"

ein rechts - ein links: das deutsch-deutsche strickmuster im kopf




Eine kleine Psychoanalyse der AfD

Was die Rechten in Ostdeutschland so erfolgreich macht

Von Caroline Fetscher | Tagesspiegel



Aus der rechten Rhetorik im Osten spricht auch das Unbewusste der Ex-DDR: Von Schuld und Scham, von verschobener Wut und nachgeholtem Aufstand. Ein Essay.

Was ist passiert? Was ist das für ein politischer Klimawandel? Wie kann es sein, dass Groll und Aversion, Verdruss und Hass weite Teile der politischen Landschaft in den neuen Bundesländern prägen?

Jetzt, vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, werden rationale Erklärungen gesucht, es wird erinnert an die enormen Anstrengungen auf beiden Seiten der einstigen Mauer. Im Osten mussten sich fast alle und fast über Nacht in neue Gesetze, Behörden und Regularien einfinden. Aus dem Westen flossen, je nach Schätzung, 1200 bis 1400 Milliarden Euro in den Aufbau Ost. Es war und ist das wohl monumentalste Programm einer ökonomischen Entwicklungshilfe seit dem Marshall-Plan, mit dem Amerika den Aufbau in der Bundesrepublik und ganz Europa nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützte, nach einem heißen Krieg. Der Kalte Krieg endete glücklich, ohne in einen heißen zu münden.

Doch offenbar wird das Glück im Osten des Landes von großen Gruppen nicht honoriert, deren Unmut die AfD politisch bündelt. Selten ist dabei noch die Rede von realen Ungerechtigkeiten, etwa den durch die „Treuhand“ entstandenen Verwerfungen. Auch die Dominanz von Leitfiguren aus dem Westen wie Alice Weidel, Alexander Gauland oder Thilo Sarrazin stört nicht, denn AfD, Pegida und Co bewirtschaften inzwischen ganz andere Äcker.

Nahezu verzweifelte Gegenwehr

Auf selbstgepflügter Scholle säen sie xenophobe, europafeindliche und antidemokratische Ressentiments, und an ihren rechtesten Rändern siedeln agrarische Öko-Gruppen mit völkischer Rasseideologie.

Unlängst haben Ehemalige der DDR-Bürgerbewegung einen Offenen Brief wider die „Alternative für Deutschland“ verfasst, ein Dokument der Klarstellung, des Zorns und auch des perplexen Entsetzens: „Nicht mit uns: Gegen den Missbrauch der Friedlichen Revolution 1989 im Wahlkampf“.

Der Brief, gezeichnet unter anderem von Marianne Birthler, Wolfgang Thierse und Gerd Poppe, beklagt die „absurden Gleichsetzungen und Aneignungsversuche der Revolution von 1989“. Nahezu verzweifelt wehren sie sich gegen behauptete Parallelen zwischen der DDR und der Bundesrepublik, gegen das neurechte Argument, wonach ein vollendender Aufstand „des Volkes“ noch ausstünde – eine „Geschichtslüge“, wie die Unterzeichner zu Recht schreiben: „Die DDR war eine kommunistische Diktatur, und die Bundesrepublik ist eine freiheitliche Demokratie.“

Psychoanalytisch gesehen ist gerade „das Absurde“ besonders ergiebig, da hier das Unbewusste spricht. Es lässt sich lesen nach den von Freud für die Traumdeutung erkannten Dynamiken der Verschiebung, Verdichtung und Verdrängung.

Epochenreste der DDR und auch der NS-Zeit

Jede Verschwörungstheorie spiegelt in den Alltag hineinkatapultiertes Material aus Alpträumen, die ihrerseits Ursachen haben, und so verhält es sich mit dem reichhaltigen „Traummaterial“, das die Aussagen der AfD darbieten. Durchschaubar ummanteln inzwischen pragmatisch realpolitisch klingende Konzepte die wirksamen Partikel, den „absurden“ Kern der Aussagen. 

Die  Binnenlogiken des Absurden, seine Phantasmen und Widersprüche sind aufschlussreich, leuchtet man in das Assoziationsgeflecht hinein, das aus Reizvokabeln besteht wie „Flüchtlinge“, „Asylbetrüger“ „Grenzöffnung“, „Umvolkung“, „Gleichschaltung“ „Wölfe“, „Nation“, „System“, Identität“ oder „Lügenpresse“.

Ambivalenzen und Inkonsistenzen, halb verarbeitete Epochenreste der DDR und auch der NS-Zeit sind, samt Scham, Schuldgefühlen und Ängsten, prägend für das Absurde in der AfD, für ihre Wunschträume wie Alpträume. Träume gilt es zu entschlüsseln. Sie reden nicht über die Kanzlerin, wenn sie über „Merkel“ reden, nicht über heutige Flüchtlinge, wenn sie über „Grenzen“ reden.

Sie reden nicht über die heutigen Medien, wenn sie von „Lügenpresse“ reden und von „Gleichschaltung“. Vielmehr geht es um unverarbeitetes Material aus der Vergangenheit.  In Leserbriefen zu Kritik an rechter Politik sind Aussagen zu lesen wie: „Ihre Zeitung ist das Neue Deutschland“, oder: „Ich habe in der DDR gelernt was es heißt, dem Staat hörig zu sein. „Nun muss ich heute erleben welche Ergebenheit viele Journalisten diesem BRD-Regime zollen.“ Oder: „Ohne das eigene Gehirn zu benutzen wird alles nachgebetet, was Frau Merkel vorgibt. Das ist an Duckmäusertum kaum zu überbieten.“ Er denke da, schrieb einer, an seinen „Opa, der von Honecker nicht lassen wollte“.

Der Schriftsteller Uwe Tellkamp schrieb, Kritik an rechter Politik erinnere daran wie „Funktionäre des Schriftstellerverbands gegen missliebige Kollegen“ gesprochen hätten, an „gleichgeschaltete Presseorgane“, und er warnte vor einer „Gesinnungsdiktatur“.

Den Protest aus vollem Herzen nachholen

Tatsächlich hatte in der DDR keine Pressefreiheit existiert und erzwungen wurde der dauernde Kotau vor der Staatsführung. Jetzt darf jeder frei reden, und oft scheinen gerade die, die damals nicht fähig oder willens zu Widerstand waren, den Protest aus vollem Herzen nachzuholen, wie um die Scham über das frühere Schweigen zu überdecken. Jetzt darf man öffentlich und namentlich klagen, beanstanden, sich empören, demonstrieren, aufbegehren und das im weiten Rahmen des Rechts an jede Zeitung schicken, öffentlich und mit eigenem Namen, ohne Repressalien zu befürchten.

Allerdings haben in der Demokratie auch die Anderen das Recht auf freie Meinung, auf Kritik. Diese wiederum wird attackiert wie von missachteten Zensoren, als sei die demokratische Freiheit der Feind. Im nachgereichten Protest wird am falschen, am verschobenen Objekt, ausagiert, was nicht verarbeitet ist, und das ist Beleg für dafür, dass bei einem Teil der Bevölkerung die Wende tatsächlich noch nicht vollendet ist – die Wende zur Demokratie.

Sie reden nicht über Wölfe, wenn sie über „Wölfe“ reden. Im Januar 2018 hatte die AfD in einer Anfrage an den Bundestag vor der Zunahme von Wölfen gewarnt, die die Tiere zur „artfremden Lebensweise“ brächte. Unterschieden werden müsse in Deutschland zwischen echten Wölfen und „Unterarten bzw. Mischlingen, die keinen Schutzstatus haben“.

Kaum codiert ist in der Rede vom Totemtier des NS der Rassismus, auf dem die verschiebende Erzählung fußt. Beim Kyffhäusertreffen der AfD im Juni 2018 lud Bernd Höcke ein zur Identifikation mit der mächtigen Märchenfigur: „Heute lautet die Frage Schaf oder Wolf. Und ich, liebe Freunde, meine hier, wir entscheiden uns in dieser Frage: Wolf.“

Sie reden nicht von heutigen Grenzen, wenn sie von „Grenzen“ reden. Extreme Empörung rief bei der AfD die „Grenzöffnung“ hervor, die „illegale“ von Ende 2015. Im Dauerrufen nach Grenzschließung und Absperrungen offenbart sich auch ein hochambivalentes Verhältnis zur einstigen Mauer. Deren Durchbrechen sollte den Weg zu den Konsumpalästen des Westens bahnen, und es kam so.

Offene Grenzen, freie Mobilität - ein Wunschtraum der eingezäunten Bevölkerung war in Erfüllung gegangen. Dass Grenzsperren einfach eingerannt werden konnten, wie beim „Europäischen Picknick“ in Ungarn oder in der sagenhaften Nacht mit dem Schabowski-Ausspruch „Das gilt ab sofort…. unverzüglich...“, das war wie ein Wunder und der Jubel war laut.

Doch das Fehlen der Mauer brachte dann Unruhe, Risse und Brüche, eine Lawine von Veränderungen. Keiner kontrollierte das. Keine schützende Wand mehr hegte das Geschehen ein. Das löste Ängste aus. Und ein Teil des DDR-Selbst wird, bewusst oder unbewusst, ein schlechtes Gewissen gehabt haben.



Argwohn gegen die Demokratie überhaupt

Von klein auf erzogen, den Staat zu preisen, das einen ernährte, hatte man ihn schnöde verraten und war dem Klassenfeind in die Arme geflüchtet. Übertönt wurden Schuldgefühl und Ängste vom Stolz auf die gezügelte Kühnheit, mit der Tausende die Implosion der DDR beschleunigten. Warm war außerdem das Willkommen, es gab Umarmungen, Geschenke, Begrüßungsgeld. Not und Armut würden ein Ende haben!   

2015 wiederholt sich das Szenario einer Grenzöffnung. Diesmal durchbrachen andere Gruppen die Absperrzäune, andere Flüchtende drängten aus Not und Armut ins bessere Leben. Jetzt waren diese Leute willkommen und jetzt wurden deren Leidenswege erzählt. Die laufen ihrem Land davon und kassieren unverdient Staatsgelder - wie damals die Ex-DDR-Bürger. Und jetzt konnten Illoyalität und Übertretung am verdrängten Anderen geahndet und  bestraft werden, am „Fremden“.

Bejubelte man damals die humanitäre Lücke im Zaun, beschimpft man nun die skandalöse Lücke im Rechtsstaat, vom Verlust an Souveränität, der dem „System Merkel“ ebenso angelastet wird, wie „Brüssel“, der Europäischen Union. Argwohn richtet sich gegen vermeintlichen „kollektiven Rechts- und Verfassungsbruch auf breiter Basis“, Argwohn gegen die Demokratie überhaupt.

Rechte reden nicht von Migranten, wenn sie „Umvolkung“ sagen. Doch eine tatsächliche „Umvolkung“ hatte es nach der Wende gegeben, als Abertausende, vor allem Frauen und gut Ausgebildete, in den Westen eilten, und als von dort Funktionseliten kamen, um zentrale Posten im Osten zu beziehen.

Die Wende attackierte Selbstbewusstsein und Selbstverständnis

Wer älter war, fester verankert oder weniger alert, dem konnte schwindlig werden bei diesem rasanten „Bevölkerungsaustausch“, einem traumatischen Angriff auf das gewohnte Gefüge. Man war „nicht Herr im eigenen Haus“, wie Freuds Metapher für das Unbewusste lautet. Wie beim Träumen verschiebt sich auch dieser Inhalt heute auf „die Fremden“. Aus dem Schock durch die Verwestlichung des Ostens wurde Hass auf die fantasierte „Islamisierung des Abendlands“.

Es geht nicht um den Osten, wenn die Ost-AfD „Identität“ sagt. Angeblich bedroht wird  die Identität des gesamten „deutschen Volkes“ aktuell durch unkontrollierte Zuwanderung. „Den Prozessen, die auf die Zerstörung unserer Identität abzielen, ist entgegenzutreten“, verkündet die AfD Thüringen im Aufruf „gegen ein multikulturelles Deutschland.“

Nachgerade eliminiert worden war in der Tat eine deutsche Identität, und zwar die ostdeutsche Identität der einstigen DDR. Die Wende attackierte Selbstbewusstsein und Selbstverständnis vor allem der Mehrheit, die sich mit der DDR arrangiert hatte. Wofür Bürgerinnen und Bürger gestern noch die Winkelemente geschwenkt und die Straßenränder gesäumt hatten, das besaß heute keinen Wert mehr. 

Kein Wunder, dass sich die Bürgerrechtler von damals wundern.

Ratlos stehen sie vor den Ressentiments der neuen Rechten im Osten, denn sie teilen sie nicht. Warum? Weil sie aktiv waren, Widerstand leisteten, wussten, was Demokratie bedeutet und sich nicht mit der DDR identifiziert hatten. Daher müssen sie heute nicht mit Scham und Schuldgefühlen hadern, mit Wut, Strafangst und Hass auf eigene Passivität und Mitläufertum in der Gesinnungsdiktatur der Vergangenheit.

Das Paradox der Putin-Verehrung im Osten

Das größte Paradoxon, und ein starkes Symptom für die ambivalente Verarbeitung der DDR-Epoche ihrer Biographien, ist die Zuneigung der AfD-Getreuen vor allem im Osten für die „gelenkte Demokratie“ unter Vladimir Putin. Während der auf dem Grundgesetz basierende demokratische Konsens als „BRD-Regime“ denunziert wird, scheint der teilautoritären Willkürherrschaft in Russland eine gewisse Nostalgie zu gelten: Das riecht vertraut nach dem behüteten Früher.   

In einem Text, den die Philosophin Agnes Heller kurz vor ihrem Tod am 19. Juli für das Europäische Forum Alpbach 2019 verfasst hatte, ging es um Freiheit und Demokratie.

Illusionslos warnte Heller, Holocaust-Überlebende aus Ungarn: „Freie Menschen können ihre eigene Unfreiheit wählen“. Menschen seien auch „frei, sich Diktatoren, Tyrannen, Oligarchen und totalitären Regimen zu unterwerfen“. Wenn sie das wollen und wählen, hat es Ursachen. Die zu erkennen kann ein Schutz sein für die Demokratie.

_____________________________________


natürlich ist dies auch nur wieder ein kleines puzzle-teilchen dazu, dieses deutsch-deutsche verhältnis zueinander und durcheinander von heute verstehbar zu machen.

und doch ist dieser versuch, mit freudscher psycho-traumdeutung einmal an die sache heranzugehen so verkehrt nicht und aller ehren wert.

zumal ich ja auch den psycho-theorien nachhänge einer transgenerationalen weitervererbung "bis in die 3. und 4. generation", und der oftmals verdrängten pathologischen folgen verdrängter und beschwiegener familiengeheimnisse - fast überall. und früher seufzten dann die alten etwas resigniert den spruch: "unter jedem dach ein ach"...

ich bin davon überzeugt, dass unverarbeitete kollektive "volks"erlebnisse und traumatische nationale "zusammenbrüche" - oder auf der anderen seite gleichzeitig die von anderen dabei wahrgenommene "befreiung von der unterjochung" - ihre innerpsychischen und körperlichen folgen zeitigt: in jedem einzelnen genauso wie im "kollektiv" - in einem von den nazis so genannten "volkskörper".

und bei vielen ist das ganze dann ein leben lang oder  sogar ein paar nachfolgende generationen lang oft zuerst die stumme hinnahme die in verdrängung mündet, abgelöst vielleicht dann bei manchen durch eine emsige und manchmal lautstarke aufarbeitung - und die erinnerungskultur über alle individuellen empfindungen hinweg - und damit vielleicht die erfolgreiche adaption, integration und bearbeitung - oft sogar die von eingefangenen handfesten abgespaltenen posttraumatischen belastungsstörungen.

insofern sind die einwohner und bewohner in diesem unserem lande eigentlich auch alle mehr oder weniger in einem innerpsychischen sich verschiedenartig luftmachenden "patientenstatus". und doch glaube ich daran, dass fast alle "völker" dieser erde und damit wohl alle menschen irgendwie ja beeinflusst sind vom be- und verschweigen erlebter traumatischer entwicklungen ihrer eltern und großeltern oder ihrer umgebung, oder von der "geschichte" des staates, dem sie sich zugehörig fühlen. in israel wird das wahrscheinlich beispielsweise ganz anders erlebbar als in ägypten nach dem sogenennaten "arabischen frühling" - und die kurden erleben das anders als die bewohner der krim.

und individuell scheiden sich dabei dann ja die geister: die einen sagen so und die anderen so... - "watt den eenen sin uhl, is den annern sin nachtijall" - was der eine als unschätzbaren vorteil genießen lernt, verdrießt den anderen - und die gesellschaft scheidet sich in deutschland z.b. in wiedervereinigungs-gewinnler und -verlierer - in flucht-geeinner und -verlierer - weil ein jeder eine andere erwartungshaltung eingepflanzt bekommen hat oder sich mit seinen realen erlebnissen auf dem boden der vorgeformten "vor"urteile heranzüchtet - je nachdem...

und jeder verbraucht sich so gut wie er kann - der eine so, der andere so - 

und chuat choan und nix für ungut



selbstwahrnehmung (auch mit anderem rahmen lieferbar)

sinedi . art: selbstwahrnehmung (auch mit anderem rahmen lieferbar)
XXL = click here

das wühlen im ns-eugenischen sumpf - diesmal in strasbourg

Verbrechen und Aufarbeitung 
Nach der Besetzung des Elsass wird 1941 die „Reichsuniversität Straßburg“ gegründet, als geistiges Grenzbollwerk der NS-Ideologie. Dort führen Ärzte menschenverachtende Experimente durch, um die vermeintliche Über­legenheit der „arischen Rasse“ zu beweisen und als kriegswichtig eingestufte medizinische Forschung voranzutreiben, finanziell unterstützt durch Himmlers SS-Forschungseinrichtung „Ahnenerbe“. 1944 wird Straßburg befreit: Im Keller des anatomischen Instituts werden die Leichen von 86 jüdischen Häftlingen gefunden, die der Straßburger Professor für Anatomie, August Hirt, 1943 aus dem KZ Auschwitz ins elsässische KZ Natzweiler-Struthof hatte bringen lassen, wo sie ermordet wurden. Die Leichname sollten einer Skelettsammlung dienen. 1945 nimmt Hirt sich das Leben. 2015 entdeckt der Forscher Raphaël Toledano drei noch bestehende Humanpräparate der 86 Hirt-Opfer in einer Sammlung der Straßburger Rechtsmedizin. Die sterblichen Überreste werden kurz ­darauf beigesetzt. 2016 wird eine internationale unabhängige historische Kommission für eine Laufzeit von vier Jahren etabliert.

„Meine Forschung ist auch politische Arbeit“

Wie man im Elsass mit den NS-Verbrechen an der „Reichsuniversität Straßburg“ umgeht und welche Bedeutung historische Erkenntnis für unser Gegenwart hat – das erklärt die Ärztin und Historikerin Lea Münch im Gespräch


INTERVIEW NICHOLAS POTTER | TAZ

August Hirt, Arzt und 
Naziverbrecher - Foto: Archiv
taz: Frau Münch, spätestens seit dem Nürnberger Ärzteprozess war bekannt, dass der NS-Anatom August Hirt im Elsass 86 jüdische Häftlinge ermorden ließ, um die Leichname für eine Skelettsammlung zu missbrauchen. Die meisten von ihnen konnten nach Kriegsende bestattet werden. 2015 wurden dann aber drei noch bestehende Humanpräparate der Hirt-Opfer in einer Sammlung der Straßburger Rechtsmedizin gefunden. Wie konnten die dort so lange unentdeckt bleiben?
Studium an der
„Reichsuniversität Straßburg“ –
Propagandabild, NS-Zeitschrift
„Das Reich“, 1941 Foto: Rene Fosshag/Ullstein Bild


Lea Münch: Jede medizinische Fakultät hat mehr oder minder umfangreiche Sammlungen. Es finden sich Knochen, Organe und auch Gewebeschnitte für mikroskopische Untersuchungen. Diese können grundsätzlich noch aus dem Deutschen Kaiserreich stammen, aus der NS-Zeit oder aber auch nach 1945 erst angefertigt worden sein. Zwischen 1945 und 1954 wurden in erster Linie nur juristisch auffällige, kriminell verdächtige Versuche und Präparate in Militärprozessen untersucht – bei Weitem nicht alle medizinischen Forschungen und Sammlungen. Ab 1955 verschwand das Thema, besonders im Elsass. Weder Deutschland noch Frankreich fühlten und fühlen sich bis heute wirklich zuständig für die Aufarbeitung und die Verantwortung der NS-Universität Straßburg; Die französische Universität wurde nach Clermont-Ferrand verlagert und die unrechtmäßige „Reichsuniversität Straßburg“ hatte keine Nachfolge. Erst die Identifizierung der drei Präparate 2015 belegte faktisch, dass eine weiterreichende Untersuchung notwendig ist.

Nach dem Fund 2015 wurde eine unabhängige historische Kommission an der Universität Straßburg gebildet, in deren Rahmen Sie promovieren. Was untersuchen Sie genau?

Für den gesamten Zeitraum des Bestehens der „Reichsuniversität Straßburg“ sind die Krankenakten der Psychiatrischen Universitätsklinik erhalten geblieben: Das sind circa 2.500 Krankenakten von 1941 bis 1944 – für Historiker*innen eine umfangreiche Quellenbasis. In den stichprobenartig ausgewerteten Akten konnte ich bisher keine Hinweise auf unnatürliche Todesfälle finden. Sowohl die Aktion „T4“ – also die Ermordung von mehr als 70.000 Menschen mit psychiatrischen Krankheiten und Behinderungen – und die anschließende sogenannte dezentrale „Euthanasie“ fand aber üblicherweise auch nicht an Universitätskliniken statt, sondern in den Heil- und Pflegeanstalten, in denen Menschen mit chronischen Diagnosen untergebracht waren.

Deuten die Akten darauf hin, dass es anderswo im Elsass Euthanasie gab?

Nicht direkt – aus der Psychiatrischen Universitätsklinik wurden aber Menschen mit langwierigen Krankheitsverläufen in die zuständige Heil- und Pflegeanstalt verlegt. Im Januar 1944 gab es einen Transport von 100 Männern aus den elsässischen Anstalten Hoerdt und Stephansfeld in die NS-Tötungsanstalt Hadamar, wo diese Menschen ermordet wurden. In beiden Anstalten findet sich außerdem während des Krieges eine deutliche Übersterblichkeit, die auf Versorgungsengpässe zurückzuführen ist. Ob es auch dort dezentrale Euthanasieformen gab, werde ich erst nach der Auswertung der dortigen Krankenakten sagen können.

Wie wird in der Region mit der NS-Zeit umgegangen?

Das Elsass war schon immer ein Spielball zwischen Frankreich und Deutschland: Die heutige Generation verfügt aber nur noch bedingt über eine spezifische elsässische Identität, sie wurde in Frankreich sozialisiert. Insgesamt berief man sich im öffentlichen Diskurs gerne auf die wenigen Widerstandskämpfer*innen und auf die Opferrolle des Elsass, die sogenannten zwangsverpflichteten „malgré nous“, und marginalisierte die Fragen nach Kollaboration und Täterschaft auf französischer Seite. Daher war es auch nicht einfach, unser Forschungsvorhaben zu realisieren. Mit der aktuellen Generation wird das aber leichter – das zeigt unter anderem die Bildung der Kommission.

Haben elsässische Ärzt*innen mit den Nazis kollaboriert?

Darauf lässt sich keine pauschale Antwort geben, die meisten Fälle sind weder schwarz noch weiß. Vor dem Überfall Nazideutschlands auf Frankreich wurde eine bestimmte Zone in der Nähe der Grenze komplett evakuiert – inklusive der Université de Strasbourg. Viele elsässische Ärzt*innen sind mit in den unbesetzten Teil im Süden Frankreichs gegangen. Das erklärt, warum es an der Straßburger Universität unter den Ärzt*innen keinen größeren Widerstand gab – die in der Résistance tätigen Mediziner*innen waren nicht ins Elsass zurückgekehrt. Ein gewisser Teil der Ärzt*innen ist aber aus den verschiedensten Gründen in das nun unter deutscher Verwaltung stehende und de facto annektierte Elsass zurückgekehrt, was auch von der NS-Verwaltung deutlich gefordert wurde.

Haben die ins Elsass Zurückgekehrten also mit den Nazis zusammengearbeitet?

Ein besonders anschauliches Beispiel ist die Biografie des Chirurgen Adolphe Jung, der zunächst eine der von den Nazis standardmäßig eingeforderten Loyalitätserklärungen unterschrieb, in welcher er sich zu den Grundsätzen des nationalsozialistischen Reichs bekannte. Letztendlich entschied er sich vor der offiziellen Eröffnung der „Reichsuniversität“ aber anders, wurde sozusagen in kleinere badische Orte „zwangsversetzt“ und arbeitete schließlich unter dem berühmten Chirurgen Ferdinand Sauerbruch an der Berliner Charité. Nach Kriegsende kehrte er nach Straßburg zurück und arbeitete wieder, nicht ohne Schwierigkeiten, an der dortigen Universität. Sein Tagebuch wurde vor Kurzem veröffentlicht. Es bietet einen aufschlussreichen Einblick und zeigt, dass die Entscheidung zwischen Kollaboration und Widerstand nicht immer geradlinig verlaufen ist und es bei jeder Biografie einer historisch differenzierten Betrachtung bedarf.

Mit der „Reichsuniversität Straßburg“ wollten die Nazis ihre Ideologie „wissenschaftlich“ verfestigen. Inwiefern wurde die Wissenschaft ins­tru­mentalisiert?

Der Begriff der Instrumentalisierung ist in diesem Zusammenhang nur bedingt zutreffend, weil dieser eine einseitige Sicht auf die Geschichte impliziert. Wissenschaft ist nie wertfrei zu verstehen und die Nationalsozialisten haben den Wissenschaftsbetrieb nicht einfach unter Zwang für ihre Zwecke vereinnahmt, sondern manche der menschenverachtenden Humanexperimente sind auch auf Eigeninitiative der Ärzt*innen zurückzuführen. Hinzu kommt, dass diese Berufsgruppe in außerordentlich hohem Maß in der ­NSDAP und anderen NS-Organisationen vertreten war. Daher lässt sich das Verhältnis von Wissenschaft und NS-Regime vielmehr als komplexes Wechselspiel beschreiben, von dem beide Seiten auf unterschiedlichen Ebenen profitiert haben.

Was hat Sie motiviert, in diesem Themenbereich zu forschen?

Es ist unerlässlich, die historischen Bedingungen zu verstehen, die zu einer menschenverachtenden Medizin geführt haben. Außerdem hat sich die historische Forschung lange hauptsächlich auf die Täter fokussiert, aber mit dem Schicksal der Opfer hat sich fast niemand beschäftigt. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Die physische Vernichtung sowie die Auslöschung der Erinnerung an Menschen, die nicht ins nationalsozialistische Weltbild passten, war erklärtes Ziel der Nazis. 

Das Einzige, was wir heute noch tun können, ist, zu versuchen den Opfern ein Stück ihrer Identität und Persönlichkeit zurückzugeben. Daher verstehe ich meine Forschung auch als eine Form von politischer Arbeit. Trotz der Schlussstrichrhetorik der AfD und anderen Rechten ist das Thema noch nicht abgeschlossen.
Lea Münch -
Foto: Nicholas Potter


Lea Münch, 28, ist Ärztin und Medizinhistorikerin. Sie studierte an der Berliner Charité. Aktuell promoviert sie im Rahmen der historischen Kommis­sion an der Université de Strasbourg.
Text & Bilder: TAZ, Freitag, 23.08.2019, taz zwei, S.13



gerade wenn die anzahl "zeitzeugen" der shoah und der ns-euthanasie allmählich altersbedingt immer weniger wird, ist es gut zu wissen, dass eine solche relativ junge ärztin und medizinhistorikerin wie lea münch nun mit dabei ist, das dunkle kapitel der ns-medizin mit akribie aufzurollen. diesmal ist also das elsass der schauplatz, was wieder ein beweis dafür ist, dass sich über das gesamte reichsgebiet und vor allen dingen auch über die okkupierten (rand)gebiete ein netz von vernichtungsstätten und  "forschungs"-anstalten spannte, auch gern etwas außerhalb der zentren und ballungsräume, damit die "zivil"bevölkerung nicht zuviel davon mitbekommen sollte.

und auch hier in diesen forschungsarbeiten von lea münch zeigt sich wieder, dass nicht nur die nazis in sachen menschenversuche und euthanasie-tod initiativ waren, sondern dass es eine hand-in-hand zusammenarbeit mit der medizinforschung insgesamt gab.

die eugenik, also die erblehre, war der ideologische motor des ganzen unternehmens, und bereits seit den 20er jahren waren diese dafür einschlägigen paradigmen maßgebend für die gesamte wissenschaftlich-medizinische denke und forchung - und nicht nur in deutschland, sondern das waren die "modernen" erkenntnisse der zeit: weltweit.

jedes "volk" wollte sich von allem "unrat" säubern - und der makellose übermensch sollte im wahrsten sinne des wortes als nationale rasse gezüchtet werden, um so auch den anderen national"völkern" überlegen zu sein - und "minderwertiges" auszurotten und in zukunft zu verhindern - und "minderwertige völker" zu unterwerfen und zu kolonialisieren. und neben diesen (inter-)nationalen rassen-bestrebungen ging es aber auch sozialpolitisch um pure knete: um kriege zu führen und finanzieren zu können sollten die allgemeinen sozialausgaben z.b. für dauererkrankte behinderte menschen gesenkt werden oder gar wegfallen - und das ging nur durch eine gnadenlose tödliche selektion aller menschen mit "abweichungen" - und diese abweichungen galt es wissenschaftlich zu erfassen: und genau diese "abweichungen" mussten ja nun irgendwie durch eine art eugenisch formulierte "ethik-norm" fixiert werden - und dafür schufen sich ns-partei, sozialpolitik und die naturwissenschaftlich-medizinische forschung ihre unverbrüchlichen rigorosen auslese-kriterien - wenn auch hier und da mit einigen wenigen lokalen "abweichlern".

und das fatale ist: im großen & ganzen muckte dagegen das "volk" kaum auf. bis auf ein paar "märtyrer" in den kirchen und in einigen wenigen betroffenenen familien - alle anderen wussten oder ahnten zumindest, was da ablief - aber das persönliche leid, das der gleichzeitig tobende krieg nun mit in jede familie brachte, war den einzelnen ja viel näher in ihrer trauer und betroffenheit - und die 300.000 euthanasie-opfer wurden größtenteils erfolgreich kollektiv innerpsychisch "abgespalten" und "verdrängt"...

aber hoffentlich gibt es immer wieder neu solche forscher*innen wie lea münch, die dem allen wissenschaftlich nachspüren und nach fast 80 jahren aufarbeiten. danke.

trumps fata morgana: greenland

sinedi.art: trumps fata morgana: greenland - XXL = CLICK HERE



so ähnlich könnte das aussehen, wenn das virtuelle "greenland"-werk tatsächlich in einem saal ausgestellt würde ...

ist das kunst - oder mäh ich das weg


ZERSTÖRTES KUNSTWERK: AUF DIESER WIESE IN MINDEN SOLLTE EIGENTLICH EINE BODENSKULPTUR VON GUNNAR HEILMANN ERBLÜHEN. EIN MITARBEITER DER STÄDTISCHEN BETRIEBE HAT DEN »MAGISCHEN RING« ABER GEMÄHT. STADT UND KÜNSTLER BEMÜHEN SICH UM SCHADENSBEGRENZUNG. (Fotos: Heilmann - WB)

Für die Ausstellung »Wagnis. Wagner« in Minden hat der Künstler Gunnar Heilmann einen »Magischen Ring« eingesät, der als Bodenskulptur im Ausstellungszeitraum blühen sollte. Das wird schwierig, denn ein großer Teil seines Kunstwerkes ist in der vergangenen Woche versehentlich einem Mäher der Städtischen Betriebe zum Opfer gefallen.

Gunnar Heilmann stand am Morgen des 8. August fassungslos vor den Resten seines Kunstwerks. »Der Mäher hat nicht alle Pflanzen erwischt, aber einen größeren Teil und er hat tiefe Spuren hinterlassen« berichtet der Künstler aus Minden.

Heilmann habe daraufhin sofort das Kulturbüro der Stadt angerufen. Mitarbeiterin Beate Schmalen, die das Kunstprojekt anlässlich der Aufführung des »Ring des Nibelungen« von Richard Wagner für die Stadt Minden betreut, Gunnar Heilmann und eine Kollegin der Städtischen Betriebe berieten noch am 8. August bei einem Termin vor Ort, was zu tun ist, um den entstandenen Schaden zu begrenzen.

Wie kam es zur Zerstörung? Trotz anderweitiger Absprachen wurde die Fläche turnusgemäß gemäht, heißt es von Seiten der Verwaltung. »Die wichtige Information ist bei dem ausführenden Mitarbeiter aufgrund von Urlaubsvertretungen leider nicht angekommen«, sagt Horst Lehning, Leiter des Betriebshofes der SBM. Die Städtischen Betriebe haben daher ihre volle Unterstützung zugesagt, um das Kunstprojekt noch zu retten.

Die Stadt Minden und die Städtischen Betriebe bedauern diesen Vorfall außerordentlich. »Wir haben uns sofort bei Gunnar Heilmann entschuldigt und stehen mit ihm in Bezug auf eine maximal mögliche Schadensbegrenzung im Gespräch«, sagt die Beigeordnete für Bildung, Kultur, Sport und Freizeit der Stadt Minden, Regina-Dolores Stieler-Hinz.

Und weiter: »Wir sind alle zuversichtlich, dass dies auch zum großen Teil gelingen wird.« Kunst im öffentlichen Raum berge immer Risiken. Aber letztendlich spiegele diese Kunst im Besonderen das Leben in all seinen Facetten wider. Damit werde diese unfreiwillige Intervention lebendiger Bestandteil des »Magischen Ringes«, so Stieler-Hinz.

Die Städtischen Betriebe, die für dieses Versehen verantwortlich sind, haben am 9. August Phacelia an den betroffenen Stellen nachgesät. Zum kompletten Blühen werde das Kunstwerk aber wohl in drei Wochen nicht gebracht. »Von der Einsaat bis zur Blüte braucht die Pflanze sechs bis acht Wochen«, so Denis Rinne von den Städtischen Betrieben. Blau wird der Ring zu Beginn der Ausstellung vermutlich nicht sein, aber die »Form als Ring wird deutlich sichtbar sein«, hofft Gunnar Heilmann. Um weitere Schäden zu verhindern, soll vor Ort auf den frisch eingesäten Bereich hingewiesen werden, um Spaziergänger, Jogger und Hundehalter darauf aufmerksam zu machen, dass hier etwas Besonderes entsteht, was nicht betreten werden sollte.

Laut Dennis Rinne soll das Kunstwerk bis in den Spätherbst stehen bleiben, ausblühen und erst dann untergepflügt werden. Das »Unterpflügen« ist meist das Schicksal von Phacelia, die in der Landwirtschaft gerne als Zwischenfrucht und damit als natürlicher Dünger zur Bodenbereitung eingesetzt wird.

Gunnar Heilmann wird sein Werk weiter eng betreuen. Er wässert den Ringbereich regelmäßig und mäht die Innenfläche selbst. Das Projekt befindet sich im »Kessel« eines historisch bedeutsamen Areals des Glacis. »Hier war einst eine Wallanlage der Bastion VI der preußischen Ringfestung«, erläutert Heilmann. Seinen Ring sieht er als »temporäre Intervention«. Der Ring hat einen Außendurchmesser von 30 Metern und einen Innendurchmesser von zwölf Metern. Der Ring wird von einer Bodenmarkierung durchschnitten, die den Verlauf der äußeren Mauer des früheren Wallgrabens sichtbar macht. (Minden | WB/fw).

SO SAH DIE WIESE AUS, ALS KÜNSTLER GUNNAR HEILMANN DEN RING EINGESÄT HATTE.





WESTFALEN-BLATT von Dienstag, 20.August 2019 Seite 3, OLW/NRW

_________________________________________

ja - der künstleeer - 
der hat es schweeer
und der land-art-künstleeer - der um so meeehr

oder: "ist das kunst - oder kann das weg?": nun gibt es ja bereits berühmtere kunst"zerstörungen" in der kunstscene insgesamt - und seit jahrhunderten: aber die "geschrubbte badewanne" (in wirklichkeit nicht von einer putzfrau gesäubert sondern von zwei spd-kunstbanausinnen, die eine schüssel für's gläserspülen bei einem museumsinternen parteifest suchten) oder auch die berühmte "fettecke" von beuys (die der hausmeister der kunstakademie düsseldorf seinerzeit entfernen ließ) sind da ja längst legendär geworden.

und da gibt es ja noch von gutmeinenden laien verschlimmbesserte madonnenbilder in italien oder die viel zu gute restaurierung des teuersten bildes der welt, des "salvator mundi" von leonardo da vinci, das eine sehr gerühmte new yorker restauratorin hier und da wohl mit zuviel "sfumato", dem eigentümlichen von leonardo erfunden farb"dunst", aufgeladen hat, und es dadurch wohl erst zu einem leonardo-werk hochstilisiert hat, das ursprünglich wohl aus der schülerschaft des meisters stammte.

aber auch schon in der reformation gab es ja vom glauben getriebene "bilderstürmer", die madonnen- und heiligen-skulpturen oder wertvolle bildfenster in katholischen gotteshäuser zerstörten - und die nazis trieben da ja ihr unwesen mit ihrem begriff "entartete kunst".

da die kunst immer "geschmacksabhängig" ist und die jeweilige zeit, das jeweilige hier & jetzt begleitet, ist kunst für andersdenkende oder nachfolgende generationen etwa als solche kaum noch zu wertschätzen oder oft gar nicht zu erkennen oder als solche auszumachen.

und bei an "land-art" anmutenden kunstwerken, die die landschaft "verschönern" oder verändern sollen oder einfach ein merkmal setzen, ist die unbewusste zerstörung von "ordnungskräften" aller couleur "natürlich" gegeben. oder der vandalismus irgendwelcher trunkenbolde, die ihr mütchen kühlen wollen, setzen ihnen ein ende. und am nächsten morgen wissen die dann "von nichts" und können sich kaum erinnern ...

übrigens, für die "badewanne" und die "fettecke" von beuys zahlte das land nrw jeweils 40.000 bis 60.000 d-mark schadensersatz an den künstler oder die besitzer der werke.


da ist so ein leuchten

sinedi.photography: da ist so ein leuchten

tanzende bilder



Der mit den Bildern tanzt

dctpTV - Am 03.08.2016 veröffentlicht
News & Stories vom 29.06.2016

Alexanders Kluge zu Besuch bei Anselm Kiefer in Paris.

Direkt neben einem Flugplatz in einem Vorort von Paris liegen die riesigen Hallen, in denen Anselm Kiefer an seinen Bildwerken arbeitet. Er lebt inmitten seiner Bilder. Neue Werke haben sich im letzten Jahr gehäuft. Kiefer nennt diese Ateliers sein „Arsenal“: seine Waffenkammer. Die großen Flächen seiner Bilder empfindet der Künstler als „Bühne“. Er malt, sagt er, nicht nur mit dem Kopf und den Augen, sondern mit dem ganzen Körper, mit den Muskeln, der Haut und allen Sinnen. Im Grunde „tanze ich meine Bilder“.

Wenn er in der Frühe aufsteht, greift er zunächst zu Büchern. An ihnen entzündet sich sein Kopf. Im Atelier stehen z. B. die zahlreichen Bände von Grimms Wörterbuch. Texte, Klänge und Bilder gehören für Kiefer zu einer Einheit.

Wie Menschen (und die Kunst, welche die Menschheit seit den Anfängen begleitet) beruht auf einem „Stau an Unwahrscheinlichkeiten“. Im Kosmos müssen drei Sonnen explodieren, damit die Materie entsteht, die wir in unseren Zellen täglich umhertragen. Noch unwahrscheinlicher war es, dass das Leben aus seinen Anfängen, über Katastrophen und Einschläge von Himmelskörpern hinweg, wie durch Nadelöhre den Weg durch die Krisen, die das Leben zeitweise fast ganz auslöschten, bis zu unserer Gegenwart fand. Mit diesen Zuständen und Rätseln der Evolution geht das Werk von Anselm Kiefer um.

Als junger Mann war Kiefer als Kellner tätig. Abends verspielte er in der Spielbank, was er verdient hatte. Neben dem Platz, an dem er arbeitet und jetzt berichtet, befindet sich eine Skulptur: Ein Hufeisen unter Glas, befestigt an einem seidenen Faden.

Wie malt man, dass sich die Götter der Antike derzeit aus der Ägäis entfernt haben? Wie würde man den Zentauren Chiron darstellen, von dem Hölderlins Gedicht handelt? Könnte man in Analogie zu Leonardo Da Vinci die Anatomie eines Kentauren skizzieren? An der Wand des Ateliers hängt das große Bild eines Gewässers. Auf das Bild ist ein Sperrgitter montiert. In der Mitte des Gitters zeigt sich ein Riss, durch den Riss fährt ein U-Boot. Das Sperrgitter stammt aus einem See bei Berlin und diente als Sperre, die Flüchtlinge aus der DDR am Überschreiten der Unterwassergrenze hindern sollte. Verblüffend ist die Nähe und Identität radikal verschiedener Erfahrungsbereiche in Kiefers Werk. Wissenschaft und Evolution, Geheimlehren (wie die des alchemistischen Dr. Fludd), Gegenwart, Geschichte, nur visuell fassbare Gebilde und literarische Texte, die von Ingeborg Bachmann über Hölderlin bis Heraklit zurück reichen, verbinden sich zu unverwechselbaren Einheiten. „Klugheit ist die Kunst, unter verschiedensten Umständen treu zu sein“. Das ist ein Satz Hölderlins, der sich ebenso auf die Antigone wie auf Sokrates bezieht. Anselm Kiefer prüft, ob man mit einem Bild auf solch einen Satz antworten kann.



ich stolpere hier jetzt wiederholt - plötzlich und wie aus dem nichts - über dieses intelligente und im ersten moment etwas verworrene dctp-gesprächs-/interview-video in youtube von alexander kluge mit anselm kiefer. 

es ist ein echtes postmodern anmutendes tv-dialogwerk, ganz im hypertextuellen patchwork-duktus tastend - aus aneinanergereihten assoziativen gesprächsfetzen und collagen - von der antike über das hier & jetzt bis in die allerfernste zukunft - das aber mit all diesen flocken einen großartigen wandteppich abbildet, ein in sich abgeschlossenes ganzes: mal albern, dann wieder sehr vorausschauend, ernst, hochanspruchsvoll, bewertend, abwertend, aufwertend - je nach dem...

kluges gespräch-intervies sind ein unabschließbares weiterspinnen ausgelegter fäden, ein rhizomatisch-ungerichtetes fortwuchern der gesprächsflocken im miteinander.

und das alles immer wieder untermalt von den im background startenden und landenden flugzeugen des flughafens orly ganz in der nähe des ateliers von anselm kiefer in croissy-beaubourg bei paris.

ich musste mich in diese springenden fakt-fassetten erst hineinhören, ehe ich es dann allmählich genießen konnte.

aber dieses video lief mir sicherlich nicht zufällig wie von geisterhand zugeführt über den weg, weil es schnipselartig auch z.b. die hier vor einigen tagen von mir wieder mal angerissenen und aufgefundenen fakten und wissenschaftsergebnisse zum "bauchhirn", "mikrobiom" und zu den milliarden minilebewesen im darm mit einflechtet und durchkaut - mit ähnlichen ergebnissen, wie ich sie angestellt habe ...

und das imponiert natürlich... - denn kluge und kiefer spielen schon in einer anderen liga ...

zeitzeugen-appelle



Appell an die Jugend
"Bitte seid Menschen"
Sie wenden sich an die Jugend: eine Holocaust-Überlebende, ein Politiker, ein ehemaliger Bischof und eine Seenotretterin.
Von Lydia Meyer | zeit.de




rebhühner streben nach oben - climate crisis

click to sinedi.gallery





gestern drehten sich die windräder
wippend abgefedert im nebelgewölk
nachts zermalmen sich fledermäuse
tagsüber streben rebhühner nach oben

ist der regen ein segen
oder verhagelt er uns den august
auf der tesa-rolle nur noch ein rest
vom mantelbogen-abenteuer
zur letzten einkommenssteuererklärung

ich kann warten.
im 6-aus-49-lotto 2 x 3 richtige
da lacht der vereins-präsident
leicht feucht und schwitzend
nee - die spuren nicht ordentlich
da muss ein anderer zug rein

wer hat das lila gebetsband
an das schuster-dreibein geknotet
der wind allerdings weht wo er will
und zwinkert wie aufgeblüht
um die wahrheit zu vertuschen

sinedi

Am Ende waren sie wie verwandelt. Woodstock-Spirit



 Tom Law lebte in Amerikas erster Hippiekommune. In Woodstock brachte er Hunderttausenden Yoga bei, erlebte aber auch dramatische Festivalmomente. 

Von Philipp Oehmke | SPIEGEL+


Vor 50 Jahren war Tom Law ein 29-jähriger Hippie, er ist auf einer der berühmtesten Woodstock-Fotografien zu sehen, wie er seine kleine Tochter durch das Festivalgelände trägt. Heute ist er 79 Jahre alt und lebt in einer kleinen Wohnung auf Manhattans Upper West Side. Law war eine der prägenden Hintergrundfiguren der Sechziger, von der Folk-Ära in New Yorks Greenwich Village in den frühen Sechzigern bis zu Woodstock 1969 war er dort, wo Bahnbrechendes geschah. Die Tage um das Woodstock-Jubiläum herum sind auch für ihn eine aufrührende Zeit. Über einige der Dinge von damals spricht er zum ersten Mal seit Längerem.

SPIEGEL: Mr. Law, erinnern Sie sich noch an die Situation, als dieses Foto vor 50 Jahren aufgenommen wurde?

Law: Nicht genau. Ich war ja schon einige Wochen vor Beginn des Festivals in Woodstock. Ich halte meine Tochter Pilar im Arm. Sie muss damals zwei gewesen sein. Wahrscheinlich war das schon während des Festivals. Meine damalige Frau, Pilars Mutter, war für ein paar Tage nach New York gefahren, um Riesenmengen an Verpflegung zu besorgen. Ich habe mich derweil um Pilar gekümmert. Möglicherweise ist das Foto während dieser Zeit entstanden.

SPIEGEL: Sie hatten Ihre zweijährige 
Tochter die ganze Zeit bei Woodstock dabei? - Law: Ja, klar.
SPIEGEL: Sie hatten Ihre zweijährige Tochter die ganze Zeit bei Woodstock dabei?

Law: Ja, klar.

Tom Law
privat

SPIEGEL: Aber Sie waren ja dort, um zu arbeiten. Wer hat sich um das Kind gekümmert in all dem Chaos?

Law: Wir waren ja mit einer Kommune da. Mit der Hog Farm. Wir sind mit mehr als 80 Leuten nach Woodstock aus den Bergen in New Mexico gekommen, wo die Hog Farm zu der Zeit ihren Sitz hatte. Da waren auch andere Kinder. Irgendjemand passte immer auf. Wir hatten mit der Hog Farm unseren eigenen Bereich auf dem Festivalgelände und auch eine eigene Bühne für Kinder. Da kam sogar Joan Baez und sang.

SPIEGEL: Was sollten Sie denn in Woodstock tun?

Law: Soweit ich das verstanden habe, sollten wir die Festivalwiese in eine Art kleine Stadt verwandeln, mit Wegen, Bühnen, Fluchtrouten und so weiter. Wir wollten eine Volksküche betreiben und uns Konflikten und Stress aller Art annehmen.

SPIEGEL: Das alles konnten Sie?

Law: Wir waren richtig gut darin. Wir waren als Kommune darin geschult.

SPIEGEL: Sie sind dann in New Mexico in Ihre Busse gestiegen und sind 3000 Kilometer nach Woodstock gefahren?

Law: Nein. Dafür war keine Zeit mehr. Die Organisatoren haben einen American-Airlines-Jet geschickt, der uns abholte.

SPIEGEL: Oh, nicht sehr hippiemäßig.

Law: Es war auch so, dass wir zunächst nicht unbedingt begeistert waren von der Woodstock-Sache. Wir wurden bezahlt, 8000 Dollar, glaube ich, was heute wohl rund 55.000 entspräche, auch etwas, das uns sehr selten passierte. Aber als die aus Woodstock dann den Jet geschickt haben, waren alle begeistert. Als wir am New Yorker JFK-Flughafen landeten, erwartete uns ein Haufen Reporter. Es gab das Gerücht, wir wären die Security, was für alle ein absurder Gedanke war, wenn man unsere Truppe so sah. Aber wir spielten natürlich mit. Ich steckte mir die Flugzeugkopfhörer in die Ohren und sprach in das andere Ende hinein. Als wäre ich ein Personenschützer.

SPIEGEL: Das wurde Ihnen abgenommen?

Law: Ja. Wir sagten, wir seien nicht die "Police Force", sondern die "Please Force". Wavy Gravy, der Gründer der Hog Farm, den ich schon seit Anfang der Sechziger aus den Klubs im Greenwich Village gekannt hatte, gab richtige Interviews als Securitychef. Was sein Sicherheitskonzept sei, wurde er gefragt: "Sahnetorte und Mineralwasserflaschen", war seine Antwort. Das waren Clown-Utensilien, die Reporter schrieben alles mit.

SPIEGEL: Spätestens als Sie beim Festivalgelände in Bethel ankamen, muss die Realität Sie eingeholt haben. In den Wochen vorher war man dort hoffnungslos hinter dem Zeitplan.

Law: So war es. Als wir dort ankamen, wurde mir klar: Oh, scheiße, wir haben ziemlich viel zu tun. Also überlegte ich mir, dass ich alle jeden Morgen wecken müsste. Ich hatte eine tibetische Glocke, damit rannte ich umher und rief alle zusammen. Wir machten dann ein paar kräftige Yogaübungen zusammen und begannen mit der Arbeit. Ich baute zwei Tipis auf, in dem einem schlief ich, das andere war die "Please"-Station.


Tom Law, Mitglied der "Hog Farm" (eine bis heute aktive Hippie-Gemeinschaft) und Schüler von Yogi Bhajan, erklärt den Teilnehmern des epischen Woodstock-Konzerts die Grundlage des Kundalini Yoga: Es besteht kein Grund, sich selbst zu zerstören Substanzen, die von außen aufgenommen werden, genügen, um "nur" die latente Energie zu wecken, um ein vollständiges Leben zu führen, lebendig und in Harmonie mit sich selbst und anderen. - Aus "Woodstock, 3 Tage Frieden & Musik" - Italienische Untertitel: Sadhu Singh - Übersetzung und Bearbeitung: Nimrita Kaur und Sujan Singh

(automatisch übersetzte Unterschrift im YouTube-Video von Yogajap - hochgeladen am 02.12.2014)


SPIEGEL: Yogaübungen? Heute ja normal in jedem Boutiquehotel, aber relativ unüblich für 1969, oder?

Law: Ich hatte ein paar Jahre zuvor einen Sikh kennengelernt, der mir ein paar Atemübungen und simple Yogastellungen beigebracht hatte. Wir fanden schnell heraus, dass vor allem diese Atemübungen ein einfacher Weg waren, ohne Drogen high zu werden. Sie zentrieren deinen Geist und verändern dein Bewusstsein. Das funktioniert immer und bei jedem und vor allem schnell. Ich könnte mit Ihnen innerhalb von drei Minuten ein paar Übungen durchmachen und Sie dadurch in einen anderen Zustand versetzen.

SPIEGEL: Später.

Law: Als das Festival begann, bot es sich jedenfalls an, ein paar Übungen von der Bühne aus vorzumachen, während die Hunderttausenden warteten, dass die Musik endlich losging. Also erzählte ich ihnen ein bisschen was über das Ganzheitskonzept, Energiefelder und wie sie durch Atmen high werden könnten. Ich ließ sie sich gerade hinsetzen, die Arme heben, einatmen und ausatmen. Einfach ein paar Übungen zusammen machen. Das ergab dann ein ziemlich phänomenales Bild. Es sah aus wie in China. In der westlichen Welt sind wir Bilder von Menschenmengen, die sich gemeinsam bewegen, nicht gewohnt. Das löste dann eine ziemliche Welle aus, auch weil es in dem Woodstock-Dokumentarfilm gezeigt wurde. Leute, die mich da gehört hatten, sind danach deswegen nach Indien gefahren und kamen erst vier Jahre später wieder. Und so verbreitete sich Kundaliniyoga in den USA. Während des Festivals aber war es nur einer der Wege, die vielen Menschen in den unterschiedlichen schwierigen Situationen, die auftraten, bei Laune zu halten.

SPIEGEL: Wie war das überhaupt, als nach ein paar Wochen Vorbereitung schließlich das Publikum kam? Waren Sie fertig geworden?

Law: Nein. Als die Leute auftauchten, war sofort klar: Es gibt keine Möglichkeit, die irgendwie in geregelte Bahnen zu lenken. Wir hatten die Zäune und Einlässe noch gar nicht fertig. Aber es waren schon Leute mit Kameras da, die alles filmten. Wavy und ich konnten später nicht mehr klären, wer von uns beiden mit diesem Satz kam, aber er traf den Nagel auf den Kopf. Wir haben zu den Veranstaltern gesagt: "Wollt ihr einen guten oder einen schlechten Film? Wenn ihr einen guten wollt, vergesst die Tickets und macht dies zu einem kostenlosen Konzert."

SPIEGEL: Wahrscheinlich eine der wichtigsten Entscheidungen Ihres Lebens.

Law: Es war letztlich nicht meine Entscheidung. Das mussten die Veranstalter entscheiden. Für sie bedeutete die Entscheidung einen katastrophalen finanziellen Verlust, mit dem sie die nächsten zehn Jahre zu tun hatten.

SPIEGEL: Also plötzlich waren Hunderttausende Menschen da. Was machten Sie?

Law: Sie waren ja nicht plötzlich da. Sie kamen über Tage verteilt, das fing schon Tage vor dem Festival an, ein konstanter Strom. Ich hatte ein Walkie-Talkie, und immer wenn irgendein Mist passierte, bin ich dahin und habe mich drum gekümmert. Die meisten Sachen waren ziemlich simpel. Aber es gab auch Tragödien.

SPIEGEL: Welche?

Law: Gleich am Morgen des zweiten Festivaltags starb dieser Junge in meinen Armen. Er hatte sich unter einen Jauchewagen zum Schlafen gelegt. In dem Jauchewagen wurden die ganzen Exkremente der portablen Toiletten gesammelt. Ein Bauer kam, kuppelte seinen Traktor an den Jauchewagen und fuhr los. Der Junge war 16 oder 17, kam aus New Jersey, glaube ich. Sie riefen mich, ich war in der Nähe, er lag hinter der Bühne auf halber Höhe den Hügel hoch. Er lag da und bebte und krümmte sich. Ich sah sofort, das sah nicht gut aus. Ich hielt seinen Kopf und sagte: "Man, take it easy. Hilfe ist auf dem Weg." Er blutete nicht, aber seine Brust war zerdrückt. Als der Krankenwagen kam, war er schon tot. Komplett dumme, überflüssige Sache. Der Bauer hatte einfach nicht geguckt. Das war eine ziemlich harte Sache.

SPIEGEL: Warum hat man Sie gerufen?

Law: Ich konnte mit Menschen umgehen. Wir waren mit der Hog Farm sehr gut darin, große Menschenmengen zu handeln. Und da wir in der Kommune alles selbst machten, konnten wir die meisten Probleme lösen. Ich wusste außerdem viel über Chiropraktik und chinesische Medizin. Es gibt ein paar chiropraktische Griffe, die funktionieren immer. Einen musste ich während des Festivals bei mir selbst anwenden, nachdem ich mir komplett den Nacken ausgerenkt hatte.

SPIEGEL: Wie ist das passiert?

Law: Da war ein Typ auf LSD und Speed oder so, der dachte, er sei Gott. Es muss am zweiten Tag gewesen sein. Zur Bühne führte ein Bündel aus dicken Stromkabeln, es lief über eine kleine Brücke, die wir gebaut hatten, drei bis vier Meter über der Straße. Der Typ hing zwischen den Kabeln und rief: "I am something!" Er war völlig drüber, komplett verstrahlt. In der Nähe stand ein Transporter, den habe ich unter die Brücke fahren lassen. Ich bin zu ihm hochgeklettert und habe versucht, ihn aus diesen Kabeln rauszukriegen, er war kurz davor, sich selbst unter Strom zu setzen. Ich sagte ihm: "Oh! Du bist der Allmächtige! Du bist Gott. Wir brauchen dich da unten, du musst runterkommen und zu den Menschen sprechen!" Ich hing unter ihm und versuchte ihn da rauszukriegen, wir hingen vielleicht knapp zwei Meter über dem Dach des Transporters. Er guckte mich an: "Nein, ich bin hier oben hingeschickt worden und kann hier nicht weg." Da habe ich seine Hände von den Kabeln abgeschält. Und dann stürzten wir beide rückwärts auf das Dach des Transporters. Ich landete auf dem Rücken, er auf mir drauf. Das Dach hatte eine ziemliche Beule. Wir haben ihn dann in eins der Trip-Zelte geschickt. Ich hatte mir den Nacken ausgerenkt und begab mich ins eins der medizinischen Zelte.

SPIEGEL: Sie sagten, Sie hätten sich den Nacken selbst wieder eingerenkt.

Law: Ich bin zu einem der Ärzte gegangen, mit denen ich da immer wieder zusammengearbeitet habe, und habe gesagt: "Ich nehme jetzt ein Handtuch, binde es fest um meinen Kopf, hinten am Nacken, vorn an der Stirn, lege mich hin, und dann wirst du meinen Kopf an dem Handtuch nach oben reißen." Er sagte, dass er das auf keinen Fall tun werde. Ich sagte ihm, dass ich genau wisse, was ich da tue, und er solle es einfach machen. Er tat’s, und es funktionierte. Ich stand auf und konnte weiterarbeiten.

SPIEGEL: Und was passierte mit dem Mann, der sich für Gott hielt, im Trip-Zelt?

Law: Wir hatten das schon beim Monterey Pop Festival ausprobiert. Ich hatte da ein Tipi aufgebaut, als Trip-Center sozusagen. Jeder, dem es nicht gut ging nach schlechtem oder zu viel LSD, jeder der einen "Bad Trip" durchmachte, konnte dahin kommen und bekam Hilfe. Wir hatten damit viel Erfahrung, denn wir hatten ja schon jahrelang Ken Kesey bei seinen "Acid Tests" unterstützt.

SPIEGEL: Und wie hilft man den Leuten?

Law: Die Idee war, dass man kurz die Aufmerksamkeit des Betreffenden bekam, zu ihm oder ihr vordrang, mit Ruhe und einfachen Fragen sowie der Versicherung, dass alles wieder normal werde. Dabei half natürlich, wenn derjenige merkte, dass man selbst Erfahrung mit LSD oder Ähnlichem hatte. Und wenn man sie kurz hatte, gab man ihnen eine Aufgabe. Ich suchte dann jemanden, dem es noch schlechter ging, und sagte: "Guck mal, das Mädchen da vorn, das warst du noch vor ein paar Stunden, sie braucht Hilfe. Geh zu ihr, und hol sie zurück in die Welt." Und durch die Aufgabe wurden sie verantwortungsbewusst, und es ging ihnen besser. So half jeder jedem. Diese Idee des Zusammenarbeitens hat das ganze Festival durchzogen.

SPIEGEL: Haben Sie in den drei Tagen mal geschlafen?

Law: Ich muss zugeben, dass ich Samstagnacht das Festival kurz verlassen habe. Albert Grossman, Manager von unter anderem Bob Dylan und ein guter alter Freund von mir, bot mir an, mit zu ihm nach Hause zu kommen. Er lebte in Woodstock, also 100 Kilometer entfernt. Sie wissen ja, das Woodstock-Festival fand nicht in Woodstock selbst statt. Ich war ziemlich fertig zu dem Zeitpunkt. Also nahmen wir einen Helikopter vom Festival zu einem kleinen Flugfeld in der Nähe und flogen mit einer Propellermaschine rüber nach Woodstock. Ich nahm ein Bad, schlief ein paar Stunden und war Sonntagmorgen wieder auf dem Festival. Gerade rechtzeitig zum Gewitter.

SPIEGEL: Wie schlimm war das Gewitter?

Law: Es war ein Sturmgewitter. Auch hier haben alle Beteiligten unglaublich gut reagiert, um die Gefahren maximal einzudämmen.

SPIEGEL: War es denn so gefährlich?

Law: Er war gefährlich. Wir hatten eine Menge Strom, der auf die Bühne floss. Da gingen Millionen Volt in das Bühnenequipment und in die Verstärkertürme. Das musste sofort abgedeckt und vor dem Regen geschützt werden. Wir waren relativ gut vorbereitet. Wir hatten viele Plastikplanen, die sofort einsatzbereit waren. Und es gelang, sehr schnell alle Leute von der Bühne zu kriegen, die dort nicht unbedingt arbeiten mussten. Deswegen fand ich Leute wie Country Joe McDonald, die auf die Bühne kamen und die berühmten "No Rain"-Gesänge anfingen, ein bisschen albern. Das war unnötig gefährlich, und außerdem sind die keine Hopi-Indianer.

SPIEGEL: Der Securitychef Wes Pomeroy, ein ehemaliger Sicherheitsexperte der US-Regierung, hat später gesagt, die Frage, ob man das Festival laufen lässt oder angesichts des Gewittersturms abbricht, sei die kritischste Entscheidung in den drei Tagen gewesen.

Law: Ja. Wes hat schließlich entschieden, dass unter großen Vorsichtsmaßnahmen das Festival weiterlaufen kann. Das war auch richtig. Ein Abbruch bei dem Wetter hätte unvorhersehbare Folgen gehabt. Wes, ein großartiger Typ, passte eigentlich nicht zu den Woodstock-Leuten, weil er ein klassischer Mann aus dem Sicherheitsapparat war, der vorher Republikanische Parteitage beschützt hatte. Ich kam mit ihm besonders gut klar, weil mein Vater Detective beim Los Angeles County Sheriff‘s Department in Hollywood war.

SPIEGEL: Kam Ihr Vater damit klar, dass Sie Hippie wurden?

Law: Das hat er nicht mehr erlebt. Er starb, als ich 13 war. Aber als Kind bin ich nur unter Polizisten aufgewachsen. Ich wusste genau, wie sie redeten und tickten. Die Welt, in der ich in den Vierzigerjahren in Hollywood aufwuchs, war wie in einem Roman von Raymond Chandler oder dem Film "L.A. Confidential". Meine Erfahrung und Vertrautheit mit Cops haben mir später oft geholfen, auch in der Kommune, wo immer mal wieder die Polizei anrückte, und natürlich auch in Woodstock.

SPIEGEL: Sie wuchsen dann bei Ihrer Mutter auf?

Law: Unsere Mutter verließ meinen Bruder und mich bald nach dem Tod des Vaters. Sie zog nach Hawaii mit ihrer Mutter

SPIEGEL: Wieso das?

Law: Sie war Schauspielerin, doch mit der Depression in den Dreißigern endeten ihre Engagements. Seitdem war sie ein gebrochener Geist.

SPIEGEL: Wie ging es weiter für Sie und Ihren Bruder?

Law: Wir schlugen uns durch. Mein Bruder war da schon Schauspieler, ein Kinderstar. Und auch ich hatte im Alter von fünf bis zwölf als Kinderschauspieler und Statist gearbeitet. Wir lebten im Haus unseres verstorbenen Vaters gleich hinterm Sunset Boulevard in Hollywood. Dort war auch die Tankstelle, bei der ich dann arbeitete. Ich schlug mich durch und lernte dabei einiges. 1960 reiste ich ein Jahr durch Europa, 1961 landete ich in New York und arbeitete in den Folk-Music-Klubs in Greenwich Village. Dort lernte ich dann Bob Dylan und seinen Manager Albert Grossman kennen, beide wurden gute Freunde. Dylan wohnte später für eine Zeit lang bei mir im Castle.

SPIEGEL: Im Castle?

Law: Das war ein kleines Schlösschen, das mein Bruder und ich und ein weiterer Freund 1965 in den Hollywood Hills gekauft hatten. Wir vermieteten Zimmer an Musiker, Schriftsteller, Schauspieler und Freunde. Dylan und The Band haben sich dort auf ihre Tour vorbereitet und geprobt. Abends sind wir mit dem Cadillac des Regisseurs Otto Preminger in die Klubs von Hollywood gefahren.

SPIEGEL: Was bleibt von all dem aus heutiger Sicht?

Law: Woodstock zeigte in drei Tagen, worum es in den Sechzigern ging. Es hat eine ganze Gemeinschaft von im Grunde sehr konservativen Farmern, Tante-Emma-Ladenbesitzern und Kleinstadtbewohnern überzeugt, dass das, was die Kids da aufzogen, gar nicht so übel war. Viele waren zunächst skeptisch oder hatten Angst, manche offen feindselig. Und dann veränderte sich das. Plötzlich verteilten sie Essen und Trinken und vergaßen den ganzen autoritären Scheiß. Am Ende waren sie wie verwandelt.

SPIEGEL: Mr Law, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

________________________________________

sinedi 70er jahre
also - ich finde, yoga lehren und praktizieren und früh und spontan verantwortung übernehmen im leben und in woodstock bzw. im flecken "bethel" dort, hält jung - wenigstens sieht der inzwischen 79-jährige tom law doch noch sehr passabel aus, wenn ich das mal als etwas neidischer 72-jähriger mann so ausdrücken darf.

nun war ich nicht in woodstock, aber ich war vor 50 jahren natürlich angetan von dem spontanen chaosgeschehen dort.

ich freue mich, dass man sich 50 jahre später doch auch noch mit einigem wohlwollen daran erinnert (und ich habe vor einigen wochen ja auch schon mal etwas zu "meinem" immerwährenden "woodstock-schrei für die ewigkeit" hier im blog geschrieben...).

mein bild (click) vom "woodstock-schrei für die ewigkeit": joe cocker in "with a little help from my friends"


und außerdem ist dieser interview-text von spiegel-redakteur philipp oehmke mit tom law auch eine hervorragende ergänzung - wie gerufen - zu meinem post von vorhin hier ...

bei allem, was wir heute nach 50 jahren von diesem hippie-fest längst nicht mehr wahrgaben wollen, bleibt diese weltweite leichtigkeit festzuhalten, die law da in woodstock-bethel bei einem solchen chaos mit unsäglichen begleitumständen angetroffen hat und von denen er immer noch in guter erinnerung berichtet: dieses vertrauen und diese innere gewissheit: "es geht alles gut"...

diese 68er geisteshaltung hat ja menschen verändert ihr leben lang bis heute - einfach so...

doch ertappe ich mich jetzt justement dabei an diesen alten satz aus dem "dritten reich" und aus der ddr zu denken: "ja - früher war nicht alles schlecht" - (und hitler hat ja immerhin die autobahn gebaut - und die ddr hatte viele goldmedaillen gewonnen...)"...

aber ich will ja gar nicht woodstock unbotmäßig verklären, aber meine innerlich gefühlte rückbesinnung unterstreicht den satz von tom law: "am ende waren sie wie verwandelt" - verwandelt vom "68er-/woodstock-spirit", der bis heute noch "weht, wo er will": make love - not war !!!




du lebst wohl auf dem mond...

wasserbär oder bärtierchen (foto: tagesschau)


Nach Bruchlandung
Tausende Wasserbären auf dem Mond?

Durch einen Raumfahrt-Unfall könnten Tausende Wasserbären auf der Mondoberfläche verstreut worden sein. Eine israelische Sonde hatte die extrem widerstandsfähigen Kleinstlebewesen an Bord - und zerschellte.

Nach der Bruchlandung einer israelischen Raumsonde auf dem Mond im April könnten möglicherweise Tausende winzige Tierchen auf dem Erdtrabanten "leben" - als Passagiere der verunglückten Sonde.

Die Bärtierchen - auch Wasserbären genannt - gelten als wahre Überlebenskünstler, teilte die US-Organisation, die für die Mondfahrt der Kleinstlebewesen verantwortlich war, mit. Die israelische Raumsonde "Beresheet" (Genesis) war im April auf der Mondoberfläche zerschellt. An Bord hatte die Sonde auch Tausende der Bärtierchen, die nahezu unzerstörbar sind.

In dieser Sonde - etwa so groß wie ein Kühlschrank - reisten die Wasserbären zum Mond. | Bildquelle: dpa | tagesschau


Lange Diät ist kein Problem

"Wir glauben, dass die Überlebenschancen der Bärtierchen äußerst hoch sind", sagte der Mitbegründer und Chef der Arch Mission Foundation, Nova Spivack, der Nachrichtenagentur AFP. Die Winzlinge sind bei einer Größe von unter einem Millimeter mikroskopisch klein, aber äußerst robust.

Sie überleben demnach extreme Strahlung, Hitze und Kälte und kommen Jahrzehnte ohne Nahrung aus. Die Wasserbären befinden sich im getrockneten Zustand, da die Wissenschaftler ihnen vor der Mission Wasser entzogen hatten, um sie in einen Ruhezustand zu bringen.

Reanimierung quasi unmöglich

Dass die Bärtierchen auf dem Mond auch wieder erwachen, ist jedoch unter den dort herrschenden Bedingungen quasi unmöglich - selbst wenn sie die Explosion der Sonde überlebt haben.

Die Wasserbären "bräuchten Wasser, Sauerstoff und Nahrung, um wieder aktiv zu werden und zu wachsen und um sich fortpflanzen zu können", sagte der Wissenschaftler William Miller von der Baker University in den USA. Die Arch Mission Foundation hat sich der Verbreitung von Informationen über die Menschheit im Sonnensystem verschrieben.

Quelle: tagesschau.de




also gut - nun wollen wir aus einem winzigkleinen bärtierchen mal keinen hermann machen - aber bei genauem nachdenken über diesen weltraum-unfall mit all seinen möglichen folgen in der zeit nach uns bzw. auch vor uns werfen sich doch ein paar auch ethische fragen auf.

wenn die sonde nun nicht zerschellt wäre, hätte man die vom wasser befreiten lebe-wesen (!), die aber bei einer solchen inneren dürre anscheinend durchaus (noch über)leben, wohl auf dem erdtrabanten einfach ihrem schicksal überlassen - und wer weiß, was dort auf dem mond in ein paar millionen jahren sich entwickelt hätte...

ist das einfach die unbändige forscher-hybris des menschen, solche unerahnbaren abenteuer zu provozieren?

gott spielen, das scheint bei aller zeitgemäßen gottlosigkeit doch auch für eingefleischte atheisten eine menschliche option zu bleiben - obwohl schon einstein erkannt hatte: "gott würfelt nicht" - wenigstens schrieb er in einem brief an den physiker lanzsos:
  • "Es scheint hart, dem Herrgott in die Karten zu gucken. Aber dass er würfelt und sich telepathischer Mittel bedient (wie es ihm von der gegenwärtigen Quantentheorie zugemutet wird), kann ich keinen Augenblick glauben."
und doch: all diese rätsel um die quantentheorie und die kleinstlebewesen berühren ja auch die themen von neulich hier zur existenz eines mikrobioms im menschlichen darm zu seinem und unseren nutzen und seinem und unseren schaden - und weiterhin zur wirkungsweise der homöopathischen verschüttelungs-präparate - und wie dumm wir in bezug auf diese wissensfelder insgesamt doch noch sind - besonders auch das zusammenwirken und weiterleben - ja und wieder(be)leben - dieser kleinstlebewesen als bionorm oder auch als schnöder wasserbär - auch im hinblick im abgleich mit der quantentheorie... nee - okay: gott würfelt nicht, aber er richtet das chaos für sich und für uns als immerwährendes vielgestaltiges leben ein...  

und genau das öffnet den wildesten spekulationen ja tür und tor - und das sind nicht einmal "verschwörungstheorien" oder "fake news" ..., sondern das alles hat - wie die vielleicht in ewigkeit lebendigen bärtierchen-hüllen - einen harten und wahren und unumstößlichen kern - zumindest bis zum nächsten gau...

mir fiel dazu auch eine szenenfolge aus dem guten alten disney-film "die wüste lebt" ein: wo nach einem starken regenguss wie aus dem nichts aus dem zuvor "toten" wüstensandboden plötzlich blühendes und munteres leben in allen varrianten emporspross und es grünte und blühte - und die erstaunlich reiche form von tierarten konnten sich endlich einmal "satt" fressen und vorratseinlagerungen für ausgedörrtere zeiten bilden...: 

was lange währt wird endlich gut ... 

- und chuat choan und nix für ungut - wird schon wieder (!!!)...

gott würfelt nicht, aber er richtet das chaos für sich und für uns als immerwährendes vielgestaltiges leben ein...  | grafikbearbeitung: sinedi

                                                 

wer genau hinschaut

wer genau hinschaut - erkennt gleich wo dieser abendsonnenschein photographiert wurde ...