"

gute künstler sind nicht unbedingt auch gute menschen

Ausstellung im Israel-Museum
Werke aus der Gurlitt-Sammlung in Jerusalem

Bei der Suche nach NS-Raubkunst spielt Israel seit Jahren eine aktive Rolle. In Jerusalem wird nun erstmals ein Teil des Gurlitt-Funds ausgestellt. Die dort gezeigten Werke speziell stehen aber nicht unter Raubkunstverdacht.

Mehr als 80 Werke aus dem Erbe des deutschen Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (1895-1956) sind nun von Dienstag an erstmals in Israel zu sehen. Die Ausstellung mit dem Titel «Fateful choices» (etwa: Schicksalsentscheidungen) im Israel-Museum in Jerusalem zeigt Werke bekannter Künstler, darunter Otto Dix, Max Ernst, Erich Heckel, George Grosz, Pierre-Auguste Renoir, Claude Monet und Emil Nolde. Sie befasst sich auch mit der komplexen Figur Gurlitt, der einer der wichtigsten Kunsthändler der Nationalsozialisten war.


Im Besitz von Gurlitts Sohn Cornelius waren 2012 rund 1500 Werke, viele auf Papier, entdeckt worden. Große Teile der Sammlung standen im Verdacht, jüdischen Besitzern während der Nazi-Zeit geraubt worden zu sein. Bisher haben sich aber erst sieben der Kunstwerke eindeutig als NS-Raubkunst erwiesen. Cornelius Gurlitt starb 2014. Er vermachte die ganze Sammlung dem Kunstmuseum Bern. (aus: WESTFALEN-BLATT/dpa)

Direktor des Israel-Museums 

„Die Geschichte dieser Bilder wurde sehr gut erforscht“

Von Anja Reich

Als Kulturstaatsministerin Monika Grütters vor einem Jahr zu Regierungskonsultationen in Jerusalem war, vereinbarte sie mit dem israelischen Kulturministerium, die Gurlitt-Ausstellung nach Israel zu bringen. Nun ist es so weit. Im Israel-Museum in Jerusalem wird seit Mittwoch eine Auswahl der Werke gezeigt, die Cornelius Gurlitt, Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, in seiner Münchner Wohnung aufbewahrte. Die Ausstellung heißt „Schicksalswahlen“ und ist bis zum 24. Januar 2020 zu sehen. Mit Ido Bruno, dem Direktor des Israel-Museums, sprachen wir am Abend der Eröffnung.

Was bedeutet es Ihnen, diese Ausstellung hier in Jerusalem zu zeigen?

Wir sind ein Kunstmuseum und einfach sehr froh, diese wunderbaren Werke zeigen zu können. Da sind ein paar wirklich sehr schöne Stücke dabei.

Welches ist Ihr Lieblingsbild? 

Schwierige Frage. Von den zeitgenössischen Werken vielleicht die von Emil Nolde. Außerdem mag ich die Bilder von Cornelia Gurlitt, der Schwester von Hildebrand Gurlitt.

Emil Nolde - Mann und Weibchen, Holzschnitt 1912 - eins der Exponate in der Jerusalem-Ausstellung


Emil Nolde, ausgerechnet? 
Ich finde, er war ein sehr guter Künstler. 
Stört Sie nicht, dass er Antisemit war? 
Das hat mit seiner Kunst nichts zu tun.

In Deutschland wird diese Frage heftig diskutiert. Die deutsche Kanzlerin hat zwei Noldes abgehängt. 
Was Sie ansprechen, ist eine sehr große Frage, die nicht nur Nolde betrifft und die viele andere Fragen nach sich zieht: Müssen wir einen Künstler boykottieren, nur weil wir seine Einstellungen problematisch finden? Nach welchen Kriterien entscheiden wir, ob ein Künstler tragbar ist oder nicht? Wer legt diese Kriterien fest? Wer entscheidet, wer hält Gericht? 
Haben Sie Antworten darauf? 
Ich glaube, wenn wir uns einmal auf diese Diskussion einlassen, werden wir schnell feststellen, dass wir kaum noch auf die Kunst achten, sondern viel Zeit damit verbringen, Urteile über Künstler zu fällen und dass Politiker aus allen möglichen Richtungen sich diese Diskussion zu nutzen machen, um Kunst zu verhindern. Womöglich völlig ungerechtfertigt. Das ist ein sehr gefährliches Spiel, und deshalb finde ich, jeder sollte für sich selbst entscheiden, was er sich ansieht und was nicht. Wenn jemand meint, Nolde war ein Antisemit oder sogar aktiver Nazi und aus diesem Grund seine Kunst nicht sehen will, ist das zu akzeptieren.
Gibt es Künstler, die Sie in Ihrem Museum nicht zeigen würden?

Darüber habe ich noch nie nachgedacht.

Ist das eine sehr deutsche Diskussion?

In gewisser Weise schon. Aber sie wird auch hier geführt, im Bereich der Musik zum Beispiel.

Sie meinen, die Diskussion darüber, ob in Israel Richard-Wagner-Kompositionen gespielt werden dürfen oder nicht.


Genau. Die Diskussion über Komponisten, die von den Nazis bewundert wurden. Es geht um dieselbe Frage, und es ging eine Weile heiß her. Ob das bei Nolde auch so sein wird, weiß ich nicht.
Wenn Adolf Eichmann ein sehr guter Maler gewesen wäre, hätten wir seine Werke sicher nicht gezeigt. Oder wir würden sie gerade deshalb zeigen. Um den Riss zwischen Künstler und Person darzustellen und darüber zu diskutieren, warum gute Künstler nicht unbedingt gute Menschen sind.

Was haben Sie gedacht, als Sie das erste Mal vom Fall Gurlitt gehört haben?

Ich dachte, das ist eine ziemlich typische Geschichte, eine, die in diese Zeit passt. Aber diese hat einen besonderen Reiz, weil sie wie ein Kriminalfall ist, ein guter Kriminalfall.

Typisch inwiefern?

In dem Sinn, dass es viel Raubkunst in Nazideutschland gab und Kunsthändler, die das ausgenutzt haben. Wir im Israel-Museum hatten hier alleine zwei Ausstellungen dazu.

Wie bekannt ist der Fall Gurlitt in der israelischen Gesellschaft?

Er ist kaum bekannt. In Kunstkreisen natürlich schon. Unsere Kuratorin für europäische Kunst Schlomit Steinberg war Mitglied der Taskforce, die nach den ursprünglichen Besitzern der Gurlitt-Bilder geforscht hat. Aber für einen Großteil der Leute hier in Israel ist das alles sehr weit weg.

Obwohl es Teil der jüdischen Geschichte ist?

Nicht alle Israelis haben die gleiche Verbindung zu jedem Teil der jüdischen Geschichte. Natürlich hat jeder hier vom Holocaust gehört. Aber es gibt dabei so viele Nebengeschichten, und Raubkunst ist eine sehr kleine Nebengeschichte.

Wie sind die Reaktionen auf die Ausstellung?

Das müssen Sie mich in einer Woche noch einmal fragen.

Was erwarten Sie?

Ich denke, im Unterschied zu Europa können wir die Diskussion ein bisschen mehr öffnen. Wir sind freier, denn es ist nicht hier passiert und uns belastet keine Schuld.

Sind unter den sechs Familien, die bisher Werke rückerstattet bekamen, auch israelische?

Nein, davon ist mir nichts bekannt.

Könnte es passieren, dass Besucher durch die Ausstellung gehen und sagen: Guck mal, das Bild hing doch bei unserer Oma in Berlin?

Natürlich kann es sein, dass jemand im Familienalbum der Großmutter ein Foto findet, wie sie im Salon sitzt, und hinter ihr hängt ein Bild, das nun hier in der Ausstellung zu sehen ist. Sehr wahrscheinlich ist das jedoch nicht. Die Geschichte dieser Bilder wurde sehr gut erforscht.

Warum ist die Ausstellung so klein? Sie zeigen nur 100 von mehr als 1500 Werken.

Wir möchten die Geschichte auf einfache und klare Art erzählen, in vier Kapitel unterteilt, leicht zugänglich. Die Qualität der Kunstwerke ist sehr unterschiedlich. Wir haben uns vor allem für hochwertige Bilder entschieden. Außerdem ist es generell so, dass die meisten Besucher kleine Ausstellungen mehr schätzen als große. Sie fühlen sich weniger überfordert.

Waren Hildebrand oder Cornelius Gurlitt jemals in Israel?

Soweit ich weiß, nein.

Ist es möglich, dass es noch mehr versteckte Kunstsammlungen wie die von Gurlitt gibt? Irgendwo auf der Welt?

Klar, warum nicht? Wir wissen nur, was wir wissen, nicht, was wir nicht wissen. Niemand von uns hat mit einem Mann gerechnet, der in seiner Wohnung in München mehr als tausend Kunstwerke versteckt. Aber dass es Kunsthändler gab in der Nazi-Zeit, die zwielichtige Geschäfte betrieben, das wussten wir. Und die gesamte Kunstwelt stellt sich die Frage: Warum haben wir nicht schon vor 20 oder 50 Jahren nach dem Verbleib dieser Bilder geforscht?

Ido Bruno, 1963 in Jerusalem geboren, hat 25 Jahre lang an der Jerusalemer Bezalel Academy of Arts&Design unterrichtet, an der er selbst studiert hat, und eine Design-Firma geleitet. Zudem hat er zahlreiche Ausstellungen in Israel und international kuratiert. Seit November 2017 ist er Direktor des Israel-Museums. 
Das Israel-Museum in Jerusalem ist eines der größten Museen des Landes. Es beherbergt rund 500.000 Objekte, darunter die Schriftrollen vom Toten Meer.

Berliner Zeitung - click



da muss ausgerechnet der direktor des jerusalem-museums, professor bruno, zeigen, wie man die kunst vom künstler getrennt sehen sollte - aber dass das eine individuelle persönliche entscheidung ist.

ich habe in diesem blog schon einmal gesagt, dass emil nolde nun kein schlechterer künstler geworden ist, weil seine aktive nsdap-mitgliedschaft und -sympathie inzwischen auch von der nolde-stiftung offen kommuniziert wird - und der lack des sogenannten "deutschstunde"-nolde, den meine generation in der nachkriegszeit noch vom frühen fernsehen eingeimpft bekam, nun endgültig abgeplatzt ist (nach dem roman "deutschstunde" von siegfried lenz, der wohl unwissentlich nolde darin etwas zu sehr glorifiziert und ihm ein verfälschendes image verpasst hat in der hauptfigur nansen dort).

es ist schwierig, sich hierzu untadelig gerade mit einem deutschen personalausweis in der tasche zu verhalten - da ist man aufgrund der sogenannten "trangenerationalen traumaweitergabe" hin- und hergerissen: einerseits von noldes expressionistischer meisterschaft und andererseits von seiner nazi-anbiederei und seiner geschichtsklitterung nach dem krieg, obwohl das ja auch bei richtern, beamten und ärzten z.b. durchaus ein übliches verfahren der spurenöschung und des §neuanfangs" war.

da ist es gerade gut, wenn ein junger jüdischer museums-direktor hier seinen klaren standpunkt vertritt: die kunst kommt vor der moral des künstlers.

die me-too-bewegung hätte mit picasso heutzutage sicherlich auch ihre probleme - und wenn die deutsche elite aus politik und kultur jedes jahr auf den grünen hügel nach bayreuth zu den wagner-festspielen eilt,  dann hat das ja im hinblick auf wagners aktive empathie für die nazis zumindest auch insgesamt ein "gschmäckle".

dass frau merkel nun nach dem abhängen ihrer nolde-bilder aus dem büro nun auch nicht mehr nach bayreuth fährt, hab ich nun noch nicht gehört.

anselm kiefer: dein goldenes haar margarethe
(zeile aus der 'todesfuge' von celan)
und professor bruno schränkt ja auch ein, ob man gegebenenfalls gemälde von adolf eichmann präsentiert hätte - fügt dann aber an: vielleicht gerade - um deutlich zu machen: ein guter künstler muss nicht zwangsläufig auch ein guter mensch sein...

schon 1996 habe ich im jerusalem-museum werke von anselm kiefer hängen sehen, der mit seinen motivbearbeitungen zur "teutschen" mythenwelt auch oft in eine rechte ecke gedrängt wurde und noch wird. und auch heute kennt ihn das ausland insgesamt wesentlich besser und vorurteilsloser als seine landsleute hier...

aber bei kiefer muss man konstatieren, dass seine motive zu gedichtzeilen vom rumänien-deutschen juden paul celan (z.b. "todesfuge") den nachkriegsdeutschen genauso schwer im magen lagen wie ein etwaiges goutieren der diametral gegenüberstehenden seite alten national(sozial)istischen mythenkults...
...scham - schuld - schlechtes gewissen - und es ging den (west-)deutschen doch tatsächlich "unverdient" gut als "tätervolk" nach dem krieg, ver- und gekauft und finanziell gepuckert von den alliierten...
es ist ein typisch deutsches phänomen: dass wir künstler und kunst kaum voneinander unterscheiden wollen und können: auch weil wir immer etwas "hineininterpretieren" und hineigeheimnissen" wollen und fast zwanghaft müssen: und was soll das sein? - und was bringt mir das? - was will mir der künstler damit sagen - als seine persönliche unverbrüchliche botschaft. doch wir müssen lernen auf dem internationalen parkett im globalen dorf: manchem künstler ging und geht es um bloße ästhetik oder gefühlsduselei und meditation und manchmal nur um klamauk und knete.

vor 50 jahren: abbey road - und die suche nach der östlichen mystik




London: Vier Männer laufen über einen Zebrastreifen, im Hintergrund parkt ein VW-Käfer. Jeder Musikfan weiß sofort, um was es geht: »Abbey Road«. Das »Beatles«-Album mit dem weltberühmten Cover erschien an diesem Donnerstag vor 50 Jahren.

Mit der remasterten Wiederveröffentlichung am Freitag wird das Meisterwerk der Fab Four gefeiert. Damals erschien »Abbey Road« nach turbulenten Wochen, in denen das offiziell erst 1970 vollzogene Ende der »Beatles« besiegelt wurde. Vormittags am 8. August 1969 liefen John Lennon, Ringo Starr, Paul McCartney und George Harrison über den Zebrastreifen an der Abbey Road 3/Ecke Grove End Road, Iain MacMillan fotografierte. Dann aber »machte die Sache keinen Spaß mehr, und es war Zeit zu gehen«, sagte Harrison über die Trennung, die von Lennon ausging.

Die Welt ahnte am Tag des Erscheinens von »Abbey Road« nicht, dass die »Beatles« einen letzten Kraftakt für ein finales Meisterwerk hinter sich gebracht hatten. Der später weltberühmte Alan Parsons, der mit 19 Jahren Soundingenieur in den Abbey-Road-Studios war, erinnert sich: »Ich war mir auf dem Apple-Dach sicher, dass es die letzte Live-Performance war. Aber ich war mir nicht sicher, ob ›Abbey Road‹ ihr letztes Statement sein würde.«

Das elfte »Beatles«-Studioalbum seit dem Debüt »Please Please Me« (1963) steckt voller Überraschungen. Musikalisch wie fotografisch: Das Albumcover mit dem barfüßigen McCartney war Anlass für wüste Theorien, er sei tot und durch einen Doppelgänger ersetzt worden. Angeblicher Beweis: das Nummernschild des VW-Käfers im Hintergrund, auf dem »LMW« stand sowie »28 IF«. Das sollte heißen: »Linda McCartney weeps« (Linda McCartney weint) sowie McCartney wäre 28 Jahre alt, »if« – wenn – er denn noch leben würde. Tatsächlich war McCartney damals 27, aber auch das wischten die Esoteriker beiseite: McCartney sei ja in der Lehre des Mystizismus bewandert, der zufolge jeder Mensch zum Zeitpunkt seiner Geburt bereits ein Jahr alt sei.

50 Jahre später verursacht das Album im Londoner Stadtteil St. John’s Wood immer noch fast täglich Verkehrsbehinderungen, denn der unter Denkmalschutz stehende Zebrastreifen ist eine Touristenattraktion. Und ein ständiges Ärgernis für Autofahrer: Bis das Hupkonzert der Auto- und Busfahrer zu laut wird, versuchen die Touris, das Albumcover nachzustellen. Das Fotoshooting ist nicht ganz ungefährlich: Einige Autofahrer sind so genervt, dass sie vor dem Zebrastreifen extra aufs Gaspedal treten . . .

aus: WESTFALEN-BLATT, Donnerstag, 26.September 2019, S. 31 - Kultur/Fernsehen




ja - es war das letzte life-album der beatles - vor 50 jahren - und ich erinnere noch, wie man auf den feten nach den songs auf der platte girrte.

aber neben den songs hat mich diese "verschwörungstheorie" fasziniert: das albumcover mit dem barfüßigen mc|cartney, der angeblich tot sei und von einem "double" ersetzt wurde - mit dem hinweis auf das kitzekleine nummernschild auf dem vw-käfer links, auf dem »LMW« stand, und darunter »28 IF«. und das wurde dann (ein bisschen so wie "reim dich oder ich fress dich") dem angeblichen kürzel »Linda McCartney Weeps« (linda mc|cartney weint) zugeschrieben und die "28" dem lebensalter von mc|cartney (obwohl er erst 27 war) - und das »IF« – wenn er denn noch leben würde. und diese altersabweichung wurde damit begründet, dass das zeugungsalter bei der geburt ja schon fast ein jahr zurückliegt - so wie es teilweise in schulen der astrologie und der mystik berechnet wird.

tja - mit solchen spitzfindigkeiten kann man natürlich in jedes foto irgendetwas hineingeheimnissen - und vor allen dingen heutzutage im netz damit aufsehen und anhänger bekommen und eine menge clicks und selbstbestätigung.

aber den esoterikern und beatniks dieser verschwörungsinterpretation damals ging es darum ja nicht, die waren ja noch gar nicht so "netz-affin", wie das heutzutage per smartphone gang und gäbe ist.

das cover war so bestechend einfach und genial, dass man sich eben überlegte: was will man uns damit sagen: und die beatles selbst waren ja schon von einem trip zuvor aus indien zurückgekehrt - und waren in meditationstechniken eingeführt worden, um ersatz für den drogenkonsum zu finden: im februar 1968 reisten sie nach rishikesh in nordindien, um an einem fortbildungskurs für transzendentale meditation (tm) im ashram von maharishi mahesh yogi teilzunehmen. 

das interesse der band an den lehren des maharishi wurde von george harrison angeführt. diese neue orientierung der beatles veränderte die einstellung der westlichen welt zur indischen spiritualität insgesamt und führte auch zum hype um den bhagwan shree raijneesh - später osho und seinen orange/rot-sannyas - und förderte die einübung buddhistischer und anderer esoterischer mediationsübungen wie dem yoga. und: der erfolg der meditationen machte sich ganz in echt bemerkbar: es wurde die produktivste zeit für das songwriting der beatles.

natürlich waren diese abstrusen cover-interpretationen einfach nur wichtigtuerei - aber die hinwendung zur östlichen spiritualität der beatles und der popmusik damals und das bekanntwerden der amerikanischen beat-literatur in den "einschlägigen kreisen" war schon eine episode der 68-er kulturentwicklung insgesamt - und hält seitdem auch noch an - wenn auch wesentlich "nüchterner" und abgeklärter. 

die welt wenigstens war wieder ein stück mehr zum globalen dorf zusammengewachsen ...

eine historische begegnung: "wie konntet ihr es wagen"... - update: die sorge des friedrich merz


Klimagipfel in New York

Als Greta Thunberg auf Donald Trump traf

Ein offizielles Treffen von Aktivistin Greta Thunberg und US-Präsident Donald Trump sollte es am Rande des Klimagipfels nicht geben. Nun sorgt eine kurze, ungeplante Begegnung der beiden für Schlagzeilen.


Der Moment dauerte nur wenige Sekunden, doch ein Video davon sorgt derzeit in den sozialen Netzwerken für Aufsehen und in zahlreichen Medien für Schlagzeilen: Am Rande des Klimagipfels in New York sind sich Greta Thunberg und Donald Trump begegnet.

Der US-Präsident kam unangekündigt zum Klimagipfel in New York. Als er gerade auf dem Weg in die Halle der Uno-Vollversammlung war, wurde er im Gang von Journalisten abgefangen und unter anderem zu einem möglichen Treffen mit Irans Präsident Hassan Rohani befragt. Nur wenige Meter entfernt stand zu diesem Zeitpunkt die 16-jährige Klimaaktivistin. Trump nahm keine Notiz von ihr. Thunberg blickte Trump mit ernster Miene hinterher.

Das Video von diesem kurzen Moment und ein passendes Gif von Thunbergs Blick wird in den sozialen Netzwerken vielfach geteilt.

"Wenn ein Bild mehr sagt als 1000 Worte, dann sagt dieses Gif 100.000", kommentierte beispielsweise die Nachrichtenseite "Now This". 

Das "New York Magazin" scherzte: "Greta Thunberg trägt mit ihrem sengenden Blick aus Versehen zur Erderwärmung bei." Und die US-Abgeordnete Sheila Jackson Lee teilte einen Tweet mit den Worten "Wir sind alle Greta Thunberg". (SPIEGEL)

____________________________________


ich finde, diese kurze sequenz zeigt das ganze ausmaß dieses historischen dilemmas in der welt und in der epoche in der wir leben - ganz verkürzt und exemplarisch auf den punkt gebracht: und deshalb ist dieses dokumentations-"gif" - vom "guardian" gefischt - es wert, hier geteilt zu werden.

greta thunberg hatte gerade auf dem welt-klimagipfel ihre wutentbrannte rede über das nichtstun der weltpolitik in sachen klimaschutz gehalten - und ihre betroffenheit und ihre angst dort zum ausdruck gebracht - während herr trump diesen gipfel längst aus seinen terminkalender gestrichen hatte und durch abwesenheit und abstinenz seine haltung und meinung zur erderwärmung und zum klimaschutz zum ausdruck bringen wollte. 

und doch betrat er wie von geisterhand gesteuert die halle der uno-vollversammlung, eigentlich nur um am selben tag hier auf dem un-gelände eine eigene veranstaltung "zur religionsfreiheit" durchzuführen, die er wohlmit seinen getreuen selbst organisiert hat - wohl als eine art gegenpol-propaganda-veranstaltung... - und so traf er natürlich gewollt oder zufällig auf greta thunberg - und ignorierte sie - behandelte sie wie luft - und zeigte damit einmal mehr seine bodenlose ablehnung gegen alles - außer gegen sich selbst natürlich: und damit unterstrich er die aussage von greta thunberg ganz konkret: den weltpolitik-entscheidern geht die klimaproplematik im großen & ganzen sowas von am "ar..." vorbei, weil ihnen einfach das hemd näher ist als das sakko - sprich: das aktienportfolio und das bankkonto näher und wichtiger sind als diese kleine 16-jährige krakeelende wut-göre da aus schweden, die sich sorgen macht um ihre zukunft - und um die zukunft ihrer generation.
taz-karikatur, 25.09.19:
howdareyou 

und wer in diesem begegnungsaugenblick der beiden vielleicht derzeitig bekanntesten repräsentanten zweier diametral zueinander stehenden welt-überzeugungen sich wohl eher als der mensch mit der offensichtlicheren narzisstisch-autistischen störung offenbarte, das hat sich für mich wenigstens in dem moment deutlich bewiesen. es war fast so wie die begegnung von feuer mit wasser - oder von gut und böse...

und nach ihrer flammenden wutentbrannten rede auf dem klimagipfel
  • „wie konntet ihr es wagen, meine träume und meine kindheit zu stehlen mit euren leeren worten?“, fragte die schwedin mit tränen in den Augen. „wir werden euch das nicht durchgehen lassen ... die welt wacht auf, und es wird veränderungen geben, ob ihr es wollt oder nicht.“ - 
hat trump dann am montagabend seine meinung zu thunberg getwittert: er teilte einen link, in dem ihre rede und ihr wutausbruch thematisiert wurde. trump schrieb dazu ironisch und herablassend: „sie scheint ein sehr glückliches junges mädchen zu sein, das sich auf eine strahlende und wundervolle zukunft freut. so nett anzusehen!“ (die welt)

würdeloser und beleidigender geht das wohl nicht - besonders auch die formulierung: "eine 'strahlende' zukunft"...

ich jedenfalls bin auch - diesmal wieder - an der seite von greta thunberg, auch noch wenn ich bereits gleichalt bin mit diesem "mr. president"... 

und auch wenn frau merkel nun an greta kritik übt: um die klimaziele wenn auch verspätet noch einigermaßen einzuhalten, benötige man technologien und kapital-innovation - das habe greta übersehen - und sich ja in ihrer wutrede gegen die andauernd geforderte wirtschaftliche wachstumspolitik ausgesprochen.

die taz überschreibt das 4-augen-treffen zwischen greta thunberg mit angelika merkel in einem nebenraum auf schwarzen ledersesseln zu einem kleinen inoffiziellen austausch am rande sehr treffend mit: "aktivistin trifft auf passivistin"... -  

allerdings - greta muss auch auf keinerlei "marktkonforme" klientel rücksicht nehmen und keine lobby bedienen, sie kann frei von der leber weg ...


und schon vor jahren brachte merkel ja den lapsus: 
  • „wir leben ja in einer demokratie und sind auch froh darüber - und das ist eine parlamentarische demokratie und deshalb ist das budgetrecht ein kernrecht des parlaments und insofern werden wir wege finden, wie die parlamentarische mitbestimmung so gestaltet wird, dass sie trotzdem auch marktkonform ist, also auf den märkten - die entsprechenden signale sich ergeben..." - und so ähnlich wird sie mit frau thunberg auch geredet haben...

und ja - das mit dem portfolio und den bankkonten, die oft näher sitzen als die umwelt - das gilt für angela merkel und ihrem cdu/csu-lobby- und kanzler-wahlverein mit seiner naseweisen schützenvereins-moral natürlich allemal... und das kann und darf und muss greta auch nicht verstehen ...

____________________________


update: inzwischen hat auch der ewige wiedergänger friedrich merz sich in "sorge um greta thunberg" (münchener merkur) in einem interview mit der "augsburger allgemeinen" zu wort gemeldet:

„Also ganz ehrlich: Meine Tochter hätte ich da nicht hingelassen. Auf der einen Seite ist das Mädchen bewundernswert, aber auf der anderen Seite ist es krank“, so der 63-Jährige. Er habe bei dem Thema ein zwiegespaltenes Gefühl und frage sich, was die Eltern ihrer Tochter antun, führt Merz weiter aus. Am Ende bleibe bei ihm vor allem ein Sorgegefühl zurück, schließt der CDU-Politiker. 

okay - in dem gleichen interview teilt er auch gegen die kanzlerin aus, die ja zu den drögen ergebnissen der klima-koaltionsrunde gesagt hatte, politik bestehe aus dem was möglich sei - merz meint dazu sinngemäß, politik müsse "etwas möglich machen und etwas möglich machen wollen"... - und dann kommt im weiteren verlauf diese passage zu greta thunberg und ihren eltern.

merz will ja mit aller gewalt nun schon seit 10 jahren in einer "1-mann-außerparlamentarischen opposition"  mit hilfe von ein paar verbündeten in bestimmten flügeln der cdu beweisen, dass er der mann ist, der nun von jetzt auf gleich bei jahrelanger kerner-politischen abstinenz aus dem stegreif "kanzler kann"...

aber mit solchen rundumschlägen gegen frau merkel, die sich in ihre selbst auferlegte "lame duck"-rolle zurückgezogen hat - und gegen die minderjährige greta, die am gleichen tag für den "alternativen nobelpreis" genannt wird, disqualifiziert er sich ja selbst für höhere ämter.

denn das ist ja keine auseinandersetzung mit gretas forderungen und ihrer betroffenheit, sondern einfach ein "totschlag"-argument: "...auf der anderen seite ist es (merz sagt nicht: sie) krank...".

da zeigt sich einfach merz' unbeholfenheit, im "hier & jetzt", im "real life" argumentativ zu bleiben. merz hat diese schnöde alltags-realität hier längst verlassen und brilon und das sauerland-milieu hinter sich gelassen und überwunden - up up and away in irgendein finanz-nirwana höheren orts...

denn sonst wüsste er, dass auch eine 16-jährige person mit einem "asperger"-autismus tatsächlich nur "erkrankt", wenn sie sich vielleicht einen infekt auf ihrer schiffsreise einfängt, oder z.b. eine leberzirrhose vom dreckigen schlechtgefilterten meerwasser auf der überfahrt - oder oder oder... 

am asperger - und im übrigen auch der mensch mit dem amputierten gliedmaß oder der handverkrüppelung, oder der trisomie 21 z.b. - an diesen abweichungen, die ja nicht einmal mehr als störung zu klassifizieren sind - im mühsam erreichten zeitalter des "inklusionsgedankens" erst recht - "leidet" man ja nicht: all diese erscheinungen sind sogenannte und nur von menschen definierte abweichungen von von einer von menschen und algorithmen definierten norm, vielleicht ähnlich wie angeborene rote haare, oder die unterschiedliche hautfarben und gestaltbildungen der menschen auf der welt (das unwort "rasse" hat sich ja jüngst durch genforschungen erledigt): der eine tickt so, die andere so...

und ich hab ja bereits hier formuliert, wer bei der begegnung von trump mit greta für mich einen gestörteren eindruck hinterließ ...

aber sich wegen dem von greta offen kommunizierten asperger-syndrom nicht mit ihren forderungen ernsthaft auseinandersetzen zu wollen, hat in diesem falle für mich auch etwas von "diskriminierung" - ja und auch einfachem simplen publicity-neid: wer "krank" ist braucht von irgendwoher medizinische "hilfe" - aber soll gefälligst das (umwelt-)politische feld räumen - und aus der sonne gehen...

und übrigens, herr merz: ein "zwiegespaltenes gefühl" ist bestimmt in mehreren therapie-sitzungen durchaus "heilbar" bei ihren möglichkeiten, es kann sonst anhaltend psychosomatische störungen auslösen ...


kaiserring an barbara kruger

barbara kruger,  nach einer sinedi-graphic-bearbeitung


Barbara Kruger (74), Konzeptkünstlerin, hat am Samstag den Kaiserring der Stadt Goslar erhalten, einen der weltweit wichtigsten Preise für moderne Kunst. Die US-Künstlerin untersuche seit gut 40 Jahren in großformatigen Bildern, Installationen, Videos und Werken im öffentlichen Raum die komplexen Zusammenhänge zwischen Macht und Gesellschaft, erklärte die Jury. Ihre Arbeiten seien kritische In­ter­ventionen, mit denen sie die Abgründe des Kapitalismus und trügerischen Verlockungen des Konsums aufdecke.




tja - ich muss gestehen, ich kannte barbara kruger kaum - und war überrascht, sie unter den 25 künstlerinnen zu finden, die nach dem "new york times style magazine" die derzeitige epoche künstlerisch bestimmen...
ich möchte dich also hier mitnehmen zu einem kleinen rundgang zu den meist plakativen ausdrucksstarken werken dieser künstlerin, die sich hoffentlich danach auch "in doppelter größe" vor deinem geistigen auge widerspiegelt.

denn sie ist tatsächlich eine entdeckung.

vielleicht sind die früheren werke von klaus staeck mit ihrem werk in etwa vergleichbar, halb satire, halb kultur- und alltags- und commerzkritik - und bei barbara kruger kommt dann noch die feminististische seite zum tragen: nie eigentlich im behauptenden stil, sondern immer eher mit einem kleinen augenzwinkern neben der treffenden anmerkung zur literatur - z.b. von virginia woolf - die die schon ende der 20-er jahre formuliert hat.

hier also zunächst die zwei werke von barbara kruger aus dem "new york times style magazine" vom 15.07.2019 zu den 
25 kunstwerken,
die das zeitalter 
bestimmen:



  • 1. „Ohne Titel (... wenn ich das wort "kultur" höre, nehme ich mein scheckbuch heraus...) aus 1985;
  • 2. „Ohne Titel (ich kaufe - also bin ich)" von 1987.

sodann geht es weiter zu einer installation zu einem virginia-woolf-zitat von 1929, die 2017 in berlin zu bestaunen war:






Eine Installationsansicht von Barbara Krugers „Forever“. Foto: Timo Ohler | NYT

auch hierzu schrieb seinerzeit das "new york times style magazine":

In ihrer vier Jahrzehnte langen Karriere hat die Konzeptkünstlerin Barbara Kruger die Worte von Virginia Woolf aufgegriffen und dabei immer wieder Zeilen von „Mrs. Dalloway “oder„ To the Lighthouse“ genutzt und optisch und graphisch varriert. Und für ihre Installation „Forever , die 2017 in Berlin gezeigt wurde, zitierte Kruger Woolfs ausführlichen Aufsatz „A Room of One's Own“ - und füllte eine ganze Galeriewand mit dem Zitat: „Das weißt du: Frauen haben all diese Jahrhunderte als Spiegel gedient, die die magische und köstliche Kraft besitzen, die Figur des Mannes in doppelter natürlicher Größe wiederzugeben.“

"Ich habe vor vielen, vielen, vielen Jahren eine Reihe ihrer Bücher gelesen, und "Ein Zimmer für sich allein" ist ein wichtiger, ausführlicher Aufsatz, der für mich für die Lebensbedingungen bestimmter Frauen sehr relevant ist", sagte Kruger zunächst über die feministische Abhandlung, veröffentlicht im Jahr 1929 - Original-Titel: "A Room of One's Own". "Ich meine, wenn ich Woolf lese, bin ich mir sowohl der Ausdehnung ihres Schreibens als auch der Besonderheit bewusst, dass sie als eine weiße Frau einer bestimmten Klasse in England angehörte, als sie dies schrieb. Weil ich denke, dass es sowohl humorvoll als auch tragisch ist, was diese Welt so viele Tage inzwischen lesen und fühlen kann", sagte sie, "besonders jetzt , in diesen Zeiten, die sich seltsamerweise jenseits der Satire anfühlen" ...




  • und hier gehts zur website-hommage an barbara kruger - und danach zu einem amerikanischen video zu ihren werken: 
click




und oben aus dem himmelstor

und oben aus dem himmelstor | sinedi.art

ausgeflattert - meine friday-for-future-meldung

click to video


click to NYT-Story




29% der nordamerikanischen vögel sind "verschwunden" - und da das so peu à peu und stickum erfolgt, hat' fast niemand gemerkt:
und auch hier gilt: "america first"...

Also - die Zahl des Tages: 2.900.000.000

Konkrete Auswirkungen hat der Klimawandel schon lange - unter anderem auf die Tierwelt. Ein großes Problem ist hier das Artensterben. Eine Studie hat sich mit der Vogelwelt in Nordamerika beschäftigt. Laut der Analyse zweier Wissenschaftler von der Cornell University im Bundesstaat New York leben heute 2,9 Milliarden Vögel weniger in den USA und in Kanada als noch vor 50 Jahren.

Eine mögliche Ursache: der schwindende Lebensraum der Tiere - steigende Temperaturen könnten das Problem noch verschärfen.

nach veranstalterangaben 270.000 teilnehmer - taz

nachts sind alle katzen grau

das ist auch nicht mehr das, was es früher mal war: sinedi.grafic nach spiegel-foto dpa

DER SPIEGEL SPIEGEL ONLINE

DIE LAGE
Morning Briefing

Die Lage am Freitag

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute beschäftigen wir uns mit den (fehlenden) Klimabeschlüssen des Koalitionsausschusses

Es war eine dieser Nächte, die ewig dauern, in denen die Gesichter immer grauer und eingefallener werden, der Kaffeekonsum steigt und steigt. Um 17.30 Uhr trafen sich gestern Spitzenpolitiker von Union und SPD im Kanzleramt, um über ein Klimaschutzprogramm zu beraten. Um 5 Uhr morgens, bei Redaktionsschluss dieser Lage, saßen sie immer noch da und redeten miteinander, mal in getrennten Runden von Union und SPD, mal gemeinsam. Es geht um sehr viel, und solche Gespräche dürfen gar nicht schnell zu Ende gehen, weil sonst die Anhänger der jeweiligen Seite denken könnten, ihre Leute hätten nicht hart genug verhandelt.

Viel Zeit zum Ausruhen bleibt einigen Teilnehmern der Runde nicht. Denn heute soll auch das sogenannte Klimakabinett tagen, um die Eckpunkte des Programms abzusegnen. Anschließend wird es nach bisheriger Planung eine Pressekonferenz geben.

Auch sonst wird dies ein großer Klimatag. Heute beginnt die globale Streikwoche, zu der die Bewegung "Fridays for Future" aufgerufen hat. In Monaco startet die Konferenz des Weltklimarats zum Thema "Einfluss des Klimawandels auf Ozeane und Eismassen der Erde". Warum sich diese Ereignisse so häufen? In der nächsten Woche wird die Uno-Vollversammlung in New York über das Klimathema beraten.

aus: SPIEGEL ONLINE

________________________________

nun - in meinem morgendlichen morning-briefing, aber nach umweltverträglicher und gesund durchschlafener nacht - muss ich lesen, dass diese so eminent wichtige koalitionsrunde zu den klimabeschlüssen gestern ab 17.30 uhr (!) anfing zu "tagen"...

ich meine, die bezeichnungen "tagung", "tagen" kommen ja von "tag" - will also sagen, dass man "tags"über am besten tagt. alles andere ist einfach ungesund und widerspricht der menschlichen natur mit ihren naturgesetzen.

also gerade eine "tagungs"runde über das öko-klima sollte schon von seinem setting her, in gesundem, möglichst ausgeruhtem und entspanntem klima stattfinden. das ist doch eine binsenwahrheit: - so - in solcher übernächtigter und überreizter und überspannter atmosphäre - kann da ja nichts bei rauskommen...

eine dafür anberaumte nachtsitzung ab 17.30 uhr ist deshalb ein unding an sich - es sei denn, man will die bereits kaputte umwelt mit der ansetzung des sitzungstermins einfach vom sitzungs-klima her möglichst lebensecht nachempfinden: so kaputt wie wir hier ist unsere umwelt schon lange...

ich lese ja oft von diesen nachtsitzungen in der politik, ob in brüssel oder in berlin oder auch bei gipfeltreffen von g7, g8, g20 - und ich weiß nicht, warum man sich trotz zitteranfällen und grauen gesichtern und anderen wehwehchen und viel zu viel kaffee solchen torturen immer wieder erneut offenen auges aussetzt.

was will man den wählern, dem volk, den bürgern damit beweisen: etwa fleiß? - wir sind tag und nacht für euch da - und "ringen" um die politische "wahrheit"?

ein solch ungesundes verhalten kann dem verhandlungsgegenstand einfach nicht dienlich sein. der gesundheitsminister spahn müsste in seinem haus studien über die risiken von nachtarbeiten zuhauf vorfinden - und wir lesen ja jeden tag über schwerste und tödliche unfälle auf den autobahnen von übermüdeten fahrern usw.

also warum tun sich und uns die politiker in "verantwortungsvollen" ämtern das an - in der nacht vor den nächsten "friday-for-future" schulstreiks.

mit einem solchen nachteulen-verhalten wertet man meines erachtens die grundsätze für eine gesunde, biologisch saubere lebensführung einfach ab und führt sie ad absurdum.

warum können poltische sitzungen nicht morgens um 09.00 oder 10.00 uhr beginnen und maximal um 18.00 uhr beendet sein - um sich dann bei fehlenden beschlüssen auf den nächsten tag (!) zu verabreden - und erst einmal eine nacht drüber zu schlafen: das wäre entspannter - und ein gutes vorbild für die "friday-for-future-kids & teens" - es wäre wesentlich gesünder und umweltgerechter und energieeffizienter ...

nee - übernächtigte koalitionsausschuss-politiker haben immer noch - entgegen aller anderslauternder beteuerungen - nicht verstanden !- ganz in echt nicht !!


klima-paket - karikatur klaus stuttman, tagesspiegel (im negativ)




jesus im schwarzen prekariat

Arnulf Rainers Kreuz in der Stuttgarter Domkirche | Foto: sinedi

Stuttgarter Nachrichten vom 08.08.2019:

Neuer Coup von Milo Rau

Das Evangelium der Migranten

Roland Müller

Der Schweizer Regisseur Milo Rau plant im süditalienischen Matera seinen nächsten Coup: „Das Neue Evangelium“ soll ein Remake des legendären Jesus-Films von Pasolini werden. Die Hauptrollen besetzt er mit Flüchtlingen, die er zur realen Revolte aufrufen will.

Mit Theater jenseits aller Konventionen hat er sich einen Namen gemacht und jetzt sogar den Klerus überzeugt. „Milo Raus Kunst greift nach dem Leben, sie meint das Ganze“, hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler über das Projekt „Orestes in Mossul“ geschrieben, das der Regisseur im März in der ehemaligen Hauptstadt des „Islamischen Staats“ herausgebracht hat. Den Bischofs-Satz könnte man auch auf das „Lamm Gottes“ münzen, mit dem der Schweizer Theatermacher im Mai in Stuttgart gastierte: ein Gegenwart und Mythos genial verschmelzendes Menschen- und Gesellschaftspanorama, das aufs Tiefste berührt hat.

Nun wagt sich der 42-jährige Milo Rau, der im belgischen Gent das Nationaltheater leitet, an einen weiteren Mythos: ans Neue Testament. In Matera, wo die legendären Jesusfilme von Pier Paolo Pasolini und Mel Gibson entstanden sind, verfilmt er ab Ende August die Passion Christi unter dem Titel „Das Neue Evangelium“. Der Clou: die Rollen sind nicht nur mit Schauspielern von Pasolini und Gibson besetzt, sondern auch mit Flüchtlingen.

Jesus ist schwarz und kommt aus Afrika

Mit dem Aktivisten und Plantagenarbeiter Yvan Sagnet soll zum ersten Mal ein schwarzer Jesus vor der Kamera stehen, an der Seite von Enrique Irazoqui, Pasolinis Jesus von 1964, und Maia Morgenstern, die 2004 bei Gibson die Heilige Maria spielte. Bei öffentlichen Drehs in Matera, der Europäischen Kulturhauptstadt 2019, wird Jesus das Wort Gottes verkünden, bevor er gekreuzigt wird, um schließlich in Rom, der Hauptstadt des katholischen Christentums und Sitz einer ausländerfeindlichen Regierung, wieder aufzuerstehen. Das fürs inszenierte Wunder vorgesehene Datum: 10. Oktober.

Doch damit nicht genug. Parallel zum Pasolini-Remake möchte der interventionistische Rau „die humanistische Botschaft des Neuen Testaments ins Heute transformieren“, wie es in einer Mitteilung heißt. Im September startet mit einem Marsch aus Flüchtlingslagern die „Revolte der Würde“, angeführt vom Jesus-Darsteller Yvan Sagnet – und folgen sollen ihm Migranten, „die auf den Tomatenfeldern von der Mafia versklavt werden.“ Sein neues Großprojekt, sagt Rau, „wird Jesus vom Kopf auf die Füße stellen“ – und wenn nicht alles täuscht, ihn selbst zum Erlöser machen: mit einem Freiheits-Evangelium, das statt auf den Glauben auf die Tat setzt.


taz vom 1709.2019

Milo Rau über sein Theaterprojekt

Jesus, der Loser

Unser Autor inszeniert in Süditalien ein „Neues Evangelium“. Sein Heiland ruft Lega-Wähler dazu auf, „zum wahren Glauben“ zurückzukehren.


Yvan Sagnet wird als Jesus gefoltert - Foto: Maurizio Di Zio


Vor ein paar Tagen begann in Italien die heiße Phase unseres Jesus-Films, zu dem auch die „Rivolta della Dignità“, eine politische Kampagne für die Rechte von Migranten und Landarbeitern gehört. Unser Jesus, der Aktivist Yvan Sagnet, ist schwarz, seine Kampagne besteht unter anderem in Hausbesetzungen, Sit-ins und Verführung zu zivilem Ungehorsam.

Kürzlich riefen er und seine Apostel die Wähler der rechtsradikalen Lega dazu auf, „zum wahren Glauben zurückzukehren“. Mit Rechten reden? Gern, aber nur, wenn sie vorher Buße tun.

Vergangene Woche erschien unser schwarzer Jesus auf der Titelseite der größten rechten Zeitung Italiens, die perverserweise La Verità heißt. Ein Bild zeigte ihn mit Dornenkrone, der erste Satz des Artikels lautete: „Könnten Migranten tatsächlich über Wasser gehen, dann hätten wir ein echtes Problem.“ Faschistische Rhetorik ist mit bürgerlichen Maßstäben nicht messbar.

Sie ist immun gegen Argumente politischer oder ethischer Art, da „in der analen Phase stecken geblieben“, wie ein Analyst einmal sagte. Was gemäß Freud ein lustvoller Zustand ist. Oder mit Pasolini gesprochen: Es macht eben verdammt viel Spaß, ­Faschist zu sein.

Das Zitat der Verità ist ein finsterer, unendlich bösartiger Scherz. Es ist, als würde dieser Journalist auf das Grab von Tausenden von ertrunkenen Menschen spucken. Ich glaube übrigens, dass das unterdessen so normal ist, dass es niemanden auch nur aufgefallen ist.

Und es würde wohl auch niemandem auffallen, würde der gleiche Journalist bei einem Schulbrand in Afrika schreiben: „Wären afrikanische Kinder wirklich feuerfest, hätten wir ein echtes Problem.“ Und sich dabei als Mann fühlen, der die Dinge sagt, wie sie sind: Diese Menschen sind Verlierer durch Geburt im globalen Kapitalismus – und haben deshalb den Tod verdient.

„Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Aber wie kann man rassistische Gewalt darstellen? In unserem Film spielt eben der Kameruner Yvan Sagnet den Gottessohn. Kaum eine Geschichte ist zugleich so gewalttätig und zart wie das Neue Testament. Gott wird zum Menschen, um das Einzige kennenzulernen, was ein Gott nicht kennen kann: den Tod.

Dieser Gott stirbt, nicht metaphorisch, sondern körperlich, durch Einwirkung extremster Gewalt – am Kreuz. Seine letzten Worte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Die abstrakte Sinnstiftung scheitert am Leid des Individuums.

An einem unendlichen langen Drehtag filmen wir in einer der Materaner Höhlensiedlungen die Folterung des Gottessohns. Gerade weil Sagnet schwarz ist, wird Jesus als Individuum sichtbar. Etwas stimmt nicht im Bild, und auf einmal ist da nicht mehr „Jesus“, sondern ein Körper: ein afrikanischer Körper, der ganz konkret der abstrakten Gewalt des globalen Rassismus unterworfen ist.

Für die Maske ist der Maskenbildner von Mel Gibson angereist, als Stuntman haben wir den Stuntman des neuen James Bond eingeladen, der gerade in der Stadt gedreht wird. Im Hintergrund dieser also völlig naturalistisch ausgemalten Folterung ist aber ein kleines Podest aufgebaut: auf ihm sitzen Zuschauer, darunter Enrique Irazoqui, der Jesus von Pasolini, und Maia Morgenstern, die Mutter Gottes bei Mel Gibson.

Gerade die historischen Kostüme und Kulissen, gerade das ganze Kunstblut lassen Jesus in seiner absoluten Verletzlichkeit hervortreten. „Wir haben den Kampf gegen den Faschismus verloren“, sagt mir der Spanier Irazoqui, der einst gegen Franco kämpfte, als ich ihm später am Tag den Artikel in der Verità zeige. Aber das eigentliche Mysterium von Jesus besteht ja gerade darin, dass er nach kapitalistischem Maßstab ein Loser ist.

Dass er stirbt, dass er im Kampf gegen Rom unterliegt – und damit, wie Paulus später feststellen wird, einen Sieg über das Siegen selbst erringt. Denn man kann einen Kampf nicht verlieren. Man kann ihn nur nicht kämpfen.

_____________________________________

blasphemie ist das beileibe nicht - das ist eher eine eigenwillige aber zeitgemäße filmische nacherzählung - eine übertragung der geschichten und des geistes des neuen testamentes in unsere zeit.

und milo rau lässt den jesus von dem schwarzen plantagenarbeiter yvan sagnet verkörpern: ein schwarzer jesus im film - endlich mal.

neben den dreharbeiten zum film gibt es auch protestaktionen: z.b. gegen die versklavung der schwarzen tomatenpflücker in den plantagen dort - und da spürt man auch etwas vom atem jesu bei solchem protest - beim aufbäumen gegen dieses im wahrsten sinne des wortes "römische" rechtsradikale neoliberale establishment, das die schwarzen dort rasch zu tomatenpflückern rekrutiert und vereinnahmt - und die not der ankommenden jungen menschen mir nichts dir nichts ausnutzt und sie auspresst...

man sagt ja immer, geschichte wiederhole sich nicht - aber ein konkreter lebendiger jesus heutzutage würde wohl tatsächlich schwarz sein und in lampedusa mit dem rettungsfloß ankommen - um dann aber zu versuchen, den ankommenden flüchtlingen sicherheit und geborgenheit zu geben.

und vielleicht würde er wieder unterliegen - und die "rechte" in italien würde schreien: lasst ihn verrecken im mittelmeer (statt: kreuziget ihn) - und schaut, er kann ja gar nicht übers wasser laufen ... 

aber - wie schreibt milo rau oben: "man kann so einen kampf nicht verlieren. man kann ihn nur nicht kämpfen."

wannsee - graphic novel

Einzelbilder aus der Graphic-Novel - JLT ® - ligne claire - click


Neuerscheinung

Mörderisches Kammerspiel

Ein Comic begibt sich auf die Spuren der Wannseekonferenz, bei der hochrangige Nazis die industrielle Vernichtung der europäischen Juden planten.

Von  Oliver Seifert

Die Lage: mondän, die Kulisse: eindrucksvoll, der Wein: exquisit, die Speisen: üppig, die Zimmer: fein herausgeputzt, nur etwas sehr kalt ist es an diesem 20. Januar 1942. In der herrschaftlichen Villa am Berliner Wannsee ist alles bestens vorbereitet für die Besprechung. Während ein Großteil der geladenen Gäste bereits angeregt plaudert, schneit der Konferenzleiter gerade noch rechtzeitig herein. Er kommt mit Flugzeug aus Prag.
Der französische Comiczeichner
und -autor Fabrice Le Hénanff
schaut bei seiner „Wannsee"-Version genau hin. -
Abbildungen: © Fabrice Le Hénanff/Knesebeck
Was an der auserwählten Männerrunde irritiert, sind anfangs vielleicht die Uniformen, dann die Inhalte der lockeren Gespräche, die vor derben Scherzen nicht halt machen. Als plötzlich die „Endlösung der Judenfrage" ins Spiel kommt, fast beiläufig anfangs, ist klar, dass dieses Treffen eine fatale Dimension besitzt. Es gilt absolute Verschwiegenheit! Die Konferenz hat niemals stattgefunden! Die Bänder des Stenografen sowie die Sitzungsprotokolle sind zu vernichten!

Anderthalb Stunden für die geplante industrielle Vernichtung von elf Millionen Menschen
Der Grund: Fünfzehn hochrangige Nationalsozialisten unter ihnen Reinhard Heydrich, Adolf Eichmann und Rudolf Freisler besprechen die Organisation und Koordination des Genozids an den Juden. Anderthalb Stunden. Mehr Zeit ist nicht für elf Millionen Menschen und deren industrielle Vernichtung.

Ein mörderisches Kammerspiel mit peniblen Technokraten als Hauptdarstellern, die sich an ihrem logistischen Meisterstück versuchen. Auf die sogenannte Wannseekonferenz folgen zwei weitere Konferenzen im März und Oktober für offen gebliebene Fragen. Was Adolf Hitler in seiner Reichstagsrede 1939 das erste Mal ankündigte, „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa", wird nun eifrig und führerhörig vollendet.

Es sind erschreckend harmlos wirkende, rotbäckige Massenmörder

Der französische Comiczeichner und -autor Fabrice Le Hénanff schaut bei seiner „Wannsee"-Version genau hin in detaillierten Darstellungen und matten, dunklen Farben. Seine Protagonisten tragen fast freundliche, sympathische Gesichtszüge. Es sind erschreckend harmlos wirkende, rotbäckige Massenmörder, die bei ihrem nie dagewesenen verbrecherischen Großprojekt mit eiskalter, bürokratischer Sachlichkeit in Inhalt und Sprache darüber befinden, wer alles Jude ist, wer davon noch zum Arbeitsdienst taugt, welche zahlenmäßigen Erfolge neue Tötungsmethoden (Vergasung!) bringen oder wo überhaupt zuerst „aufgeräumt" und „gesäubert" werden soll.

Stellt etwa der New Yorker Art Spiegelman in seinem „Maus"-Comic die Opfer ins Zentrum (am Beispiel seines Vaters), so wagt sich Le Hénanff an die Perspektive der Täter. Der Holocaust ist bei ihm, Anfang 1942, noch megalomaner Plan, die Leichenberge vom Massaker in Babi Jar einige Monate zuvor mit mehr als 3.0000 Erschossenen sind Vorboten und Gegenstand einer Besprechungspause.

Der„Wannsee"-Comic setzt auf einen dokumentarischen Stil

Alliierte Kunst: Wenn der französische Zeichner die tödliche Jagd einer Katze auf eine Maus (bei ihm fast eine Ratte) im vertikalen Raster hineinmontiert, als gerade die Nazi-Elite voll widerlicher Vorfreude den teuflischen Pakt beschließt, ist es gleichzeitig ein Verweis auf den US-amerikanischen Kollegen, in dessen Werk (als Fabel) die Juden als Mäuse und die Deutschen als Katzen dargestellt sind.

Statt maximaler Verfremdung setzt der„Wannsee"-Comic auf einen dokumentarischen Stil, der in düsterer Kolorierung eine apokalyptische Stimmung erzeugt. Wie auf alten Fotos wechselt die Qualität der Abbildungen, mal besser, mal deutlich unscharf, schemenhaft und ziemlich verblasst.

Im trüben Licht sind schablonenhafte, sehr austauschbare Nazi-Granden zu sehen
Der ungenaue Blick auf eine nicht bis ins letzte Detail rekonstruierbare Veranstaltung (nur ein originales Besprechungsprotokoll ist erhalten) wird durch gelblich-grünstichiges, fleckiges Aquarellieren und flächiges, vertikales Schraffieren erzeugt. Im trüben Licht sind so manchmal schablonenhafte, kaum unterscheidbare und damit sehr austauschbare Nazi-Granden zu sehen.

Im ästhetischen Bezug auf den Film „Conspiracy" von 2001 (auf Deutsch „Die Wannseekonferenz"), im Nachwort hingewiesen, als Quelle angegeben, wird allerdings auch inhaltlich eine kritische Haltung des Konferenzteilnehmers Friedrich Wilhelm Kritzinger übernommen, die bis heute unbelegt bleibt. Wie im Film sind auch im Comic die Dialoge rekonstruiert, denn es gibt einfach keine Dokumente über die wortwörtlichen Aussagen der geladenen Schreibtischtäter. Manch aufgegriffene Sachverhalt des Treffens bleibt Spekulation.

Fünf Millionen Juden kostete der Holocaust das Leben. Was aus den daran beteiligten fünfzehn Nazis wurde, zeigen die Kurzbiografien am Ende des Comics. Als Kriegsverbrecher wurden drei hingerichtet. Wegen der Teilnahme an der streng geheimen Wannseekonferenz kam es zu keiner Verurteilung.
Fabice Le Hénanff am Bildtisch - Foto: liguedefensejuive.com - ldj


Fabrice Le Hénanff: 
Wannsee, 88 S., 
Knesebeck Verlag,
München 2019, 24 Euro
Text: NEUE WESTFÄLISCHE click here








____________________________

ich finde, die bezeichnung "wannsee-comic" für dieses werk geradezu despektierlich. hierfür würde ich die einordnung als "graphic-novel" mal einmal nicht zu sperrig und durchaus angemessen empfinden.

denn fabrice le hénanff hat ja neben den 15 wannsee-konferenz-teilnehmern, von denen es nicht immer authentische bildvorlagen gab, auch noch das "protokoll", den wortlaut und den ablauf dieser streng geheimen sitzung mitrekonstruieren müssen.

und er hat gerade diesen verschwiegenen düsteren charakter der mörderischen performance in seinem grafik-stil versucht einzufangen: mit düsteren sepia-halbtönen und schattenrissen im schummrigen gegenlicht.

das hat le hénanff nun aber nicht überzeichnet ins unwirkliche, ins unrealistisch traumhafte, sondern es hat unsere kollektive vorstellung von dem, was damals wohl abging, gut getroffen.

es war ja eine geheime konferenz, von der nichts nach außen dringen sollte: der beschluss, die europäischen juden gänzlich "niederzuführen" und "auszurotten", und dazu die industriell organisierten arbeitsteiligen ausführungs-abläufe der vergasung und vergiftung auch so stickum zu installieren, dass noch jahrzehnte später zeitzeugen allen ernstes behaupten konnten, davon hätten sie nichts geahnt und nichts gewusst.

und doch hatte man ja bereits von 1939-1941 die vernichtung von "unbrauchbaren" behinderten menschen im zuge des "gnadentod-erlasses", also der sogenannten "euthanasie", über 70.000 mal in 6 eigens dafür eingerichteten vernichtungsanstalten im reichsgebiet hinter sich und entsprechende erfahrungen gesammelt und festgehalten und ausgetauscht, und man wusste durch diesen "probelauf" ja bereits, wie man arbeitsteilig kleinteilig fragmentiert - step by step - und doch rasch und massenhaft im kollektiv ohne späteren einzeltäter-nachweis töten kann.

und die ns-euthanasie-morde gingen nach ihrer "vom führer" befohlenen "offiziellen" schein-einstellung auf lokaler ebene dezentral organisiert, aber mit dem alten zentral-know-how aus berlin, munter weiter: ebenso stickum - und deshalb zumeist in mordanstalten auf okkupierten gebieten z.b. in polen, abseits vom main-stream, so dass es nur noch gerüchteweise als ein "horror-vertelleken" weitergetragen werden konnte.

diese "öffentlich geahnte geheimhaltung" hat le hénanff mit seinem mehrfach überarbeiten illustrations-stil in seiner "wannsee-konferenz", die 1942 stattfand, gut getroffen - und mangels authentischerem bildmaterial nach fast 80 jahren auch gut "in szene" gesetzt.

man sollte für den geschichts-unterricht in schulen "klassensätze" dieser "graphic-novel" anschaffen, um den schülern heutzutage diese verlogene und verhuschte mörderische zeit in ihrer verschwiegenheit und in ihrer ungeheuerlichkeit ganz nahe zu bringen - besonders auch in ihrer mörderischen umsetzung.

sie müssen darin nicht besonders geschont werden - denn durch die "baller-spiele" auf ihrem smartphone sind sie ja bereits einiges "gewohnt"... - sie müssen nur "be-greifen" lernen, dass das was da in der "wannsee-konferenz" beschlossen wurde, kein spiel war, sondern dass es damals um's echte leben und um den echten massenmord ging - auch vielleicht der nachbarn ihrer urgroßeltern von nebenan oder von verwandten als opfer - oder aber auch den befehlszwängen, unter denen uropa oder uroma vor 80 jahren die wannsee-beschlüsse umsetzen mussten - und sich hinterher so merkwürdig ausschwiegen zu dieser zeit...