welt"-imperiums eisern sparen: andere mütter haben auch schöne töchter ...

und trotzdem nix für ungut - und chuat choan


"holocaust" - wiederholung der 4-teiligen tv-serie in den dritten programmen | update

Späte Katharsis

Vor 40 Jahren schockierte die TV-Ausstrahlung der US-Serie „Holocaust“ die Deutschen. Sie veränderte die Erinnerungskultur

Von Caroline Fetscher / DER TAGESSPIEGEL

„Anruf erwünscht“ war in Riesenlettern im Studio zu lesen, darunter die Nummer des Zuschauertelefons. Nach jeder Ausstrahlung einer der vier Folgen der US-Serie „Holocaust. Die Geschichte der Familie Weiss“ lud der WDR Ende Januar 1979 Studiogäste zur Diskussion, nach jeder Folge durften Zuschauer anrufen. Tausende griffen zum Hörer, 30 000 sollen es insgesamt gewesen sein. Die meisten drängte es, von ihrem Schock zu berichten, von Scham und Schuldgefühlen. „Schluchzend oder bedrückt beteuerten Leute, sie hätten von nichts gewusst“, erinnert sich eine damalige Mitarbeiterin des Senders in Köln. Es war, als wollten sie sich entschuldigen, entlasten. Auch Abwehr gab es, wütende Rufe nach dem „Schlussstrich“ oder solche, die sich über „die Lügen“ der Serie zum Judenmord empörten. Aber es riefen sogar ehemalige Wehrmachtsangehörige an, die bestätigen wollten: „So war es.“

Das Fernsehprojekt „Holocaust“ schien vielen unerhört, nicht zuletzt wegen des grassierenden Antiamerikanismus. Ausgerechnet Amerikaner hatten die NS-Verbrechen der Deutschen zu Unterhaltungsstoff verarbeitet. Was wusste man schon auf der anderen Seite des Atlantiks? Allerdings war die Story der fiktiven jüdischen Arztfamilie Weiss und der nichtjüdischen Familie Dorf gut recherchiert; es lebten genügend jüdische Exilanten in den USA, die zurate gezogen worden waren. Außenaufnahmen drehte das amerikanische Filmteam unter anderem im Berliner Stadtteil Wedding. Zwischen den rußgeschwärzten Fassaden des Arbeiterviertels ließ sich 1977 ohne großen Aufwand das Warschauer Ghetto nachstellen. Für Szenen in den Lagern Auschwitz und Buchenwald nutzte die Crew des Senders NBC die KZ-Gedenkstätte Mauthausen in Österreich. Mehrere amerikanische Schauspieler, die NS-Täter darstellten, wurden während der Dreharbeiten krank, berichtet die damalige Produzentin in der Dokumentation von Alice Agneskirchners „Wie ,Holocaust' ins Fernsehen kam“, die Mitte Januar gezeigt wird, wenn die Serie nach 40 Jahren wiederholt wird.

Den Anfang der Geschichte, die sich im Zeitraum von 1935 bis 1945 abspielt, machte die Hochzeit von Karl Weiss und Inga Helm, eine der ersten, herausragenden Rollen von Meryl Streep. Nach den Nürnberger Gesetzen begegnet das Berliner Paar Repressalien gegen die „Rassenschande“ der „Mischehe“, die Atmosphäre wird zunehmend gespannter. Doch auch als Ausgrenzung und Entrechtung nach der Pogromnacht 1938 eskalieren und die nationalsozialistische Menschenjagd täglich brutaler wird, will Karls Mutter Berta Weiss noch fest „an das Land von Beethoven und Schiller“ glauben, das wieder zu sich finden würde. Unterdessen offeriert der arbeitslose Sohn der „arischen“ Familie Dorf, der Jurist Erik, seine Dienste der NSDAP, fängt Feuer und steigt auf zum persönlichen Referenten Reinhard Heydrichs, der den Terror gegen Juden organisiert. Erik Dorf wird Schritt für Schritt zum Täter.

Schon im April 1978 hatten mehr als hundert Millionen Amerikaner die „Holocaust“-Serie gesehen, gebannt und aufgewühlt. „Nazi Germany“ hatte die Gesichter gewöhnlicher Menschen erhalten: jüdischer, mit deren Not man sich identifizierte, nichtjüdischer, deren inhumane Kälte abstieß. Zuschauer sahen Opfer und deren Mörder, Verfolgte und Verstrickte. Es ging um Alltag, Feiern, Karriere, Liebe und Streit, Mut und Verrat. Gegen Ende, als jegliche Zivilisation kollabiert, konnten die Zuschauer ahnen, was die Implosion aller Hoffnung bedeutet hatte. Auseinandergerissen durch Flucht und Deportation in Ghettos und Vernichtungslager hört die Familie Weiss auf zu existieren. Allein der jüngste Sohn Rudi ist 1945 noch am Leben.

War das Massenmord, massentauglich bearbeitet? In der New York Times hatte der KZ-Überlebende Elie Wiesel die Nichtdarstellbarkeit des Holocaust beschworen, entsetzt von dessen „Trivialisierung“ durch eine „Seifenoper“. Rechtfertigend zitierte darauf der Drehbuchautor Gerald Green Unterstützer wie Raoul Hilberg, Eugen Kogon oder Primo Levi. Wiesels Ansicht wiederum teilte auch Claude Lanzmann, Regisseur der monumentalen Dokumentation „Shoah“, an der er längst arbeitete, als „Holocaust“ gedreht wurde, und noch lange weiterarbeitete, nachdem „Holocaust“ gezeigt worden war. Lanzmann brauchte zwölf Jahre. Er filmte 350 Stunden Interviews mit Überlebenden, Zeitzeugen und Tätern, aus denen die wohl bedeutendste zeithistorische Dokumentation wurde. Neuneinhalb Stunden, ohne Musik, Interviews und Kommentare aus dem Off zwingen dazu, das Unerträgliche wenigstens als Erzähltes zu ertragen. Schon in dieser Form durchbricht es die Schallmauer der Seele.

„Wer behauptet, der amerikanische Film ,Holocaust' hätte die Deutschen aufgerüttelt, der lügt“, erklärte Lanzmann gegenüber der Filmkritikerin Heike Hurst im Juli 1985. „Es war nur ein Strohfeuer, denn dieser Film war ein totaler Schwachsinn.“ Hunderte Male habe er auch nach dessen Ausstrahlung erlebt, dass die alten Nazis, die er aufspürte, „von den Jungen, ihren Kindern, geschützt wurden“. Lanzmann blieb bei der Undarstellbarkeit des Holocaust, auch später, als Steven Spielbergs Epos „Schindlers Liste“ ins Kino kam, vor 25 Jahren. Und Lanzmann hatte recht, er hatte moralisch, politisch und ästhetisch recht. Trotzdem ist die Wirksamkeit gerade trivialer Genres unleugbare Realität. Nicht ohne Grund steht etwa „Schindlers Liste“ in einigen arabischen Staaten auf dem Index - der Film könnte Empathie für die Sündenböcke wecken.

Zwanzig Millionen Deutsche sahen die Serie 1979, die Einschaltquoten lagen teils bei rund 40 bis 50 Prozent. Weltweit erreichte „Holocaust“ in insgesamt dreißig Ländern etwa 700 Millionen Zeitgenossen. Im Sommer 1978 hatte der WDR die Senderechte für die Bundesrepublik Deutschland eingekauft, doch bei der ARD hatten die Programmmacher zunächst damit gehadert: War das den Deutschen zumutbar? War die Serie pietätlos? Würde sie den Antisemitismus neu anfachen? Gerüchten zufolge steckte „die SPD“ hinter dem teuren Ankauf für mehr als eine Million D-Mark, schrieb „Die Welt“.

Aber wie blamabel wäre es erst, wenn sich nun gerade die Deutschen verweigerten! Immerhin könnte man jene erreichen, die Dokumentarfilme mieden. Nach knappem Votum einigten sich die Fernsehdirektoren auf einen präzedenzlosen Kompromiss. Statt im Hauptprogramm würde die Serie Ende Januar 1979 zeitgleich auf allen dritten Programmen laufen. Zur Vorbereitung wurden Dokumentationen gesendet, in der Presse, an Schulen und Universitäten wurde debattiert, und die Bundeszentrale für politische Bildung druckte Begleitblätter. Noch ehe der erste Teil lief, schickten Gegner Hasspost an die ARD, und Bombenanschläge beschädigten Sendemasten in Koblenz und im Münsterland.

Anfang Februar 1979 verkündete das Titelblatt des „Spiegel“ zu einem Foto der Filmfigur Erik Dorf in SS-Uniform: „Der Judenmord bewegt die Deutschen“. Der Bericht dazu fing an mit den Worten: „War das, endlich doch noch, die Katharsis? War es.“ So hatte es ein Psychoanalytiker formuliert: Die Serie habe reinigende, kathartische Wirkung, wie eine griechische Tragödie. „Im Haus des Henkers“, schrieb der Spiegel über die „historische Woche“ der Ausstrahlung, „wurde vom Strick gesprochen wie nie zuvor“.

Dass „Holocaust“ ein bundesweites Thema und der Begriff selber damals zum Allgemeingut wurde, lag daran, dass die Serie dem breiten Publikum gab, was keine Dokumentation geben kann oder darf: Offene, emotionale Einladung zur Identifikation, romanhaft verflochtene Erzählstränge, die Erlaubnis zu Tränen der Erschütterung, zu Kino-Mitempfinden, selbst sentimentalem oder tröstlichem. Damit durfte es auch um uns selber, um die Zuschauer gehen. Undenkbar wären solche Affekte angesichts der Aussagen von Zeitzeugen. Sie wären tabu durch den intuitiven Respekt, die lastende Ehrfurcht und die Panik vor der nicht aushaltbaren Realität. In der fiktiven Narration Genre bleibt das Grauen hinter Milchglas, und so näherte sich das Publikum dem Grauen an - und damit sich selber.

Unzumutbar schien den bundesdeutschen Sendern seinerzeit offenbar der Schluss der amerikanischen Serie. Ihr vierter Teil, „Die Überlebenden“, endet mit Palästina, mit Israel als Perspektive auf einen Neubeginn. Die deutsche Fassung kappte ihn. Sie schloss mit dem Appell, das Schweigen über die NS-Verbrechen aufzulösen. Jetzt, in der Wiederholung, werden auch die zwölf damals zensierten Minuten gezeigt.



Geschichtsbilder. Jüdische Familien werden nach Auschwitz deportiert, Szene aus der Serie „Holocaust“. Foto: dpa/picture alliance

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filmstill aus "holocaust"
„Holocaust“ erneut im Fernsehen

Viele begriffen die Shoah und die Nazi-"Euthanasie" erst durch diese Serie

  • TV-Geschichte: Vor 40 Jahren bewegte das Schicksal der jüdischen Familie Weiss die Deutschen. Viele fanden über die US-Fernsehserie Zugang zu ihrer eigenen Geschichte. 
  • Ab Montag läuft die Wiederholung


Köln (epd). 40 Jahre nach der deutschen Erstausstrahlung zeigen drei dritte Programme der ARD erneut die US-amerikanische TVSerie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“.

Der erste der vier Teile läuft am kommenden Montag um 22 Uhr im NDR, SWR und WDR, wie der NDR am Donnerstag ankündigte. Die Erstausstrahlung von „Holocaust“ 1979 erreichte Einschaltquoten von bis zu 39 Prozent und gilt als Meilenstein der deutschen Fernsehgeschichte.

Die Ausstrahlung der Fernsehserie war 1979 nicht nur ein Medienereignis, sondern auch ein Wendepunkt in der deutschen Erinnerungskultur. Danach wurden Naziverbrechen und Massenmord an den europäischen Juden anders wahrgenommen.

Mit „Holocaust“ geriet Auschwitz ins kollektive Gedächtnis und der Begriff „Holocaust“ wurde Allgemeingut, bis heute.

Zuvor war die Serie im US-Fernsehen gelaufen, durchaus umstritten. Der jüdische Philosoph und Holocaust-Überlebende Eli Wiesel(1928-2016) fällte das Urteil, es handle sich um eine „Trivialisierung des Holocaust“.

Produziert wurde sie vom US-Sender NBC. Sie war eine Antwort auf den kommerziellen Erfolg der ABC-Serie „Roots“ über die Sklaverei in den USA.

meryl streep spielt in der us-serie
"holocaust" inga helms-weiss,
die in den 1930er jahren einen juden heiratet.
„Holocaust“ erzählt von der Judenverfolgung der Nationalsozialisten am Beispiel zweier fiktiver Familien, der jüdischen Familie Weiss und der Familie des SS-Sturmbannführers Erik Dorf. Die Protagonisten durchleben im Film wesentliche historische Stationen, von der Pogromnacht 1938 bis zum Warschauer Ghetto, vom Massaker in Babi Jar bis Auschwitz. Gedreht wurde in Wien, Berlin-Wedding und im KZ Mauthausen. Die Darsteller der wichtigen Rollen kamen aus den USA, die Nazis wurden von Briten gespielt, deutsche Schauspieler fanden sich nur in Nebenrollen.

„Holocaust“ wurde in mehr als 30 Ländern ausgestrahlt und von weltweit 700 Millionen Zuschauern gesehen. Die deutsche Ausstrahlung verlief kompliziert: Die ARD konnte sich über eine Platzierung im Ersten nicht einigen, der Bayerische Rundfunk drohte mit Ausstieg. Man verständigte sich auf eine gemeinsame Ausstrahlung in allen Dritten Programmen, ein mediengeschichtliches Novum.

Der Erfolg war überwältigend. Die Zuschauerzahl stieg mit jeder Folge an. Am Ende hatte jeder zweite erwachsene Deutsche wenigstens einen Teil der Serie gesehen. Auch bei den mitternächtlichen Fernseh-Debatten im Anschluss an die Ausstrahlungen blieb die Zuschauerbeteiligung hoch. Die Telefonnetze der Sender brachen unter dem Ansturm der Anrufe zusammen.

  • Über die Familien Weiss und Dorf fanden viele Deutsche erstmals Zugang zu den Grausamkeiten ihrer eigenen Geschichte, begannen Familien, ihre Biografien zu befragen.

´ Die „Holocaust“-Folgen 2 bis 4 sind am 14., 21. und 28. 1. jeweils um 23.15 Uhr zu sehen.

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Handlung und Hintergrund

Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss: Bahnbrechender und vielfach ausgezeichneter Mehrteiler mit Meryl Streep über die Leiden einer jüdischen Familie während des Zweiten Weltkriegs.

Im Berlin des Jahres 1935 feiert der jüdische Arzt Josef Weiss die Hochzeit seines Sohnes Karl mit der arischen Inga. Nach dem Erlass der Judengesetze muss Josef Deutschland verlassen, und Karl wird in das KZ Buchenwald gebracht. Nach einer brutalen Vergewaltigung wird die behinderte Anna Weiss im Rahmen des Euthanasieprogramms in der Gaskammer von Hadamar ermordet. Im Kontrast dazu macht der Jurist Erik Dorf als Protegé von Reinhard Heydrich Karriere im „Dritten Reich“.

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Wie "Holocaust" ins Fernsehen kam
Mittwoch, 16. Januar 2019, 23:50 bis 00:35 Uhr 

Vor dem Hintergrund der Neuausstrahlung von "Holocaust" nach gut 40 Jahren erzählt die Filmemacherin Alice Agneskirchner die Geschichte dieses Fernsehereignisses, von der Entstehung und den Dreharbeiten über die Ausstrahlung bis hin zu den Reaktionen. Ein Making-of der besonderen Art.

1978/79 wird eine US-Serie zum weltweiten TV-Event: "Holocaust". Als sie nach Deutschland kommt und unter Federführung des WDR in den Dritten Programmen der ARD ausgestrahlt wird, löst sie ein ungeahntes Echo aus. Das, was mit dem bis dahin unbekannten Wort Holocaust ausgedrückt wird, trifft viele Millionen Menschen dort, wo bisher die unfassbaren Schrecken der eigenen und kollektiven Vergangenheit nicht zugelassen worden waren: mitten ins Herz.

Opfer und Täter bekommen Gesichter

Die Serie schildert das Schicksal der fiktiven jüdischen Familie Weiss. Diese Familie durchlebt vor den Augen der Fernsehöffentlichkeit exemplarisch das, was Millionen Juden hatten erleiden müssen, bis zum Tod in der Gaskammer. Gleichzeitig begleitet die Serie den "normalen" Deutschen Erik Dorf bei seiner Transformation zum bekennenden und aktiven Nationalsozialisten. Das Grauen der Judenverfolgung wird hoch emotional inszeniert, Opfer und Täter bekommen Gesichter.

Eine vielfach ausgezeichnete Serie

Die Serie wurde vielfach als "Hollywood"-Produktion bezeichnet, produziert wurde sie allerdings von einer New Yorker Firma, gedreht wurde ausschließlich an Originalschauplätzen in Deutschland und Österreich, auch im KZ Mauthausen, einschließlich Hakenkreuz-Flaggen.

Der Regisseur Marvin J. Chomsky, der Produzent Robert Berger, Schauspielerinnen und Schauspieler erinnern sich an die besondere, oft beklemmende Atmosphäre der Dreharbeiten, an Begegnungen mit der historischen Wirklichkeit hinter der Fiktion, über die sie später kaum jemals wieder gesprochen haben.

Im Vorfeld gab es scharfe Debatten

Der ehemalige WDR-Fernsehspielchef Günter Rohrbach, der die Serie nach Deutschland brachte, schildert die ungewöhnlich scharfe Debatte im Vorfeld. Es war eine aufgeladene Situation, mit Drohungen und Schmähungen von rechts und links und zahlreichen Versuchen, die Ausstrahlung zu verhindern.

Die Reaktionen der Zuschauerinnen und Zuschauer übertrafen dann alle Erwartungen, und fast jeder, der damals "Holocaust" gesehen hat, kann sich heute noch daran erinnern, was das mit ihr oder ihm gemacht hat.

textmaterial: neue westfälische (epd) und ndr - text-bildmaterial: polyband medien gmbh

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... soweit also die offiziellen ankündigungen des diesmal ard-federführenden ndr zur neuausstrahlung der 4-teiligen serie "holocaust - die geschichte der familie weiss" ab kommender woche in allen dritten programmen.

gerade in dieser zeit, in der immer mehr "holocaust-leugner" geoutet werden und auch von gerichten deswegen verurteilt werden - ist es wichtig, diese serie endlich im öffentlich-rechtlichen tv zu wiederholen - wenn auch - gerade für schüler*innen - meiner meinung nach zu viel zu später stunde ...

mit diesen späten sendeterminen jeweils will das öffentlich-rechtliche tv wohl junge zuschauer "schützen" - es fragt sich nur: wovor... (???) - auch kauf-cassetten und videos zu diesem film tragen den aufdruck "ab 12 jahren" - aber welche junge menschen ab 12 haben jeweils montagsnacht ab 22 bzw. 23.15 uhr die möglichkeit diese aufwühlenden folgen jeweils ca. 2 stunden lang zu verfolgen... - wenn man am morgen früh zur schule muss ??? ...

also - von der zeitplatzierung her ist die wieder-ausstrahlung der serie eine enttäuschung für mich.

eli wiesel hat zwar gemeckert über die seiner ansicht nach "trivialisierung" des tatsächlichen holocaust-geschehens in dieser serie - aber als eine heranführung (!) zum gesamtthema und als
gaulands "vogelschiss"
diskussionsgrundlage taugt sie allemal - allerdings hat man damit den "vogelschiss", wie der afd-gauland ja diese epoche abtun will - längst noch nicht in all seinen nuancen erfasst ... - dazu bedarf es eben weiterer nachforschungen, recherchen, informationen und diskussionen - besonders auch in und über die eigenen familienzusammenhänge dazu - denn - so steht es schon in der bibel - die wirkungen solcher untaten als mitläufer, als täter oder opfer sind noch bis in die "dritte und vierte generation" danach spürbar - und kann auch unbewusstes verhalten so lange mit beeinflussen. 

neuere tiefenpsychologische und naturwissenschaftliche forschungen haben diese behauptung der bibel längst bestätigt ...

eine generation - so rechnet man gemeinhin - andauert ca. 30 jahre: 1945 war also offiziell der nazi-spuk vorbei - aber dann haben wir bis ca. 2065/70 noch mindestens damit zu tun - und als national-kollektives gedächtnis weit darüber hinaus ...

man kann also jetzt nicht etwa die "holocaust"-serie anschauen "un gutt is" - sie kann lediglich ein "opener" sein - eine sensibilisierungsmaßnahme... - eine wirkliche persönliche, familiäre, schulische und gesellschaftliche aufarbeitung muss weitergehen ...

und genau das ist also für alle nachkommen so brandaktuell, dass schon deshalb der sendeplatz völlig daneben liegt ...

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