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vertuschungen | update: reaktionen

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die reaktionen

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ja - es tut mir gut, dass es menschen gibt, die auch in sachen ns-"euthanasie" immer wieder genau nachfragen - erforsche ich doch seit über 30 jahren das leidensporträt meiner tante erna kronshage, die 1944 in einer "euthanasie"-vernichtungs"klinik" ermordet wurde. seit 10 jahren habe ich das protokoll ihres 484-tage-opferschicksals in studien- und memorialblogs und bildmagazinen ins netz gestellt, abgestimmt auf verschiedene zugangsinteressen - jetzt unter dem sammelbegriff "erna's story" zu einer multimedialen informationsquelle zusammengefasst.

von daher kenne ich das gut, dass die großen institutionen selbst gern bei nachfragen nach einschlägigen vorkommnissen unter ihrer ägide in der zeit des nationalsozialismus mauern, verschweigen und vertuschen - und die türen eher verschließen, als sie endlich fast 80 jahre nach diesem geschehen ganz weit zu öffnen, um an einer lückenlosen neutralen aufarbeitung und dokumentation wie selbstverständlich mitzuwirken. man agiert in dieser angelegenheit kaum - sondern re-agiert meist nur.

da spielen sicherlich verschiedene komponenten eine rolle: bei patientenakten z.b. handelte es sich - zumindest früher - nach meinung der behandelnden (ns-)ärzte um ärztliche unterlagen zu ihrem persönlichen gebrauch - evtl. noch von kollege zu kollege, deren ärztliche eintragungen als "persönliche notizen" gewertet wurden (stichwort: "ärztliche schweigepflicht") - und mit denen deshalb nach gutdünken von dieser ärzteschaft umgegangen wurde. und nur die in einer krankenakte sich oft auch befindlichen institutionellen verwaltungs- und kassen-technischen unterlagen wurden dagegen als teil-krankenakte zu abrechnungen und dokumentationen oftmals späterhin in die zuständigen archive gegeben.

das alles geschieht immer unter dem aspekt der gesetzlichen auflagen - die sich im laufe der zeit immer mal wieder modifizierten - auflagen auch des personenschutzes und der wahrung der würde des einzelnen menschen, über den die akte geführt wurde.

hinzu kommen - gerade bei kindern - die grund- und aufenthaltsbestimmungs-rechte der leiblichen eltern oder der gesetzlichen vertreter - z.t. "vormundschaftliche" betreuer (manchmal auch laien), die mit der verwaltung und interessenwahrnehmung von manchmal über 100 "einzelfällen" betraut wurden - die auch zumindest über teile der akte verfügen konnten und sie nach gutdünken oft zu handhaben wussten. nichts an diesen alten akten ist digitalisiert erfasst - und viele können zumindest wegen der damals bevorzugten sütterlin-ärzte(!)handschrift kaum eindeutig entziffert werden - schreibmaschinen waren rar.

in deutschland wurden zudem kurz vor kriegsbeginn lebensmittelmarken und bezugsscheine für eine rationierte versorgung mit konsumgütern ausgegeben, die im laufe des krieges auch eine art "währungsstatus" erhielten, und "nach bedarf" auch manchmal nach beurteilungen der leistungsfähigkeit und der "verwendbarkeit" von außen zugeteilt wurden.

in großeinrichtungen wie bethel wurde also eine solche rationierte bewirtschaftung zum problem, denn der allgemeine "zeitgeist" sah damals vor - nicht nur im krieg - dass die "leistungsfähigeren" vor schwachen und kranken bei einer solchen verteilung bevorzugt werden mussten. es bestand ein system der "auslese". diese auslese führte dann auch zur finalen entscheidung: "verwendbarkeit" oder "deportation"...

im laufe des krieges verschlimmerte sich diese notsituation - und führte sicherlich auch nach innen in den institutionen zu einer hierarchisierten verminderung der nahrungsaufnahme, was dann wiederum eine absetzung der abwehrkräfte zur folge hatte. ein körperlicher verfall wird dann bei anfälligen menschen stark beschleunigt - und auch ein bewusster nahrungsentzug wird sicherlich zumindest lokal je nach bedürftigkeit, als sanktion oder "disziplinarische maßnahme" eingesetzt worden sein - und natürlich gab es auch den schwarzmarkt und schiebereien, die immer mit solcherart notmaßnahmen eingergehen - in der nähe von solchen großeinrichtungen sowieso.

bereits 1931 definierte der psychiater hermann simon aus der benachbarten provinzialheilanstalt gütersloh - aus der auch erna kronshage dann 1943 deportiert wurde - den personenkreis angeblich "minderwertiger": körperschwache, kränkliche, schwächlinge, schwachsinnige, krüppel, geisteskranke und kam dabei zu dem schluss: „es wird wieder gestorben werden müssen...“.

das anschwellen der sterbequote bei den kindern hier - wahrscheinlich aus "vernachlässigungen" im weitesten sinne, durch fortschreitenden personalmangel und allmählichem immer fortschreitendem nahrungsentzug - und eben auch weil sich die "infrastruktur" im laufe des krieges drastisch veränderte (= die allgemeine versorgungslage, der ausbruch von tuberkulose und anderen manchmal örtlich umgrenzten massen- und vireninfektionen und erkrankungen) und einhergehend sicherlich auch mit der "inneren einstellung", mit entäuschung und burn out der betreuungskräfte in bethel - das alles ist also ein tödliches konglomerat aus verschiedensten komponenten, die hier mit zu berücksichtigen sind. 

ob das aufkommen der sterbequote nun "gezielt" angehoben wurde, und der tod der kinder billigend in kauf genommen oder sogar absichtlich herbeigeführt wurde - oder eher allgemein-gesellschaftliche  "kollateralschäden" in der gesamtentwicklung des krieges und des werdegangs des "dritten reiches" insgesamt waren, lässt sich wohl kaum noch zweifelsfrei objektiv klären und auseinanderklamüsern.

das sind dann insgesamt verstrickungen, das ja herr gauland von der afd als "vogelschiss" abtut - und dem ja (un)bewusst mit ihrem verschweigen und mauern immer mehr menschen auch inzwischen beipflichten. 

denn das ist wirklich für mich "aus der scene" mein eindruck vom selbstverständnis einiger beteiligter institutionen und einrichtungen: "wir haben doch jetzt gedenkstätten errichtet, kerzen abbrennen lassen, wir führen gedenktage durch - und informieren schulklassen - 'und nu is auch mal gutt': unserem "unternehmens"-image schadet doch nur eine solche genaue "ewige" detail-aufarbeitung dieser vergangenheit"und mit den vordergründig organisierten routinierten bedauernsakten am 27.01. (holocaust-gedenktag zur befreiung von auschwitz) oder am totensonntag hat sich das jetzt ein für allemal zumindest augenscheinlich für uns erledigt. ... 

warum aber bethel nicht alles tut, um auch vor sich selbst diese rätsel so gut es geht zu lösen - und erklärungen zu den erhöhten sterbequoten offen dokumentiert und diskutiert - auch unter beteiligung und in kooperation mit legitimierten forschern von außen - bleibt mir schleierhaft.

mit so einem verhalten wird immer misstrauen gesät - und wenn dortige verantwortungsträger meinen, dass ein offensiver umgang mit den sterbequoten und den "euthanasie"-morden oder den maßgeblichen deportationen in die vernichtungsanstalten oder umfassende medikamentenversuche nach dem krieg zu bleibenden imageschädigungen der gesamteinrichtung führen, so geht meines erachtens dieser schuss nach hinten los: diese vertuschungen - nicht nur in bethel - führen zu den imageschädigungen und lösen misstrauen bei den nutzern aus.

wahrscheinlich kann nur die akribische untersuchung von den ca. 1000 individuellen einzelschicksalen in der kinderklinik eine klärung bringen - in gruppen, abteilungen oder massen lässt sich da wenig erforschen, denn jeder fall wird ein wenig anders abgelaufen sein - und nur mit dem befund der vorhandenen oder eben auch nicht vorhandenen "aktenlage" ist das nicht getan.

aber für solche eine akribische einzelfallprüfung fehlen sicherlich insgesamt die ressourcen und würden jede hochschule und jeden interessenverbund an die kapazitätsgrenzen bringen.

man sagt ja so lapidar: es gibt noch viel zu tun - packen wir's an - aber einige haben sicherlich inzwischen interesse an den davon abgeleiteten nonsens-spruch: es gibt noch viel zu tun - warten wir's ab ...

aber da gibt es ja nun die jungen "neuen wilden", wie prof. melter von der fh bielefeld, die zum glück auf "(auf-)klärung" drängen - und immer weitermachen - immer weiter: die aufarbeitung der ns-verbrechen ist nie ganz abgeschlossen - hat sich nie "erledigt" - und das ist gut so ...



wie eine feuerqualle -

da habe ich etwas 
hinter mir gelassen
endlich
ich bin durch
es lag immer vor mir
wie eine feuerqualle
die in der sonne glänzt
und die energie war wie
türen zuklappen

darüber bin ich hinweggeschritten
ich weiß nicht mehr
ob ich starr 
geradeaus geschaut habe
oder ob ich aus den augenwimpern
aus den augenwipfeln
aus dem blickwinkel
den schatten fixiert habe

aber da war gar kein schatten mehr
wenn ich mir das bild zurückrufe
war da gar kein schatten
da lagen nur 6 angerostete nirosta-stangen
wohl von einem grill
halb mit sand bedeckt
halb hineingesteckt
ich habe hastig fixiert
ob mich dabei jemand
beobachtet hat




aber alles war ruhig
möwen unkten und würgten
an viel zu großen bissen
und der wind säuselte
still
bis der tornado kam
über alles was sich bewegte
und nicht bei drei
auf dem baum war

sinedi

sinedi meets NordArt 2019

CLICK HERE



heute mache ich hier mal ganz bewusst werbung (natürlich "ehrenamtlich" - ohne jede gewinnbeteiligung oder tantiemen) für die

NordArt 2019

wer dieses blog hier schon länger verfolgt, weiß, dass ich ein fan dieser kunstausstellung bin. vor 5-6 jahren habe ich zum ersten mal die  ehemalige eisengießerei "carlshütte" in büdelsdorf in rendsburg besucht - und war gleich angetan von der vielfalt und auch dem internationalen flair der kunst hier - und dem überzeugenden zusammenwirken vor ort mit dem ambiente einer (gut gepflegten) "industriebrache" im zusammenwirken mit zeitgenössischer kunst.

besonders spannend sind vor allen dingen auch die künstler auch z.t. aus russland oder aus dem allerfernsten ostasien, die über die nordart oft in richtung "welt" und "westen" unterwegs sind - und manchmal zum ersten mal außerhalb ihrer angestammten hemisphäre ausgestellt werden.

für mich waren das jedes mal echte entdeckungen und bleibende glücksmomente: und nicht nur in den "1000stel sekunden", wie es der herbert grönemeyer besingt... - auch jetzt wo ich das schreibe, erinnere ich werke, die sich regelrecht eingebrannt haben - und die in meinem inneren abrufbar bleiben in ihrer einzigartigkeit.

beispielsweise dieses werk "der mythos vom verlust der menschlichkeit" von dem ägypter ahmed saber aus luxor, der dort als künstler & hilfslehrer lebt (click z.b. auch hier), das ich 2015 auf der nordart entdeckte - und das ich seitdem immer mal wieder vor meinem "geistigen auge" abrufen kann...: das bild ist in seinem mythologisch-surrealen aufbau für mich so etwas wie eine "visual story telling" eine bildergeschichte in mehreren kapiteln und abschnitte, in deren symbolik jeder betrachter "seine" bedeutungen herauszulesen vermag und "ent-decken" kann...


ahmed saber, *1987, egypt: "the myth of the loss of human", 2014




um international bedeutsame kunst in deutschland zu sehen, muss man ja normalerweise schon in hamburg, frankfurt, berlin oder münchen - oder eben in basel oder barcelona usw. - unterwegs sein - und vielleicht alle 5 jahre auf der "documenta" in kassel.

hier in büdelsdorf finden sich jahr für jahr hervorragende internationale kunstschaffende zusammen, die hier die alten fabrikhallen in aller vielfalt "bespielen" - und manchmal auch einhergehend mit veranstaltungen des inzwischen bekannten "schleswig-holstein musik festivals" - nach dem motto: "music meets art" - einfach nur großartig ...

und hier zur einstimmung noch impressionen aus dem letzten jahr:



pfingst.rose


respekt für den rücktritt ???

klaus stuttmann im tagesspiegel

respekt


man hört dieser tage ja immer wieder inflationär: "ihr rücktritt verdient unseren/meinen respekt" - "möchte ich zu dem rücktritt meinen respekt bekunden" ... - ähhh ??? - ich fand und finde diese floskel schon immer albern bis peinlich...

nach meinem sprachgebrauch wenigstens kann ein rücktritt vielleicht mein "verständnis" herausfordern: verstehe ich diesen rücktritt - kann ich den nachvollziehen - oder ist er völlig unvorhergesehen und damit unverständlich.

und wer mit dem rücken bereits an der wand lehnt - kann gar nicht "zurücktreten": da gibt es für den schritt zurück keinen genügenden raum - vielleicht weil eine beißwütige horde jemanden dorthin an die wand gedrängt hat - und dort stellt und festhält - und so quasi "an die wand nagelt" - ohne jeden ausweg.

ja - ein rücktritt kann auch mutig sein
respekt hat ja etwas mit bewunderung zu tun - oder mit dem aus der mode gekommenen begriff der "ehrerbietung" - oder "höflichkeit": aber trifft das zu, wenn eine kurzfristige parteivorsitzende mittels dolchstoß-(legende) (s. karikatur oben) nach einer verlorengegangenen wahl und ein paar berechtigten und vielen vielen unberechtigten vorwürfen an die eigene person nun darob sagt: "ich trete hiermit zurück!" - muss ich diese person dafür bewundern und "respektieren"?

okay - gerade im süddeutschen raum, wird eine als positiv gewertete tat oder problemlösung oft mit "respekt" quittiert - aber dabei wird diese besondere lösung zum guten "respektiert", die ausführung - die lösungsidee vielleicht.

ich finde - ich kann bei einem rücktritt vielleicht versuchen, ihn zu verstehen.

ich bin in meinem bisherigen leben auch schon 2-3 mal von irgendwelchen pöstchen oder posten zurückgetreten (worden). ich habe das meist aus rein egoistischen gründen getan: ich wollte überleben, der unangenehme flaue bauchdruck, der sich bei mir unwillkürlich kurz vorher einstellt, wenn ich mich in einer aufgabe nicht (mehr) wohlfühle, sollte verschwinden (geschah auch meist nach spätestens 3 - 5 tagen). ich wollte wieder allein meinen eigenen spinnertereien nachhängen - und nicht dauernd "auf das amt" irgendwelche rücksichten nehmen.

aus diesen überlegungen heraus, könnte ich auch jemanden ob seines rücktritts beglückwünschen - und eine karte schicken - vielleicht mit dem slogan: "geschafft": "ich weiß, es war schwierig - aber ich freue mich mit ihnen - herzlichen glückwunsch dazu"... - "nur weiter so"... - "toll gemacht" - "und sie bewegt sich doch"... 

also so etwas wie "solidarität" bekunden - auf augenhöhe.

"respekt" dagegen ist gefühlt nicht face to face - sondern hat immer etwas von "aufblicken" - "hochblicken", von vertikale statt horizontale.

"respekt" ??? - gerade dieser inflationäre gebrauch des begriffs heute ist irgendwie verräterisch - eben als "floskel" - als ein lautes "schulterzucken" bzw. "schulterklopfen": entweder also: ich kann dich verstehen" - oder eben "ist mir unbegreiflich" und "müssen wir mal drüber reden - wenn du lust hast und sich die wogen geglättet haben"...

und wenn ich dann vielleicht eine erklärung bekomme, dass mit dem eigenen rücktritt eine menge schaden von anderen oder dritten abgewendet wurde - dann fordert das im nachhinein vielleicht dann von mir "meinen vollsten respekt" ab ... - und ich verbleibe - hochachtungsvoll





ließ ich ihr zum abschied dieses wunderschöne marguerite fleur bouquet binden

ließ ich ihr zum abschied dieses wunderschöne marguerite fleur bouquet binden | sinedi.art



das meint die blumen-philosophie
  • die beliebte „er-liebt-mich-er-liebt-mich-nicht“-blume hat schon so manche träne gebracht oder auch getrocknet, wenn das orakel des auszupfens der zungenblüten gut ausging. sie steht für natürlichkeit und für unverfälschtes glück, aber auch stark für unentschlossenheit.



























und wenn du genau hinriechst: die bilder dünsten etwas von heugeruch aus: zicke-zacke - heu-heu-heu...

mimikstudie eines ruhestandlers am sonntagmorgen | sinedi.art


in fakes verrannt

click here  oder in "Spiegel" Nr. 23/2019, S. 112 ff. lesen ...


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Die NEUE WESTFÄLISCHE schreibt am 03.06.2019 auf ihrer "Kultur/Medien"-Seite dazu:
Skandal: Die deutsche Bloggerin Marie Sophie Hingst hat wohl gar keinen Großvater, der Auschwitz-Häftling war. Holocaust-Opferbögen hat sie gefälscht
Jüdische Familie frei erfunden

Sie galt als engagierte Kämpferin für Holocaust-Opfer, ihr Opa war angeblich in Auschwitz. Sie moderierte Podiumsdiskussionen für den Förderkreis des Berliner Holocaust-Denkmals, engagierte sich bei der Jewish Society ihrer Universität und meldete sogar die Namen von 22 angeblichen Holocaust-Opfern bei der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Doch nun wird bekannt: Die erfolgreiche deutsche Bloggerin Marie Sophie Hingst, die in Dublin lebt, hat ihre jüdische Familiengeschichte frei erfunden.

Wie der Spiegel berichtet, hat die promovierte Historikerin gar keine jüdische Verwandtschaft. Ihr Großvater war evangelischer Pfarrer und nicht, wie angegeben, Auschwitz-Häftling.

Hingst habe 22 gefälschte „Pages of Testimony“, sogenannte Opferbögen, in Yad Vashem eingereicht, die den Eindruck erwecken, dass große Teile ihrer Familie im Holocaust umgekommen seien. Unterlagen des Stadtarchivs zeigen allerdings, dass die Bloggerin aus einer evangelischen Familie stammt. Von den angeblichen Holocaust-Opfern haben wohl nur drei wirklich gelebt, schreibtDer Spiegel. Darüber hinaus hat Hingst in ihrem Blog mehrmals behauptet, dass sie eine Slumklinik in Neu Delhi gegründet und dort eine Sexualberatung für junge indische Männer angeboten habe. Seit 2016 habe sie in einer Arztpraxis auch syrische Flüchtlinge in Deutschland beraten, wie sie bei Zeit Online unter dem Pseudonym Sophie Roznblatt behauptet hatte.

Die Berliner Historikerin Gabriele Bergner war auf den Fall aufmerksam geworden. Mit einer Anwältin, einem Genealogen und einem Archivar hatte sie sich über die Unstimmigkeiten in Hingsts Blogeinträgen ausgetauscht. Mitarbeiter des Stralsunder Stadtarchivs haben gegenüber demSpiegelvon „falschen Identitäten“ gesprochen. Aus der Stadt sollen acht der angeblichen Holocaust-Opfer aus Hingsts Familienumfeldherstammen. Bis auf einige Namen, seien die Umstände frei erfunden gewesen. Die Stralsunder Behörden haben das Auswärtige Amt nun gebeten, die Gedenkstätte Yad Vashem zu informieren, dass die von Hingst eingereichten Formulare wohl gefälscht seien.

Die Chefredaktion von Zeit Online zeigt sich erschüttert. „Nach derzeitigem Stand müssen wir davon ausgehen, dass die in unserem Beitrag geschilderten Ereignisse weitgehend falsch sind“, schreibt die Chefredaktion in ihrem Blog Glashaus. „Die Autorin hat Teile ihrer Biografie erfunden, andere verfälscht, und mit großem Aufwand jahrelang öffentlich vorgetäuscht, eine Person zu sein, die sie nicht ist.“ So nutzte Hingst offenbar die Identität einer verstorbenen Person, um in deren Namen E-Mails an die Redaktion zu schreiben. Selbst Teile ihres engeren Umfelds würden ihren Schilderungen bis heute glauben, so die Chefredaktion. Zeit Online habe die Autorin mit den Recherchen konfrontiert, sie möchte sich allerdings derzeit zu den Vorwürfen nicht äußern.

Dem Spiegel teilte Hingst über einen Anwalt mit, dass die Blogeinträge „ein erhebliches Maß an künstlerischer Freiheit für sich in Anspruch“ nähmen. „Es handelt sich hier um Literatur, nicht um Journalismus oder Geschichtsschreibung.“ Berühmt wurde Hingst durch ihren Blog „Read on my dear, read on“. In den vergangenen Jahren erhielt sie zahlreiche Würdigungen für ihre Arbeit.

2017 wurde sie von den Goldenen Bloggern zur „Bloggerin des Jahres“ gewählt, bei der Preisverleihung warb sie, mit leiser Stimme und bescheidenem Auftreten, für eine Freilassung von Deniz Yücel, dem sie Postkarten ins Gefängnis geschickt haben soll. Im letzten Jahr erhielt sie für einen Essay den „Future of Europe“-Preis der Financial Times.

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es ist schlimm, dass es menschen gibt, die sich mit der not und dem gewaltsamen opfergang erfundener menschen regelrecht "schmücken" und aufmotzen wollen oder müssen, um auf- und ansehen zu erheischen - die dazu holocaust-opfer aus der eigenen familie einfach erfinden und hinzudichten - und denen es scheinbar spaß macht, ihre follower und user in den dazu betriebenen einschlägigen lügenblogs - und in diesem fall sogar noch mit der überschrift "read on my dear, read on" - zu täuschen, in denen sie ihre so bewusst erdachten lügen verbreiten und sich mit echter anteilnahme "bedauern" und mit preisen dafür "feiern" lassen - und nach dem auffliegen sagen: "was regt ihr euch auf - das ist doch alles als erdachte literatur gemeint gewesen"...

das spiel mit identitäten, mit rollen und masken ist ja uralt - und gerade auch in der "darstellenden" kunst: im theater und im film sowieso - und wenn ich zur biennale nach venedig blicke, bespielt den deutschen pavillon dort eine dafür nominierte künstlerin, die sich "natascha süder-happelmann" nennt, ja auch mit "falschen identitäten" und wechselnden namen und trägt einen pappmaschee-steinkopf, um ihr "antlitz" darunter zu verbergen, und spricht nicht selbst sondern lässt stellungnahmen verlesen...

hinter solchen strategien verbirgt sich oft im kern für mich auch immer etwas von "sich-nicht-stellen-können", von "dahinter-verstecken" und von verantwortungsverweigerung und verdrängung - von "tauber nuss"...

als eigenständige kunstform ist das ja vielleicht im digitalen heutzutage und hier & jetzt als "spiel" noch akzeptabel - und theater und film leben ja vom rollenspiel der darsteller - aber im historisch-urkundlichen real-bereich führt man damit das in der verfassung ja besonders gehütete, im alltag aber auch gern inflationär benutzte und oft nur vorgeschobene grundrecht des persönlichkeitsrechts mit dem damit verbundenen "persönlichkeitsschutz" meines erachtens ad absurdum: jeder legt sich dann bald mehrmals wechselnd ungekennzeichnet seine identitäten zurecht, die ihm gerade zupass kommen - und wechselt die je nach "stimmung" wie die kleidung - im internet ist das ja schon lange gang und gäbe: "wer bin ich - und wenn ja wie viele?" lautete der titel von precht schon vor über 10 jahren - und jetzt haben wir dazu den identitäts-schnipsel-"salat". und ein paar migranten tragen drei oder vier verschiedene gekaufte oder erkungelte identitätspapiere bei sich, mit verschiedensten fantasie-namen und geburtsdaten...

doch im spiel mit (er- und gefundenen) identitäten balanciert man auch gemeinhin immer auf dem drahtseilakt zwischen "genie & wahnsinn" entlang: wenn das rollenspiel pathologisch ausartet und man wie in der schizophrenie den inneren identitätshalt ganz verliert oder vergisst und nicht mehr aufgefangen wird - und nicht mehr weiß, wer man ist: so lässt sich in den psychiatrie-diagnosen zum verhalten von frau hingst auch eine "artifizielle störung" ausmachen, die man treffend mit "münchhausen-syndrom" bezeichnet - aber ein solches verhalten gibt es ansatzweise auch bei der "borderline"-persönlichkeitsstörung (bps). doch ich will hier nun nicht laienhaft herumstochern - denn mit einer einschlägigen diagnose würde ja frau hingst sogar noch entlastet - etwa im sinne von "sie konnte ja gar nicht anders"...

besonders wütend bin ich darüber, dass sie damit auch den leuten der rechts-populistischen couleur in die hände spielt, die schon lange die kolportierte opferzahl der shoah öffentlich in zweifel ziehen - und damit das tatsächliche opferleid all der nazi-morde verunglimpfen - und die ja sowieso schon "fake news" hinter jeder ecke vermuten und "lügenpresse" krakeelen - und diesen "fall" jetzt sicherlich "nutzen" für ihre thesen.

da macht diese frau tatsächlich ihren echten abschluss als historikerin und erfindet sich dann für die eigene familie und person ihre "familien-historie", um damit falschen eindruck zu schinden - leute an der nase herumzuführen und falsche preise für die blogs einzusammeln - und: falsches mitleid ... : das ist für mich im wahrsten sinne des wortes einfach nur bodenlos "niederträchtig".

insgesamt erinnert dieses gebaren für mich schon an den "fall relotius", wo ein spiegel-redakteur ein großteil seiner veröffentlichten recherchen einfach erfunden hat, ebenfalls um eindruck zu schinden und preise einzuheimsen.

okay - hochstapler hat es immer gegeben - auch menschen mit eigenartigsten macken: aber dass man mit erfundenen leiden und falschen massenmord-leichen einfach nur eindruck schinden will, ist für mich schon einigermaßen pervers und höchst makaber. 

im kurzen spiegel-video dazu wird ja auch vermutet, dass es eben milieus gibt, gerade auch da wo diese frau hingst lebt und gelebt hat, wo man damit eindruck schinden konnte und kann und zuwendung bekommt. frau hingst hatte 240.000 follower für ihre blogs, die mit ihren erstunkenen und erlogenen "münchhausen"-geschichten mitfieberten...

und mit den in meinen memorial-blogs veröffentlichten seriösen recherchen tatsächlicher familiengeschichtlicher fakten  zur "erna-story", dem ns-euthanasiemord-protokollen meiner tante erna kronshage, fühle ich mich durch solche falsche und spinnerte "forschungs-kolleg*in", die auch noch akademische abschlüsse als anscheinend "echte" historikerin vorweist, aufs höchste diskreditiert.

gut, dass ich von anfang an mit meinen schon in die 80er jahre zurückreichenden recherchen dann vor gut 10 jahren direkt an die öffentlichkeit gegangen bin - und die relevanten echt vorhandenen beurkundungen dieses opferschicksals erst verschlüsselt, dann aber bald schon mit klarnamen, jeweils in den blogs und magazinen mit reproduziert habe - so dass sie sich von jederfrau oder jedermann in den angegebenen auch amtlichen quellen jederzeit tatsächlich auch verifizieren und überprüfen lassen.

bei diesen von den nazi's und allen beteiligten und deren helfern wie am fließband industriell und kleinteilig aber zum kriegsende hin immer weniger bürokratisch betriebenen massentötungen mit anschließender vernichtung der unterlagen dazu, ist dazu eine äußerst diffizile puzzle-arbeit vonnöten.

einiges an bildmaterial in den magazinen habe ich jeweils dann gekennzeichnet, wenn es lediglich der reinen symbolhaften situations- und milieu-illustration dienen soll - eben auch weil "ein bild mehr sagt als 1000 worte", und weil man bis ende der 40er jahre - und dann auch im krieg - wenig an einschlägigen bildmaterialien erstellt und schon gar nicht dokumentiert hat bzw. erstellen konnte, im vergleich zum schon fast inflationären digitalen "knipsen" z.b. mit dem smartphone heutzutage.

und doch ist natürlich die bildliche darstellung in der geschichts(be)schreibung zum holocaust und zu den kranken- und nazi-morden gerade für junge menschen heutzutage besonders aufschlussreich, weil man viele alltägliche gegebenheiten und das jeweilige milieu aus der damaligen zeit erst im bild plausibel nachvollziehen kann.

gerade die "story" um erna kronshage ereignete sich ja darüberhinaus auch an der schwelle vom endgültigen niedergang des lokalen ländlich weitläufigen acker-milieus - hin zu einer urbanen und industriellen allgemein-entwicklung, die man besonders auch hier in der lokalgeschichte von ernas geburtsort senne II hin zur "sennestadt" und jetzt als südlicher randstadtteil von bielefeld bildlich und ideell mit nachvollziehen muss, wenn man das opferschicksal ernas auch an diese flankierenden, auf die psyche und werte einer heranreifenden jungen frau aber einwirkenden geschehnisse mit "be-greifen" und einigermaßen nachvollziehen will.

click zu dem "fall hingst" auch hier - und hier ... 


aus meinem sinedi.art.studio: die spd ist aber alt geworden |

die spd ist aber alt geworden

wir haben keine chance - nutzen wir sie


"wir haben erst angefangen - wir werden immer mehr - wir werden immer mehr" --- | foto: stefan boness | ipon |spiegel-online




und das sieht und hört man ja auch in den "großen" kultursendungen - z.b. auf 3sat: "kulturzeit" - oder auf arte: "metropolis"  - oder sonntagabend oder in der mediathek der ard: "ttt": die politik im weitesten sinne dominiert auch die kulturthemen - und die derzeitigen politthemen sowieso: die (e)-uropawahl und "friday for future" und das "rezo-video" - allesamt mit einem entertainment unterlegt, das an kunst & kultur stark erinnert und derzeit sowieso: auch auf der biennale in venedig - und auf der letzten documenta - und - wetten: auch auf der nächsten!

nehmt euch also jetzt mal 2 stunden zeit - und seht euch dieses "fucking"-video (noch) mal an - vielleicht aber mit pausentaste zwischendurch - und mit dem studieren all der fußnoten, hyperlinks & zitate & hinweise - deshalb auch 2 stunden, denn das video in netto dauert ja nur seine bekannten 55:09 min. - aber studiert es mal tatsächlich - genau - wie es der festspielintendant thomas oberender jetzt im tagesspiegel getan hat - und dessen analyse ich euch nicht vorenthalten darf  -

also - jetzt zum wochenende - wenn es draußen plötzlich am sonntag so um die 30 ° grad warm werden wird, sucht euch ein kühles plätzchen und er-pausen-tastet euch dieses video, damit wir mit rezo - und auch mit greta thumberg und den friday for future-schülern mitahnen lernen, warum das plötzlich so überheiß wird - und das und was wir alle miteinander tun können, dagegen anzustinken - wir haben keine chance mehr - also nutzen wir sie ...

die "volksparteien" haben in dieser hinsicht versagt und auch ihren kredit längst verspielt - sie beschäftigen sich lieber mit den machtspielen in den eigenen reihen (genosse merz - genossin akk - genossin nahles u.a.) - und geben sich ihrer exzessiven masturbation hin: immer mehr desselben - dreh dich also nicht wieder einfach um - sondern "dreh dich um und stelle dich all dem seltsamen um dich und uns herum entgegen" (david bowie).


Thomas Oberender - Foto: promo | tagesspiegel




„Wir sind Rezo“

Die revolutionäre Kraft von 55 Minuten Youtube

Von Thomas Oberender - im Tagesspiegel

Die CDU-Abrechnung von Rezo hat viele Menschen aufgerüttelt – auch den Festspielintendanten Thomas Oberender. Hier beschreibt er, warum ihn das Video so bewegt.

Was tun wir unseren Kindern an, wenn sie - mit der Frische ihrer Jugend, ihrem Charme und Lächeln, nur noch so sprechen können über die Welt, die wir angerichtet haben, wie dieser Rezo in seinem Video. Ich kenne nicht mal seinen Namen und muss so sprechen, als sei ich ein alter Bekannter von ihm. Aber ich bin ein ganz neuer Bekannter, wie bald 12 Millionen andere auch. Mich hat dieser Film sehr nachdenklich gemacht. Was für ein Dokument dieses Video ist. Und was ist eigentlich passiert, dass es gedreht werden musste? Man erfährt nichts Privates über Rezo, obwohl seine Äußerungen glaubhaft und persönlich wirken. Was brachte das Fass zum Überlaufen? Warum wollte er auf seinem Youtube-Kanal nicht länger „nur“ über Musik sprechen?

Wer ist dieser Mann mit der blauen Locke?

"Ch-ch-ch-ch-changes", singt Bowie, "Turn and face the strange." Wer ist dieser Mann mit der blauen Locke? Es ist jemand, der das Spiel ändert. Wir, das sage ich im Blick auf Zeitungen wie die, in der ich jetzt schreibe, haben noch gar keine Sprache für das, was er da sagt und wie er es sagt. Wer hier von „Meinungsmache“ spricht, sollte sich jedenfalls bei Rezo, Bruno Latour und den Lehrern, die Freitags mit ihren Schülern und Schülerinnen auf die Straßen ziehen, entschuldigen.

Auf Youtube hat Rezo mehr Sendezeit als der Bundespräsident in der ARD. Auf Youtube kann sich jeder Dödel Zeit nehmen, so viel er will, aber auch jeder, der weiß, dass bestimmte Botschaften Zeit und Komplexität in der Darlegung brauchen. Alle schreien und reden wahnsinnig schnell auf Youtube und wollen durch pure Energie die Betrachter binden.

Das Rezo-Video sind 55 Minuten Schlagzeilen, weil das Medium so einseitig ist und anmaßend. So wirkt der Film auch eher als Manifest denn als Dossier. Er schafft einen Flow an sorgfältig konstruierten Evidenzen, und erst mit den Fingern auf der Pausentaste wird der Film zum Dossier, der komplex und dicht mit Fußnoten, Lauftext und Filmeinspielungen argumentiert, vor allem aber durch die Form der direkten Ansprache, des „du“ im Blick.

Wer diesen Film mit dem Finger auf der Pausentaste anschaut und all die Hyperlinks und Zitate liest, braucht die doppelte Zeit zum „entpacken“ der Botschaft. Unsere öffentlich rechtlichen Sendeformate der Kritik machen im Grunde das Gleiche wie Rezo: Schauen Politikern auf die Finger, veröffentlichen Fakten und Panamapapiere. In Rezos Film habe ich aber den Eindruck, es geht nicht nur um die Bloßlegung des zu Verachtenden, sondern dahinter ist eine Sorge spürbar, ein anderes Denken des Ganzen. Es gibt etwas, wofür dieser Rezo ist.

Er macht keine Wahlwerbung, er wirbt für die Wahl

Man sagt den sozialen Netzwerken Oberflächlichkeit nach, ein Denken in Blasen, in Filtern. Auf mich wirkt dieser Rezo allerdings sehr gut informiert, professionell und vernetzt in seiner Argumentation. Wenn ich Christian Lindner höre, habe ich das Gefühl, ich erlebe, wie ein Gefallsüchtigkeitsalgorithmus spricht. Rezo hingegen führt eine politisch direkte Rede ohne das Buzzword-Sprech der Politiker. Er hat die Rohheit des Mediums YouTube auf seiner Seite und wollte dieses Dokument schaffen.

Sein Film ist politischer Aktivismus. Aber er spricht nicht als Bewegung, er macht keine Wahlwerbung, sondern wirbt für die Wahl. Er streift die Schummeldecke ab, weil er einen Countdown hört, an dessen Ende, es klingt wie bei Star Wars, die Rettung der Erde steht. Und wir hören ihn nicht.

Mehr zum Thema: Wie die SPD bei Rezo plötzlich etwas richtig machte

Etwas an diesem Film ist für mich die Essenz reiner Jugend: Die Wut, der Charme dieses Jungen, sein Ernst, sein Witz, das spürbare Bemühen, sich zu vermitteln, das zu Tränen rührende Finale mit einem Statement voller Pathos und Dringlichkeit. Er ist klug, jetzt nicht in all diese Talksshows zu gehen und die moderierte Sprache der anderen zu sprechen. Wenn nicht mal die heute-show Witze über ihn macht, das will was heißen.

Die Jugend, schreibt Jon Savage in seinem Teenagerbuch, ist die einzig revolutionäre Kraft. Rezos Film hat die Radikalität, die auch die ganz Rechten haben. Jetzt gibt es dieselbe Einfachheit von links – mit einer völlig anderen, terrestrischen Agenda, die uns als Erdlinge begreift, als Planetenbewohner auf Zeit, die ihre Pflichten haben.

Deshalb weiß ich nicht, ob man überhaupt noch „links“ sagen kann. „Wir haben noch neun Jahre“, heißt Rezos schlichte Botschaft. Neun Jahre, bis die Zerstörung der Erde irreversibel wird. Wir sollten zuhören. Nicht gleich richtigstellen. Nicht denunzieren. Turn and face the strange: Da ändert sich gerade was. Wer hier von „Meinungsmache“ spricht, hat die Zeichen der Zeit nicht gehört. Der verschickt noch Tagesordnungen per Fax.

Der Erfolg von Rezos Video ist auch der von Greta Thunberg. Ihr Tunnelblick auf das Klimaproblem hat die Welt verändert. Rezo und formerfindende Youtube-Journalisten wie Tilo Jung gehen vom „gesunden Menschenverstand“, schwieriges Wort, aus und setzen ihre „Naivität“ als entlarvendes Instrument ein. Sie sind im Neoliberalismus aufgewachsen und ihnen wurde lange gesagt, dass sie selbst an allem Schuld sind, was passiert oder nicht passiert; und so handeln sie jetzt.

Wer sich auf der Überholspur drängelt, wird auf der Kriechspur überholt

Rezo ist eine Systemfolge der Schröderjahre. Weil „die Gesellschaft“ nach Lage der Fakten eben nicht gewährleistet, dass diese Spätgeborenen auf die Rettung ihrer Zukunft hoffen dürfen, bleibt nur die kleine YouTube-Ich-AG. Und die solidarisiert sich jetzt selbst. Arme SPD, das war mal euer Versprechen. Arme CDU, die jetzt versucht, grün zu werden, statt christlich. Niemand von den etablierten Parteien war bislang in der Lage, auf dieses Video adäquat Antwort zu geben. Und so werden sie, die sich auf der Überholspur drängeln, auf der Kriechspur überholt.

Rezo und die Youtuber des zweiten Klimawandelwahlwerbevideos verlangen Respekt. Warum nicht mit Demut zuhören? Da sprechen unsere Kinder zu uns. Warum das gleich wieder relativieren, zurückweisen und sagen: Das dürfen die nicht, wie Annegret Kramp Karrenbauer meint. Die dürfen das! Rezo stellt als Gegenfrage: Könnt ihr das überhaupt? Ich kenne einzelne CDU-Abgeordnete, die im Parlament seit Jahren sehr qualifiziert für den Klimaschutz kämpfen und zur Rettung des Waldes Vereine gründen. Die Sichtweise des Rezo-Filmes ist fundamentaler - wenn diese Politik und Koalition in dieser Sache gescheitert sind, werden die daraus entstehende Problem für uns so gravierend sein, dass es wirklich disruptive Veränderungen braucht.

Nach der Schockwirkung dieser Rezo-Analyse hilft es nichts, dass die CDU und SPD  ihren Standpunkt verteidigen und die verbliebenen Prozente zusammenkratzen. Es geht jetzt um die Sache: dieses Dritte, uns Gemeinsame, die Erde, das Klima - das vor allem, und die soziale Frage. Es geht nicht um im Wahlkampf fehlende Vokabeln. Es hätte nicht geholfen, mehr „zum Thema Klima und digitaler Wandel“ zu sagen. Es geht nicht darum, wer abgelöst und ausgetauscht wird, sondern um die Dringlichkeit der Sachfrage. Wer sich jetzt selbst zu retten versucht, wird verlieren.

Jetzt ist Langsamkeit wichtig. Seltsam, ja, aber so viele Schritte sind zu tun. Tilo Jung schlägt vor, Journalismus staatlich zu fördern, indem die Arbeit von Journalisten gefördert wird, nicht die von Medienanstalten. Ungeheuerlich; wirklich? Ja, vielleicht. Grundeinkommen, doch, nochmal nachdenken! Turn and face the strange. Mein Eindruck ist, wenn ich mit Jugendlichen in Rezos Alter spreche, dass sie sich eine Gesellschaft ohne Angst wünschen. Dass die Angst allgegenwärtig ist, die ein alles durchdringender Wettbewerb verursacht.

Die Privilegierten und Geschonten haben die Welt aufgefressen

 Niemand hat mehr Zeit. Die Universitäten sind voll von Achtzehnjährigen, die in der Regelstudienzeit durch die Kurse eilen, um schnell den Bachelor zu machen und schnell in den Markt zu kommen. Vielleicht war diese sich immer weiter verschärfende Konkurrenz lange gut, aber die sozialen Seelenpuffer sind aufgezehrt. Es geht um gescriptete Realitäten, die uns vermessen und programmieren. Es geht um die Dominanten, Privilegierten und Geschonten, deren „Universalismus“ die Welt unterjocht und aufgefressen hat. Und das hat ein neues Verständnis und eine neue Sensibilität von Hierarchien und Macht erzeugt.

 Diese Verletzung, die Rezo getroffen hat, hat uns alle getroffen. Wir sind Rezo. In seinem Film hat sich die Jugend als Minderheit entdeckt. Er argumentiert, dass die Teilwählergruppe der über Siebzigjährigen größer und wahlentscheidender ist als alle unter dreißig. Ich verstehe seine Panik. Das Absurde ist, dass es diese von der Politik nicht gehörte Minderheit so riesig ist. Das spricht sehr für ein Wahlrecht ab 16.

 Und ich muss mich richtig bemühen, nicht gleich von einer „Generation Rezo“ zu sprechen. Aber: Lieber nichts in diese Akteure hineininterpretieren. Nicht vorwegnehmen, was sie, die sich auf diesen Wegen hörbar machen, angeblich tun oder nicht. Lieber zuhören, ihnen Raum und Respekt geben, nichts besser wissen.

Über weite Teile, nein, als Ganzes wirkt dieses Video wie ein Manifest der Klarheit. Es geht um Ehrlichkeit und Respekt. Es ist wie bei einem Familienstreit, wo nach einigem Gezeter plötzlich dem ältesten Sohn die Hutschnur platzt und er Klartext redet, Fakten auf den Tisch bringt und Schlüsse daraus zieht, die Papa komplett den Atem rauben. Da steht alles auf einmal in einem anderen Licht. Wir verbrauchen die Zukunft unserer Kinder. Und sie sagen es uns.

 Die Politik ist zurück in den Klassenzimmern und Unis. Vor allem auf der Straße. Durch die drohende Klimakatastrophe entsteht ein ähnliches Bedrohungsszenario wie in den späten siebziger Jahren durch die Atomkraft und den Nato-Doppelbeschluss. Damals entstanden die Friedensbewegung, die neuen sozialen Bewegungen und die Grünen. Dies geschah an den üblichen Kollektivierungsformen und Parteien vorbei, genauso wie 1989. Es sind wieder die jungen Leute, die heute die Plätze, die analogen und die digitalen, besetzen und „denen da oben“ Stress machen. Ch-ch-ch-ch-changes!


Quelle: Tagesspiegel.de

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CHANGES - DAVID BOWIE

SONGTEXT ÜBERSETZUNG

Ich weiß immer noch nicht, auf was ich gewartet habe
und meine Zeit ist frei gerannt
Eine Millionen Sackgassen
Jedes Mal dachte ich, ich hätte es geschafft
Es schien, als sei der Geschmack nicht so süß
Also habe ich mich gedreht, um mir entgegenzutreten
Aber ich habe nie einen Blick erhaschen können,
wie die anderen den Fälscher sehen müssen
Ich bin viel zu schnell, um diesen Test zu machen

Ver-Ver-Ver-änderungen
(Drehe dich um und trete dem Seltsamen entgegen)
Veränderungen
Will kein reicherer Mann sein
Veränderungen
(Drehe dich um und trete dem Seltsamen entgegen)
Veränderungen
Muss nur ein andere Mann sein
Die Zeit kann mich verändern,
Aber ich kann der Zeit nicht hinterherlaufen.

Ich sehe, wie die Wellen ihre Größe verändern,
aber niemals den Strom verlassen,
den Strom warmer Unbeständigkeit
So fließen die Tage durch meine Augen
und dennoch scheinen alle Tage gleich
und diese Kinder, auf die du spuckst,
während sie versuchen, ihre Welten zu verändern
sind immun gegenüber deinen Ratschlägen
Sie sind ziemlich bewusst darüber, was sie durchmachen

Veränderungen
(Drehe dich um und trete dem Seltsamen entgegen)
Veränderungen
Sag mir nicht, ich solle auf- und darauswachsen
Veränderungen
(Drehe dich um und trete dem Seltsamen entgegen)
Veränderungen
Wo ist deine Scham
du hast uns bis zum Hals darin gelassen
Die Zeit kann mich verändern,
Aber ich kann der Zeit nicht hinterherlaufen.

Ein seltsamer Zauber fasziniert mich
Veränderung bestimmen das Tempo
Mit denen ich mitgehe

Veränderungen
(Drehe dich um und trete dem Seltsamen entgegen)
Veränderungen
Oh, passt auf, ihr Rock´n Roller
Veränderungen
(Drehe dich um und trete dem Seltsamen entgegen)
Veränderungen
Ziemlich bald nun werdet ihr älter
Die Zeit kann mich verändern,
Aber ich kann der Zeit nicht hinterherlaufen.
Ich hab gesagt: Die Zeit kann mich verändern,
Aber ich kann der Zeit nicht hinterherlaufen.