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reden ist silber ...

manche begriffe sind doch nur schall & rauch

Nazibegriffe heute

"Sprache ist kein Gift"

Viele Wörter wurden von den Nationalsozialisten geprägt. Sollte man sie deswegen nicht mehr nutzen? Der Journalist Matthias Heine ist der Frage auf den Grund gegangen.

Ein Interview von Katharina Brecht | SPIEGEL-online


SPIEGEL ONLINE: Herr Heine, in Ihrem neuen Buch beschäftigen Sie sich damit, wie die Nationalsozialisten die deutsche Sprache bis heute prägen. Warum schreiben Sie ausgerechnet jetzt darüber?

Heine: Durch den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in den letzten Jahren fällt der Vorwurf "Du hast ein Naziwort benutzt, jetzt hast du deine Gesinnung verraten" noch häufiger. Ich möchte darüber aufklären, welche Wörter wirklich von den Nazis geprägt wurden und welche nicht.

SPIEGEL ONLINE: Manche Begriffe stammen gar nicht von den Nazis, obwohl sie ihnen zugeordnet werden?

Heine: Genau. Der Begriff "Bombenwetter" etwa gehörte beispielsweise nie zum NS-Vokabular, obwohl er bei Laien unter besonders dringendem Naziverdacht steht. In Zeitungen aber tauchte das Wort zwischen 1933 und 1945 nie auf, dafür wurde es schon im Kaiserreich benutzt. Aber klar, es gibt auch eine Wiederentdeckung von NS-Begriffen: Die AfD wettert zum Beispiel gegen eine "gleichgeschaltete Presse". Das Wort "Gleichschaltung" gehört zu den bekanntesten Begriffen aus dem Sprachgebrauch der Nationalsozialisten, wobei sich hier die Bedeutung heute ironischerweise umgekehrt hat: Für das NS-Regime war die Gleichschaltung von Presse und Institutionen ja positiv besetzt.

Braunes vokabular - foto: deutsche welle


SPIEGEL ONLINE: Warum regen sich heute so viele Leute über potenzielle Naziwörter auf?

Heine: Es gab in Deutschland immer ein besonderes Interesse an Sprache. Das hat mit einer langen Tradition von philosophischer und politischer Sprachkritik zu tun. Deshalb gibt es auch eine besonders ausgeprägte Angst, durch Sprache manipuliert zu werden. Weil sich die politische Mitte gegenüber der AfD hilflos fühlt, versucht sie, sich den Aufschwung der Rechtspopulisten auch mit sprachlichen Manipulationen zu erklären. Zum Beispiel mit der Theorie, dass die Medien sich Begriffe wie "Flüchtlingswelle" von der AfD aufschwatzen ließen, sie nach und nach übernahmen und dadurch die rechten Parteien gestärkt hätten.

SPIEGEL ONLINE: Sie glauben nicht an diesen Einfluss?

Heine: Ich glaube nicht, dass Sprache so große Macht hat. Wir haben erlebt, wie die Nazis durch Wörter wie "Sonderbehandlung" den Holocaust vorbereitet haben und mit "Untermensch" und "Asozialer" Menschen dehumanisiert haben. Sprache hat damit Vorurteile und Neigungen verstärkt. Allerdings gab es die Neigungen schon vorher. Die Leute waren bereit, zu morden. Sie wurden nicht durch die Begriffe dazu gebracht - das ist eine Überschätzung von Sprache. Sprache ist kein Gift, das langsam, aber sicher die Hirne zersetzt.

SPIEGEL ONLINE: Wird Sprache dann Ihrer Ansicht nach zu viel reflektiert?

Heine: Sprache kann gar nicht genug reflektiert werden. Darum geht es auch in meinem Buch.

SPIEGEL ONLINE: Jetzt widersprechen Sie sich aber.

Heine: Nein. Mein Buch soll keine Anleitung für eine Sprachpolizei sein, die einem vorschreibt, wie man zu reden hat - sondern ein Leitfaden für guten Stil. Manche Leute empfinden es als Beleidigung, wenn man sie darauf hinweist, dass sie ein Wort besser nicht verwenden sollten. Doch der Hinweis, es "besser nicht zu benutzen", ist kein Verbot. Es geht um Takt, Höflichkeit und historisches Bewusstsein.

SPIEGEL ONLINE: Wann ist ein Wort oder eine Formulierung zum Beispiel unangebracht?

Heine: Ein Journalisten-Kollege hat Russland in einem Text zum Beispiel als "Riesenreich im Osten" bezeichnet. Das ist eindeutig ein Zitat aus Hitlers Buch "Mein Kampf", wo Russland genau so bezeichnet wird. Der Kollege ist Jude, er ist weiß Gott kein Nazi. Aber er hätte die Bezeichnung bestimmt nicht benutzt, hätte er gewusst, dass Hitler es geprägt hat.

SPIEGEL ONLINE: Wie kann man sich vor Unwissenheit und Unaufmerksamkeit schützen?

Heine: Ich kann grundsätzlich nicht von jedem Menschen aller Bildungsschichten erwarten, über jede Nuance der Nazisprache informiert zu sein. Aber besonders Journalisten, Politiker und alle anderen, die sich professionell mit Sprache auseinandersetzen, sollten sich intensiver mit der Herkunft ihrer Sprachbilder beschäftigen - und auch andere darauf hinweisen, wenn sie problematische Wörter benutzen. Ich weiß: In der aufgeregten Debattenkultur, die wir gerade haben, klingt das wie eine Utopie. Aber eigentlich sollte das möglich sein.

SPIEGEL ONLINE: Sollte man belastete Wörter komplett aus dem Sprachgebrauch streichen?

Heine: Nein! Man sollte noch nicht einmal "Untermensch" aus dem Sprachgebrauch streichen. Es gibt dieses Wort nun einmal, und für historische Texte braucht man den Begriff. Ich bin aber auch ein Sprachoptimist: Ich kann mir vorstellen, dass es irgendwann eine Umwertung bestimmter Begriffe gibt und dass sogar die schlimmsten Wörter wieder neutral gebraucht werden können.

SPIEGEL ONLINE: Ist das Wort "betreuen" ein Beispiel dafür, dass diese Umwertung bereits stattfindet? In Ihrem Buch schreiben Sie, dass der Begriff in den Konzentrationslagern ein Synonym für den Mord an den Häftlingen war. Heute begegnet er uns täglich.

Heine: "Betreuen" wurde mir als Schlüsselwort des NS-Jargons am Anfang meiner Journalistenkarriere noch verboten, heute ist er völlig normal. Die Schnittmenge zwischen dem Wort in der Nazizeit und in der heutigen Zeit ist Bürokratendeutsch: "Betreuen" ist ein Begriff, der abstrakt einen Vorgang bezeichnet. In der NS-Zeit stand es unter anderem für den Mord an Behinderten.

SPIEGEL ONLINE: Finden Sie diese Entwicklung nicht unsensibel?

Heine: Das zeigt natürlich einen Mangel an historischem Bewusstsein. Aber wie gesagt: Ein Wort zu benutzen, vergiftet uns nicht. Dass so häufig "betreuen" gesagt wird, hat die AfD nicht großgemacht.

Matthias Heine
Verbrannte Wörter: Wo wir noch reden wie die Nazis – und wo nicht
Verlag: Duden
Seiten: 224
Preis: EUR 18,00

Zur Person
Matthias Heine, Jahrgang 1961, arbeitet seit 1992 als Journalist in Berlin, unter anderem für "Die Welt", "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung", "taz", "Neon" und den NDR. Seit 2010 ist er Redakteur im Feuilleton der "Welt" und beschäftigt sich vor allem mit Sprachgebrauch und Sprachwandel. In seinem neuen Buch "Verbrannte Wörter" befasst sich Heine mit Mythen und Fakten rund um Wörter, die von den Nationalsozialisten geprägt wurden.

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also - nicht überall wo man ein wort den nazis zuordnet - ist auch nazi tatsächlich drin... das ist im deutschen sowieso so eine sache - mit den begriffen - ihrer mode und ihrem plötzlichen ableben und "verbrennen": in meinem über 70-jährigen leben habe ich da ja so einiges mitbekommen - und in meiner berufs-biografie unter anderem als schriftsetzer, verlagskorrektor und heimleiter bei "menschen mit behinderungen" sowieso.

das ging ja schon los mit "ostzone" und "ddr" - mit "staatsgrenze" und "demarkationslinie", mit "deutschland" und der "sbz", "ostpreußen", "deutsche ostgebiete" - oder auch noch jetzt, wenn ich die nazi-tötungsanstalt "tiegenhof" bei gnesen - heute mit der polnischen bezeichnung: "dziekanka" bei "gniezno" näher verorten will ...

und doch habe ich in meiner heilpädagogisch-pflegerischen arbeit anstandslos über zig jahre ohne jede skrupel das wort: "betreuung" verwandt und auch in ausbildungen mitbekommen. ich selbst "betreute" behinderte menschen - nach meinem sprachgebrauch - (gerade eben habe ich das erst in meiner homepage-vita "ich" abgeändert) und hatte auch fast 40 jahre mit "berufs-betreuern" zu tun - was schon eine kompromiss-formel zum vormals "amtlich bestellten vormund" darstellte ...

und heutzutage sind ganz ohne nazi-einfluss die worte "behindert" oder "behinderung/behinderte" in verruf gekommen - und da macht man die tollsten semantischen verrenkungen, um sie nicht mehr zu benutzen ... - und spricht stattdessen ziemlich umständlich aber sprachlich und ethisch wohl "korrekter" "von menschen, die auf hilfe, unterstützung oder assistenz angewiesen sind" oder menschen "mit einer minderbegabung" oder "mit einschränkungen" oder "handicaps" oder "benachteiligt" .

also auch heute geraten worte an den rand des sagbaren. und nicht jedes "verbrannte wort" durch seinen menschenverachtenden und inhumanen gebrauch in der nazi-zeit darf nun nicht als eine vokabel "non grata" ein für alle mal "ausgemerzt" werden - denn auch sprache ist irgendwie "leben" - "im anfang war das wort ... und gott war das wort" (joh 1,1)...

gerade viele deutsche begriffe sind so schön und klar und eindeutig in ihrer begrifflichkeit, dass wir einige durchaus noch manchmal benutzen und verwenden können und müssen - vielleicht aber mit mehr wissen, um die geschichte mancher begrifflichkeiten, die sie erfahren haben und durchmachen mussten.

unter totalitären regimen sind nicht nur menschen verbrannt worden - sondern eben auch vokabeln und wörter und begriffe ... - die frage ist nur, ob wir uns dem beugen sollen - oder um des "lebendigen" wortes willen manches wieder "richtigstellen" wollen...

und wie sich "hochsprache" verändert, kann man gut in der lutherischen original bibel-übersetzung von 1534 im vergleich etwa mit der "bibel in gerechter sprache" heutzutage nachvollziehen - viel vergnügen beim studium ... - und chuat choan und nix für ungut

vor 50 jahren: bed-in - yoko ono | john lennon

S!|graphic|bearbeitung



Im Bett mit John Lennon und Yoko Ono

Friedensdemo »Bed-In« vor 50 Jahren: Ausstellungen in Amsterdam

Kurz nach ihrer Hochzeit geben der  »Beatle« John Lennon und seine Frau Yoko Ono am 25. März 1969 in einem Bett im Hilton Hotel in Amsterdam  eine Pressekonferenz.

Amsterdam (dpa). Es war eine der skurrilsten Friedensdemos der Geschichte: das legendäre »Bed-In« des Ex-»Beatles« John Lennon und seiner damals frisch angetrauten Frau Yoko Ono in Amsterdam vor 50 Jahren. Doch von Sex und Rock’n‘Roll war bei dieser Demo-Aktion keine Spur.

Das Brautpaar trug Weiß, die langen Haare waren sorgsam geföhnt, als es aus dem cremefarbenen Rolls Royce stieg. Es war fast Mitternacht, und doch drängten sich Dutzende von Fotografen vor dem Hilton-Hotel in Amsterdam: Die Blitzlichter flackerten auf. Es war der 24. März 1969, der Beginn eines der legendärsten Happenings der 60er Jahre: Das »Bed-In« von John Lennon und Yoko Ono.

Der »Beatles«-Star und die japanische Konzeptkünstlerin hatten wenige Tage zuvor geheiratet und waren von Paris aus mit der Luxuslimousine nach Amsterdam gefahren, um dort das zu tun, was Frischverliebte am allerliebsten tun: im Bett bleiben. Und das sieben Tage lang. Doch sie schlossen nicht etwa Türen und Gardinen, sondern luden die Weltpresse ein. Ihre Flitterwochen sollten eine Demonstration gegen den Krieg sein, vor allem gegen den in Vietnam. »Wir bleiben im Bett für den Frieden«, erklärte Lennon vom breiten Doppelbett aus.

Die Suite 902 war bis auf das Bett fast völlig leer geräumt. Täglich hielt das berühmte Paar Audienz. Dutzende Journalisten aus aller Welt saßen auf der Bettkante, dazu kamen zahlreiche Fans, sie wollten Autogramme und brachten Geschenke wie ein Fahrrad und Tulpen.

Die Fluxus-Künstlerin Yoko Ono - heute
(86 jahre alt) (WB)
An das goldene Jubiläum des Happenings wird nun mit Ausstellungen und Konzerten in Amsterdam erinnert. Und Augenzeugen – Fotografen, Reporter, aber auch frühere Zimmermädchen – erzählen, wie das damals zuging in Suite 902. Die vollen Aschenbecher, Essensreste, Poster und Zeichnungen an den Wänden sind natürlich längst verschwunden. Heute ist die Honeymoon-Suite schick gestylt, mit echten Lennon-Zeichnungen an den Wänden, und äußerst begehrt bei Gutbetuchten. Unzählige Fotos und Filme bezeugen diese skurrile Friedensdemo. Lennon selbst setzte ihr musikalisch mit der »Ballad of John und Yoko« ein Denkmal.

Dabei war eigentlich gar nichts passiert: Sieben Tage lang saßen und lagen John und Yoko im Bett. Ans Fenster hatten sie Poster geklebt: »Hair Peace« und »Bed Peace«. »Wir bringen die Botschaft von Love und Peace«, sagte Lennon den Reportern. Und Yoko zwitscherte mit ihrer Kleinmädchenstimme: »Amsterdam ist so ein inspirierendes Zentrum für junge Leute.« Da hatte sie nicht ganz unrecht. Die niederländische Metropole war 1969 ein magisches Zentrum für die Protestjugend aus Europa. »In Amsterdam war alles möglich«, erinnert sich der damalige Society-Journalist Henk van der Meijden. Hippies schliefen in den Parks, machten Musik, Marihuana war frei zu kaufen.

Reporter, die sich in Suite 902 pikante Szenen erhofft hatten, wurden allerdings enttäuscht. Noch nicht einmal ein Fitzelchen nackte Haut war zu sehen. John und Yoko hatten die weißen Pyjamas bis oben hin zugeknöpft. Ihre langen Haare wurden immer strähniger. »Es stank ein bisschen«, weiß der Journalist van der Meijden noch. Yoko Ono (86) wiederum erinnert sich vor allem an die »Romantik«. »John und ich hatten doch gerade erst geheiratet«, sagte die Witwe von John Lennon, der 1980 von dem »Fan« Mark Chapman in New York ermordet wurde, einmal in einem Interview. »Dies war unsere Hochzeitsreise.«

Aber für viele »Beatles«-Fans war es viel eher eine »Scheidungsreise«, wie sich der TV-Journalist Paul Wittemann erinnert. Er saß damals als Praktikant auf der Bettkante in der Suite. Für viele Fans war Yoko Ono der Spaltpilz der Band, die »Hexe«. »Wir wollten, dass sie neue Platten machten«, sagte Wittemann dem niederländischen Fernsehen. »Und damals dachten wir, dass sie das verhinderte.« Tatsächlich sollte die Band ein Jahr später auseinandergehen.

Das mit dem Weltfrieden nahm schon damals kaum ein Reporter dem Pärchen ab. Viele sahen die Aktion als schamlose Selbstinszenierung. Lennon verteidigte sich: »Im Bett bleiben ist die effektivste Weise, um für Frieden zu demonstrieren.« Tja, wenn man es sich leisten kann, konterten die Kritiker. »Das ist kein Luxus, sondern harte Arbeit, den ganzen Tag eure Fragen zu beantworten«, sagte Lennon und empfahl eine billigere Methode: »Lasst eure Haare wachsen.«

Nach sieben Tagen verließen John und Yoko Bett und Hotel. Den Weltfrieden hatten sie zwar nicht geschaffen. Aber Amsterdam hatte sie auf den Geschmack gebracht. Nur wenige Monate später schrieb Lennon bei einem zweiten »Bed-In« im »Queen Elizabeth«-Hotel im kanadischen Montreal den Song »Give Peace a Chance«, bis heute eine Hymne der Friedensbewegung.

(WESTFALEN-BLATT - Kultur, S. 19, Samstag/Sonntag, 23./24.März 2019)






in den videos ist zu sehen, wie eine "friedens"-demo von "sicherheitskräften" niedergeknüppelt wird - und wie man sich ganz gezielt jemanden ausguckt, den man dann mit schlagstöcken traktiert: da war ein "bed-in" sicherlich die beste form gegen den krieg in vietnam damals und anderswo zu "demonstrieren".

und natürlich musste man dazu die weltpresse ins frische ehegemach bitten und plakate an die fenster kleben, sonst hätte man ja glatt diese friedliche seite des menschen übersehen.

das ganze war ja zumindest auch von yoko ono, die sich ja zu einer bis heute berühmten welt-fluxus-künstlerin entwickeln sollte, auch ein sprungbrett und ein kunst-happening, denn john lennon war ja als beatle längst bekannt wie ein bunter hund.

und doch - bei all dem publicity-geheische ging es den beiden nicht zuletzt um den weltfrieden - um den frieden mit den friedlichsten mitteln der welt: einfach im bett bleiben (und natürlich die weltpresse hinzubitten) ...

einer kam durch


gut - es können einem 
auch mal die pferde durchgehen - 
aber hier in meinem spruch 
ist die tatsache gemeint, 
dass jeder trampelpfad irgendwohin 
immer auch ein weg "durch" etwas ist, 
was man absolvieren muss 
und abklappert 
und hinter sich lässt - 
um anzukommen: 
"sie haben ihr ziel erreicht", 
wie dann die dame 
auf dem navi heutzutage vermeldet - 
oder eben die innere stimme 
meines inneren navis - 
einfach auch dieses gefühl, 
"angekommen" zu sein ... 

nach einer strecke 
von a nach b 
erreiche ich das ziel - 
und diese strecke 
kann es ja in sich haben: 
matschweg, glatteis, 
auf dem ich ausrutschen kann - 
die dinge "laufen" nicht so, 
wie es sein müsste - 
etwas, was aufhält, 
den weg sperrt, 
was sich in den weg stellt - 
was ich mit obacht 
umgehen oder umfahren muss - 
ab und zu habe ich ja 
vielleicht begleitung, 
gefährten an meiner seite, 
mit denen man sich 
abstimmen muss, 
den richtigen pfad zu finden

sinedi

Edvard Munch: Wenn der Schrei im Halse ... als Echo ins Herz fährt

Edvard Munchs „Der Schrei“ schreit gar nicht


Schrei oder Nicht-Schrei? Das British Museum hat eine langjährige Debatte um die Bedeutung von Edvard Munchs wohl berühmtestem Gemälde gelöst.


Von Philipp Kienzl | ze.tt/zeit

Auuaah! | Foto: moma.com


Der norwegische Maler Edvard Munchs schuf zwischen 1893 und 1910 vier Gemälde sowie eine Lithografie mit dem Namen Der Schrei. Das Motiv dürfte den meisten bekannt sein: Unter einem roten, bedrohlichen Himmel steht eine geschlechtslose Person auf einer Brücke. Ihre Hände liegen auf den Ohren, die Person reißt vor Entsetzen Augen und Mund weit auf. Ihr Kopf ist simpel gehalten, fast totenkopfähnlich. Es scheint, als würde ihr ein Schrei entweichen – so die bisherige Annahme.

Wie das British Museum bekannt gegeben hat, trifft diese Interpretation nicht zu. Die Figur auf dem Bild stoße keinen Schrei aus, sondern höre einen Schrei, der aus der Natur kommt. Die Figur würde bloß mit einem entsetzten Gesichtsausdruck darauf reagieren. In der neuen Ausstellung Edvard Munch: Love and Angst zeigt das Museum eine lithographische Version von Der Schrei. Am unteren Rand des Bildes steht der Satz „Ich fühlte das große Geschrei durch die Natur“.

Detail der deutschen Inschrift aus dem Jahr 1895 von The Scream/"Geschrei", die in der Sonderausstellung im British Museum zu sehen sein wird. Edvard Munch, der Schrei. Lithographie, 1895. 


„Diese seltene Version von Der Schrei verdeutlicht, dass Munchs bekanntestes Kunstwerk eine Person abbildet, die einen Schrei hört und nicht – wie viele es glauben – selbst schreit“, sagt Giulia Bartrum, Kuratorin der Ausstellung, zu The Telegraph.

Einem Tagebucheintrag von Munch ist zu entnehmen, dass der Satz am unteren Bildrand wohl auf einen seiner Spaziergänge entlang eines Fjordes vor Oslo verweist:
„Ich ging mit zwei Freunden die Straße hinab. Die Sonne ging unter – der Himmel wurde blutrot, und ich empfand einen Hauch von Wehmut. Ich stand still, war todmüde und lehnte am Geländer – über dem blauschwarzen Fjord und der Stadt lagen Blut und Feuerzungen. Meine Freunde gingen weiter – ich blieb zurück, zitternd vor Angst – ich fühlte den großen Schrei in der Natur. Ich malte dieses Bild – malte die Wolken wie wirkliches Blut – die Farben schrien.“
„Er versuchte, ein Gefühl zu einem bestimmten Zeitpunkt einzufangen“, erklärt Kuratorin Bartrum. „Er schrieb den Satz ganz bewusst auf diese Version, um zu beschreiben, dass die Inspiration für dieses Bild von einer plötzlichen Panikattacke stammte.“ Ob Munch nun tatsächlich einen Schrei in der Natur hörte oder nur in seinem eigenen Kopf hörte, könne sie natürlich nicht wissen.

Die Diskussion über die Bedeutung von Der Schrei besteht seit Jahrzehnten. Selbst der ehemaliger Direktor des Munch-Museums in Oslo, Gunnar Soerensen, war bisher der Meinung, dass die Bedeutung des Bildes eine Frage der Interpretation sei. Sein Nachfolger Stein Olav Henrichsen gab dem British Museum nun aber recht: „Es gibt viele Anmerkungen zu dem Bild, aber wir haben Munchs eigene Worte. Sie belegen, dass jemand seine Ohren hält, weil er die Natur schreien hört.“

Pastellversion von 1895 - Foto: Moma

Der Schrei (die Pastellversion von 1895) gilt bis heute als eines der teuersten Gemälde weltweit. Es wurde im Mai 2012 um knapp 120 Millionen US-Dollar versteigert. Für viele steht das Bild für den Beginn einer neuen Stilrichtung: den Expressionismus. „Der Schrei“ hat es mittlerweile auch in unsere Handys geschafft, nämlich in Form von Emojis. Und wie es aussieht, haben wir sie bisher falsch benutzt. Denn laut der globalen Emoji-Datenbank und Mitglied des Unicode Consortiums Emojipedia stellen sie „gelbe, vor Angst schreiende Gesichter“ dar und sollen tatsächlich an Munchs Gemälde erinnern.
😱

















Mumifizierte Figur aus Chachapoya, Peru, 9.-15. Jahrhundert.

Zu sehen im Musée de L'Homme, Paris. Foto: Francois Guillot / AFP / Getty Images.

Die Haltung des schreienden Kopfes mit umschlossenen Händen könnte von der Erinnerung Munchs an eine hohläugige, peruanische Mumie inspiriert worden sein, die 1889 in Paris im Musée d'Ethnographie du Trocadéro ausgestellt wurde. Foto: The British Museum




"geschrei" ist ja der original von munch auf deutsch gewählte titel der drucklithographie - mit dem zusatz: "ich fühlte das große geschrei durch die natur"... : eine akustische vision in oder um edvard munch, die aber ausdrücklich nicht von ihm "gehört" sondern eher "gefühlt" wird - empfunden wird... und die er dann in verschiedenen versionen und visionen zu papier und auf die leinwand bringt.

und "geschrei" ist für mich ja etwas anderes als "der schrei": "geschrei" ist für mich eine spur passiver und "empfangender" - geschrei kann ich hören und wahrnehmen - während "der schrei" für mich wenigstens deutlich aktiver ist: der moment, wo der protagonist unwillkürlich einen schrei ausstößt und den schrei "erzeugt" - vor erschrecken und erstarrung ...

aber auch die hände, die wie zwei kopfhörer die ohren zuhalten, um nach innen zu lauschen - bzw. die geräusche von außen abzuschirmen vor dem eindringen...

ein "geschrei" - oder auch nur einen ton empfinden - "durch die natur" oder im eigenen körper: eduard mörike dichtet in seinem frühlingsgedicht auch ein akustisches phänomen für eine empfindung "durch die natur" - wenn auch wesentlich zarter und aufkeimender: "horch, von ferne ein leiser harfenton" ... - was sich dann aber bis zum abend - zur bitteren neige - durchaus in einen blut- und feuerroten sonnenuntergang im inneren psycho-orchester zu einem wahrhaftigen crescendo ausweiten und verwandeln kann wie im rausch - zumal wenn angstgefühle dabei mit ausgelöst werden. 

panik: ein geschrei gellt blutrot durch die natur: da - gleich - im moment - spritzt förmlich das blut, da fährt etwas von mord und totschlag durch die luft mitten hinein in den betrachter: ein greller blitz mit gleichzeitigem theaterdonner auf dem geräuscheblech...

und ich hätte noch einen schwarzen drohend krächzenden raben ins spiel gebracht und ins motiv gesetzt, mit geöffnetem schnabel als wolle er zuschnappen ...

ich habe hier eine partitur von einem musikstück von john cage - wo auch er musik, also etwas akustisches, nicht mit den eigentlich üblichen noten ausdrückt, sondern eine eigene universelle bild- und zeichensprache dafür einsetzt, die bis heute von interpreten umgesetzt und abgespielt wird.

bei munch ist das in seinem "geschrei" ja ähnlich: die betrachter fühlen ja diese plötzliche beklemmung, dieses plötzliche luft-weg-bleiben im donnergroll und im blutgespritz - im erstickenden geschrei der natur zur nacht...

am besten - wir warten gemeinsam auf die "spusi" - auf die "spurensicherung" - und mal sehen, was diese beamten mit ihren spürhunden dabei herausbekommen ...


und heute ist WELTWASSERTAG: bilder sagen mehr als 1000 worte




STATT VIELER WORTE:
HEUTE IST WELTWASSERTAG

SKY

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da badet die fliege im milchtropfen - zum weltpoesie-tag am 21.03.








(ohne jegliche betonung
in gleichbleibender
tonhöhe - 
ohne modulation zu lesen:)

die tür zumachen - von innen
und abschließen
sie sollen mich endlich 
endlich in ruhe lassen

da badet eine fliege 
im milchtropfen
auf dem esstisch

doch dann rufen sie an:
der bluttest auf trisomie 21 sei
jetzt in belgien kostenlos
und 13, 16, 18 werden gleich mit
abgehandelt - ein abwasch
sozusagen

das telefon einfach
läuten lassen
die anrufe auf dem smartphone
einfach wegdrücken

und dazu jetzt 
was ethisch wertvolles 
formulieren

in plattitüden flüchten
zack - und weg
unmoralischer
morast



auskreisung aus der "zeit" vom 21.03.2019 - S. 33

der frau 
mit dem down-syndrom-baby
auf dem arm 
freundlich zunicken
das gehört sich einfach

schokolade schenken
das kann falsch 
aufgefasst werden
schon wegen der
ökobilanz

gar keine kinder 
in die welt zu setzen
schont die umwelt
o herr - verhüte uns

den schlüssel umdrehen 
und niemanden hereinlassen

sterben schont 
die umwelt 
noch mehr

ein kind mit down-syndrom
benötigt nicht mehr 
umwelt-ressourcen
das ist eine milchtropfen-
rechnung

und was ist mit den welpen
oder den zwergkaninchen
den meerschweinchen

ja - was ist eigentlich mit 
den meerschweinchen ???

und darf man 
laut örtlicher 
friedhofs-satzung
in einem friedwald
auch das lieblingspferd
einer verstorbenen springreiterin
gleich nebenan mitbestatten

wie lautet dazu die ökobilanz -
pro jahr werden hunderttausend
lebensfähige embryonen 
ohne jegliche trisomie
mit vorsatz
ohne friedwaldbestattung

vielleicht schon allein
wegen der ökobilanz

mein bauch gehört mir
auch:
zur nutzung überlassen


sinedi

heute ist weltglückstag

Kolumne Psycho

🍀Glück ist heute und samstags

Am Mittwoch ist Weltglückstag 🍀. Aber was ist eigentlich Glück, habe ich meine Freunde gefragt. Spoiler: Sex kam in keiner Antwort vor.

KOLUMNE VON
FRANZISKA SEYBOLDT
taz.de-Redakteurin

glück 🍀 ist, wenn hinterm nebel oder im diesel-feinstaub-dunst doch noch die sonne hervorlugt ... - foto: sinedi

Glück 🍀 ist der erste Löffelhieb in die harte Schicht einer Crème Brulée. Jedenfalls für mich – aber wie ist das bei den anderen? Aus Neugierde habe ich diese Frage meinen Freundinnen und Freunden auf Facebook gestellt, in der Hoffnung, eine Art Glücksformel zu finden, etwas, das sich wie ein roter Faden durch alle Antworten hindurchzieht. Tja, was soll ich sagen. Wenn es so einfach wäre, wäre ich längst reich. Interessant sind die Antworten dennoch.

Zusammengefasst lässt sich nämlich folgendes feststellen: Glück ist heute und samstags, Glück ist morgen und manchmal in der 95. Minute, Glück ist Essen und Trinken, Glück ist ein kalter See und eine heiße Dusche, Glück sind erste Male und Dinge, die täglich geschehen, Glück sind Menschen und Tiere, Natur und Musik, Glück ist Alleinsein und Zusammensein, Glück ist frisch gewaschene Bettwäsche, einen Lauf haben und sicher landen, Glück ist das Glück im Unglück und das Fernbleiben von Leid.

Nicht nur kann man an den meisten Antworten ganz deutlich die verschiedenen Lebenssituationen
und Sehnsüchte ablesen, man kann auch zusammenfassen, dass man Glück nicht zusammenfassen kann. Vielleicht liegt genau darin der Reiz. Und weil die Antworten so schön waren, habe ich mich entschieden, sie hier aufzulisten. Als Hilfestellung an Tagen, die derart mies sind, dass man nicht mal mehr eine Vorstellung davon hat, was Glück eigentlich sein kann.

Spoiler: Sex kommt nicht vor, kein einziges Mal. Dafür kam kurz vor Redaktionsschluss noch eine vorerst letzte Antwort: Liebe.

Was macht dich glücklich?

1. Das erste Bier im Frühling, wenn nach dem Feierabend noch die Sonne scheint.

2. Die erste halbe Wassermelone des Jahres auslöffeln. Alleine.

3. Die erste Dusche nach dem Festival.

4. Ruhe. Und ein Glas Rotwein. Und dazu ein, zwei Freunde und ein gutes Gespräch und eine Zigarette. Dann ist wieder nix mit der Ruhe. Ich stehe mir selbst im Weg. Und bin trotzdem glücklich.

5. Glück ist Vanillepudding ohne Haut.

6. Wenn man sich ein belegtes Brötchen kauft und direkt aus der Bäckertüte heraus isst. Dann ist es fertig und man hat irgendwie immer noch ein bisschen Hunger … und dann fällt einem auf, dass lauter Käse- und Avocado- (oder Wurst- und Gurke-) Stückchen in die Tüte hineingefallen sind. Diese kann man sich dann in die offene Hand schütten und hat noch mal einen Bissen nur vom allerleckersten Teil des Brötchens.

7. Nach einer heißen Dusche schön auf dem Sofa lümmeln und einen Kaffee trinken – ohne Zeitdruck.

8. Sich in frisch gewaschene (noch besser: frisch gemangelte) Bettwäsche legen.

9. Glück ist aus Fleisch und aus Blut.

10. Kinderhände im Gesicht.

11. Der Hund, der sich in deiner Kniekehle zusammenrollt.

12. Unter Wasser kopfüber in einem kalten See abhängen.

13. Der perfekte Moment während eines Konzerts, wenn man eins ist mit der Band und dem Publikum.

14. Wenn der Bass einsetzt.

15. Wenn's funktioniert.

16. „All doors in park.“

17. Auch das Glück im Unglück ist noch Glück.

18. Komplett anspruchslos: Das Fernbleiben von Leid.

19. Glück ist das Jetzt, nicht das Gestern und das Morgen.

20. „Das Glück ist immer erst für den nächsten Tag.“ (Französisches Sprichwort)

Ein unverdienter Sieg in der 95. Minute.

22. Aufwachen und es ist Samstag.

23. Liebe.


glück ist für mich auch, wenn ich auf meine alten tage noch etwas hinzulerne: in der taz-kolumne oben kommt zweimal das wort: "spoiler" vor - immer in verbindung mit "sex" (hab ich rot gekennzeichnet) - und mit diesem "spoiler" konnte ich so gar nichts anfangen - wenigstens nicht in diesem text und in diesem zusammenhang. 

bei "spoiler" denke ich an ein altes amerikanisches sportschlitten-straßenkreuzer-auto, bei dem man die karosse tiefergelegt hat und hinten am heck befinden sich dann die heckspoiler: "ein" - wie wikipedia meldet - "die aerodynamischen verhältnisse günstig beeinflussendes blech- oder kunststoffteil an kraftfahrzeugen, das durch beeinflussung der luftströmung z. b. eine bessere bodenhaftung bewirkt" - oder eine "klappe an der oberseite eines tragflügels, die eine verminderung des auftriebs bewirkt" - oder auch beim ski die "verlängerung des skistiefels am schaft als stütze bei der rücklage" ... - na ja - "glücklich" machten mich diese spoiler-definitionen nun alle nicht - aber ganz zum schluss - beim zu-ende-googeln in wikipedia fand ich endlich das hier:
Spoiler (Medien) 
Ein Spoiler (englisch to spoil, „verderben“) ist eine Information, die wesentliche Handlungselemente eines belletristischen Werks, eines Films, eines Videospiels, eines Hörbuchs, eines Sportereignisses oder Folgen einer Fernsehserie zusammenfasst und dadurch dazu geeignet ist, den Genuss am vollständigen Werk bzw. dessen Ausgang zu verderben. 
In einigen Medien hat es sich eingebürgert, dass einer Erläuterung wichtiger Elemente der Handlung von Büchern, Filmen oder Computerspielen sogenannte Spoilerwarnungen vorausgeschickt werden. Dies ist vor allem in einschlägigen Fan- und Diskussionsforen sowie im Usenet üblich. Auch in der weltweit größten Filmdatenbank (IMDb) sind Spoilerwarnungen für alle Rezensenten verpflichtend  ... 
Außerhalb bestimmter Internet-Communitys konnten sich Spoilerwarnungen bisher nicht dauerhaft etablieren.
auf der einen seite bin ich echt düpiert, dass ich als 10 lange jahre in die tasten hackernder blogger zu allen möglichen und unmöglichen themen - nach ca. 2.500 posts, die in der regel immerhin jeweils von ca. 50 - 100 usern gelesen werden - diesen begriff bisher überhaupt nie und nicht auf dem schirm hatte ...

auf der anderen seite freue ich mich und bin regelrecht glücklich, am weltglückstag endlich diese wissens(g)lücke mit der obigen kolumne über das glück aufgefüllt zu haben.

und ich kann jetzt wieder lockerer "ein wörtchen mitreden" - und mal so ganz nonchalance im gespräch fallen lassen: "also - zu der geschichte insgesamt will ich dir aber auch vorab schon mal als spoiler mitteilen: .... - oder so ähnlich muss ich wahrscheinlich als user & blogger locker und ganz selbstverständlich und selbstbewusst das zukünftig mal mit einfließen lassen - um mich als insider mit dem nötigen insider-wissen zu outen - aber: nicht zu oft - sonst denken die gesprächspartner nämlich: der hat 'nen schuss im spoiler ...

wenn ich diesen leonard-cohen-song höre - und dazu dann diese photographic erstelle ... - das ist mein glück 🍀🍀🍀

danke - franziska - du hast mich echt glücklich gemacht! mal sehen, was morgen für ein gedenktag ist?: ach ja - ich glaube morgen ist "welt-poesie-tag" - das trifft sich ...

träume sind schäume

nichts wird so heiß gegessen - wie es gekocht wird ... | S!|kitchen|photography

vergessen & erinnern


Haltung ist alles: „Liebespaare ohne Köpfe“ von Hans Peter Feldmann. Bild: Michael Imhof Verlag

AUSSTELLUNG „VERGESSEN“ 

Das Findelkind aus dem Wald

VON TILMAN SPRECKELSEN - faz.net


Erinnern als Kehrseite des Vergessens: Das Historische Museum Frankfurt stellt momentan im Rahmen der Ausstellung „Vergessen“ acht Stationen zur Nachkriegszeit zur Schau.

Als ihr Vater 2005 gestorben war, sammelte seine Tochter in seiner Wohnung Hunderte von Zetteln ein. „Augenarzt. Wo in Bonn? Wo sind Unterlagen? Brille im Etui?“ steht auf einem. „Wir Deutsche oder wir Deutschen? Was ist richtig?“ und „Schmonzette = Kitschiges Machwerk“ heißt es auf weiteren Zetteln. Drei Jahre lang hielt der Vater fest, was er nicht vergessen wollte, was er sich offenbar mühsam ins Gedächtnis gerufen hatte oder was ihm unklar war. Dass er dieses Hilfsmittel inzwischen benötigte, wusste er. Sein Zustand beschäftigte ihn. Auf einem Zettel fragt er: „Daheim oder ins Heim?“

Das Historische Museum Frankfurt zeigt die Zettel nun im Rahmen der Ausstellung „Vergessen“ in einer eigenen Vitrine. Die Schau ist reich an Objekten, so wie das Ausstellungsthema auch facettenreich ist – es geht um Erinnern als Kehrseite des Vergessens, um die Auswahl dessen, was im Gedächtnis bleibt, um technische und mentale Hilfsmittel und um das kollektive deutsche Vergessen in der Nachkriegszeit.

Aufbereitet wird das in acht Stationen, die sich thematisch mitunter berühren und überlagern, was es dem Besucher umso leichter macht, das Gezeigte miteinander zu verknüpfen: Wo erinnert wird, indem Fotos von Angehörigen und Reisen ins Album geklebt werden, da kann auch das Vergessen forciert werden, indem bestimmte Personen aus Gruppenbildern ausgemerzt werden. Und wo zum Gedächtnis Büsten angefertigt werden, da wirkt es umso bitterer, wenn eine Schar von ihnen aus dem Depot des Museums gezeigt wird, die keinem Menschen mehr zugeordnet werden kann – die Züge bleiben, die Person ist vergessen.

Eine Vitrine voller Medikamente

Gezeigt werden Aufnahmegeräte ebenso wie Werkzeuge, deren genaue Funktion niemand mehr kennt, oder Fragmente von zerstörten Häusern, die keiner zuordnen kann. Ein Hitler-Bild wird übermalt, das eines seiner Anhänger mit Dolchstichen bestraft. Da sind Filme, aufgenommen von Migranten für die daheimgebliebenen Angehörigen, und ein filmisches Doppelporträt zeigt albanische Erwachsene, die zur Aufnahme eines singenden Kleinkinds im westlichen Exil ihrerseits dasselbe Volkslied singen und dabei das gefilmte Kind aufmunternd begleiten. Und da ist eine Installation, die berührendste von allen, die Originalbilder von Kindern zeigt, die nach 1945 ihre Eltern suchen, begleitet von Beschreibungen: „Namenloses Findelkind“ steht unter einem Foto eines Pausbäckigen mit leeren Augen und bis oben zugeknöpftem Hemd, „geb. etwa 1944, genannt Detlef. Anfang 1945 in einem Walde bei Freudenthal/ Ostsudetenland aufgefunden.“

Eine Abteilung widmet sich dem Vergessen im Rahmen von Demenz, den Strategien, die dagegen entwickelt wurden – eine Vitrine ist Medikamenten gewidmet, die anfangs wohl vor allem die Stimmung des Patienten aufhellen sollten –, und auch den Forschungen, die Krankheit überhaupt zu ergründen. Immer wieder aber stößt man auf Zeugnisse derer, die sich trotz Krankheit nicht mit dem Vergessen abfinden wollen. „Gehaltsabrechnungen Dez/Jan vergleichen“ steht auf einem der Zettel des dementen Vaters. Was für eine Leistung das ist, leuchtet sofort ein.

„Vergessen“. Bis zum 14. Juli im Historischen Museum Frankfurt. Der Katalog kostet 30 Euro.

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Aus dem Text zur Ausstellung:
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„Digitale Amnesie“ beschreibt die zunehmende Auslagerung von Informationen. Vor 20 Jahren konnte jeder von uns noch Telefonnummern auswendig. Heute wählt unser Smartphone für uns diese Nummern. Vergessen wir aber wirklich mehr als Generationen vor uns? Wahrscheinlich nicht, aber unser Vergessen und Erinnern verändert sich mit dem technischem Wandel. Heute halten wir unzählige Momente unseres Lebens mit der Kamera fest. Doch erinnern wir uns deswegen an mehr oder lässt uns die Flut der Fotos mehr vergessen als früher?

Wie das Vergessen funktioniert, erforschten Wissenschaftler schon im 19. Jahrhundert. Die in der Ausstellung gezeigten Instrumente und Modelle aus dem 19. und 20. Jahrhundert führen von den Ursprüngen bis zur heutigen Vergessens-Forschung in der Psychologie und in den Neurowissenschaften.

Ist meine Vergesslichkeit noch normal? Bin ich noch gesund oder schon krank? Das sind Fragen oder Ängste, die uns mit dem Älterwerden beschäftigen. Die Ausstellung vermittelt einen Blick darauf, wie wir als Gesellschaft mit Betroffenen umgehen können, ohne ihre Persönlichkeit aus den Augen zu verlieren, auch wenn diese sich durch die Krankheit stark verändert.

Johann Vincent Cissarz, Porträt: Adolf Hitler 1940, übermalt nach 1945 - ©HMF Horst Ziegenfusz




Ein weiterer Aspekt des „zu viel“-Vergessens präsentiert die Ausstellung mit der kollektiven Amnesie des Holocaust im Nachkriegsdeutschland. Viele unserer Eltern, Groß- und Urgroßeltern schwiegen über den Holocaust, verschwiegen ihre eigene Rolle im Dritten Reich. Die Exponate zeigen die Strategien der Abwehr der eigenen Schuld, aber auch den Widerstand gegen das Schweigen, der in die Wiedergründung des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt mündete.

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Auch zeitgenössische Kunstwerke nehmen in der Ausstellung eine zentrale Rolle ein. Sie sind hierbei keine Illustrationen kultur- oder lebenswissenschaftlicher Thesen, sondern eigenständige Erkundungen der Dynamik von Vergessen und Erinnern.


Beteiligte Künstlerinnen und Künstler:

Kader Attia, Christian Boltanski, Jake & Dinos Chapman, Daniela Comani, Tacita Dean, Mark Dion, Sam Durant, Hans-Peter Feldmann, Robert Filliou, Jochen Gerz, Martin Honert, Ilya Kabakov, Christina Kubisch, Boris Lurie, Arwed Messmer, Jana Müller, Adrian Paci, Regis Perray, Maya Schweizer, Tino Sehgal, Sigrid Sigurdsson

Quelle: Vergessen|Historische Museum Frankfurt HMF - click here



wer etwas wichtiges vergessen hat - muss eben erinnert werden: und die erinnerungsvehikel sind merkzettel, knoten im taschentuch, notizen in der zuständigen smartphone-app, fotos usw. - da hat jeder seine ihm eigenen techniken entwickelt, wenigstens die real erlebten dinge irgendwie für sich auch festzuhalten, wenn sie sein leben bereichert und beeinflusst haben.

manche erinnerungen verknoten sich aber auch allmählich zu albträumen, bevor man sie dann für sich loszuwerden und abzuschütteln versucht.

oft reicht der speicherplatz im oberstübchen nicht hin, um alles minutiös und reproduzierbar festzuhalten und abzuspeichern - und womöglich noch mit irgendeinem internen system wieder auffindbar zu archivieren und bei bedarf aus dem gedächtnis abzurufen.

für einige sachen bleibt aber gerade das unabdingbar, um sich grundständig zu orientieren in zeit & raum ...

etwas anderes ist auch noch einmal die "philosophische (zugehörigkeits-)verortung": wo komme ich her - wo gehe ich hin - wo ordne ich mich ein - und was ist "mein ding" - meine message ...

es ist eine im wahrsten sinne des wortes "nach-denk-würdige" idee, all diese orientierungsfragen auch für das eigene innere navi in einer vielschichtigen ausstellung versuchen anzureißen - jeder muss dann für sich sein "merk-würdiges" system dazu entwickeln - und dazu gibt ihm diese frankfurter ausstellung die nötigen anregungen.

und gerade heutzutage, wo der afd-höcke so denk- (nicht merk-)würdige sätze verlauten lässt wie: 

  • "wir deutschen, also unser volk, sind das einzige volk der welt, das sich ein "denkmal der schande in das herz seiner hauptstadt gepflanzt hat (gemeint ist das 'holocaust'-denkmal). -
  • und bis heute sind wir nicht in der lage, unsere eigenen opfer zu betrauern (wobei herr höcke scheinbar "vergisst", dass die meisten holocaust- und 'euthanasie'-opfer ganz normale deutsche reichsbürger waren). -
  • wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische wende um 180 grad"... 

vogelschiss
da ist eine derartige ausstellung tatsächlich vonnöten und einfach überlebensnotwendig für alle menschen, die sich nicht einlullen lassen wollen durch solch ein unqualifiziertes dahergequatsche - einer partei, deren vorsitzender gauland ja auch die nazi-zeit als "vogelschiss" der deutschen geschichte abtun will und nicht mal mehr zu den akten legt, sondern am liebsten gleich ganz ausmisten will ...

ich möchte deshalb anregen, dass diese ausstellung durch ganz deutschland "wandert" von museum zu museum ...

nein - nein - nein - so leicht kommt dieser wiedererstarkte braune sumpf uns nicht davon: solcherart mentale aufgepfropfte verdrängungen ziehen auch zumeist immense psychosomatische störungen nach sich ...

ZDF - Ausstellung über Vergessen - Eine Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt will zeigen, wie wichtig das Vergessen ist . Und was sich lohnt zu behalten und zu erinnern. Was wir vergessen – das ist auch eine gesellschaftliche Frage. CLICK HERE