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der erlöser der welt - salvator mundi

"Salvator Mundi"

Der teuerste Flop der Welt?

450 Millionen Dollar wurden für dieses Gemälde von Leonardo gezahlt – doch hat er es überhaupt gemalt? Dafür spricht so gut wie nichts.

Von Frank Zöllner | DIE ZEIT

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts traf Leonardo da Vinci die bis heute folgenreiche Entscheidung, seine Bildideen nicht immer selbst auszuführen. Viele seiner Werke malten Schüler und Gehilfen, das ist durch Schriftquellen und Gemälde der Leonardo-Werkstatt gut belegt, beispielsweise durch die Madonna mit der Spindel oder durch die Leda mit dem Schwan. Ebenfalls in die Reihe der Werkstattarbeiten gehört der Salvator Mundi, ein Bild, das Jesus den Erlöser zeigt. Leonardo hat das Werk nicht selbst gemalt, er lieferte lediglich den Gesamtentwurf und einige Detailstudien, seine Schüler verwendeten seine Ideen.





Der "Salvator Mundi", links in der unrestaurierten Fassung, noch ohne Leonardo-Schmelz © Robert Simon (l.); Christie's/dpa (r.)


Das alles wäre kaum der Rede wert, wenn der 2011 erstmals einer breiten Öffentlichkeit präsentierte Salvator Mundi nicht innerhalb kürzester Zeit sehr hohe Preise erzielt hätte, ja sogar zum teuersten Kunstwerk aufstieg, das je bei einer Auktion verkauft wurde. Schon im Jahr 2012 wechselte das Gemälde für rund 82 Millionen Dollar den Besitzer, kurz darauf wurde es erneut verkauft, für etwa 127 Millionen, und schließlich am 15. November 2017 auf einer New Yorker Versteigerung des Auktionshauses Christie’s für die Rekordsumme von 450,3 Millionen Dollar erworben. Als Käufer gilt der saudische Prinz Badr bin Abdullah. Zunächst hieß es, der Prinz habe im Auftrag des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman gehandelt (der mit der Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi in Verbindung gebracht wird). Dann wurde gemeldet, dass Prinz Badr den Salvator im Auftrag des Ministeriums für Kultur und Tourismus von Abu Dhabi ersteigert habe – quasi als ultimative Trophäe für die Kulturpolitik des benachbarten Emirats. Im Louvre Abu Dhabi sollte das Gemälde dann im September dieses Jahres feierlich präsentiert werden. Ohne Nennung von Gründen wurde der Termin jedoch abgesagt. Den Hintergrund der Absage kennen wir nicht. Wir wissen nicht einmal, wo sich das Gemälde derzeit befindet und ob die 450 Millionen je gezahlt wurden.

Eigentlich ist es selbstverständlich, dass für die endgültige Beurteilung eines Gemäldes dessen Geschichte restlos geklärt sein muss. Das sollte erst recht für teure Kunstmarkttrophäen wie den Salvator Mundi gelten. Die Provenienzlücken sind jedoch gewaltig. Bereits für das 16. Jahrhundert fehlt jede Nachricht über das Bild. Hinweise auf die Existenz eines Salvators von der Hand Leonardos gibt es erst seit dem 17. Jahrhundert. Doch ob sich diese Belege auf das in New York versteigerte Bild beziehen, ist mehr als ungewiss. Die frühesten zuverlässigen Nachweise für das Gemälde finden sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts! Um 1900 gelangte es in den Besitz des britischen Künstlers Sir Francis Cook. In dem 1913 publizierten Bestandskatalog seiner Sammlung heißt es, der Salvator als Werk stamme "aus dem Umkreis" Leonardos, also nicht vom Künstler selbst. Im Besitz der Familie Cook verbleibt das Gemälde bis zu seiner Versteigerung am 25. Juni 1958 durch das Londoner Auktionshaus Sotheby’s, wo es für 45 Pfund Sterling von einem gewissen "Kuntz" erworben wird. Jahrelang spekulierten die Experten darüber, ob es sich dabei um ein Pseudonym handle oder eine ironische Anspielung auf das deutsche Wort "Kunst". Im Frühjahr 2005 schließlich wechselt das Bild bei einer lokalen Auktion in New Orleans erneut seinen Besitzer, angeblich für 10.000 Dollar.

Erstaunlich ist nicht nur, dass der Salvator Mundi trotz seiner dürftigen Provenienz bei mehrfachen Besitzerwechseln in kürzester Zeit riesige Summen "erlösen" konnte (in keinem anderen legal betriebenen Geschäftsfeld dieser Welt würden solche Summen ohne genaue Herkunftsnachweise eines Objekts gezahlt!). Beinahe ebenso erstaunlich ist auch der fehlende Ehrgeiz maßgeblicher Akteure, die Provenienz des Gemäldes wenigstens für die Zeit zwischen 1958 und 2005 restlos zu klären. Von all jenen, die Leonardo für den alleinigen Urheber des Bildes halten, prüfte keiner, wer wohl jener ominöse "Kuntz" war, der den Salvator 1958 ersteigerte, und wie er in die Auktion von 2005 gelangte. Diese Fragen haben kürzlich drei Journalisten des Wall Street Journal beantwortet.

Das Gemälde stammt demnach aus dem Besitz des 2004 verstorbenen Basil C. Hendry Sr. aus Baton Rouge in Louisiana, der es im Jahr 1987 von seiner Tante Minnie Stanfill Kuntz geerbt hatte. Minnie war die Gattin jenes ominösen "Kuntz" aus dem Jahr 1958. Wir kennen nun auch seinen vollen Namen, Warren E. Kuntz, und seinen Beruf, Möbelhändler. Er hatte den Salvator übrigens 1958 nicht als Trophäe erworben, sondern als religiöses Bild.

Das alles mag auf den ersten Blick trivial erscheinen. Aber es birgt eine Menge Zündstoff. Man muss sich fragen, warum erst drei Journalisten und nicht schon die Profis von Christie’s in New York den Käufer des Gemäldes von 1958 und dessen Verkäufer von 2005 ausfindig gemacht haben. Diese Frage ist umso berechtigter, als die Erben von Basil C. Hendry Sr. bereits im Jahr 2004 zwei Auktionshäuser kontaktiert hatten, Christie’s in New York (!) und die St. Charles Gallery in New Orleans, die den Nachlass schließlich am 9. und 10. April 2005 versteigerte. Christie’s in New York hatte den Salvator Mundi also zweimal vor der Nase, sowohl 2004 als auch 2017. Beim ersten Mal hielt man ihn dort offenbar für nicht so wertvoll, dass man ihn unbedingt hätte versteigern wollen. Beim zweiten Mal wurde daraus ein Riesengeschäft.

Man ahnt jetzt, warum das New Yorker Auktionshaus im Jahr 2017 keinen Ehrgeiz entwickelte, die Provenienz des Salvators genau zu prüfen: Die Experten wären dann nämlich auf die unangenehme Erkenntnis gestoßen, im Jahr 2005 einen Original-Leonardo verkannt zu haben. Umgekehrt hätte Christie’s sich dem Vorwurf aussetzen müssen, seinen Kunden im November 2017 ein Bild angeboten zu haben, dessen Urheberschaft keineswegs so eindeutig ist, wie manche nun behaupteten.

Tatsächlich zeigt sich nun, dass erst durch die tief greifenden Restaurierungen der Jahre 2005 bis 2017 der Salvator zu einem "Leonardo" gemacht worden war. Aus einer Bildruine wurde ein Spitzenstück.

Meisterhaft gemalt, aber nicht von Leonardo

In unrestauriertem Zustand hätten auch die größten Kenner nicht vermutet, dass es sich um ein Werk von der Hand des Meisters handeln könnte. Das zeigte sich etwa auf der Versteigerung der Sammlung von Sir Francis Cook 1958. Die Sammlung galt als eine der bedeutendsten privaten Altmeistersammlungen des 19. Jahrhunderts in Europa, daher waren bei der Auktion die entsprechenden Experten anwesend, unter ihnen Ellis Waterhouse. Der britische Kunsthistoriker vermerkte in seinem Exemplar des Bestandskataloges der Cook-Sammlung die Bieter und die Zuschlagspreise der Versteigerung, darunter auch den in Kunstmarktkreisen unbekannten "Kuntz" und dessen Verkauf. Man kann sich schwer vorstellen, dass ein Altmeisterexperte wie Waterhouse auf dem Cook Sale ein Originalgemälde Leonardos übersehen hätte.

Doch damit nicht genug: Zu den von Waterhouse notierten Bietern der Auktion gehörte auch Sir Kenneth Clark, wohl der beste Leonardo-Kenner seiner Generation. Clark, der auf dem Cook Sale ebenfalls mehrere Gemälde erwarb, hatte zuvor umfassend zu Leonardo publiziert, auch zu dessen Vorzeichnungen zum Salvator Mundi. Er war also, anders als "Kuntz", kein naiver Laie, sondern ein bestens informierter Spezialist. Daher ist auch im Fall von Lord Clark kaum vorstellbar, dass er auf dem Cook Sale ein authentisches Leonardo-Gemälde übersehen und es einem "Kuntz" aus den USA überlassen hätte.

Detailvergrößerung aus den beiden gegenübergestellten Reproduktionsfotos von oben


Um die Echtheit des Bildes heute beurteilen zu können, müsste endlich geklärt sein, wie gut es erhalten war und was genau daran restauriert und retuschiert wurde. Ein ausführlicher Bericht ist jedoch trotz mehrfacher Ankündigung nicht erschienen. Immerhin gibt es einige Fotos zu den unterschiedlichen Zuständen des Bildes in den Jahren zwischen 2004 und 2017, darunter auch eine Aufnahme vom April 2005, die der sogenannte Entdecker des Bildes, Robert Simon, großzügig zur Verfügung gestellt hat. Diese Fotografie könnte ein Ausgangspunkt für die Bewertung des Gemäldes sein.

Vor einer kennerschaftlichen Beurteilung des New Yorker Salvator Mundi muss man sich klarmachen, dass Leonardos Ruhm als Maler eng mit seiner langjährigen akribischen Beobachtung der Natur zusammenhängt. Noch im Jahrzehnt vor seinem Tod hat er unermüdlich nach geeigneten Techniken gesucht, seine Beobachtungen perfekt und wirkungsvoll in Malerei umzusetzen. An diesem Anspruch Leonardos muss sich auch der Salvator Mundi messen lassen. Einige Details wie die Modellierung der Segenshand Christi und der Kristallkugel oder die Gestaltung der filigranen Stickmuster unterhalb des Brustausschnitts reichen zumindest an diesen Anspruch heran. Auch die mit feiner Schattierung konturierten Fingernägel erinnern an Originalgemälde Leonardos. Allerdings weist der Salvator Mundi auch Schwächen auf. So wirkt die Hautfarbe der Segenshand, das Inkarnat, ähnlich wächsern wie auf etlichen Werkstattgemälden. Viel zu schematisch gestaltet sind zudem die "Korkenzieherlocken" Christi auf der rechten Seite und damit in einem Bereich des Bildes, das relativ gut konserviert war. Ausgerechnet der am besten erhaltene Teil der originalen Maloberfläche erinnert also an Arbeiten aus der Werkstatt Leonardos!

🔵 FRANK ZÖLLNER
ist Professor für Kunstgeschichte an der Universität Leipzig und gilt als einer der weltweit besten Leonardo-Kenner.

Genau umgekehrt verhält es sich mit den schadhafteren Bereichen des Bildes. Gerade dort, wo das Bild nachgebessert wurde, ist der "Sfumato" und damit die suggestive Lichtführung des Salvator Mundi am überzeugendsten gestaltet. Das gilt für die Modellierung großer Teile des Gesichts und der Kristallkugel in der linken Hand Christi. Ebendiese "Sfumato"-Effekte verdankt das Gemälde zu einem guten Teil den restauratorischen Überarbeitungen, die sich wie ein zweites Gesicht auf das Antlitz des Erlösers legen.

Meisterhaft gemalt, aber nicht von Leonardo, sondern von der kongenialen Restauratorin Dianne Modestini aus New York!

Und das lässt nur einen radikalen Schluss zu: Alle bisherigen Restaurierungen müssten rückgängig gemacht werden, besonders die der letzten Jahre, um eine erneute Echtheitsprüfung des Bildes zu ermöglichen. Aber wer wird sich noch einmal an ein 450-Millionen-Gemälde herantrauen? Wer wird den Fall ergebnisoffen prüfen dürfen? Und wer wird zugeben, dass so viel Geld sich irren konnte?
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Text und Bild: DIE ZEIT Nr. 2, 3. Januar 2019, Feuilleton, S. 45 

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auch oben - im "opener" des neuen "zeit"-artikels steht wieder: "... ein bild, das jesus den erlöser zeigt" ... 

ja - da ist immer von einem "jesus-porträt" die rede - und dabei handelt es sich doch um ein fantasie-gebilde des leonardo bzw. seiner werkstatt und seiner schüler: wie sie sich eben diesen "jesus" 1500 jahre nach dessen ableben vorstellten - als "heiland/erlöser der welt" (als "salvator mundi"), zu dem ihn in der zwischenzeit vor allen dingen die auf paulus eingeschworene kirche in rom mit "unfehlbaren" dogmen theologisch hochstilisiert hatte - denn er war ja nach den biblischen berichten zunächst ein einfacher handwerksbursche und tagelöhner und dann ein wanderprediger, der das damals verkrustete judentum revolutionieren bzw. reformieren wollte - und der seinen nahen vielleicht "inneren" gott seinen "abba" - seinen "papa" - nannte...

das wird heute oft vergessen: jesus von nazareth war nie "christ" und auch nicht "begründer" einer kirche, sondern ein jude, der predigend nur ein paar jahre durch das kleine galiläa zog, mit einer kleinen gruppe von frauen und zotteligen männern, die mit ihm zogen: nicht mehr und nicht weniger - alles andere ist theologie und fantasie und "meditation" - und eben "selbstgebastelte religion", über die ich erst neulich berichtete ...

ja - und 450 millionen dollar sind relativ viel - aber fußballspieler neymar war ja seinem jetzigen "besitzer" (moderner sklavenhandel) immerhin auch schon 222 millionen wert - also alles ist relativ...

das umstrittene kunstwerk selbst strahlt trotz aller von skeptikern beanstandeten ungenauigkeiten eine faszinierende ruhe auf mich aus - und ist in seiner derzeitigen wirkung sicherlich ein spitzenwerk in der weltkunst: entstehung hin - provenienz her ...

für mich ist eben die frage, ob erst mit einer lückenlosen provenienz des bildes - also zurück-recherchieren: bis zum tatsächlichen pinselstrich des meisters leonardo selbst, am besten mit der angabe von zeit und stunde und der größe und beschaffenheit der pinselborsten - ob das bild erst so seinen "wert" erlangt - oder ob wir es in seinem sosein trotz aller restaurierungsauffrischungen der letzten jahrhunderte oder auch gegenüber dem original missglückten restaurierungsabwertungen sein sosein im hier & jetzt bewerten dürfen - und in einem höheren sinne "schätzen" lernen dürfen.

ob das nun angeblich einem muslimischen prinzen aus den vereinigten arabischen emiraten (wahrscheinlich prinz badr bin abdullah bin mohammed bin farhan al saud) 450.312.500 us-dollar wert sein musste - immerhin für ein "jesus"-porträt - gedacht zur ausstellung in einem staatsmuseum in einem muslimischen land - oder ob das irgendein bis heute uns undurchsichtiger deal mit irgendeinem "höheren ziel" war - bleibt im ungewissen, denn im neuen louvre-museum in abu dhabi - wo es präsentiert werden sollte -  taucht es bis heute entgegen aller ankündigungen nicht auf ...

und ob es jetzt durch all diese bewertungen und umwidmungen auch im nachhinein zur auktion noch jemals eine ähnliche spekulations-summe erzielen könnte, ist fraglich - aber fraglich bleibt ja auch, ob der deal überhaupt jemals über die bühne gegangen ist - und die 450 millionen bei irgendeinem bankhaus in der welt eingegangen sind mit der zweckbestimmung: "für salvator mundi" ...

das restaurierte und ersteigerte werk - das aber zur zeit "verschollen" ist ...




die meinetwegen auch weiterhin fiktive auktionssumme zeigt aber auch den stand der allgemeinen inflation zumindest auf dem kunstspekulationsmarkt an ... - und zeigt, dass die schere zwischen den gesellschaftlichen schichten allen unkenrufen zum trotz immer weiter auseinanderklafft: eine upperclass, die sich jetzt eine weitere trophäe in den safe legen kann - auf nimmerwiedersehen - aber so wird die allgemeinheit nichts davon haben: ein jesus für reiche - vielleicht sogar für muslimische multimilliardäre aus dem königshaus der emirate - eingebunkert vor sich hinschlummernd - und von wegen "heiland der welt"... 

na - dann "salem aleikum" - "friede sei mit dir" ...

nix für ungut - und chuat choan ...

p.s. dieses ist eine leicht modifizierte stellungnahme zu anderen "salvator mundi" posts auf diesem blog [click]...

# nazis raus

Hass im Internet

Ein "# nazis raus" und seine Folgen

Eine ZDF-Reporterin erhält massenhaft Mord- und Vergewaltigungswünsche. Sie hatte gewagt, eine demokratische Selbstverständlichkeit auszusprechen. Ein Kommentar 

Von SEBASTIAN LEBER | Tagesspiegel

  • Seit sechs Tagen wird sie auf Twitter mit Hass überzogen. Männer wünschen ihr, sie möge vergewaltigt, verstümmelt, erschossen werden. Gemäßigtere nennen sie "Abfall", der entsorgt gehöre.

Was sich Nicole Diekmann, Korrespondentin aus dem ZDF-Hauptstadtbüro, zuschulden kommen ließ? Sie hatte zunächst auf ihrem privaten Twitter-Account am Neujahrstag zwei Wörter gepostet, die eigentlich eine demokratische Selbstverständlichkeit sind: “Nazis raus”. 


Die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann. S!|art-graphic nach einem ZDF-screenshot


Der Spruch wird seit mehr als 30 Jahren von Menschen benutzt, die nicht wollen, dass Nationalsozialisten in Deutschland je wieder Macht erlangen. Er ist eine Entgegnung auf die rechtsradikale Parole “Ausländer raus”, wurde nach den Morden von Mölln und Solingen gerufen, auch bei Gerhard Schröders “Aufstand der Anständigen” im Jahr 2000 und immer wieder am Wegesrand von Märschen Rechtsradikaler, die in Deutschland eine Diktatur errichten wollen.

“Nazis raus” bedeutet: Nie wieder Faschismus. Es ist ein Bekenntnis zum Grundgesetz, zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, ja zur Bundesrepublik Deutschland an sich. Wer sollte sich von so einem Spruch angesprochen und angegriffen fühlen, außer vielleicht ein Nazi?

Dass eine Journalistin für ihre Haltung, die zum Glück auch 2019 einen gesellschaftlichen Grundkonsens widerspiegelt, Hass erfährt, sagt womöglich etwas über Diskursverschiebungen der vergangenen Monate aus. Vor allem aber über die Drastik, mit der Rechtsextreme virtuell, oft im Schutz der Anonymität, gegen Demokraten vorgehen.

Wie umgehen mit dem Shitstorm?

Ähnliche Hetzkampagnen gab es zuletzt gegen die SPD-Politikerin Sawsan Chebli oder die Moderatorin Dunja Hayali. Der Journalist Richard Gutjahr hat bei der jüngsten re:publica eindrucksvoll beschrieben, wie er selbst gegen Hetzer vorgeht. Andere Opfer versuchen sich zu schützen, indem sie vorübergehend ihre Accounts in sozialen Netzwerken deaktivieren, also untertauchen in der Hoffnung, dass der "Shitstorm" vorüberzieht.

Nicole Diekmann entschloss sich für einen anderen Weg: Sie veröffentlichte einige der Kommentare und antwortete mit Ironie. Dadurch wurde es noch viel schlimmer. Denn neben Gewaltfantasien bekam Diekmann auch Reaktionen von Nutzern, die versuchten, sie in absurde Diskussionen zu verwickeln. Einer fragte: "Was ist denn für Sie ein Nazi?" Als ob das Wort nicht für sich stände. Um zu zeigen, wie albern die Frage ist, antwortete Diekmann: "Jede/r, der/die nicht die Grünen wählt."

Ich habe gelacht, als ich auf Twitter die clevere Antwort las. Und war erschrocken, als ich feststellen musste: Rechte verbreiteten ihren Witz weiter, behaupteten aber allen Ernstes, die Journalistin würde es tatsächlich so meinen. Und noch irrsinniger: Andere glaubten das. So geriet der Tweet in Kreise, die für Argumente überhaupt nicht mehr zugänglich sind: die Blase der Verschwörungstheoretiker. Eine Blase, in der Menschen an Chemtrails und Freimaurer im Bundestag glauben oder die behaupten, beim Anschlag vom Breitscheidplatz habe es 2016 gar keine Toten gegeben, weil die ganzen blutüberströmten Menschen eigentlich vom Staat bezahlte Schauspieler waren… Mit den Menschen in dieser Echokammer kann man nicht diskutieren, in diese Echokammer dringt keine Vernunft ein, dringt nur sehr viel Hass heraus.

Man kann nur hoffen, dass die Journalistin von ihrem Umfeld alle erdenkliche Unterstützung bekommt, auch von den Kollegen.

# nazis raus.
auch im stadion gilt: # nazis raus - bundesligaclubs solidarisieren sich mit nicole diekmann - nach einem foto von imago (sportbuzzer)
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ich möchte mich dem slogan von nicole diekmann anschließen und mich voll & ganz solidarisieren - als 72-jähriger linksgrünversiffter alt-68er: nazis raus !!!

dazu gab es ja auch schon beispielsweise die "unteilbar"-demonstration im vergangenen herbst, als mehr als 250.000 menschen ein gemeinsames zeichen für solidarität und gegen rechte hetze gesetzt haben.

ja - aber es muss wohl wieder einmal "ein ruck durch deutschland" gehen: denn es ist die aufgabe aller demokraten, lautstark dagegen zu protestieren und den rechten nicht die meinungshoheit zu überlassen: 
# nazis raus aus den behörden, 
# nazis raus aus der bundeswehr und polizei - und 
# nazis raus aus den parlamenten - und ich meine auch: 
# nazis raus aus den leserbrief-meinungsforen der medien, die dort nur noch mehrheitlich einseitig geflutet werden ...

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meinungsmanipulation in den leserbrief-foren 

die meinungsforen unter den infragekommenden zeitungs-onlineartikeln werden inzwischen nach meinen unmaßgeblichen beobachtungen von 70 - 80% rechtspopulistischen vielschreibern - wahrscheinlich auch unter einsatz von meinungsmachenden algorithmengesteuerten bots dominiert - die tatsächlich wie in einer blase massenhaft mit immer gleichen argumenten aber mit unterschiedlichen meist rüden texten völlig einseitig operieren ..., und wo beispielsweise unter dem größtenteils einschlägig zynischen "meinungs"-geschwafel eines henryk m. broder in der "welt" in der regel binnen 120 bis 180 minuten mit bis zu 300-400 "leser" ihm fast ausnahmslos beifall zollen - und ihn euphorisch mit "weiter so" wie einen "messias" feiern...

ich habe auch deshalb mein "'welt'-gold plus"-abo letzte woche nach über einem jahr gekündigt - aber auch, weil ich bei anderen "welt"-redakteuren immer öfter mit einer regelrechten "68er-phobie" - über das ganze 50-jährige "jubiläums"jahr verteilt - konfrontiert wurde ... - unterbrochen allerdings mal von einem interview von stefan aust mit gretchen dutschke - aber wohl mehr unter sozialen aspekten und aus alter verbundenheit - und vielleicht unter der prämisse, den einschlägigen "welt"-lesern eine wasserstands-meldung zu geben, wie die witwe von rudi dutschke  nach all den jahren in freud und leid immer noch tickt ...

ich erlebe diese ad-hoc-kündigung meines "welt-abos" wohl so ähnlich, wie der robert habeck seinen ausstieg aus facebook und twitter ... - als befreiungsschlag und als neues durchatmen ...

ich hatte die "welt" seinerzeit abonniert, um mich - wie oben beschrieben - als alt-68er im "reifen" alter "umfassend" und eben nicht einseitig ausschließlich durch "taz" und "spiegel" usw. zu informieren - allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, eben sporadisch mit solchen verrissen meiner generation und meiner persönlichen wurzeln konfrontiert zu werden - wenn ich mich mal in den foren äußerte und meine für die mehrheit der leserschaft sicherlich "exotische" minderheitenmeinung kundtat, erntete ich meist hohn & spott - von wegen: "meinungsforum" der leser-"community": es ist einfach unmöglich, von leuten, die einen falsch verstehen wollen, richtig verstanden zu werden. und da will man gar nicht "meinungen" austauschen und bewerten und stehenlassen können - sondern da will man lediglich den jeweiligen meistens oft verquer daherkommenden rechts-populistischen mainstream bestätigt bekommen und gesinnungskameraden rekrutieren ... - und sich vergewissern: "wir werden immer mehr" 

und ich muss mich und meine generation ja nicht darüberhinaus auch noch von den machern, die mir ihre meinung gegen knete - in einem zugegeben: hervorragenden layout - verkaufen wollen, auch noch beleidigen und desavouieren lassen  - und deshalb: so long - und ich werde auch mit meinen "clicks" zu den seiten und artikeln des "welt"-imperiums eisern sparen: andere mütter haben auch schöne töchter ...

und trotzdem nix für ungut - und chuat choan


alles selbst gebastelt


S!|graphic: du sollst dir kein bild machen ...



da wird ja gern abfällig über "selbstgebastelte" religionen gespöttelt. 

aber dabei sollten wir uns alle selbst mal an die nase fassen - ich behaupte mal: jeder persönlich modifizierte glaube an wen oder was auch immer - und nur den gibt es ja und von dem lässt sich berichten - ist individuell - in seinen persönlichen erfahrungen, den überkommenen prägenden familien-traditionen, in seiner jeweiligen mentalität im heranreifen der persönlichkeit. 

denn auch die bibel ist ja nicht vom himmel gefallen, sondern menschen haben hier auf geheiß des damaligen priestertums oder eben selbstständig ("wess' das herz voll ist - dess' geht der mund/das schreibgerät über") chroniken verfasst und ergriffen auf kuhhäute und papyrus gekritzelt: 
  • oft dankbar notiert, was ihnen - beispielsweise - wie eine begegnung mit gott anmutete,
  • wie sich die priesterschaft die entstehung der damals bekannten welt oder das walten gottes vorstellte mit der erschließung neuer weideplätze für's vieh etwa oder neuer wasserquellen - manchmal kurz vor dem verdursten,
  • oder der rechtzeitige bau eines rettungsfloßes kurz vor einer überschwemmung, 
  • oder nach gewonnenen schlachten, 
  • oder sonstigen "wie wunder" wirkenden aber meist regional begrenzten ereignissen 
die dann allmählich kultstatus erlangten und von menschen (!) "geheiligt" wurden, die man als mitläufer - als gemeindeglieder - als gläubige - überzeugen konnte und dazugewann.

auch zeigt ja die vielfalt der religionen über den ganzen erdball verteilt je nach "zivilisationsgrad" viele von menschen gemachte völlig unterschiedliche "kultur"geprägte rituale: voodoo, hinduismus, buddhismus, die mayas und azteken, die ägypter und ihr pyramiden-totenkult, der mithraskult, der zoroastrismus - und natürlich die drei monotheistischen abrahamitischen religionen: judentum, islam und christentum - um nur einige religionsgebäude zu benennen, die aber auch alle einfluss aufeinander nahmen - oft gegenseitig in ihren schriften und riten - manchmal als konkurrenten untereinander und miteinander.

man kann also durchaus sagen: alle religionen sind zumindest anfangs von den jeweiligen volksgruppen und einzelmenschen irgendwie "selbstgebastelt" - und das individuum glaubte von der antike bis heute immer an die hirngespinste, die erfolg verhießen oder ein langes leben mit genügend auskommen - oder gar ein "leben nach dem tod" ...

und auch in den verschiedensten kulten versuchte zwar die priesterschaft (die auch aus menschen - aus einzel-individuen - bestanden) die glaubensdogmen zu bestimmen, oftmals nach "politischen" interessen und maßstäben ... aber daneben existierte immer auch ein sogenannter "volksglaube" mit regionalen und lokalen oder sogar familiären verehrungen und riten und sitten - quasi "unter dem radarschirm" der offiziellen organisationen und kirchen, die selbst aber auch personengebundene und politische und manchmal nationale interessen verfolgten ...

man kann also durchaus und mit überzeugung von seiner "selbstgebastelten religion" sprechen - und das ist eher ein zeichen von persönlicher emanzpation und geistiger stärke - zumal sie eben nicht übergestülpt wurde - sondern immer den eigenen zugang zu spirituellen und göttlichen gewissheiten bildet und ebnet.
und sicherlich genauso berechtigt und "glaubens"mäßig gesichert wie alle "kirchliche" religionen auch - die auch von menschen erdacht und aufgeschrieben wurden und werden.

es geht und ging immer darum - die "unaussprechliche" gottheit zu benennen und zu verehren, die immer am beginn und am ende des lebens und unserer gedankenketten und gewissheitsgrenzen steht. 

mein "persönlicher glaube" an meinem gott und an jesus von nazareth und an den uns alle eingepflanzten spirituellen geist - den wir wohl "ge-wissen" nennen - hat so in mir "persönlich" "gestalt" angenommen. amen.

also - nichts für ungut - und chuat choan



der "gebastelte" abrahamitische gott - auch als "dreieiniger" gott: der gott allah des islam, der gott des christentums, der jüdische gott ...




klappe --- "houellebecq - die 7. ..."

S!NEDi|graphic:  Da ist der tägliche Kampf gegen das Rauchverbot, weshalb er Rauchmelder in Hotelzimmern manipuliert.
„Serotonin“ von Michel Houellebecq

Gekränkte Männlichkeit

Der Autor Michel Houellebecq veröffentlicht einen neuen Roman. Sein Protagonist könnte sowohl als Sexist, als auch als Feminist gesehen werden.

Von Doris Akrap | taz

Ein Mann, weißer Franzose aus bürgerlichen Verhältnissen, Angestellter, 46, keine Kinder, unverheiratet, hat Depressionen und flüchtet sich in die Einsamkeit. Das Setting ist so gewöhnlich und so oft beschrieben, dass man zu Beginn des neuen Romans von Michel Houellebecq, „Serotonin“, überaus skeptisch ist, ob der französische Bestsellerautor ausgerechnet aus dem Stoff, aus dem nicht nur seine Romane, sondern Dutzende öffentlich-rechtliche Vorabendserien gemacht sind, noch mal was rausholen kann. Er kann.

Der Protagonist heißt Flaurent-Claude, arbeitet im Landwirtschaftsministerium und beendet eine Beziehung feige, indem er spurlos verschwindet. Er kündigt Konto, Wohnung, Job und zieht aus Paris weg. In der Einsamkeit der Normandie findet er aber nicht das, was er sucht: das Glück. So mit sich allein kommen statt großen Glücksgefühlen erst mal Sexfantasien hoch, gefolgt von schmerzhaften Erinnerungen an verpasste Chancen, verflossene Lieben, das Versagen im Job und angesichts von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Missständen.

Hoch kriegt Flaurent-Claude seinen Penis zwar schon noch, aber im Zuge der immer stärker werdenden Depressionen lässt er sich ein Antidepressivum verschreiben. Um wenigstens „Körperpflege, ein auf gute Nachbarschaftsverhältnisse beschränktes Sozialleben, simple Behördengänge“ hinzubekommen, nimmt er dafür die Nebenwirkung des Medikaments in Kauf: Libidoverlust und Impotenz.

Das mit dem Duschen kriegt er in der Folge gerade so hin. Er kann sich sogar aufraffen, zwei alte Bekannte zu treffen und schließlich wieder Hoffnung zu schöpfen; Hoffnung, weil er erkennt, dass Camille die einzige Frau war, die er je geliebt hat, und die ihn verließ, weil er eine Affäre hatte. Jetzt, einige Jahre später, hofft er, wiedergutmachen zu können, was er bereut.

Sex und Fantasien

Wie er im Folgenden versucht, sich ihr zu nähern, welche Vorsicht, welche Zukunfts- und Mordfantasien, welche Ängste, welche Scham, welche großherzige Einsicht dabei eine Rolle spielen und wie das Ganze ausgeht, ist umwerfend erzählt: die Intensität, die der Furor der Liebe erreicht; die Dynamik, die gekränkter Männerstolz entfacht, und die Brutalität, die individuelle Freiheit bedeuten kann – nämlich dass der eine eben anders entscheidet als man es selbst gerne hätte.

Wenn der Mann sich an seine Geliebten erinnert, denkt er nicht nur an ihre Einrichtungs- und Ernährungsvorlieben, sondern auch an ihre sexuellen. Dass Houellebecq das schildert und diese Vorlieben von Dreier bis Sodomie ausführlich beschreibt, ist keine Provokation. Wenn es eine Provokation in diesem Buch gibt, dann besteht sie darin, von Sex und Fantasien zu erzählen, die wir alle kennen und die nicht immer ganz sauber sind, worüber wir aber nicht sprechen.

Die Provokation besteht nicht in Flaurent-Claudes Verteidigung des Wortes „Muschi“ und auch nicht in der Beschreibung von Mösengrößen und deren Feuchtigkeitsgrad und Faltenwurf. Die Provokation besteht darin, zu suggerieren, dass es okay sein müsste, über die individuelle Beschaffenheit von weiblichen Geschlechtsteilen so offen, schnippisch, selbstironisch und unbekümmert zu reden wie über männliche Genitalien.

Ich würde so gar noch weiter gehen und behaupten, es könnte sich dabei um einen feministischen Ansatz handeln. Einen, den ich auch in der Haltung des Protagonisten sehen könnte, der findet, dass „zur Klarheit der Diskussion“ der Ausdruck „junge, feuchte Muschis“ besser geeignet sei, um auszudrücken, was Marcel Proust meint, wenn er von „erblühenden jungen Mädchen“ spricht.

Der alte weiße Mann als Ekel

Flaurent-Claude ist kein sabbernder, pädophiler Sexist, der Frauen nur als Sexarbeiterinnen im Weinberg des Herren betrachtet. Er findet solche Typen (im Roman ist es ein soziophober deutscher Ornithologe, der in einer Ferienwohnung Pornos mit Minderjährigen dreht) abstoßend. Dass er an dem Setting trotzdem voyeuristisches Interesse entwickelt, dass er den Schwanz einzieht und abhaut, anstatt den Täter zur Rede zu stellen oder ihn anzuzeigen, macht Flaurent zum Mitwisser und damit zum Mittäter.

🔵DAS BUCH
Michel Houellebecq: „Serotonin“, DuMont Buchverlag, Köln 2019, 335 Seiten, 24 Euro

Der Roman aber bedient mit der Hauptfigur Flaurent-Claude gerade nicht die Vorstellung vom alten weißen Mann als Ekel, das in der einen Hand die Bierflasche und in der anderen Hand den eigenen Penis hält, während er im Fernseher Fußball, Polittalk oder Tierdoku und in jedem jungen Mädchen nur eine zu fickende Muschi sieht.

Flaurent-Claude ist eine Figur, die sich ihrer Unzulänglichkeiten und ihrer Männerfantasien bewusst ist, ihnen teilweise erliegt, aber auch dagegen kämpft. Er schießt am Ende nicht, obwohl er sich in der Rolle des echten Kerls, der über Leben und Tod entscheidet, gern gefallen würde. Er ist eine Figur, die der Puritanisierung der Gesellschaft und der EU die Mitschuld an der eigenen Misere gibt. Er ist aber auch eine Figur, deren lakonischer Ton einem vor Lachen und Tristesse die Tränen in die Augen treiben.

Da ist der tägliche Kampf gegen das Rauchverbot, weshalb er Rauchmelder in Hotelzimmern manipuliert. Da ist der Psychiater, der als Alternative zu den Antidepressiva Nutten in Thailand oder einfach gleich Morphium empfiehlt. Da ist die Erkenntnis, dass das Sprechen zwischen Liebenden überschätzt wird, da außerhalb von Fragen nach dem Garagenschlüssel oder dem Elektrikertermin das Reich der Debatte beginne, ergo Streit, Entliebung, Scheidung. Und da ist aber auch große Erzählkunst, wenn die Beklemmung, die Scham, die Unfähigkeit zu spüren ist in der Szene, in der Flaurent-Claudes Freund Aymeric ihm gestehen muss, dass seine Frau ihn verlassen hat.

Politische Radikalisierung

Aymeric wollte nicht werden, was sein Vater ist: ein dekadenter Adeliger, der nur geerbt, nichts erschaffen, aber dafür alles versoffen hat. Aber obwohl Aymeric Landwirt wurde, sich „zu Tode geschuftet“ hat, schafft er es nicht, seine Familie zu ernähren – weil die EU-Politik der Milchquoten die Preise in den Keller treibt, glaubt er. Aymeric wird zur Galionsfigur der militanten Proteste der Landwirte gegen diese Politik.

Ob Houellebecq damit, wie von französischen Medien interpretiert, die Gelbwesten-Bewegung vorausgesagt hat, sei dahingestellt. Klar ist, dass die politische Radikalisierung in Houellebecqs Roman zwar auch als Folge wirtschaftlicher Misere, aber mindestens ebenso sehr als Folge von Liebeskummer, Trennungsschmerz und gekränkter Männlichkeit dargestellt wird. Die am Ende des Romans gestellte Frage – Sind wir Illusionen von individueller Freiheit, von einem offenen Leben, von unbegrenzten Möglichkeiten erlegen? – ist die Frage danach, ob individuelle Freiheit auch zu individuellem Glück führt. Eine Frage, die nicht beantwortet ist und auf die man nur sagen kann: Ich hoffe doch.

Man kann das als Paraphrase auf Karl Marx' 11. Feuerbach­these lesen

Der Roman hat so etwas wie ein Vorspiel und ein Nachspiel. Beides beginnt mit dem Satz „Es ist eine kleine weiße ovale, teilbare Tablette.“ Im Nachspiel heißt es dann weiter: „Sie erschafft nichts, und sie verändert nichts; sie interpretiert.“ Die Tablette ist das Antidepressivum, und man kann darüber zunächst sehr lachen, auch wegen der Anspielung auf ihre Form.

Man kann den Satz aber auch als Paraphrase auf Karl Marx’11. Feuerbachthese lesen („Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.“). Und auch kann man ihn als Paraphrase auf das „Hohelied der Liebe“ aus dem ersten Brief an die Korinther des Apostels Paulus lesen: „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf … Für jetzt bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung.“

Alle drei spielen eine große Rolle in Houellebecqs Roman. Es wäre also nicht allzu provokant, würde man „Serotonin“ als paulinisches Manifest lesen: Die Ära von Houellebecqs Protagonisten Flaurent-Claude geht zu Ende – hoffen wir, dass danach ein besseres Exemplar von ihm erscheint.


aus der "taz" - montag, 7.januar 2019, kultur - s. 15


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houellebecq's typische schreibe - quelle: unbekannt


Mann braucht Glückshormone

Michel Houellebecqs neuer Roman »Serotonin« erscheint heute

Von Andreas Schnadwinkel | WB

Michel Houellebecq gilt – wie seine Hauptfigur – als misanthropischer Kettenraucher, der  am menschlichen Dasein verzweifelt.


Bielefeld(WB). In seiner Heimat Frankreich sind sich die Rezensenten seines neuen Romans »Serotonin« sicher: Michel Houellebecq hat die Protestbewegung der »Gelbwesten« kommen sehen. Ganz so ist es nicht, aber der Blick des Autors auf die Gegenwart und die Gesellschaft ist so klar wie immer. Heute erscheint das Buch in Deutschland.

Seit »Plattform« (2001) werden dem Schriftsteller wahlweise prophetische, seherische oder visionäre Fähigkeiten nachgesagt. Der Roman endete mit islamistischen Attentaten auf westliche Touristen in Asien – und erschien am 3. September 2001, acht Tage vor den Anschlägen des 11. September 2001. Noch näher sollte »Plattform« ein Jahr darauf an dem Anschlag auf der Ferieninsel Bali mit 202 Opfern sein.

Besser im Gedächtnis ist »Unterwerfung«. Erscheinungstag des Romans, der von der Wahl eines muslimischen Staatspräsidenten in Frankreich handelt, war der 7. Januar 2015. Der Tag, an dem zwei islamistische Terroristen in Paris die Redaktion des Satiremagazins »Charlie Hebdo« stürmten und elf Menschen ermordeten. Auf den Schreibtischen lag die aktuelle Ausgabe: mit einem karikierten Michel Houellebecq auf dem Cover; »Unterwerfung« war die Titelstory.

In der Tat hat der 60-Jährige ein Gespür für soziale und politische Entwicklungen, über das nur sehr wenige verfügen. Aber die »Gelbwesten« hat er in »Serotonin« nicht vorhergesagt. Vielmehr geht es um einen Aufstand von Milchbauern in der Normandie, die Au­tobahnen blockieren und sich Gefechte mit der Polizei liefern. Dass französische Landwirte ihre Interessen durchzusetzen versuchen, indem sie den Verkehr lahmlegen, ist ja nicht neu. Allerdings betont Houellebecq eine neue Militanz und Gewaltbereitschaft, mit der sich die Bauern gegen Billigmilchimporte wehren.

Und so kann man, wenn man möchte, die 336 Seiten als Anti-Globalisierungs-Buch lesen, als Plädoyer für Erzeugnisse aus der Heimat und als Forderung nach Protektionismus. Die Hauptfigur, ein 46-jähriger Agrarökonom, hat für den Monsanto-Konzern gearbeitet und berät jetzt die französische Regierung bei Verhandlungen mit der EU-Kommission. Ginge es nach ihm, gäbe es kein Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten, denn argentinische Aprikosen würden die Obstbauern in Roussillon um ihre Existenzgrundlage bringen. Der Protagonist hat sich damit abgefunden, dass er den Lauf der Dinge nicht ändern kann, und beschäftigt sich mit sich selbst.

In jedem Houellebecq-Roman stehen die Leser vor der Frage: Wie viel Houellebecq steckt in dem Ich-Erzähler? Gemessen an dem, was man über den Schriftsteller weiß, ziemlich viel. Ein misanthropischer Kettenraucher, der ein Agrarstudium absolviert hat und am menschlichen Dasein verzweifelt. Über weite Strecken bekommt das Publikum, was es von einem geübten Provokateur erwarten darf: bestätigte Vorurteile, depressive Auswüchse, ausführliche Sexszenen, Gedanken über Tourismus und Erfahrungen in der Gastronomie. Die erste Hälfte liest sich wie ein »Best of Houellebecq«, wobei der Islam bis auf zwei im Nebensatz erwähnte salafistisch aussehende Internetcafé-Betreiber nicht vorkommt.

Im zweiten Teil ändert sich der Stil deutlich. Unterm Strich geht es um einen an sich selbst leidenden Mann auf der Suche nach Liebe. Einen erst 46-Jährigen, der seine Ex-Partnerinnen aufsucht und meint, sein erotisches Leben hinter sich zu haben – und damit sein Leben überhaupt.


Der wahrscheinlich einflussreichste zeitgenössische europäische Autor beschränkt sich aber nicht auf eine amüsante Revue mit halbwegs ernstem Grundton. Je tiefer die Handlung in die Provinz vordringt, desto tiefer geht es in die verkümmerte Seele der Hauptfigur in ihrem Lebenskampf. Aus dem Gesamtwerk des Franzosen wird eines immer deutlicher: Unglücklich sind immer die Kinderlosen. Vielleicht ist es das, was Michel Houellebecq sagen will.

aus: WESTFALEN-BLATT, Nr. 5, vom 07.01.2019 - S. 21 - Kultur/Fernsehen

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michel houellebecq hat seinen neuen - seinen 7. - roman vorgelegt. und erst neulich habe ich ausführlich zu houellebecq stellung genommen (→ hier) - in einer besprechung zum 1-mann-theaterstück seines romans "unterwerfung" mit edgar selge in hamburg und jetzt in berlin... - und zu einem jüngst erschienen interview mit houellebecq bei "harper's", in dem er donald trump lobt und bewundert.
"houellebecq ist ein sehr genauer beobachter seines (französischen) alltags und des weltpolitischen drumherums, das er nur immer in seiner derzeitigen populistischen unentschiedenheit durch den wäschewringer drehend auspressen muss und versatzmäßig als patchwork mit stift und schreibgerät aufs papier durchformulieren muss: herauskommen dabei können nur dann solche stücke und texte, wie sie hier notiert und bewertet werden" ...
habe ich geschrieben - und dem ist auch nach den beiden besprechungen seines neuesten romans nichts hinzuzufügen.
houellebecq komponiert fast wie ein koch seine bewährten zutaten ins jeweilige roman-menü: ausführlichen schmuddelsex, drugs, melancholie oder besser depression, lebensmüdigkeit und frauenüberdruss - immer mit einem aktuellen gut beobachteten oder sich abzeichnenden schuss zeitgeist- und polit-aspekt - und daraus generiert er dann sein neuestes machwerk.

man darf das lesen - man kann es aber auch lassen - denn es unterhält nur über eine gewisse zeit hinweg: es nimmt (außer lesezeit) nichts weg - es füllt aber auch nicht unbedingt hirnschmalz auf...

neulich hat der alte hamburger bürgermeister von dohnanyi (jahrgang 1928) auf dem "roten sofa" des ndr gemeint, ihn interessiere nur etwas, was ihn trotz seiner lebenserfahrung und seiner ämter "noch weiterbringt - weiterbildet" - also wo er einen "zugewinn" erfährt.
bei houellebecq's "serotonin" wird er und viele andere ein solches geistig-inneres plus wohl weniger finden, so scheint es mir nach den vorliegenden rezensionen.

alle rezensent*innen, derer ich bis heute habhaft werden konnte, schreiben, der neueste romen sei verschieden zu lesen, unter unterschiedlichen aspekten oder herangehensweisen...
man könnte eben auch sagen: "die einen meinen so - die anderen so ..." - also im grunde alles nichtssagend.

houellebecq bedient gern aus marktstrategischen gründen genau diese lücke der nichtfestgelegten und der neugier - und dann mixt er (in frankreich meint man "hellseherisch") vermeintlich folgerichtige quintessenzen aus dem allgemeinen europäischen binnenklima - auch philosophisch und politisch und konfessionell - mit in den shaker - und ... -
genug geschüttelt: flupps - fließt "serotonin" ins glas: "eine kleine weiße ovale, teilbare tablette - sie erschafft nichts, und sie verändert nichts; sie interpretiert."...

ich sage nur - wohl bekomm's - nix für ungut - und chuat choan ...

sinedi|photography: OVERVIEW | update sky - photo|magazine

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double page of my photo/magazine "update | sky"




"vorbild" für mein photo|magazin war eine viewing-room-mail von der internationalen david-zwirner-gallery.
in dieser mail wurde ein endlos-gif-"magazin" von bruce nauman gezeigt, das mich dann zu meinem
neujahrs-magazingruß inspirierte.



Ausgewählte Arbeiten in GIF: Bruce Nauman, LA Air, 1970. © 2018 Bruce Nauman/Artists Rights Society (ARS), New York

LA Air ist ein Künstlerbuch bestehend aus Fotografien, die die Luft Südkaliforniens veranschaulichen. In dem Buch präsentiert Bruce Nauman acht ganzseitige Foto-Reproduktionen der Atmosphäre. Verso-Faksimile-Signatur ...

Der Viewing Room unterstreicht auch den experimentellen Geist, der für Naumans Beschäftigung mit künstlerischer Identität und Routine von zentraler Bedeutung ist.

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fjordenhus vejle - danmark

Auf Wasser gebaut. Gemeinsam mit seinem langjährigen Architektenpartner Sebastian Behmann schuf Olafur Eliasson im dänischen Vejle das „Fjordenhus“ für das Unternehmen Kirk Kapital. Foto: Anders Sune Berg
Licht und Stein

Olafur Eliasson schenkt der dänischen Hafenstadt Vejle ein architektonisches Wahrzeichen

Von Falk Jaeger | Tagesspiegel

Wie eine Renaissance-Wunderkammer, vollgestopft mit Bildern, Modellen, Artefakten, Materialproben mutet das Studio des dänischen Künstlers Olafur Eliasson auf dem Pfefferberg in Berlin an. In der 1907 erbauten Flaschenabfüllerei, einem viergeschossigen Backsteinbau nach Art eines florentinischen Palazzos, arbeiten 120 Mitarbeiter, Künstler, Architekten, Handwerker und Medienspezialisten, erforschen geometrische Objekte, Farb- und Lichteffekte, produzieren die Kunstwerke und erarbeiten Baupläne, Ausstellungen, Medienpräsenz und Bücher.

Wenig überraschend, dass es den Universalkünstler auch reizt, sich mit Architektur zu beschäftigen, da er sich mit geometrischen Strukturen und deren Erscheinung auseinandersetzt und häufig im Kunst am Bau-Bereich unterwegs ist. Zur Planung und Abwicklung von Bauaufgaben hatte Eliasson 2014 gemeinsam mit seinem langjährigen Architektenpartner Sebastian Behmann eine eigene Firma gegründet, Studio Other Spaces, die den Part des klassischen Architekturbüros übernahm. Nun ist der erste Bau aus dieser Konstellation entstanden, und es ist ein bemerkenswertes Baukunstwerk geworden.

Die dänische Hafenstadt Vejle an der Ostküste Jütlands ist Sitz des Investmentunternehmens Kirk Kapital, einer Familienstiftung des LEGO-Imperiums, das in Immobilien investiert, zum Beispiel am Hafen von Vejle. 


Internet-Auftritt-Titel von KIRK-KAPITAL

Der Auftrag für Eliasson, für Kirk Kapital ein Verwaltungsgebäude zu errichten, kam über persönliche Kontakte zum Bauherrn zustande. Wie in vielen Küstenstädten ist das Hafenareal einem radikalen Wandel unterworfen und wird in ein privilegiertes Wohngebiet konvertiert. Landaufschüttungen schufen Platz für ein neues Stadtquartier, Wohnungsbau, eine Marina, ein Freibad und einen Kanu-Club. Eliassons „Baugrundstück“ liegt im Wasser, im Hafenbecken im Vejle Fjord.

Der Neubau erhielt den Namen Fjordenhus und wurde zum städtebaulichen Fanal. Die Großform entstand aus geometrischen Überschneidungen von vier Zylindern und 29 von oben und unten hineingesteckten kleineren, leicht konischen Zylindern. Dadurch ergeben sich parabelförmige Ausschnitte als haushohe Fensteröffnungen. Eliasson und Behmann korrigieren das idealgeometrische System hier und da für räumliche Optimierungen, um Aus- und Einblicke zu erweitern oder technische Funktionen besser unterbringen zu können.


Bildcollage Kirk Kapital Headquarters - Bildquelle: © 2019 Transsolar Energietechnik GmbH


Entstanden ist eine geometrische Großskulptur, die dennoch architektonische Assoziationen weckt, von Wasserburg über Donjon und venezianischem Palazzo bis zum Hafensilo. Es ist kein hermetisch wirkendes Haus, das sich im unteren Bereich in Pfeiler auflöst. Über einen schmalen Steg schlendern Spaziergänger ins offene Erdgeschoss und schauen den Kajakfahrern des benachbarten Klubs zu, die in den Türmen herumpaddeln. Die drei Obergeschosse beherbergen ein Casino, fließende Räume für Büros und durch eindrucksvolle, gewölbte Glastüren abgeteilte Besprechungsräume und Chefbüros. Bis auf die Stühle hat Eliasson die gesamte Inneneinrichtung entworfen. Sein Stil ist zurückhaltend, fast bescheiden, doch spürt man, dass beim Bau Budgetgrenzen eine untergeordnete Rolle gespielt haben.

Die gerundeten Formen und Parabeln der Fassade und Innenwände wurden in sorgfältiger Handwerksarbeit gemauert. Keine leichte Arbeit für die Handwerker, sind doch im ganzen Haus keinerlei gerade Wände anzutreffen. Allein von den unglasierten dänischen Kohlebrandziegeln wurden 15 verschiedene Farbtöne ausgewählt und in gemischter Sortierung verbaut. Zwischengestreut auf vorher genau festgelegte Positionen kamen Sonderziegel mit farbig glasierten Längsseiten in verschiedenen Farben hinzu, im wassernahen Bereich mehr grüne Töne, zum Himmel hin mehr blaue.

Wer davon weiß, kann an einer Stelle im Erdgeschoss auf halber Höhe einen einzelnen, schwarzglänzend spiegelnden Stein sehen. Er wurde bei einem Besuch während der Bauzeit von Königin Margarethe II. gesetzt. Hier und da bleibt das Auge an „Webfehlern“ hängen. Mal sind einzelne Steine senkrecht eingesetzt, mal sind es größere rechteckige oder quadratische Formate, hier und da sogar kreisrunde Ziegelplatten. Auch diese das perfekte Erscheinungsbild störenden Unkorrektheiten sind akribisch geplant. Die farbigen Sonderziegel, die Wasserspeier, die Rund- und Quadratformate sind in der traditionsreichen Ziegelmanufaktur Glindow bei Berlin gebrannt worden, die sich auf Sonderanfertigungen spezialisiert hat und hauptsächlich Denkmalpflegeprojekte beliefert.

Schwer zu sagen, was mehr beeindruckt: das Raumerlebnis mit den Ausblicken Richtung Stadt und Hafen oder die atmosphärisch wunderbar gestimmten Räume, deren Materialität und Inneneinrichtung Gediegenheit und künstlerische Subtilität ausstrahlen. Zur Wirkung kommen nur wenige Naturfarben und das Licht, das natürliche wie das durch den Lichtkünstler modulierte. Denn selbstverständlich fanden einige Kunstwerke Eliassons im Haus ihren Platz: „Der Innere Himmel“, eine lamellierte Sonnenkugel im Lichtdom des Obergeschosses, die von oben durch einen der Sonne folgenden Heliostat-Spiegel belichtet wird, oder „Fjordwirbel“, eine wie eine Windhose von der Decke herabwachsende, spiegelbesetzte Metallspirale. Hinzu kommt ein Unterwasserlicht, das geheimnisvoll heraufleuchtet.



Im Endergebnis entstand ein Gesamtkunstwerk. Die künstlerische Grundidee wurzelt im archetypischen Denken. Der Bau besitzt eine Dekorfreude, die auf Ornament verzichtet und das pure Material sprechen lässt. Das Fjordenhus ist ein Einzelfall, eine elitäre Bauaufgabe jenseits ökonomischen Renditedenkens, mag mancher kritisieren. Doch in einer Zeit, wo neue Wohngebiete und Büroquartiere als charakterlose Bauklotzansammlungen wuchern und die Stadtbaukunst zugrunde geht, müssen derlei Glanzlichter der Baukunst mit Wahrzeichenqualitäten höchst willkommen sein.


Das Studio Olafur Eliasson arbeitete auch mit den Architekten Lundgaard & Tranberg und den Landschaftsarchitekten Vogt an einem Masterplan für die gesamte Marina zusammen, hier im Luftbild. - Bildquelle: dezeen.com

Textquelle und Bild oben: Tagesspiegel vom 06.01.2019 - S. 24 - Kultur



ich habe hier mal für euch und für mich ein architektonisch-städtebauliches meisterwerk des künstlers olafur eliasson mit dem "tagesspiegel"-bericht noch mit bildmaterial und video aufgepeppt und erweitert:

in erster linie - weil ich einfach begeistert bin von diesem gesamtkunstwerk - eingebettet in die  gestaltung der "marina" von vejle in dänemark. 

noch heute habe ich einen kurzen bericht über das kunstjahr 2018 im hinblick auf die spektakulären auktions-aktionen vornehmlich bei sotheby's und christie's gelesen: 

450.312.500 us-dollar sind umgerechnet circa 381,6 millionen uro. soviel geld bezahlte ein anonymer bieter in new york für das gemälde „salvator mundi“ von leonardo da vinci - oder aus einer seiner zahlreichen werkstätten von assistenten vielleicht nur unter seiner anleitung auf die leinwand gebracht. es ist wohl auch sehr sehr "eigen-sinnig" von einer an sich gerühmten expertin für den verkauf restauriert worden... 

ein astronomischer betrag also für ein in expertenkreisen umstrittenes werk mit einer ebenso umstrittenen provenienz, aber der das bild trotzdem zum teuersten kunstwerk der welt gemacht hat. doch seit seiner ersteigerung wurde es nicht mehr gesichtet: im "louvre"-museum von abu dhabi in qatar, wo es ausgestellt werden sollte, kam es bis heute jedenfalls nicht an...

und dann zum beispiel diese schredderaktion von banksy - und das von digitalen algorithmen zusammengemixte äußerst hässliche ergebnis eines bildes von verschiedenen von studenten eingefütterten porträtbildern in einen computer, dass dann tatsächlich für mehrere 100.000 dollar versteigert wurde - ich hätte dieses ergebnis tatsächlich lieber schamvoll geschreddert ...

aber daran erkennt man die pure dekadenz, die inzwischen diese welt und auch die kultur zumindest hier und da in den klauen hält: in der "großen politik" mit populisten vom schlage eines trump oder seinen nachahmern in süd- und ost-europa und anderswo - und bei uns - 

oder jüngst auch das in goldfolie eingewickelte steak des m. franck ribéry (video click here): so, dass einem sogar die reine, unschuldige freude an der zutiefst komödiantischen qualität dieses zelebrierungs-videos verleidet wird - mit seinem fast schon künstlerischen symbolwert: da liegt es also ganz bildlich und buchstäblich, das "goldene kalb", um das sich das ganze kicker-gespöke so dreht - und nicht nur dort... ein noch viel schöneres bild für die absurdität nicht nur des business als der vergoldete lamborghini von arsenals pierre-emerick aubameyang. aber alles sicherlich allerbeste "vorbilder" für unsere kinder und jugendlichen ...

doch dann - hier - im totalen gegensatz zu diesen schrägen und dekadent durchgedrehten und verrückten auswüchsen - quasi als kontrapunkt - diese wirklichen, die lebensqualität verändernden und trotzdem die ökologischen gegebenheiten berücksichtigenden tatsächlichen  k u n s t w e r k e  von eliasson und seinen mitarbeitern und partnern ...

ich wünsche uns allen viel freude schon vom puren anblick und den weiteren infos hierzu: denn das ist ja auch im neuen jahr die gewissheit: wo viel schatten ist, kommt ab und zu auch noch ein lichtschein durch die wolken ...


wie man aus blitzen geld macht - 10-jährige lichtblitz-performance des ordnungsamt am bielefelder berg auf der a 2



WB


Das Millionending

Es blitzt und blitzt ohne Unterlass: Vor zehn Jahren ging die Radaranlage an der A 2 in Betrieb

Von Jens Heinze | WESTFALEN-BLATT/owl am sonntag

sundaycruiser.de
Bielefeld. Seit mehr als zehn Jahren hält das Blitzgewitter an, ein Ende ist nicht in Sicht: Der Blitzer am Berg, die Radaranlage in der Tempo-100-Zone an der A 2 in Fahrtrichtung Hannover, ist seit dem 11. Dezember 2008 aktiv. Ein Rückblick auf eine Erfolgsgeschichte für die Stadt Bielefeld, mit der zu Beginn keiner gerechnet hat.

Mit zwei trockenen Sätzen kündigte der damalige Stadtsprecher Dietmar Schlüter vor nunmehr gut zehn Jahren den Start für die digitale Radaranlage Traffistar S330 der Firma Jenoptik mit drei separaten Blitzern und ebenso vielen Kameras für jede Fahrbahn an. Was da keiner ahnte: Der emsige Blitzer am Berg (510 Fotos pro Tag im Zehn-Jahres-Durchschnitt) erlangte schnell bundesweit Berühmtheit, sogar das russische Fernsehen berichtete und eine Wirtschaftsdelegation aus Saudi-Arabien kam zum Ortstermin.

Betrieben wird der Blitzer am Bielefelder Berg an der kurvigen A-2-Gefällstrecke hinter der Talbrücke Lämershagen von Beginn an von der Stadt Bielefeld. Die Raserfotos gehen von der Anlage via verschlüsselter Internetverbindung an die Stadtverwaltung. Ausgewertet werden die Blitzerbilder von Mitarbeitern des hiesigen Ordnungsamtes. Die Verwarn- und Bußgelder, die quer durch Deutschland und Europa verschickt werden, müssen an die Kasse der Stadt gezahlt werden. Grundlage dafür ist das NRW-Gesetz zur Anpassung landesrechtlicher Straf- und Bußgeldvorschriften an das Bundesrecht, sagt Norman Rosenland, Geschäftsbereichsleiter Verkehrsordnungswidrigkeiten im Ordnungsamt.

Würde die Stadt Bielefeld den Blitzer an die Börse bringen, wären die Papiere heiß begehrt. Denn die Rendite ist einzigartig. Exakt 155.414 Euro hat die Anschaffung des Digitalblitzers vor zehn Jahren gekostet. Dazu kommen 11.765,01 Euro Installationskosten und etwa 60.000 Euro für neue Kameras im Jahr 2017, sagt Rosenland.

Diese sechsstelligen Anschaffungskosten haben sich inzwischen im hohen achtstelligen Bereich rentiert. 62,22 Millionen Euro aus Verwarn- und Bußgeldern flossen vom 11. Dezember 2008 bis zum 31. Dezember 2017 in die Stadtkasse.

Bis Anfang Dezember löste der Blitzer am Berg seit Bestehen 1,86 Millionen Mal aus. Fotografiert werden überwiegend rasende Pkw-Fahrer, obwohl die Radaranlage vorher zweimal auf Schildern angekündigt wird. Weil nicht jedes Foto verwertbar ist und die Kommune nur im Bereich der Europäischen Union Gelder eintreiben kann, blieben unter dem Strich 1,163 Millionen verwertbare Fälle übrig.

youtube - videostill - biele jojo


Zweck des Blitzers am Berg ist es nach Darstellung von Stadt und Polizei, einen Unfallschwerpunkt zu entschärfen. Auf diesem viel befahrenen Streckenabschnitt der A 2 mit durchschnittlich 46.400 Autos täglich kam es vor der Installation der Radaranlage immer wieder zu schweren Unfällen. Grund für jede zweite Karambolage im Bereich der vierprozentigen Gefällstrecke war überhöhte Geschwindigkeit, teilte der damalige Polizeipräsident Erwin Südfeld per Brief im Februar 2008 dem ehemaligen Oberbürgermeister Eberhard David mit. Die Zahl der Unfälle steige trotz des seit 1995 bestehenden Tempo-100-Limits, es gebe 19 Prozent mehr Schwerverletzte.

Am 23. Juni 2008 wurde der »Grundstein« für den Blitzer am Berg gelegt. Die Unfallkommission Autobahn (Polizei Bielefeld, Landesbetrieb Straßenbau NRW, Bezirksregierung Detmold) beschloss die Installation der Radaranlage. Dass sie korrekt funktioniert, dies wird vorm Amtsgericht Bielefeld bei Einspruchsverfahren gegen Bußgelder immer wieder bezweifelt. Nachgewiesen wurden Fehlfunktionen aber nie. »Mehr als 150 Gutachten – Radaranlage arbeitet fehlerfrei« hieß es am 22. Juli 2016 im WESTFALEN-BLATT. Unbestritten ist, dass manche Blitzerbilder hohen Unterhaltungswert haben. Der Jagdhornbläser am Steuer oder das Kind hinter dem Autolenkrad mit den Eltern als Beifahrer sind nur zwei Beispiele. Den Negativ-Rekord hält aktuell ein Raser, der 232 Kilometer in der Stunde bei erlaubtem Tempo 100 fuhr.

Das Blitzer-Fazit nach zehn Jahren zieht Norman Rosenland, der die Anlage seit dem Start begleitet. Nach Inbetriebnahme der Radaranlage habe es keine schweren Unfälle mehr gegeben. Das Geschwindigkeitsniveau auf der A 2 sei am Bielefelder Berg deutlich gesenkt worden. Inzwischen würden mehr Verwarngelder für geringfügige Tempoverstöße als Bußgelder für massive Überschreitungen erhoben.

Aber eine wichtige Frage bleibt nach einem Jahrzehnt offen. »Warum immer noch Tausende Autofahrer pro Woche geblitzt werden, das können wir auch nicht beantworten«, sagt Rosenland.

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Klagen ohne Ende: Blitzer am Berg ist bis heute umstritten

Abzocke, Gelddruckmaschine für die Stadt, ungeeignet, die Verkehrssicherheit zu erhöhen: Die Vorwürfe von Rasern auf der A 2 und ihren Anwälten gegen die Radaranlage sind ebenso lang wie vielfältig. Bis heute wird gegen den Blitzer am Berg geklagt. Aktuell hat das Oberverwaltungsgericht Münster damit zu tun. Nachdem ein Gütersloher Installateur mit seiner Klage gegen die Tempoüberwachung vor dem Verwaltungsgericht Minden gescheitert war, ging der Fall in die nächste Instanz zum Oberverwaltungsgericht. Das will im ersten Quartal nächsten Jahres entscheiden.

Inzwischen beschäftigt dieser Fall seit 2014 verschiedene Gerichte in Bielefeld, Minden und Münster. Das ist kein Einzelfall. Eineinhalb Jahre lang dauerte es beispielsweise, bis Alexander Prinz zu Schaumburg-Lippe im Frühjahr 2011 sein Urteil – Fahrverbot und Geldbuße – endlich akzeptierte. Der Adelige hatte bis zum Oberlandesgericht Hamm gekämpft.

Alexander Prinz zu Schaumburg-Lippe befindet sich in guter Gesellschaft. Abgelichtet vom Blitzer am Berg wurden unter anderem Dressur-Olympiasiegerin Isabelle Werth, der Maler Markus Lüpertz, der Sänger Peter Maffay und die Schauspielerin Simone Thomalla.

Ihre Fälle wurden überregional bekannt, weil diese Promis sich vor dem Amtsgericht Bielefeld in öffentlicher Verhandlung gegen ihre Strafen wehrten. Es gibt weitere Prominente, die ebenfalls auf der A 2 geblitzt wurden, heißt es vom Ordnungsamt. Ihre Fälle wurden aber nie öffentlich, weil diese Promis keinen Einspruch einlegten. hz

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Gnadenlos unterschätzt

Ex-Ordnungsamtsleiter Roland Staude über den Blitzer-Start

Bielefeld (hz). Roland Staude (53) war vor zehn Jahren, als der Blitzer am Berg in Betrieb ging, Ordnungsamtsleiter in Bielefeld. »Den 11. Dezember 2008 werde ich nicht vergessen. Das ist so, als wenn ein guter Freund Geburtstag hat«, sagt er im Rückblick.

Ein Fazit Staudes lautet: Die Auswirkungen des Blitzers wurden anfangs gnadenlos unterschätzt. 15.000 Fälle, so die erste Prognose, seien pro Jahr wegen der neuen Radaranlage an der A 2 zu bearbeiten. Dafür sollten drei Sachbearbeiter ausreichen, glaubte man bei der Stadt Bielefeld.

Die Realität sah völlig anders aus. »Allein in der ersten Woche gab es um die 7000 Blitzvorgänge«, erinnert sich Staude. 2009, im ersten vollen Blitzerjahr, wurden es schließlich 134.779 bußgeldpflichtige Verstöße, die die Stadt Bielefeld verfolgte. Verwarngelder bis 30 Euro wurden damals noch gar nicht erhoben. Auf einen Schlag, sagt Roland Staude, wurden 25 Mitarbeiter in der Bußgeldstelle des Ordnungsamtes gebraucht. 19 davon wurden neu eingestellt. Mehr als 500 Bewerbungen, »von der Kassiererin bis zum Verwaltungsdirektor der Post«, gingen auf die Stellenausschreibungen ein. Was heute der Computer macht, wurde vor zehn Jahren noch per Handarbeit erledigt. Staude: »Jedes Jahr gab es einen Kilometer laufende Akten.«

Das große Erwachen wegen des Blitzers am Berg gab es nicht nur bei der Stadt. »Auf Justiz rollt gewaltige Klagewelle zu« titelte das WESTFALEN-BLATT am 18. Juli 2009. Zu diesem Zeitpunkt waren 71.728 Bußgeldverfahren gegen Raser auf der Autobahn eingeleitet worden. Nicht jeder wollte widerstandslos zahlen. 3146 Autofahrer legten Einsprüche gegen die verhängten Bußgelder ein, gleich 896 dieser Verfahren wurden an das Amtsgericht Bielefeld abgegeben. Von Ende Juli 2009 an sollte vor dem Amtsgericht Bielefeld verhandelt werden. Die Folge: Richter mussten extra Sitzungstage einlegen.

WB/owl am sonntag, Sonntag, 06.Januar 2019 | S. 10



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trotz dieses geldregens seit 10 jahren sind unsere straßen hier zumindest an der peripherie in bi-sennestadt immer noch nicht saniert - und längst nicht alle schulen sanitär- und digitalmäßig auf dem neuesten stand - und die seit einem halben jahrhundert versprochene direkte stadtbahnanbindung wird im schneckentempo weiter ge- und verplant ...: frei nach dem motto: langsam patt kommt auch nach stadt ...

da bielefeld chronisch klamm ist, werden mit den rund 70 millionen in 10 jahren nur notdürftige löcher gestopft - nehme ich an - und arminia bielefeld hat man jetzt etwas über 1 million erlassen, damit sich der verein finanziell wieder etwas erholen kann nach der offensichtlichen misswirtschaft in all den vergangenen jahren ...

auch jetzt hat sich arminia vorzeitig vom funktionierenden trainer jeff saibene getrennt, und einen anderen trainer quasi zusätzlich eingestellt - und bei dieser vorübergehenden doppelbesetzung geht die million von der stadt schon fast wieder drauf - profi-fußball in unteren gefilden der ersten und der zweiten liga ist eine eigenartige zirkus-show...

also - diese ganze abgeblitzte knete geht direkt von der hand in den ewig hungrigen mund, denn auch die kunsthalle in bielefeld hat schon munterere jahre erlebt - und muss dringend saniert werden ... - oetker-pudding hin - oetker-pizza her ...

und man hat sich ja andernorts versucht über wasser zu halten, in dem man - so als gag - behauptete, bielefeld gäbe es gar nicht, doch spätestens mit den bußgeldbescheiden vom ordnungsamt und den gerichtsverfahren mit widerspenstigen geblitzten kraftfahrern aus dem in- und ausland konnte man auch diese verleugnungs-behauptung nicht länger aufrecht erhalten - und musste aus der deckung kommen ...

BI-Sparrenburg 
BI-Logo
bielefeld gibt es - und wie ... blitz-tausend noch einmal: und vor einiger zeit erfanden ein paar studenten sogar das schlagwort: "liebe💗feld" statt "bielefeld"... - das ist doch sowas von originell und niedlich - aber anstatt man dieses wortspiel nun entsprechend touristisch vermarktet, betätigt man sich lieber als a 2-straßenräuber - und macht sich auf diese weise für hunderttausende "unvergesslich" und be-lieb💗... und entwickelt stattdessen aus den 3 buchtaben b-i-e ein ganz staksig-abstraktes logo, das die ehrwürdige sparrenburg wohl abbilden soll ... - hoffentlich waren das kunststudenten im ersten semester, die dieses neue logo "entwickelten" - einer profi-grafikagentur - die dafür eventuell auch noch knete abzockt - ist ein solches gebilde auf alle fälle nicht würdig: "sechs - setzen" ...

aber - nix für ungut - immer chuat choan ...