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the white house is infested

Klaus Stuttmann - taz

Wie Victor Blackwell
Präsident Donald 
Trump die Stirn bot

Dass ein Moderator einer Nachrichtensendung vor laufender Kamera weint, kommt für gewöhnlich nicht vor. Nicht nur deshalb sorgte der Tränenausbruch von CNN-Moderator Victor Blackwell für Aufsehen. Auslöser war ein aktueller Tweet von USPräsident Donald Trump. Er hat schon seit Tagen den afroamerikanischen Abgeordneten Elijah Cummings in der Schusslinie. Der Demokrat ist als Vorsitzender des Reform- und Aufsichtsausschusses ein einflussreicher Kongressmann. In der Funktion leitete er schon etliche Untersuchungen zu den Regierungsgeschäften Trumps. Er hatte seine Empörung über die Zustände in den überfüllten Migrantenlagern öffentlich geäußert. Trump verbat sich das: Cummings’ eigener Wahlbezirk im Großraum Baltimore sei dagegen ein „widerliches, von Ratten und Nagetieren befallenes Drecksloch“.

Hier kommt Victor Blackwell ins Spiel. Er kommentierte die verbale Attacke im Rahmen der Sendung „Newsroom“ am Samstagabend: Cummings sei nicht der Erste, den Trump mit dem Wort „infested“, auf Deutsch: „befallen“, angriff. „Donald Trump hat Tausende Menschen beleidigt. Viele verschiedene Menschen.

Aber wenn er über ‚Befall‘ twittert, dann geht es um braune und schwarze Menschen.“ Als Blackwell auf Baltimore zu sprechen kommt, bricht seine Stimme. Mit Tränen in den Augen spricht der Moderator Trump erstmals direkt an: „Wissen Sie, wer dort lebte, Herr Präsident? Ich.“ Trotz der Herausforderungen in der Stadt seien die Menschen aus Baltimore hart arbeitende Amerikaner und sollten als solche respektiert werden, appelliert Blackwell. Der knapp dreiminütige Clip des Journalisten geht im Netz viral und lässt die Rassismusvorwürfe gegen Trump wieder lauter werden.

Blackwell war der erste schwarze Sprecher des abc-Senders WPBF. Für seine Reportagen und Recherchen erhielt er mehrere Preise. Jetzt zeigte sich der sonst toughe 38-jährige CNNModerator von einer anderen, verletzbaren Seite. Auch ein Zeichen von Stärke!

Charlotte Köhler
 - taz, vom 30.07.2019, S. 02 - das porträt


ohne worte

in einer anderen haut leben - update

Marie Sophie Hingst ist kein Einzelfall 
Vom prekären Begehren, „jüdisch“ zu sein

Von Caroline Fetscher | Tagesspiegel


Eine Historikerin mit gestörtem Verhältnis zur Realität ist gestorben. Mit ihrem Syndrom, das Teil eines umgekehrten Antisemitismus ist, war sie nicht allein.
frau hingst - in einer bildbearbeitung von sinedi | nach einem foto im tagesspiegel

Aus einer jüdischen Familie wollte Marie Sophie Hingst stammen. Aber das entsprach nicht den Fakten. In der Fantasie bastelte sich die junge Frau eine solche Verwandtschaft aus Fragmenten zusammen. Im virtuellen Raum des Internets präsentierte sie diese alternativen Fakten der Öffentlichkeit, meist verpackt in Anekdoten. Im analogen Raum füllte die am irischen Trinity College promovierte Historikerin für die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem Opferbögen mit den Lebensdaten von 22 erfundenen Personen aus.   

All das kam ans Licht, als eine Gruppe von Archivaren, Historikern und Genealogen dem Konstrukt auf die Spur kamen. Als Hingst darauf nur leugnend reagierte, wandte sich das Team an den Spiegel, der Ende Mai 2019 - nach einer Konfrontation des Redakteurs mit der Blog-Autorin in Dublin - die Ergebnisse des Rechercheteams veröffentlichte. Einmal bloßgestellt verstrickte Hingst sich in Widersprüche, berief sich auf die Literazität ihrer Texte und drohte Klagen an.

Es half nichts, die Diskrepanz zwischen Fiktion und Fakten lag klar zutage. Bald wurde Hingst der Ehrentitel „Bloggerin des Jahres 2017“ aberkannt, den sie für ihren Blog “Read on my dear, read on” erhalten hatte. Im Interview zur Preisverleihung wirkte sie ein bisschen, als würde sie den Kopf einziehen, und hatte ihren Glauben daran beteuert, „dass jedes einzelne Wort hilft.“

An sich hatte die Gruppe der ehrenamtlichen Rechercheure schlicht gehofft, den Betrug, der unerträglich für reale Holocaustopfer ist, diskret beenden zu können. „Wir wollten eigentlich nur, dass sie damit aufhört“, sagte der Altphilologe und Genealoge Ingo Paul der Märkischen Allgemeinen Zeitung Anfang Juni „Wir wollten kein Leben oder keine Karriere zerstören, aber jetzt scheint es doch so zu sein.“

Das Phänomen ist oft Symptom für eine anders gelagerte Störung

Und jetzt hat sich Marie Sophie Hingst offenbar das Leben genommen. Sie wurde, wie die Irish Times berichtete, am 17. Juli in ihrer Wohnung in Irland tot aufgefunden. Deren Berlin-Korrespondent, Derek Scally, hatte Hingst nach der Aufdeckung getroffen, und sie, alarmiert durch ihr agitiertes Auftreten, zu instabil gefunden, um über sie zu berichten. Freunde, ein Mediziner und ein Psychologe, hatten ihn darüber aufgeklärt, „das Phänomen jüdisch sein zu wollen“ sei durchaus auch unter anderen nichtjüdischen Deutschen anzutreffen, und oft Symptom für eine anders gelagerte Störung.

Ein Fall aus dem eigenen Erleben, um 1974 herum. Ein älterer Herr, etwa Jahrgang 1910, hatte seine Wohnung in Süddeutschland dekoriert mit Judaica, Chanukka-Leuchtern, Davidsternen, alles legte den Eindruck nahe, er sei jüdisch. Ein Besucher, der ihn mitfühlend darauf ansprach, fragte direkt: „Und wie haben Sie die NS-Zeit überlebt?“ Der alte Herr wurde hochrot im Gesicht, und musste einräumen, dass er gar nicht jüdisch ist.

Sein philosemitisches Ambiente brauchte er offenbar, um sich und andere von seiner belasteten Vergangenheit als glühender Antisemit wegzulenken. Einen erheblichen Schritt weiter gehen Leute wie Wolfgang Seibert, ehemals Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Pinneberg in der Nähe von Hamburg. In seiner Rolle als Holocaust-Überlebender konnte er öffentlich Judenfeindlichkeit beklagen und dafür Aufmerksamkeit erhalten. 2018 wurden seine Lügen entlarvt und er des Amtes enthoben, tatsächlich kam er – wie Hingst - aus einer evangelischen Familie und hatte sogar wegen Betrügereien im Gefängnis gesessen.

Das Publikum kann sich auf die moralisch attraktivere Seite schlagen

Als „Wilkomirski-Syndrom“ bezeichnete eine einschlägige Publikation Fälle, in denen der Drang, jüdisches Opfer oder verwandt mit Opfern zu sein, so stark ist, dass er zum Verkennen und Verdrehen von Realität verleitet, und in Illusionsgespinsten wie denen von Sophie Hingst enden kann. Der Titel bezieht sich auf Bruno Dösseker, der als Binjamin Wilkomirski 1995 die ausgedachte Geschichte eines jüdischen Kindes veröffentlichte, das Ghettos und Lager überlebt hatte, als seine ausgab und mit seinem Buch „Bruchstücke“ zunächst Erfolg hatte, bis herauskam, dass kein Wort wahr war. Vielmehr hatte er, so die Fachleute, sein Leid als Adoptivkind überhöhen und sich für Erlittenes rächen wollen.

Einige Historiker wie Raoul Hilberg hatten von Beginn an Zweifel an der Darstellung gehabt, andere waren ihr erlegen, Kritiken in deutschen Zeitungen wie in der New York Times ließen Anerkennung auf den Autor regnen.

Der Band zum Wilkomirski-Syndrom entstand aus einer Tagung am Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum, die sich der Frage stellte, warum solche Opfergeschichten derart faszinierend und attraktiv sind. In dem vermeintlichen Überlebenden sah der Historiker Stefan Mächler einen „aus der Verdrängung aufgetauchte Schuldvorwurf in Person.“ Das eindringliche Erzählen erlaubte Einfühlung, das Publikum – das deutsche zumal  - kann sich, wie Mächler schreibt, „auf die moralisch attraktivere Seite der Opfer zu schlagen.“

Bewusst und betrügerisch oder weniger bewusst und pathologischer spekulieren selbsternannte Juden auf solche Effekte – beim Publikum wie bei sich, vor sich selber. Bewunderung, Mitempfinden, Achtung, Aufmerksamkeit, Rücksicht, Ansprache – all das hatte Hingst mit ihrem Blog erfahren, dem 240.000 Leute „folgten“.

Hingsts Familie, in der es offenbar keine Juden gibt, während ein Verwandter in der NS-Zeit als Lehrer arbeitete, bot vermutlich zeithistorisch vor allem die entsetzliche und entsetzlich durchschnittliche Mischung unserer deutschen Familien der Zeit, die aus Mitläufern und Tätern besteht. Dass Sophie Hingst sich der Ungeheuerlichkeit ihrer Täuschungen und Lügen nicht bewusst war, könnte ihr mutmaßlicher Freitod belegen. 

Sie hatte in einer anderen Haut leben wollen

Im Fall Hingst verzichtete die Irish Times auf eine Reportage. Erst nach ihrem Tod beschrieb Scally das Gespräch mit ihr. Sie sagte, sie habe sich durch den Text im Spiegel „wie gehäutet“ gefühlt. Das wäre passend, denn sie hatte in einer anderen Haut leben wollen, die sie selber aus Texten gewebt hatte, wie Textilien zum Verkleiden. Diese waren ihr quasi öffentlich ausgezogen worden. Von der Mutter in Wittenberg hatte Scally gehört, ihre Tochter habe unter psychischen Probleme gelitten und einige Therapieversuche hinter sich. Im Verlauf des Gesprächs hatte Hingst einen gelben Judenstern aus Stoff hervorgeholt, das einzige, was von ihrer Großmutter nach Auschwitz geblieben sei.

In Hingsts fabulierten Geschichten hatte eine Großmutter überlebt, und der Enkelin etwa von „Isidor Eisenstein“ einem Freund des Urgroßvaters erzählt, der als Arzt noch dann half, als einer seiner jugendlichen Patienten ihn mit einem Schlägertrupp zusammen attackiert hatte. Der Mann „mit einem verschmitzten Lächeln und Karamellbonbons in der Jackentasche“ konnte nicht anders, „´Er hat ein krankes Herz´, sagte Onkel Isi und dann ging er und sah nach dem Jungen.“

Der Fall Hingst ist mitten in der Gesellschaft entstanden

Nach dem Zweiten Weltkrieg war in Deutschland die Haltung weit verbreitet, man habe „nie etwas gegen Juden gehabt“. Niemand sei Nazi gewesen, stellte Saul Padover fest, der als Mitarbeiter der US-Army gegen Kriegsende die Mentalität der Bevölkerung erkundete, und Aussagen hörte wie diese: „Jetzt, da es in den Läden praktisch nichts mehr zu kaufen gibt, sagen die Leute verbittert, dass es ein furchtbarer Fehler gewesen sei, die Juden zu vertreiben. Als es die Juden noch gab, habe man alles kaufen können, was das Herz begehrt, und zwar zu reellen Preisen.“

Neben Leugnen und Verdrängen, Bagatellisieren und Ausweichen, blieb der Antisemitismus über Jahrzehnte stark, wie parallel die andere Seite der Medaille, der Philosemitismus, der die Verbindung zu Tätern leugnen ließ.

Heute sehen sich Deutsche wie die Pegida-Marschierenden gern als Vertreter eines „christlich-jüdisches Abendlands“, und der Begriff eignet sich, Jahrhunderte der Pogrome so einzuebnen wie die Shoah als „Vogelschiss“ in der Geschichte abzutun. Hochambivalent flackert in dieser Konstellation das Phantasma, Opfer wie Retter zu sein. Sein Konstrukt lautet: Unser Abendland wird von Fremden bedroht, deren Opfer wir alle sind, wir aber retten das Abendland. Im Amalgam des „jüdisch-christlichen“ werden die jüdischen Opfer der Vergangenheit so geleugnet wie Juden vereinnahmt.

Zugleich wird zugelassen, dass an den breiter werdenden, rechten Rändern Antisemitismen und Rassismen erstarken. Und während es unter jungen Linken als richtig galt, dass Söhne und Töchter von Wehrmachtssoldaten eine Zeitlang in einem israelischen Kibbuz arbeiten, ist die Haltung kritikloser Solidarität mit Palästinensern gewichen. Die andere Seite der Medaille - auch da eine Kaskade von Projektionen. Politischer Realismus und integre Empathie würden sich anders äußern. 

Der Fall von Sophie Hingst ist nicht außerhalb der Gesellschaft entstanden, sondern mitten in ihr. Im Mikrobild des privaten Falls spiegelt sich ein Makrobild, und das besonders deutlich, wenn die verzerrende Übersteigerung so groß war, wie hier.

& click here

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mein gott - das ist jetzt mein dritter beitrag zum schicksal von frau hingst - und das hier war heute nachmittag der aufmacher in "tagesspiegel" online-news - und ich wundere mich, dass diese "tödliche verstrickung" - wie ich das gestern schon überschrieben habe - immer noch dem ressort "kultur" zugeordnet wird. ich finde, diese ausführungen jetzt zur einordnung des ganzen pathologischen backgrounds dieses phänomens, wäre eher den ressorts "wissen" oder "gesellschaft" zuzuordnen - aber das ist eine frage der redaktionellen nomenklatur dort am rande.

ich bin dankbar, dass man das schicksal von marie sophie hingst nun noch einmal mit einem anderen spot in den blick nimmt - und auch den allgemeingesellschaftlichen kontext des ganzen deutlicher beleuchtet.

eine umfassend abgeschlossene krankenakte mit ausführlicher anamnese und diagnosestellung von frau hingst als "einzelfall" wird man auch im nachhinein nicht mehr seriös erstellen und anlegen können. 

man sagt und denkt ja im turbokapitalistischen alltag gern diese floskel "...und was hab ich davon ?..." - und ich bin deshalb davon überzeugt, dass jede individuelle menschliche gestik, jede handlung, jede manipulation im sinne von handlings, jede subjektive konstruktion von "wahrheit", eine für die betreffende person (psychisch & körperlich ganzheitliche) entlastende, schützende und erhaltende ja "gesunde" funktion hat (eine "objektivität" ist aus systemischer sicht ja gar nicht möglich: denn immer ist man irgendwie "verbandelt" und irgendwomit "verstrickt" und emotional abhängig - und manchmal weiß und kennt man diese unsichtbaren leitlinien und "zwänge" (und "triebe") ja gar nicht...) - um zu "überleben", um sich (wovor?) zu wappnen, um andere schwer nagende fakten zu verdrängen und abzuwehren - und um irgendwie "seinen schnitt" zu machen...

interessant ist aber, dass es - zur zeit auffällig - scheinbar auf der 
  • einen seite "gespielte" opferrollen und ein übersteigert krankhaftes solidaritätsempfinden mit den ns-opfern bis hin zur vollständigen übernahme von neuen und ausgesponnenen (opfer-)identitäten gibt - und sogar das erfinden weiterer verzweigter "jüdischer" identitätssysteme - und dafür zigtausendfachen beifall und follower und preise gibt... 
  • auf der anderen seite gibt es nach fast 80 jahren nun kaltblütige rechtsradikale mörder und erneut antisemitische gewalttäter, die diese "andere seite" der ns-vergangenheitsmedaille brutal zurückspiegeln - und die auch in gewissen kreisen dafür "gefeiert" und "freigesprochen" werden...
und doch hat es eben den anschein, als seien diese beiden seiten der gleichen "medaille" alle dämme durchbrechende ausbrüche von aufgestauten weit zurückliegenden aggressionen und unbearbeiteten verdrängungen - und auch die jeweiligen follower und beifallklatscher spielen darin ihre rollen mit in dieser gesamtgesellschaftlichen "opfer-täter-claqueur-/retter-triade" oder auch "drama-triade"...

und doch verwirren mich diese theroretischen erklärungs-versuche in der presse mit dem offensichtlichen suizid von frau hingst - sowie fast gleichzeitig die kaltblütige ermordung des regierungspräsidenten lübcke vom offensichtlich rechtsextremen täter stephan ernst, und der mordversuch an dem hessischen eritreer, der völlig unbedarft vor seiner unterkunft auf der straße stand, mit dem späteren überlegten und bewusst verübten suizid mit abschiedsbrief dieses dortigen rechtslastigen gewalttäters roland k. - und dem nsu-komplex mit seinen zehn brutalen morden und den drei selbstmorden und den geschehnissen in chemnitz vor einem jahr und-und-und ...

und auch schon vor 50 jahren zu zeiten der "raf" gab es ja diese mordattacken und dann schließlich wahrscheinlich den kollektiven selbstmord der täter und "köpfe"...

wenn man diese jetzigen mord- und selbstmordtaten nun als zwei seiten einer medaille wahrnimmt - wie sich das ja auch aufdrängt
  • und vielleicht die projüdische identifikation nur die innerpsychische ableitung eines doch irgendwie verunglückten "wiedergutmachungs"-dranges irgendwelcher früherer "schuld" in der familie ist - 
  • was ist dann der aufkeimende und vollendete antisemitismus und der fremdenhass und die wieder eugenisch übersteigerten rassenüberlegungen in bezug auf flüchtlinge oder auch andersfarbige und andergläubige und anderswählende menschen überhaupt und z.b. auch die (kirchliche) homophobie und die abneigung gegenüber menschen mit anderen sexualvorlieben.
was wird damit innerlich "bearbeitet" und abgearbeitet und drängt "zwanghaft" in verirrungen und verwirrungen nach außen: sind das in jeden menschen irgendwelche schlummernden anfechtungen und aufrechnungen "von anderswoher", die sich da nun unabdingbar je nach sozialisation und biographie und "äußerem auslöser" bahn brechen???

frau hingst ging es ja wohl nach eigenem bekunden auch darum, endlich so ein publikum für ihre "worte" zu finden - und dafür spannte sie ihre erfundenen opferstorys ein: und sie hatte ja erfolg als mitleids-influencerin damit: zigtausend follower folgten ihrem blog - und sie bekam preise und anerkennung für ihr wackelig erdachtes kartenhaus, dessen echtheit zunächst gar nicht nachgeprüft wurde.

aber sind es wirklich diese langsam immer stärker "abgenudelten" sätze von der "schlechten kindheit" oder inzwischen auch dem "migrations-hintergrund", als voraussetzung für diese art tödliche "ausraste" und verstrickungen gegen andere und gegen sich selbst...???

"vogelschiss"

auf alle fälle, herr gauland, ist die nazi-vergangenheit deutschlands kein einfach abwaschbarer "vogelschiss" in der deutschen geschichte - sondern es ätzt und rumort und giftet noch in den menschen, die auch generationen danach mit sich selbst nicht fertig werden können - und die wohl von wilden und eigenartigen träumen und auch realitätsverschiebungen verfolgt werden, die dann nach außen drängen - unbearbeitet und unverdaut und nicht integriert - höchstenfalls oberflächlich "abgespalten" und verdrängt.

und das ist dann auch jetzt wieder einmal mein ruf an die schulen: jetzt, wo die letzten augen- und zeitzeugen der schrecken und tragödien von damals immer weniger werden, nicht nachzulassen mit der umfassenden (!) aufarbeitung dieser kollektiven traumatischen belasungsstörungen im bewusstsein der bevölkerung - und das höchstenfalls nicht nur zum thema machen in den letzten ("frei")stunden direkt vor ferienbeginn - wenn bereits alle mit ihren gedanken anderswo sind - oder als eine art "denkmal" publizitätsträchtig einmal für die lokalpresse  - denn all diese belastungen und auch die ihnen aufgezwungenen taten unserer altvorderen "wirken" tatsächlich, wie es in der bibel steht, "bis mindestens in die dritte und vierte generation nach"... (Exodus 20)

aber das ist auch gleichzeitig mein ruf an die familien: arbeitet die familiengeschichte schonungslos und vollends auf ...: das ist nach meiner überzeugung die beste prophylaxe vor charakterlichen verirrungen zur einen oder zur anderen seite ... - 

und habt acht - gebt aufeinander acht, beo-acht-et genau - und geht achtungsvoll und in achtsamkeit mit euch und den altvorderen um - aber geht den dingen achtsam auf den grund: nicht in schuld & sühne - sondern eher als "ermittlungsbeamte" und "spurensicherung" - wie im "tatort" - das aufspüren bzw. annähern an "die ganze wahrheit" - an den unverfälschten subjektive kern...

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UPDATE

die "taz" schreibt heute u.a. dazu: 

Der Skandal spielt woanders

Klar, Hingst, die Holocaust-Hochstaplerin, ist ein Faszinosum. Wie konnte sie? Und nun: Was hatte sie? Aber der Skandal spielt eigentlich ganz woanders. Er liegt in der erschütternden Erkenntnis, dass sich Holocaust-Geschichte recht einfach fälschen lässt. Dass die fabrizierten Erinnerungen bei allen beteiligten Institutionen jahrelang unhinterfragt durchgekommen sind. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bei der Bloggerszene und bis hin zur Gedenkstätte Yad Vashem, die Einsendungen im guten Glauben annimmt. All diese Institutionen schaffen Wahrheit. In diesem Fall stützten sie gegenseitig eine Lüge. Für die Erinnerungskultur ist das eine Katastrophe.

Es wäre keine Option gewesen, weder für Doerry noch für irgendwen, eine Berichterstattung über all das einfach zu unterlassen. Die Hauptverdächtige dabei aus Rücksicht aus dieser Geschichte herauszuhalten, war wiederum auch nicht möglich. Sie stand ja mit ihren Geschichten in der Öffentlichkeit.


Was hingegen Marie Sophie Hingst psychisch gequält hat, und auf welche Weise sie nun ums Leben gekommen ist, das geht uns nichts mehr an. Die Geschichte muss ab sofort woanders spielen. Marie Sophie Hingst soll in Frieden ruhen können.
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auch wenn so ein trauriges ereignis unweigerlich bei mir dann auslöst, mitzuspekulieren, welche beweggründe frau hingst an der erfindung ihrer lebenslüge und jetzt für ihren viel zu frühen tod hatte, möchte ich mich daran nicht über gebühr beteiligen.

mich interessieren viel mehr die gesellschaftlichen kollateralschäden die falsche mitleids-influencer*innen und rechte pöbler und täter hinterlassen.

die taz hat recht: "für die erinnerungskultur ist das eine katastrophe" - und deshalb fühlte ich mich als autor des opferprotokolls meiner tante erna kronshage bereits in meiner ersten stellungnahme nach dem spiegel-artikel von doerry im mai/juni geradezu von solchen falschen aktionen mit "diskreditiert".

damals schrieb ich schon in meinem post dazu
gut, dass ich von anfang an mit meinen schon in die 80er jahre zurückreichenden recherchen dann vor gut 10 jahren direkt an die öffentlichkeit gegangen bin - und die relevanten echt vorhandenen beurkundungen dieses opferschicksals erst verschlüsselt, dann aber bald schon mit klarnamen, jeweils in den blogs und magazinen mit reproduziert habe - so dass sie sich von jederfrau oder jedermann in den angegebenen auch amtlichen quellen jederzeit tatsächlich auch verifizieren und überprüfen lassen. 
bei diesen von den nazi's und allen beteiligten und deren helfern wie am fließband industriell und kleinteilig aber zum kriegsende hin immer weniger bürokratisch betriebenen massentötungen mit anschließender vernichtung der unterlagen dazu, ist dazu eine äußerst diffizile puzzle-arbeit vonnöten.
und heute würde ich hinzufügen: diese eben nur zum teil geglückten vertuschungsversuche der nazis kurz vor kriegsende führen eben leider auch dazu: "dass sich holocaust-geschichte [= und auch ns-euthanasie-opfergeschichte] recht einfach fälschen lässt ..." - wie die taz das schreibt und an die tatsächliche historie relativ hilflos ausliefert...

gesellschaftlich zeigen sich für mich dabei - 80 jahre danach - zwei diametral zueinander sich gruppendynamisch bildende schon oben erwähnte "drama-triaden" ab (die übereinander gelegt zufällig sogar einen judenstern ergeben...):

  • einmal die der eingebildeten "opfer" - und 
  • einmal die der erneut verführten rechtsradikalen nachahmer-täter, 


wobei beide aktions"bündnisse" scheinbar jeweils irgendeinen lustgewinn in den jeweiligen rollen"spielen" produzieren, der dann suchtcharakter und pathologische züge annehmen kann, wie alles, was irgendwie lustgeprägt daherkommt.

es gibt noch viel zu tun - aber bis dahin müssen wir wohl damit leben - und achtgeben ...



tödliche verstrickungen

click here = ausriss aus dem sinedi-blog 31.05./01.06.2019



direkt in den ersten juni-tagen dieses sommers nahm ich hier in diesem blog stellung zu einem "spiegel"-beitrag über die in dublin/irland wohnende deutsche bloggerin marie-sophie hingst, die in ihrem blog seinerzeit von identitäten berichtete, wobei sie jüdische familienmitglieder und verwandte aus dem nichts erfand, die angeblich alle im holocaust umgebracht wurden - und sie hat sogar ein paar dieser erfundenen identitäten ins jüdische dokumentationszentrum yad vashem eingereicht, um sie als holocaust-opfer zu benennen und beurkunden zu lassen.

all diese angaben waren falsch und erdacht, wohl nur um eindruck zu schinden, wie die recherchen des spiegels zweifelsfrei ergaben.

frau hingst stritt das aber gegenüber dem spiegelredakteur martin doerry vehement ab - und sprach davon, sich einen anwalt zu nehmen, um all diese "story's" richtigzustellen, die maßgeblich ihren blog füllten und von vielen followern geteilt wurden - und die ihr mitgefühl aussprachen.

über diesen anwalt ließ frau hingst dann erklären, sie habe in ihrem blog "erhebliche schriftstellerische freiheiten" walten lassen.

dass sie damit aber menschen verletzt habe, die tatsächlich als nachfahren der ermordeten ns-opfer noch litten und trauerten, täte ihr leid...

schon damals schwante mir nichts gutes und das alles klang doch sehr pathologisch - und ich schrieb u.a. in meinem post dazu:
doch im spiel mit (er- und gefundenen) identitäten balanciert man auch gemeinhin immer auf dem drahtseilakt zwischen "genie & wahnsinn" entlang: wenn das rollenspiel pathologisch ausartet und man wie in der schizophrenie den inneren identitätshalt ganz verliert oder vergisst und nicht mehr aufgefangen wird - und nicht mehr weiß, wer man ist: so lässt sich in den psychiatrie-diagnosen zum verhalten von frau hingst auch eine "artifizielle störung" ausmachen, die man treffend mit "münchhausen-syndrom" bezeichnet - aber ein solches verhalten gibt es ansatzweise auch bei der "borderline"-persönlichkeitsstörung (bps). doch ich will hier nun nicht laienhaft herumstochern - denn mit einer einschlägigen diagnose würde ja frau hingst sogar noch entlastet - etwa im sinne von "sie konnte ja gar nicht anders"...
heute lese ich nun im berliner "tagesspiegel" folgende nachricht:
Umstrittene Historikerin  
Bloggerin Marie Sophie Hingst offenbar tot 
Sie gab sich als Nachfahrin von Holocaust-Opfern aus – obwohl sie keine jüdischen Verwandten hatte. Sie schickte Shoah-Akten an die israelische Gedenkstätte Yad Vashem – doch die hatte sie gefälscht. Hunderttausende lasen ihre Texte – und hielten sie für real. Für ihren besonderen literarischen Stil wurde sie zur Bloggerin des Jahres gewählt, bis der Preis ihr wieder aberkannt wurde. Marie Sophie Hingst schuf sich eine eigene Wahrheit. Sie flog auf. Nun ist sie mit nur 31 Jahren gestorben. Über die genaue Ursache ihres Todes gibt es von offizieller Seite bisher keine Angaben. Darüber berichtet hatte die „Irish Times“ in einem ausführlichen Porträt.

Der Autor der „Irish Times“ zeichnet darin das Bild einer Frau, die schwere psychische Probleme hatte. Bei einem Treffen am Wannsee habe Hingst ihm gegenüber trotz allem an ihrer Version der Geschichte festgehalten, sie habe sogar einen Judenstern aus Stoff präsentiert, der angeblich von ihrer Großmutter stammt, die in Auschwitz gewesen sein soll. Als der Reporter bei Hingsts Mutter angerufen habe, widersprach diese ihrer Tochter. Es gebe keine jüdische Vergangenheit in der Familie. Von den 22 Biografien, die Hingst an Yad Vashem geschickt hatte, existierten 19 überhaupt nicht.

Herausgefunden hatte das im Mai ein Journalist des „Spiegel“. Der Reporter hatte Hingst für seine Recherche in Dublin getroffen, wo sie lebte, und sie mit den Vorwürfen konfrontiert. An der Recherche war auch die Berliner Historikerin Gabriele Bergner beteiligt, die auf Unstimmigkeiten in Hingsts Blog aufmerksam geworden war. Die Bloggerin stritt die Vorwürfe zunächst ab, nahm sich später jedoch einen Anwalt und berief sich auf die Freiheit der Literatur. Sie habe „ein erhebliches Maß an künstlerischer Freiheit für sich in Anspruch genommen“. Zahlreiche Medien, darunter auch der Tagesspiegel, hatten im Anschluss über den Fall berichtet und Hingst für ihr Handeln kritisiert. „Sie scheint den Nimbus der Opferrolle gesucht zu haben“, hieß es in dieser Zeitung. Bei Twitter wurde der Hashtag #readonmyfake populär. Das Erfinden falscher jüdischer Identitäten sei eine Beleidigung und eine Respektlosigkeit gegenüber denen, die die Judenverfolgung wirklich erleben mussten, lautete der Tenor.

Hingst hatte "mehrere Realitäten

Hingst schien die Aufmerksamkeit fast zwanghaft zu suchen. So hatte sie in den vergangenen Jahren Artikel veröffentlicht, wonach sie angeblich eine indische Klinik aufgebaut und in Deutschland als Sexualtherapeutin für Flüchtlinge gearbeitet hatte. Das stellte sich ebenfalls als erfunden heraus. Hingsts Mutter wird in der „Irish Times“ zitiert, ihre Tochter habe „mehrere Realitäten. Ich habe nur zu einer Zugang“. Auch der „Spiegel“-Journalist hatte nach einer Begegnung mit der Bloggerin im Mai befunden: „Marie Sophie Hingst hat sich in eine Parallelwelt hineinfantasiert“, an die sie zuweilen sogar selbst geglaubt habe.

Während des Treffens mit dem Reporter der „Irish Times“ hatte Hingst gesagt, sie fühle sich, als sei sie vom „Spiegel“ „lebendig gehäutet“ worden. Auf Nachfrage des Tagesspiegels teilte der Verlag mit, man bedauere den Tod der Bloggerin, beim Gespräch in Dublin habe sie jedoch „einen konzentrierten, souveränen und keineswegs psychisch angegriffenen Eindruck“ gemacht. Hingst habe dem Magazin zwar mit rechtlichen Schritten gedroht, die aber offenbar nicht eingeleitet. Weiter hieß es in der Stellungnahme, man werde sich an „einer öffentlichen Diskussion über die Ursachen und Hintergründe des Tods“ nicht beteiligen.

Wie weit geht die journalistische Pflicht zur Aufklärung?

Hingsts Arbeitgeber in ihrer Wahlheimat Irland, die Computerfirma Intel, hatte sie laut dem Bericht der „Irish Times“ nach Bekanntwerden der Vorwürfe nicht entlassen, sondern ihr angeboten, sich hausintern psychologische Hilfe zu holen. Diese habe sie wohl auch angenommen. Die „Irish Times“ berichtet, die 31-Jährige habe sich vermutlich das Leben genommen. Sie wurde am 17. Juli tot in ihrem Bett gefunden, ein Autopsiebericht steht noch aus, es habe jedoch keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung gegeben. Sophies Mutter habe laut dem Bericht sofort Selbstmord vermutet.

Der Fall warf schnell die Frage auf, wie weit die journalistische Pflicht zur Aufklärung geht. Erste Kommentatoren im Internet schrieben, für psychisch Kranke müsse es besondere Sorgfalt geben. Eine Frage, die schon einmal aufgekommen war, vor nicht allzu langer Zeit. Ende 2018 war öffentlich geworden, dass „Spiegel“-Reporter Claas Relotius systematisch Geschichten gefälscht hatte. Ein notorischer Schwindler, der die Glaubwürdigkeit nicht bloß des Magazins, sondern des Journalismus insgesamt beschädigte. Auch damals wiesen viele Kommentatoren auf die Fürsorgepflicht hin, die gegenüber dem Beschuldigten gelten müsse. Kann jemand, der so labil ist, dass er sein gesamtes Umfeld täuscht, derart massive Kritik aushalten?

Doch was wäre die Alternative gewesen? Nicht aufklären, aus Rücksicht auf die junge Autorin? Hingsts Mutter warf dem „Spiegel“-Reporter vor, er habe „hinter den Fakten die Person nicht gesehen“.
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als "konsument" und leser des "spiegel"-berichtes über frau hingst damals ende mai/anfang juni war ich natürlich zunächst wütend über so viel unverfrorene flunkerei und irreführung - aber menschen, die frau hingst näher kannten - und die von ihren realitätsverschiebungen wussten oder sie ahnten, haben hier doch wohl eine eigentlich angezeigte hilfeleistung unterlassen.

warum man von seiten ihrer familie und ihrer angehörigen und freunde nun nicht professionellerseits bei dieser hanebüchenen geschichte maßnahmen ergriff, um sie offensichtlich hilfsbedürftig nun therapeutisch wieder aufs "rechte gleis" zu setzen - in ihren verirrungen und offensichtlichen verwirrungen von erdachten fakes - ist mir insgesamt ein rätsel. eigentlich sind solche pathologischen realitätsverschiebungen durchaus therapierbar, schreibt "irish times" - und nur ihr arbeitgeber hatte ihre eine interne hilfe angeboten, die sie nun aber nicht mehr abgeschlossen hat.

dann hätte nämlich nach einer therapie der behandelnde therapeut und der anwalt auch eine richtigstellung mit dem einverständnis von frau hingst veröffentlichen können - und das leben wäre ja irgendwie weitergegangen...

aber: "hätte - hätte - fahrradkette" ...

dem redakteur des nun sehr einfühlsamen porträts der "irish times", derek scally, hat frau hingst kurz vor ihrem ableben offenbart:
"Ich bin etwas eifersüchtig auf alle Menschen, die wussten, was sie tun wollten, die wussten, dass Wörter zu ihnen gehören", schrieb sie. „Ich bin immer nur ein gieriger Dieb, voller Hunger nach Worten. Und wie Sie und die ganze Welt sehen können, ist es nicht gut gelaufen.“ 
"irish times" berichtet, frau hingst würde am 31.07.2019 in wittenberg beigesetzt.

mir tut das tragische ende dieser entwicklung und dieser allseitigen verirrung leid.

„In der Kunst wird Obsession Gott sei Dank honoriert“ - photo-kunst von michael wolf


M I C H A E L   W O L F  1954-2019

 

click here zu michael wolf photography - website


In der urbanen Pendlerhölle

Die Urania Berlin debütiert als Kunstausstellungsort. Mit der Retrospektive „Life in Cities“ samt Bildern aus Hongkong und Tokio würdigt sie den jüngst verstorbenen Fotografen Michael Wolf

Von Gunda Bartels | Tagesspiegel


Durch das Foyer, über den Hof und hinauf in den zweiten Stock. Ein Leitsystem in leuchtendem Orange weist in der Urania Berlin den zuvor nie beschrittenen Weg. Sie führen in lichte, mit Parkett ausgelegte Räume. Jahrelang vermietet an ein Konsulat, werden sie jetzt erstmalig bespielt. Mit künstlerischer Fotografie, genauer: mit einer Werkschau des im April verstorbenen Michael Wolf.



Kunst in der Urania? Das ist neu in der ehrwürdigen, 1888 als Verein zur wissenschaftlich-technischen Laienbildung gegründeten Institution. Die Idee stammt von Direktor Ulrich Weigand, der vor seinem Amtsantritt im letzten Jahr am Bauhaus-Archiv beschäftigt war, und neue Sitten ins Traditionshaus bringt.

Die Fotografien von Michael Wolf seien die erste Wahl für die Premiere gewesen, sagt Kuratorin Lena Lucander, die vor Wolfs plötzlichen Tod im Alter von 64 Jahren noch mit ihm zusammen an der Retrospektive gearbeitet hat. „Er hat sich spontan dafür begeistert, dass seine Bilder bei freiem Eintritt an einem ohne Hemmschwelle für jedermann zugänglichen Ort gezeigt werden sollen.“ Nicht im üblichen Kunst- oder Museumskontext also, in dem der zweimalige Gewinner des World Press Photo Awards mit seinen Bildern vom Metropolitan Museum of Art in New York bis zum Rijksmuseum Amsterdam sonst vertreten ist.

Die Serie „Tokyo Compression“ (2010-2013) hat Michael Wolf von außen auf einem U-Bahnhof fotografiert.© MICHAEL WOLF, COURTESY WOUTER VON LEEUWEN GALLERY, NETHERLANDS



Tatsächlich sind Michael Wolfs Bilder aus Megastädten wie Hongkong oder Tokio das ideale Bindeglied zwischen der Kunst und der Funktion der Urania als Bürgerforum und interdisziplinärer Wissensvermittlungsstätte. Über Urbanität wird genau hier diskutiert. Und die angestammten Berliner Ausstellungsorte für künstlerische Fotografie wie C/O Berlin, das Haus am Kleistpark und andere kommunale Galerien werden die Erweiterung im Veranstaltungsspektrum der Urania mit Fassung tragen.

Dort pressen Pusher die Pendler in gestopft volle Züge.
© MICHAEL WOLF, COURTESY WOUTER VON LEEUWEN GALLERY, NETHERLANDS



Das glaubt jedenfalls Lena Lucander, die für „Life in Cities“ eng mit dem Fotomuseum Den Haag und den Hamburger Deichtorhallen zusammengearbeitet hat, wo die Schau zuvor zu sehen war. Allein aus Budgetgründen sei es der Urania gar nicht im Alleingang möglich, ständig kostenlos zugängliche Ausstellungen dieser Größenordnung zu zeigen, sagt sie. Das Zauberwort der Zukunft heißt Kooperation. „Life in Cities“ hat die Lotto-Stiftung möglich gemacht.

Ein Hochhaus in Hongkong, wo die Serie „Architectur of Density“ (2003-2014) entstand. Von 1994 an hat der Fotograf dort gelebt und lange für Magazine wie „Stern“ und „Geo“ fotografiert.
© MICHAEL WOLF, COURTESY WOUTER VON LEEUWEN GALLERY, NETHERLANDS



Und natürlich nehmen zwei berühmte Serien des 1954 in München geborenen, in Kalifornien aufgewachsenen und an der Folkwang-Hochschule in Essen beim Fotografie-Doyen Otto Steinert ausgebildete Wolf breiten Raum ein: „Architecture of Density“ (2003-2014), in der er die Fassaden der Hochhäuser in seiner Wahlheimat Hongkong zu Ornamenten und von Piet Mondrians Malerei inspirierten Farbflächen verdichtet. Und die peinigende Serie „Tokyo Compression“ (2010-2015), die die vom Bahnsteig aus fotografierten, eingequetschten Passagiere der gestopft vollen Tokioter U-Bahn zeigt. Einige kleben wortwörtlich an den Scheiben, andere haben noch einige Zentimeter Luft. Das von Michael Wolf als Weichzeichner eingesetzte Kondenswasser des Monsuns und die Demutshaltung der Menschen verleiht den Bildern die Kraft eines religiösen Freskos. Da stehen sie, die Märtyrer der urbanen Pendlerhölle.

Die Ausweg- und Endlosigkeit dieser menschengemachten Umgebung findet sich auch in Michael Wolfs Hongkonger Hochhaus-Panoramen wieder. Sie folgen einem Konzept: Wolf „plättet“ die Fassade, in dem er Erde und Himmel abschneidet. Das schafft den schön-schaurigen abstrakten Sog, der von den großformatigen, einzeln im Raum verteilten Fotografien ausgeht. Dass in der Urania der Blick durch die offenen Fenster schweifen und sich am Grün der Bäume und dem Blau des Himmels erfreuen kann, hinterfragt den auf maximale Verdichtung angelegten Städtebau der Megacitys noch zusätzlich.

Michael Wolf hat sein Fotoreporterleben als Dokumentarist sozialer Zustände erst spät, nämlich 2003 aufgegeben, um sich anschließend nur noch eigenen Serien und Fotobüchern zu widmen. Dass das so nahtlos geklappt hat, ist seiner raffinierten Bildsprache und seiner Arbeitswut zuzuschreiben. „In der Kunst wird Obsession Gott sei Dank honoriert“, war eins seiner Lieblingszitate. Dass Wolf auch ein leidenschaftlicher Sammler kurioser, vom Einfallsreichtum der Armen erzählender Gegenstände war, ist den „Bastard Chairs“ anzusehen.

Das sind ulkige selbst gebastelte Sitzgelegenheiten, die Wolf gefunden oder ihren darüber oft stark erstaunten chinesischen Besitzern abgekauft hat. Im Gegensatz zu den in Paris oder Chicago entstandenen Serien könnte man bei denen in Hongkong und Tokyo fotografierten auf die Idee kommen, dass Wolf das Klischee „asiatischer Ameisen in ihren Wohnsilos“ ausbeutet. Doch der Blick auf seine neben die kauzigen Stühle gehängten Ansichten der „Back Alleys“ genannten Gassen von Hongkong reicht, um das zu widerlegen. Da tanzen aufgehängte Gummihandschuhe im Wind, Wischmopps und Schirme verwandeln sich in wunderliche Skulpturen. Witzig sind diese Bilder, dazu poetisch und eine Verbeugung vor dem menschlichen Einfallsreichtum.


  • Urania Berlin, bis 14. August, tgl. 12-20 Uhr, jeden So 16 Uhr Führung. Das Katalogbuch „Works“ (Peperoni) kostet 60 €.

Michael Wolfs Serie "Transparent City" (2006) bietet Einblicke in Chicago bei Nacht. Einer schaut zufällig Hitchcocks "Fenster zum Hof".
© MICHAEL WOLF, GALERIE WOUTER VON LEEUWEN, NETHERLANDS







VIDEO MICHAEL WOLF ÜBER THE REAL TOY STORY




ich habe leider erst jetzt - nach seinem plötzlichen tod - diese bilder von michael wolf im tagesspiegel entdeckt - und bin natürlich gleich dieser entdeckung etwas nachgegangen - was du hier auch mit den links und den arbeiten und videos mit verfolgen kannst.

mich haben diese frontalen entlarvenden blicke und themen all dieser arbeiten sehr angesprochen - und es ist eigentlich schade, jetzt nach dem ableben vor einem fertig vollendeten oeuvre zu stehen, denn in seiner postmodernen diversität hätte uns wolf sicherlich noch einiges zu zeigen und näherzubringen - zumal er als kosmopolit auch seinen photographischen blick über alle grenzen schicken konnte - und uns diese ein- und umblicke und diese im wahrsten sinne der bedeutung zusammengepferchten "im-pressionen" zum beispiel in der serie "tokyo-compression" mitteilen konnte:

der an die scheibe verpresste fahr"gast" an der von innen beschlagenen fensterscheibe der vollgepressten u-bahn zeigt ja im augenblick des schnappschusses mit dem sich niedergeschlagenen atem und oder den ungefilterten ausdünstungen der vielen mitfahrenden menschen, warum er nun einen atemschutz trägt - nämlich um sich genau davor zu bewahren. 

und die staubbelastungen in tokyo und anderen asiatischen großstädten ist sicherlich höher als bei uns - und damit die ozon- und co²-belastung jedes einzelnen.

wenn also ein photograph diesem abgenudelten satz: "ein bild sagt mehr als 1000 worte" nun alle ehre macht, dann ist das sicherlich michael wolf, der ja auch schon einige bedeutende kunst-awards für seine arbeiten einsammeln durfte.


  • video-teaser zu eine ausstellung noch zu wolfs lebzeiten in den hamburger deichtorhallen:


beckmann

beckmann . sinedi.art | XXL = CLICK TO "SINEDI.AB.ART.IG


auf seinem passbild
hab ich ihn fast nicht
wiedererkannt
er wollte den flieger noch kriegen 
und ich war die security
und vor jahren gingen wir
in die gleiche klasse
und nachbarn warn wir auch
er hatte sich verändert
in all den jahren
er war ernster geworden
und seine stirn höher
und seine legendären
blumenkohlohren hat er sich
bestimmt richten lassen
mensch beckmann, sagte ich noch
aber er guckte mich nur an
und murmelte: so heiß ich nun mal ...
da kann man auch nichts machen
also - wenn sie mich fragen:
der beckmann von früher
war das nicht ...
und doch: auch die gesichts-
erkennungs-software meinte:
es sei eindeutig
beckmann


sinedi

der abdruck und die verantwortung

„Robinson Crusoe“ Die Spur im Sand

Von Peter von Becker | Tagesspiegel


Was hat das Kultbuch „Robinson Crusoe“ mit der Mondlandung gemeinsam? Eine Sehnsucht und eine Furcht des Menschen. 

Was ist die Ikone der jetzt noch einmal weltweit erinnerten Mondlandung vor fünfzig Jahren, was ihr stärkstes Inbild? Amerikaner vom Schlage Trumps würden natürlich das Hissen des US-Fähnchens auf dem Erdtrabanten nennen: als Ausdruck des patriotischen Stolzes und einer symbolischen Inbesitznahme.

Letztere war allerdings nicht die Absicht der beiden Astronauten Armstrong und Aldrin, die ihren Erfolg ja bewusst der ganzen „Menschheit“ widmeten. Und zum bleibenden Bildzeichen wurde auch nicht das Banner, vielmehr sind es die Fußspuren der beiden Raumfahrer im Mondsand. Ihr Abdruck ist der so unheimliche wie im physischen Detail fast rührende Ausdruck, dass der Mensch tatsächlich einen fremden Planeten betrat.

Schuhsolenabdruck im Mondstaub am 21.Juli 1969


Die Spur im Sand. Oder im Schnee. Das kleine große Faszinosum. Denn der sehende, denkende Mensch ist immer auch ein Spurenleser. Ein Detektiv auf der Fährte. Und tauchen ganz unbekannte Spuren auf, so regt das die Fantasie besonders an. Seit Langem geistert durch den Himalaja die Fama des „Yeti“. Gesehen und dokumentiert hat diesen behaarten „Schneemenschen“ noch niemand, aber seine angeblichen Fußspuren bewegen bei vielen die Vorstellung, Sehnsucht oder Furcht, dass da irgendwo noch „ein Anderer“ existieren könnte.



Indem er ebendieses Motiv zu einer Schlüsselszene gemacht hat, ist Daniel Defoe (ca. 1660–1731) mit seinem Buch „The Life and Strange Surprizing Adventures of Robinson Crusoe“ ein Geniestreich gelungen. Der zumeist nur kurz „Robinson Crusoe“ genannte Roman eines schiffbrüchigen englischen Seemanns, der 28 Jahre auf einer einsamen Insel vor der südamerikanischen Küste überlebt, ist 1719 erschienen. Zum zweihundertjährigen Jubiläum gibt es nun eine Neuübersetzung von Rudolf Mast im Hamburger mare-Verlag (415 Seiten, 42,- Euro). Sie ist viel beachtet worden, auch im Tagesspiegel vor drei Monaten. Das geschah freilich nicht überall ganz vorurteilsfrei. Denn seit mehreren Jahren wird das einstige Kultbuch – das die meisten von uns wohl nur in verkürzten, für junge Leser bearbeiteten Fassungen kennen – mit Blick auf aktuelle Debatten über Kolonialismus, Rassismus, politische Korrektheit beargwöhnt.

So zeichnete der tschechische Künstler Walter Paget den Schiffbrüchigen Robinson Crusoe.



Ende der Einsamkeit

Natürlich gibt es in der im Ganzen vortrefflichen Neuübertragung durch Rudolf Mast das „N“-Wort nicht mehr. Die Geschichte spielt ja zur Zeit der europäischen Besiedlung und Ausbeutung Südamerikas und des Sklavenhandels vor allem zwischen Afrika und Brasilien. Auch Daniel Defoes Ich-Erzähler Robinson Crusoe betrieb eine Farm in Brasilien, mit einheimischen Arbeitskräften. Trotzdem spricht Defoe durch den Mund seiner Figur sich entschieden gegen die Grausamkeiten bei der Eroberung Mittel- und Südamerikas aus. Er plädiert für den Respekt vor Eingeborenen, auch vor deren religiösen, manchmal kannibalistischen Bräuchen. Natürlich schildert Robinson deswegen auch seine Furcht vor den in der Neuübersetzung durchweg als „Wilde“ bezeichneten Indigenas, die seine ansonsten unbewohnte Insel im Atlantik nahe der Mündung des Orinoco bisweilen heimsuchen. Doch indem er etliche von ihnen tötet, rettet er eben auch: Freitag. Den jungen Indianer nennt er so, weil er an einem Freitag nach 15 Jahren Einsamkeit plötzlich dessen Fußabdruck am Strand entdeckt hatte. Heutige Kritiker*innen bemäkeln, dass ihn Robinson bei den ersten Verständigungsversuchen „nicht nach seinem eigenen Namen gefragt habe“. Doch der Roman stammt von 1719 – und der Name Freitag ist so zu einer weltliterarischen Suggestion geworden. Robinson und Freitag, das ist ein universelles Paar. Schwach wirkt eher, dass Freitag nach Robinsons Rettung und Rückkehr nach Europa als Figur (und Mensch) einfach verloren geht. Doch entscheidend und viel toller ist etwas anderes. Man stelle sich nur vor, auch wir fänden irgendwann eine Spur im Sternenstaub. Sie bedeutete dann nicht wie für Robinson auf seinem Eiland das Ende der Einsamkeit. Sie hieße, kaum auszudenken und doch ein Gänsehautgedanke beim Blick ins All: „Wir sind nicht allein.“

neulich erst hat eine studie belegt, dass der mensch zu 97 prozent aus "sternenstaub" besteht, also 97 % aus elementen, die wohl ursprünglich nicht auf dieser erde waren, sondern aus den tiefen des alls hier auf der erde im wahrsten sinne des wortes "aufgeschlagen" sind. 

diese elemente wie kohlenstoff, wasserstoff, stickstoff, sauerstoff, phosphor und schwefel, aus denen sich unser körper hauptsächlich zusammensetzt, sind in der mitte unserer milchstraße reichlich vorhanden. sie entstanden in ferner vergangenheit im inneren von sternen und haben uns nach einer langen interstellaren reise erreicht, um das aus uns zu machen, was wir heute sind – menschen.

also ist diese fußabdrucks-metapher, die so ein eigenartiges gefühl in uns auslöst - fast wie ein archetyp, ein ur-sinnbild - über alter, zig generationen, geschlecht, personen, hautfarbe und nationen hinausgehend - fest in uns verankert - was uns in "eigenartiger" weise anzeigt, wie wir interstellare hin- und-her-reisende in raum & zeit sind - körperlich zusammengesetzt aus den komponenten der milchstraße - und nach unserem leben zerfällt dieser körper wieder in all diese bestandteile: auf ein neues - in anderer zusammensetzung und identität ...

aber dieser "natürliche" bereits millionen jahre anhaltende entwicklungs-kreislauf ständig er"neu"erbarer wiederkehr und reproduktion kann durch allgemeine sich entwickelnde unachtsamkeiten eine delle bekommen und schließlich in einem allmählichen von menschen angezettelten und weitergegebenen prozess zum stillstand allen menschlichen lebens wie wir es meinen zu kennen führen, wenn wir so "mir nichts dir nichts" einfach vor uns hin weiterwurschteln - wohlgemerkt: das ist unsere "natürliche" körperliche, in der bibel "fleischlich" genannte befindlichkeit - und die sagt noch nichts über unsere seelischen befindlichkeiten aus ...

die metapher des "fußabdrucks" wird vielleicht deshalb auch zitiert beim bild des sogenannten "ökologischen fußabdrucks": diese idee hatten die wissenschaftler mathis wackernagel und william rees in den 90er jahren. sie haben ein buchhaltungssystem für die umweltressourcen unserer erde entwickelt.

hierbei wird auf der angebotsseite gemessen, was der "blaue planet" zu bieten hat an vegetativer und geologischer beschaffenheit in seiner unterschiedlichen „biologischen produktivität“.

auf der nachfrageseite wird berechnet wie viel biokapazität die menschen nutzen und ver- und gebrauchen. 

mit dem "ökologischen fußabdruck" kann man angebot und nachfrage jeweils berechnen und miteinander vergleichen: 
  • wieviel natur haben wir? 
  • wieviel brauchen wir? 
  • und wer nutzt wieviel? 
heißt also: hinterlassen wir eine tiefe unausgleichbare spur - oder lässt sich unser hiersein kaum wahrnehmen?

aber: seit den 80er jahren verbraucht die weltbevölkerung mehr biokapazität als die ökosysteme dauerhaft bereitstellen können. wir leben in und mit der natur auf pump - und die oben apostrophierte "delle" ist bereits da...

will also - um im bild zu bleiben - sagen: dass jede(r)* von uns eine tiefe sichtbare fußspur auf diesem planeten hinterlässt und "abgräbt", die sich nicht einfach wieder verwischen und ausgleichen lässt.
  • also auf der einen seite gibt uns die spur im sand wie bei robinson das gefühl einer gewissen "geborgenheit", die vielleicht einsamkeit zudeckt und sehnsucht und liebe befriedigt: ich bin nicht allein und mit mir sind andere - auf dieser welt oder sonstwo und sonstwie - 
  • auf der anderen seite hinterlässt die spur ein flaues und ungutes gefühl: wem nehme ich etwas weg - und wo (be)hindere ich auch indirekt anderes leben und vegetation - und wie kann ich meine "öko-bilanz", meinen "fußabdruck", abmildern und ausgleichen.
die schulen fangen wohl erst nach und nach an, das als lebensaufgabe und lebensziel mit in den blick zu nehmen - aber nicht nur die schulen und die ausbildungsstätten, sondern die gesamte erziehung muss hierfür ein empfinden entwickeln: ein empfinden für diese verantwortung für das leben ...= heißt verkürzt: eine adäquate antwort finden ...!!!

der fußabdruck im sand ist also eine herausforderung: du lebst nicht allein - und du trägst damit nicht nur für dich allein verantwortung - du musst verantwortung übernehmen - auf dich nehmen ...

und nix für ungut - und chuat choan... 




es fehlt der weltraum-müll- und receycel-container - oder sind das etwa die "schwarzen löcher" ???

ASTRONOMIE ???


Astronomen warnen vor zu vielen Satelliten


Von Simon Sachseder | WELT.de

Kennen künftige Generationen die Sternbilder nur noch aus Anekdoten? Astronomen warnen: Wo heute am Firmament die Sterne funkeln, werden künftig nur noch Satelliten zu sehen sein. Es geht um weit mehr als romantische Himmelsbeobachtungen.

Etwa 5000 funktionsfähige und ausgediente Satelliten fliegen derzeit auf verschiedenen Umlaufbahnen über der Erde. Manche sind nur wenige Zentimeter groß und gehören einer Universität, andere sind riesig – wie das US-Abhörmonster „NROL-32“ , dessen Antenne einen Durchmesser von 100 Metern haben soll.

Bald könnten es mehr Satelliten werden – sehr viel mehr. Das wurde spätestens Ende Mai klar, als Elon Musks Raketenfirma SpaceX für ihr geplantes weltumspannendes Internet-Netz 60 Satelliten in den Orbit schoss. Die Satelliten gehören zum Projekt Starlink, das in den kommenden Jahren aus bis zu 12.000 Satelliten bestehen könnte.

Das erdumspannende Netz soll künftig auch entlegene Erdregionen mit schnellem Internet versorgen. Astronomen befürchten aber, dass die vielen Objekte den Nachthimmel verschmutzen – ihre schiere Zahl könnte Sternbeobachtungen dann deutlich erschweren.

Mit SpaceX vervielfacht sich die Zahl der Satelliten

Allein die Pläne von SpaceX würden die Zahl der am Himmel schwirrenden Satelliten vervielfachen – und auch andere Betreiber haben ambitionierte Ideen. Staaten, Forschungseinrichtungen und Firmen planen inzwischen Minisatelliten von Tennisball- bis Kühlschrankgröße, die in der Summe „eine hohe Anzahl“ ergeben können, wie es beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) heißt.

Die Vereinigung der Sternfreunde (VdS) in Heppenheim hat die Sorge, dass der Nachthimmel irreparabel entstellt werden könnte: „Mit Zehntausenden zusätzlichen Objekten in der Erdumlaufbahn ist es kein unrealistisches Szenario mehr, dass am Nachthimmel mehr über das Firmament ziehende Satelliten als Sterne zu sehen sind“, mahnt die Organisation. „Dies könnte unser Bild des Nachthimmels, der die Menschheit seit Anbeginn begleitet, für immer verändern.“ Ähnlich äußerte sich die Präsidentin der American Astronomical Society (AAS), Megan Donahue.

Besorgt ist auch die Internationale Astronomische Union (IAU), ein weltweiter Zusammenschluss von Astronomen mit Sitz in Paris. Denn selbst wenn viele Satelliten mit bloßem Auge nicht sichtbar wären, so könnten doch die großen, zum Teil gerade im Bau befindlichen Teleskope empfindlich gestört werden. Das gelte nicht nur für Licht, sondern auch für Radiofrequenzen. Laut IAU war das im April veröffentlichte erste Bild eines Schwarzen Loches nur möglich, weil die störenden Funkstrahlen von Satelliten nicht zu stark waren – das könnte sich mit Starlink und Co ändern.

Neben SpaceX plant auch das Kommunikationsunternehmen Oneweb zusammen mit Airbus sogenannte Satellitenkonstellationen – also Anordnungen von Satelliten für ein gemeinsames Ziel. Im Februar hatte eine Sojus-Rakete die ersten 6 von letztlich mehr als 600 Oneweb-Satelliten ins All befördert. Auch Amazon tüftelt an einem eigenen Projekt.

Das DLR sieht bei Satelliten im erdnahen Orbit einen „signifikanten Wachstumsmarkt“. In Deutschland gebe es zwar keine Firma, die ähnlich wie SpaceX ein Internet aus dem All plant. „Um eine Megakonstellation wie von SpaceX propagiert zu starten, benötigt man eine große Summe Eigenkapital und ein gutes Geschäftsmodell“, antwortet das DLR auf Anfrage. Es gebe aber mögliche deutsche Zulieferer. So entwickle die baden-württembergische Firma Tesat kleine Laserterminals, über die Satelliten miteinander kommunizieren können. Bei der optischen Freiraum-Kommunikation im Weltraum sei Deutschland weltweit führend.

John Stanmeyer/ VII/ National Geographic - world press photo award 2014


Mehr Satelliten bedeuten aber nicht nur mögliche Einschränkungen für Sternbeobachter, sondern auch mehr Weltraumschrott. Die Europäische Weltraumorganisation (Esa) geht schon jetzt von 934.000 Fremdkörpern aus, die um die Erde schwirren und größer als ein Zentimeter sind. Satelliten in niedrigen Umlaufbahnen fliegen teils mit 28.000 Kilometern pro Stunde. „Bei diesen Geschwindigkeiten kann der Einschlag eines – selbst kleinen – Partikels auf den Satelliten eine unglaubliche Zerstörungswucht entfalten“, sagt der Leiter des Esa-Büros für Raumfahrtrückstände, Holger Krag.

Klein heißt hier tatsächlich winzig: Bereits staubkorngroße Objekte können auf der Außenhülle eines Satelliten sichtbare Krater schlagen. Schon ab einem Millimeter Größe wird es gefährlich. „Besonders empfindliche Teile könnten dabei bereits kaputtgehen“, sagt Krag, der in Darmstadt arbeitet. Ab einer Größe von einem Zentimeter kann man davon ausgehen, dass der Satellit nach dem Zusammenstoß nicht mehr funktioniert. „Die Energie, die dabei freigesetzt wird, entspricht ungefähr der Wirkung einer explodierenden Handgranate.“ Ist das Schrottteil mehr als zehn Zentimeter groß, wird der getroffene Satellit zertrümmert – und verschmutzt den Orbit mit weiteren Teilen.

„Wir gehen jetzt schon von einer Kollision alle fünf Jahre aus“, sagt der Esa-Experte. Dabei meint Krag einen großen Zusammenstoß, bei dem tausend oder mehr Trümmerteile freigesetzt werden. Solche Teile bleiben ebenfalls im All und können wiederum neue Kollisionen auslösen – solche Kaskaden wurden bereits in den 70er Jahren als Kessler-Syndrom beschrieben.

Die Internationale Raumstation ISS musste bereits mehrfach Weltraumschrott durch Kursmanöver ausweichen – und einmal durchschlug ein Splitter ein Sonnensegel. Die Esa betreibt 20 Satelliten – und hat mit mehreren hundert Kollisionswarnungen pro Tag zu kämpfen. „Wenn jetzt einer mehrere tausend Satelliten betreibt“, sagt Krag mit Blick auf Starlink und Co, „dann ist das aus meinen Augen ein nicht mehr überschaubarer Aufwand.“ Derzeit entscheiden noch Menschen über jedes Ausweichmanöver – künftig müsste das automatisiert passieren.

Die Esa schätzt, dass – wenn die Raumfahrt weiter so unbedarft betrieben wird wie heute – es in hundert Jahren jedes Jahr eine große Kollision geben könnte. „Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Kessler-Syndrom nicht noch weiter angeheizt wird“, mahnt Krag.

Dazu verfolgt die Esa drei Ansätze: Zum einen sollen herumfliegende Objekte genauer verfolgt werden. Bereits jetzt werden etwa 20.000 Objekte vom Boden aus beobachtet, samt Berechnung ihrer voraussichtlichen Flugbahn.

Außerdem will die Esa Satelliten mit besserer Technik ausrüsten, damit sie nach ihrer Nutzung möglichst schnell in die Atmosphäre absinken und verglühen. Heutzutage sind lediglich 60 Prozent der Satelliten 25 Jahre nach ihrem Einsatz verschwunden. „Selbst 90 Prozent wären zu wenig“, meint der Esa-Experte Krag.

Drittens erforscht die Esa die aktive Entfernung von Weltraumschrott: Ein mit einem Fangmechanismus ausgestatteter Satellit soll ein Schrottteil gezielt ansteuern, greifen und abbremsen, so dass es in die Erdatmosphäre absinkt und zumindest teilweise verglüht. Schrottobjekte mit hitzeresistenten Bauteilen wie etwa Treibstofftanks könnte man ebenfalls kontrolliert auf die Erde stürzen lassen – zum Beispiel in den Südpazifik.

Da zumindest bei größeren Objekten für jede Entfernung eigens ein „Müllabfuhr-Satellit“ ins All geschossen werden muss, wäre der Einsatz sehr teuer. Deshalb würde man das nur bei besonders großen oder kritischen Objekten tun, die bereits im All sind, heißt es von der Esa. Die Weltraumagentur sieht hier Potenzial für einen neuen Markt. Sollten Staaten ihre Vorgaben verschärfen, könnten Satellitenbetreiber irgendwann gezwungen sein, ihre Satelliten, die sie nicht selbst aus dem All bekommen, mit einem Aufräumservice zu beseitigen. Neben der Esa erforschen auch andere Weltraumorganisationen Verfahren, um Rückstände aus dem All zu entfernen. Die japanische Jaxa (Japan Aerospace Exploration Agency) begann bereits 2014 mit einem Testlauf im All.

Die Starlink-Satelliten von SpaceX sind dabei noch ein kleineres Problem. Elon Musks Satelliten fliegen auf etwas mehr als 500 Kilometern Höhe – also vergleichsweise tief. Hier ist noch Restatmosphäre vorhanden, die ausgediente und kaputte Objekte automatisch abbremst, sodass sie irgendwann in der Atmosphäre verglühen. Problematisch könnte aber ihre schiere Zahl von bis zu 12.000 werden. Damit dürfte auch die Zahl jener Satelliten steigen, die etwa nach einem Steuerungsausfall zur Gefahr für andere Objekte im Orbit werden könnten.

Pläne anderer Firmen sind problematischer – denn deren Satelliten sollen mitunter in höheren Orbits kreisen. Die Satelliten von Oneweb sind für eine Höhe von rund 1200 Kilometern geplant – hier ist die Bremswirkung durch die Atmosphäre praktisch inexistent. „Ist da ein Objekt außer Funktion, platzt da ein Objekt auf und zerlegt sich in Trümmer, bleiben die Teile mehr oder weniger für alle Ewigkeit im All“, sagt Krag. Satelliten sollten also in der Lage sein, auch nach langer Betriebszeit aktiv zu bremsen und die Umlaufbahn zuverlässig zu verlassen.

Hier hat die Esa Zweifel, da Satelliten zu dem Zeitpunkt, wo sie ein solches komplexes Entsorgungsmanöver starten müssen, bereits sehr alt sind. Außerdem habe es die bisherige, meist staatliche Raumfahrt schon nicht besonders gut geschafft, Weltraumschrott zu vermeiden. „Warum sollte dann ein kommerzieller Betreiber, der unter Konkurrenz- und Kostendruck steht, das besser schaffen?“, fragt Krag. Skepsis sei angebracht.

Die Betreiber scheinen die diversen Probleme zumindest zu sehen: Elon Musk schrieb beim Kurznachrichtendienst Twitter, er habe seine Mitarbeiter angewiesen, dafür zu sorgen, dass die Satelliten künftig weniger hell seien. „Wir werden sicherstellen, dass Starlink keine Auswirkungen auf Entdeckungen in der Astronomie hat. Die Wissenschaft ist uns sehr wichtig.“ Und auf der Oneweb-Homepage leuchtet groß ein Zitat des Unternehmensgründers Greg Wyler: „Auf meinem Grabstein soll ,Hat die Welt verbunden’ stehen, nicht ,Hat Weltraumschrott erzeugt’.“

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also bilder von all dem weltraumschrott, der da um unsere schöne erde - unseren "blauen planeten" - kreiselt und taumelt - erinnern mich immer an die ungezügelte plastikverschmutzung in den weltmeeren.


viele hunde kratzen sogar mit den hinterpfoten oft ihr häuflein zu - und frauchen oder herrchen lassen sich (immer öfter) ein beseitigungs-setting einfallen, wenn das "geschäft" verrichtet ist, und man tritt auch ganz selten in katzenscheiße...: der mensch aber frohlockt über seinen lebensfortschritt und seine leistungen - und vergisst dabei die "letzte runde" zu planen und zu installieren: all den fabrizierten weltraumschrott ganz gezielt zurückzuführen und spurlos zu receyceln.

und das ist auch mit verankert im forderungskatalog der "fridays-for-future"-generation an die wissenschaft und an den technischen bzw. digitalen "fortschritt": räumt den mist weg, den ihr verzapft habt - und der nun veraltet ist und nicht mehr gebraucht wird.

ehe man bis 2030 nun wieder mal auf diesen staubigen und toten mond fliegen will oder gar zum mars, um gegebenenfalls edel-erden dort zu suchen und zu schürfen in großem stil - sammelt doch erst einmal zwingend die bahn frei und erfindet dafür dringend ein funktionierendes know-how. 

denn sonst ist eines tages eine weltraumkatastrophe mit irgendeinem irrlichternden plastikschrott dort oben vorprogrammiert - da muss ich überhaupt kein fachmann sein und kein experte, herr lindner, um das mit sicherheit vorauszusagen.

und zukünftig sollten nur noch satelliten starten dürfen, deren vollständige weltraum- " e n t n a h m e " nach ihrem dienst auch gewährleistet ist, das muss im forschungsvorhaben bereits fest und verbindlich verankert werden. und eine solche "entnahme" wird ja achselzuckend bei der jagd auf wölfen und auf waschbären lauthals gefordert, wenn deren zahl angeblich umweltunverträglich "überhand" nimmt und "über alle maßen" schäfchen gerissen werden und vogelnester geplündert...

aber zum weltraumschrott kommt mir auch eine kühne idee: vielleicht sind alle sterne und planeten und herumschwirrenden kometen um uns herum der olle weltraum"schrott" irgendwelcher höheren aber ganz anders tickenden "außerirdischen" intelligenzen von früher oder später: denn von soooooviel kollisionen und blitzexplosionen sieht man ja an unseren teleskopen hier unten nun auch nicht übermäßig viel - und wer weiß: die sogenannte "dunkle materie" und die "schwarzen löcher" sind vielleicht nur die notwendigen "staubsauger"-effekte für alles wie auch immer geartetes leben im tiefen und weiten all ... - weiß man's ???

und trotzdem - chuat choan und nix für ungut ...