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Angst, Krieg & Aktionismus

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Medizinhistoriker

"Bei der Spanischen Grippe herrschte die gleiche Hilflosigkeit, der gleiche Aktionismus"

Auf Pandemien reagieren die Menschen seit Jahrhunderten ähnlich, sagt der Medizinhistoriker Wolfgang U. Eckart.

Ein Interview von Katja Iken im SPIEGEL


SPIEGEL: "Seuchen machen Geschichte", sagte der US-Historiker William McNeill. Wissenschaftler argumentieren, dass die "Attische Seuche" im 5. Jahrhundert v. Chr. den Niedergang Athens beschleunigte, die Malaria das Römische Reich dahinraffte, die Pest die Neuzeit einleitete. Wie viel Sprengkraft besitzen Pandemien? 
Eckart: Darf ich als Historiker die ältere Bezeichnung "Seuchen" verwenden?

SPIEGEL: Nur zu.

Eckart: Ob Seuchen Weltreiche zum Untergang brachten oder neue entstehen ließen, da wäre ich skeptisch. Aber sie haben ohne Zweifel den Verlauf der Geschichte verändert und erkennbare Spuren hinterlassen. Nehmen Sie etwa die "Justinianische Pest", die im 6. Jahrhundert im Mittelmeerraum wütete: Sie hinderte den oströmischen Kaiser Justinian mit großer Sicherheit, seinen Plan der Restauratio Imperii umzusetzen, also der Wiederherstellung des einheitlichen Römischen Reiches. Seuchen treffen fast immer auf eine schwere politisch-soziale Strukturveränderung ­oder bewirken sie.

SPIEGEL: Meist treten sie im Gefolge von Kriegen oder Krisen auf.

Eckart: Die europäischen Gesellschaften waren krisengeschüttelt, lange bevor im 14. Jahrhundert die Pest ausbrach, etwa durch Klimaveränderungen und Kriege. Die Territorien veränderten sich durch die Krankheit nicht oder nur marginal. Was sich wandelte, war die Struktur der Gesellschaften. Wir wissen nicht genau, wie viele Menschen der "Schwarze Tod" dahinraffte, Hochrechnungen gehen von bis zu einem Drittel der europäischen Bevölkerung aus, also bis zu 30 Millionen Menschen. Das führte zu einer massiven Verjüngung der Gesellschaften, zur Umverteilung von Gütern und Werten, zu einem Zweifeln an Gott und dem Wanken des mittelalterlichen Weltbildes. Die christliche Welt geriet aus den Fugen.

SPIEGEL: Wie war das bei der nächsten großen Pandemie, der Cholera des frühen 19. Jahrhunderts?

Eckart: Auch sie traf auf ein Europa im Umbruch. In Frankreich hatte die Juli-Revolution von 1830 gerade das katholische Königtum abgelöst, in Deutschland war der Vormärz im Gang. Allerorten griff die Urbanisierung um sich, fanden politisch-gesellschaftliche Umwälzungen statt. Oder nehmen Sie die Spanische Grippe, die am Ende des Ersten Weltkriegs auftrat.

SPIEGEL: Covid-19 schlägt in vergleichsweise friedlichen Zeiten zu.

Eckart: Da wäre ich mir nicht so sicher. Als hoch industrialisierte Gesellschaften leben wir in einer permanenten kriegerischen Auseinandersetzung mit der Umwelt. Covid-19 ist dort zuerst ausgebrochen, wo dieser Krieg besonders aggressiv geführt wird, etwa in den Megacitys in China und in der stark industrialisierten Region Norditaliens mit ihrer extremen Luftverschmutzung.

SPIEGEL: Haben wir uns Corona selbst zuzuschreiben?

Eckart: Dieses Virus ist zu einem nicht geringen Teil die Folge unseres kriegerisch-sorglosen Umgangs mit der Umwelt. Wenn wir uns etwa die Massenproduktion von Lebensmitteln anschauen, die immer auch Keimträger sind, oder aber die Vermengung von Nahrungsquellen, die exorbitante Geflügelüberproduktion, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Natur jetzt zurückschlägt.

SPIEGEL: An welche Pandemie erinnert Sie Corona?

Eckart: Sie ähnelt in vielerlei Hinsicht der Spanischen Grippe. Es herrschte die gleiche Hilflosigkeit der Wissenschaft, der gleiche Aktionismus, die gleiche in den Ländern unterschiedlich geführte Diskussion über Schulschließungen und Verbote für Theater und Kino. Damals entschied man sich häufig dagegen, auch um den Menschen im Krieg nicht auch noch diese Freude zu rauben. Mit dramatischen Folgen: Es starben 35 bis 50 Millionen Menschen, manche sprechen sogar von bis zu 100 Millionen Todesopfern. So dramatisch wird es bei Corona sicher nicht, aber die Millionenhöhe könnte schon erreicht werden, wenn man den Prognosen der Virologen folgt. Zudem griffen bei der Spanischen Grippe exakt die gleichen Mechanismen, die wir heute beobachten und die seit Jahrhunderten unsere Reaktion auf Seuchen prägen: Nehmen Sie die Hamsterkäufe, eine Art irrationale Ersatzhandlung angesichts einer Bedrohung, die man nicht kontrollieren kann.

SPIEGEL: Was wurde bei der Spanischen Grippe gehamstert?

Eckart: Die Leute fuhren aufs Land und versuchten, sich mit Lebensmitteln einzudecken. Besonders begehrt waren Zucker, Fett und Wurst, denn die war nach staatlich verordneten Massenschlachtungen von Schweinen in der Mitte des Krieges sehr knapp geworden.

SPIEGEL: Und bei der Pest im 14. Jahrhundert?

Eckart: Da wurde weniger gehamstert als geflohen. Wer es konnte, suchte das Weite. Die Devise war: möglichst schnell möglichst weit weg und möglichst lange wegbleiben, bis die Seuche sich ausgetobt hat. Man wusste schon damals: So schnell kommt eine Seuche nicht wieder.

SPIEGEL: Es war vor allem die Elite, die fliehen konnte. Menschen wie der italienische Dichter Giovanni Boccaccio.

Eckart: Genau. Seuchen treffen soziale Schichten ungleich, auch das war immer so. Den Ärmsten blieb bei der Pest nichts weiter, als sich in ihre Häuser einzuschließen. Jeden Tag kam jemand vorbei, warf Sand ans Fenster, wartete auf eine Reaktion. Wenn niemand mehr rausschaute, ging man rein und holte die Leichen raus.

SPIEGEL: Welche anderen Reaktionsmuster lassen sich beobachten?

Eckart: Angesichts des nahen Todes brach bei Seuchenausbrüchen die moralische Ordnung häufig komplett in sich zusammen. Da schlief der Nachbar mit der Ehefrau des Nachbarn, man kümmerte sich nicht mehr um die eigene Familie, trank die Weinvorräte leer, vernachlässigte die Kinder und feierte. Eine enorme Lebensfreude und Sittenlosigkeit brach sich Bahn.

SPIEGEL: Wie schnell eine als vorbildlich geltende Zivilisation implodieren kann, beschrieb schon der griechische Historiker Thukydides angesichts der "Attischen Seuche".

Eckart: Ihm tat es der Italiener Boccaccio mit seinem "Decamerone" gleich. "Der Schrecken der Heimsuchung", schrieb er mit Blick auf das Florenz des 14. Jahrhunderts, "hatte die Herzen der Menschen mit solcher Gewalt zerstört, dass auch der Bruder den Bruder verließ, der Onkel den Neffen, die Schwester den Bruder und nicht selten auch die Frau ihren Mann. Das Schrecklichste, ganz und gar Unfassliche aber war, dass Väter und Mütter sich weigerten, ihre Kinder zu besuchen und zu pflegen, als wären es nicht die eigenen."

SPIEGEL: Was machen Pandemien und die dadurch ausgelösten Ängste noch mit Gesellschaften?

Eckart: Ein bis heute stets wiederkehrender Reflex ist die Suche nach dem Schuldigen. Die absurdesten Verschwörungstheorien blühen auf, eine Hatz auf Sündenböcke beginnt.

SPIEGEL: Bei der "Attischen Seuche" hieß es, die Spartaner oder die Perser hätten die Brunnen vergiftet.

Eckart: Und im Europa des 14. Jahrhunderts wurden die Juden dieser Tat verdächtigt. Daraus folgten flächendeckende Pogrome: Die Baseler verbrannten ihre jüdische Gemeinde im Januar 1349 in einem eigens errichteten Holzhaus, die Mainzer löschten ihre jüdische Gemeinde im August aus, auch in anderen Städten und auf dem Land kam es zu Massakern. In den späten Fünfzigerjahren des 14. Jahrhunderts waren kaum noch Juden in Mitteleuropa am Leben.

SPIEGEL: Während der Pest und in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs mussten auch sogenannte Hexen als Sündenböcke herhalten, wurden verfolgt und ermordet.

Eckart: Diese Frauen mussten auch für schlechte Ernten und Erdbeben büßen, für alle unerklärlichen Katastrophen. Noch im 19. Jahrhundert kursierten die wildesten Verschwörungstheorien. In Paris etwa wurden die Chiffonniers, die armen Lumpensammler, für den Ausbruch der Cholera verantwortlich gemacht. Zudem verdächtigte man Weinhändler und durchreisende Kaufleute. Lebensmittelverkäufer wurden bezichtigt, ihre Ware vergiftet und so die Seuche ausgelöst zu haben. Aufgebracht setzte der Mob den Ruf der Revolution "An die Laternen!" um, reihenweise wurden die vermeintlich Verantwortlichen aufgeknüpft. Schuld war immer der andere, der Fremde. Dieses gefährliche Othering, diese Ausgrenzung und Abwertung beginnt schon beim Namen der Seuchen.

SPIEGEL: Im Deutschen hieß die Syphilis "Franzosenkrankheit".

Eckart: In Frankreich und in Russland nannte man sie die "Polnische Krankheit", in Polen wiederum die "Deutsche Krankheit". Die Suche nach dem Schuldigen ist ein hilfreiches Konstrukt, um sich in eine Position des vermeintlichen Wissens zu bringen. Ein Ausdruck der Hilflosigkeit.

SPIEGEL: Welche Verschwörungstheorien blühten im 20. Jahrhundert?

Eckart: Im Ersten Weltkrieg brach in dem von Deutschen und Österreichern besetzten Osteuropa das Fleckfieber aus, erneut wurden die Juden zu Sündenböcken gemacht. Statt nach Impfstoffen zu suchen, wurden ihre Häuser durchkämmt, jüdische Frauen und Männer zusammengetrieben. Die Besatzer schnitten ihnen Haare und Bärte ab, was einer enormen Demütigung gleichkam. Zudem wurde die Kleidung der Juden mit Entlausungsmittel auf der Basis von Blausäure behandelt, einer Vorform von Zyklon B. Das mündet geradlinig in den Holocaust, obwohl der damals noch nicht vorgedacht war. Schon 1914 bis 1918 trat der Mensch an die Stelle des Erregers.

SPIEGEL: Wer wurde für die Spanische Grippe verantwortlich gemacht?

Eckart: Immer der jeweilige Kriegsgegner. Wohl wissend, dass die Seuche in Kansas zuerst ausgebrochen war, verbreiteten US-Medien die Verschwörungstheorie, deutsche U-Boote hätten die amerikanischen Fischgründe vergiftet. Daraus resultierte die Gewaltfantasie, dass man die Deutschen eigentlich so bestrafen müsse, wie es in der Bibel geschieht: mit Blutregen. Dazu erwog man, das Blut Verstorbener auf Flaschen zu ziehen und über Berlin abzuwerfen.

SPIEGEL: Als in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts Aids aufkam, verbreitete der KGB die Propaganda, das Virus stamme aus einem US-Labor. Ähnlich wirr äußerte sich jüngst ein Hamburger Linkenpolitiker, der behauptete, Corona sei in den USA gezüchtet worden, um China zu schwächen. Werden wir Menschen nie klüger?

Eckart: Verschwörungstheorien werden in Seuchenzeiten immer Hochkonjunktur haben, da bin ich mir sicher. Trotzdem haben wir aus Seuchen viel gelernt, waren Seuchen stets auch wichtige Triebfedern der Entwicklung. Es haben sich nicht nur Medizin, Epidemiologie und Virologie verbessert. Auch unsere moderne Lebensform haben wir maßgeblich der letzten Cholera zu verdanken - dass wir duschen, uns die Hände mit Seife waschen, jeder eine eigene Wassertoilette besitzt, dass es Wasser- und Klärwerke gibt sowie saubere Schlachthöfe. Ohne die große Pockenwelle hätte es auch nicht die Impfgesetze der Siebzigerjahre des 19. Jahrhunderts gegeben, ohne die Cholera nicht das Reichsseuchengesetz von 1900. Dass der Staat uns gegen Krankheiten schützen will, ist eine Lehre aus vorangegangenen Seuchen.

SPIEGEL: Was manchmal viel Geld kostet: In Hamburg verschob man Ende des 19. Jahrhunderts aus Kostengründen den Bau einer längst überfälligen Wasserfiltrieranlage.

Eckart: Die Menschen tranken das ungereinigte Wasser aus der Elbe, 1892 starben mehr als 8000 Hamburger an der Cholera.

SPIEGEL: Aus den Seuchen vergangener Zeiten haben wir auch Maßnahmen der Isolierung von Infizierten übernommen, etwa die Quarantäne.

Eckart: Ein Wort, das aus dem Italienischen kommt und "40" bedeutet. Die Menschen in Italien ahnten, dass es Zusammenhänge zwischen der Pest und Handelsschiffen aus dem Osten gibt, die Besatzung wurde 40 Tage lang isoliert, etwa auf einer Insel vor Venedig.

SPIEGEL: Krankheitserreger bewegten sich im Mittelalter deutlich langsamer als heute, wo sie per Flugzeug rund um den Globus transportiert werden. Wie wirkungsvoll war da die Quarantäne?

Eckart: Die Maßnahme war richtig, dennoch nicht besonders wirkungsvoll, um die Verbreitung von Seuchen zu verhindern. Wer genug Geld hatte, kam schnell wieder auf freien Fuß. Und den Ratten und Flöhen als Seuchenüberträgern machte es sowieso nichts.

SPIEGEL: Gab es in früheren Zeiten schon Formen der Abschottung einzelner Territorien voneinander?

Eckart: Ja, etwa im Habsburgerreich des 18. Jahrhunderts. An der östlichen Grenze versuchten die Soldaten, einen mehr als tausend Kilometer langen Sanitätskordon zu sichern, um die Pest fernzuhalten. Aber das brachte wenig: Die Reichen zahlten, durften passieren und ihre Waren weitertransportieren. Ähnliche Abschottungsversuche unternahm Preußen gegen die asiatische Cholera, was ebenso erfolglos war.

SPIEGEL: Die Menschen haben sich erstaunlich lange schwer damit getan zu glauben, dass klitzekleine Erreger Pandemien verursachen. Woher kommt diese Skepsis?

Eckart: Diese Gefahr ist bis heute äußerst abstrakt und daher schwer fassbar. Soldaten und wilde Tiere, die kann man sehen, gegen die kann man kämpfen. Das ist bei unsichtbaren Feinden wie den Krankheitserregern anders. Um sich zu behelfen, greifen Regierungen in Seuchenzeiten stets zur Kriegsmetaphorik - derzeit vor allem der französische Präsident Emmanuel Macron und US-Präsident Donald Trump.
Zur Person:

  • Wolfgang U. Eckart (Jahrgang 1952) wurde 1992 zum Professor für Geschichte der Medizin berufen und leitete bis zu seiner Emeritierung 2017 das Institut für Geschichte der Medizin an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande, Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften und Autor zahlreicher Standardwerke zur Medizingeschichte.
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ich habe ja schon neulich hier im blog geschrieben: "es gibt nichts neues unter der sonne" - und mir nur mal die pandemien laut notiert, die ich in meinem dasein zwischen 1947 und heute er- und überlebt habe, obwohl sie eine menge an todesopfern insgesamt und weltweit jeweils forderten, teilweise viel mehr, als für covid-19 vorausgesagt wird.

aber jeder seuchentod ist einer zuviel und - wie wir ja auch in diesem artikel wieder lernen müssen - es ist nicht der "feind", es ist nicht der "liebe gott" mit einer "strafe" für die menschheit - nein - es sind die menschen insgesamt selbst, die diesem lieben gott dauernd versuchen, ins handwerk zu pfuschen, die schöpfer spielen und schimären zustandebekommen, die die seuchen heraufbeschwören und verursachen in ihrem sorglosen drauflosleben, in ihrer allgemeinen umweltzerstörung, in ihrer unbändigen hybris, in ihren zweifelhaften ernährungsgewohnheiten z.b. in südasien und sonstwo, mit dem verzehr von fleisch aller arten - zum großen teil wegen herrschender armut, zum anderen exklusiven teil aus der sucht nach "exotischen delikatessen", die man sich doch mal auf einer kreuzfahrt an land in den "volkstümlichen" restaurants oder straßen-warmküchen gönnen muss...: einmal fledermausschenkel oder fliegenden hund oder geriebene schuppen vom schuppentier... --- und dann sterben...

und dann diese "kriegsmetaphorik" eines trump, eines macron, eines johnson (wenigstens als er noch gesund war...) und vieler anderer:
da züchtet man aus dummheit und dünkel in dieser global vernetzten welt einen winzigen krankheitserreger selbst heran, der unter dem mikroskop fast niedlich aussieht wie ein noppenball mit lauter andockrüsseln statt noppen, die sich dann bei einer infektion rasch in die rachenschleimhaut ganz festsaugen, eindringen und verwachsen, um mit zu "leben", und dieser winzling kann gar nicht anders - und dieser "zufällige" neue erdenbewohner wird dann flugs als "feind" ausgemacht - g e g e n  den es zu "kämpfen" gilt.

das ist die falsche rhetorik in dieser "auseinandersetzung": wir müssen uns selbstverständlich mit dem neugeborenen erreger "auseinandersetzen", aber so, wie man sich mit einem neuen thema ausführlich auseinandersetzt: wir müssen ihn studieren, sezieren, seine gewohnheiten kennenlernen, sein woher-wohin - aber ansonsten müssen wir alle lernen, zukünftig  m i t  ihm auf abstand zu leben und uns vor ihm zu schützen, was etwas anderes ist, als ihn zu bekämpfen.

von meiner professorin in organisationsberatung hörte ich oft den satz: nicht gegen den widerstand - das koste zu viel kraft --- sondern mit dem widerstand, das sei effizienter... - und das schlägt sich auch in der gewünschten flacherwerdenden kurve von neuinfektionen nieder, damit es genügend intensivbetten gibt, um triage-situationen bei der eventuellen benötigten beatmung zu vermeiden.

wir werden den erreger nicht abtöten können, er wird sich einigeln, wird die angriffe abschütteln, wird sich mutieren und verändern - und wird mit jedem angriff flexibler auf selbige. schutz und eingrenzung sind unsere mittel, analog vielleicht zu raubtieren, die wir zu unserem schutz einhegen und "verpflegen" und ihnen reservate zugestehen - no-go-areas, in denen sie leben können und die wir meiden - und analog zu unseren bisherigen "normalen" hygienemaßnahmen.

und wenn wir dann glück haben, sterben sie vor sattheit und lebensüberdruss manchmal ab in einer relativ kurzen halbwertzeit. 

mit einigen historischen seuchenauslösern hat das geklappt - aber immer wieder können sie erneut aufflammen und mit unserer "hilfe" befeuert werden - in anderem neuen gewand... - gnade uns gott...

er ist's

Lebensfunken. Bei Michelangelo steht der sanfte Körperkontakt am Beginn der Schöpfungsgeschichte. Die Politik kann sich daran ein Beispiel nehmen. Foto: John Parrot/Stocktrek Images | Tagesspiegel

Was uns berührt


Nationalistisch-unnahbar oder pluralistisch-zugewandt: Welche Form des Miteinanders wird in der Coronakrise geboren?

Von Armin Lehmann | Tagesspiegel

Von Geburt an, in der Not oder vor dem Tod ist körperliche Berührung, wenn sie freiwillig und zugewandt geschieht, immer eine existenzielle Gemeinschaftserfahrung. Babys brauchen Körperkontakt, um zu überleben, Menschen in Panik beruhigt es, wenn sie gehalten werden, sterbenden Menschen vermittelt die aufgelegte Hand Geborgenheit.

Denken wir das Somatische und das Soziale am Berühren zusammen, können wir sehen, wie resilient eine Gesellschaft ist. Dann führt der Begriff zudem geradewegs hinein in das Dilemma unserer polarisierten Zeit: Werden Gesellschaften nationalistisch-unnahbar oder bleiben sie pluralistisch-zugewandt?

Die Bedeutung des leiblichen Berührens geht weit über eine erotische Stimulation hinaus. Die Natur hat dem Menschen dazu besondere Nervenzellen geschenkt: Die sogenannten C-taktilen Nervenzellen, die langsamer als andere Nervenzellen Informationen weiterleiten und dabei quasi aus der mechanischen Berührung ein Gefühl machen. Diese Zellen vermitteln soziale Nähe.

Doch jetzt, in Zeiten der Coronakrise, sind viele Menschen wie in Isolationshaft. Ausgerechnet Beziehungsentzug gilt als sozial, körperliche Abgewandtheit rettet Leben. Großeltern dürfen ihre Enkel nicht küssen, nicht sehen; erwachsene Kinder stellen Einkaufstüten vor die Türen ihrer Eltern anstatt sie zu umarmen. Auf Intensivstationen sterben Menschen ohne tröstendes Flüstern eines Angehörigen.

Gerade aufgrund des Verbotes von Körperkontakt - in Indien beispielsweise werden die Menschen bei Missachtung des Verbots von der Polizei verprügelt -, wird uns bewusst, wie wichtig er ist. Das erscheint uns jetzt selbstverständlich, war es aber schon vor der Corona-Pandemie nicht mehr: Die berührungslose, einsame Gesellschaft war in weiten Teilen der Bevölkerung Realität. Sie hat zur Polarisierung der politischen Situation beigetragen.

41 Prozent aller Haushalte werden von Singles bewohnt, in der Pflege von älteren Menschen, in Krankenhäusern oder Kitas herrscht Effizienzdruck und Personalmangel, Gewalt gegen Alte und Kinder, auch häusliche Gewalt ist ein wachsendes Phänomen.

Gleichzeitig können wir uns die Dinge und Kontakte in einem Maße aneignen, sie konsumieren, wie keine Gesellschaft vor uns. Wir kommunizieren über die sozialen Medien mit vielen Menschen gleichzeitig - allerdings ohne tatsächliche Gegenwart. Und so ist Entfremdung, einhergehend mit dem Gefühl des Nichtgeborgenseins, oft unsere Realität.

Trotz sozialer, politischer und auch psychologischer Unterschiede sind wir letztlich alle in einer Krise der Berührung - die schon vor Corona begonnen hat.

Wir sind in dieser Krise, weil wir die Welt, wie sie sich uns heute darstellt, in unterschiedlicher Form, bewusst oder unbewusst, als Bedrohung wahrnehmen. Die einen fürchten den sozialen Druck oder die Konkurrenz in der Bildung, auf der Arbeit, sie fühlen sich überfordert, weil sie glauben, in ihrer Leistung nicht mithalten zu können. Die anderen fühlen sich bedroht von Arbeitslosigkeit, Einsamkeit in abgehängten Gegenden auf dem Lande oder von einem Nicht-mehr- Gesehenwerden in der analogen Welt. Sie wollen Beziehungen, haben aber verlernt oder nie gelernt, sie zu führen.

Zuletzt hat uns der Soziologe Hartmut Rosa eine Beziehungsstörung gegenüber uns selbst und der Welt attestiert. Wir sind sehr gut in der Lage, unsere individuellen Bedürfnisse und Rechte einzufordern. Wir sind freier denn je. Und doch nehmen Burn-out und Depressionen zu - trotz Work-Life-Balance-Ratgeber, Yoga- Retreats oder dem Versprechen der Wellnessindustrie, dass unsere Körper formbar und schön bleiben.

Thomas Fuchs, Professor für philosophische Grundlagen der Psychiatrie in Heidelberg, sagt: „Die westliche Kultur kennt keinen Stillstand, keine Handlungshemmung, kein Verweilen.“ Dabei haben wir im Moment ein dringendes Bedürfnis danach, gerade weil unsere Fokussierung auf Wachstum, Wohlstand und Selbstoptimierung uns immer weniger Zeit für Berührungen lässt.

Die Zeit, erklärt Fuchs, erscheine uns wie ein Pfeil, der rasant vorwärtsstrebt. Unsere Bio-Zeit dagegen, der Schlaf-Wach-Rhythmus etwa oder der Stoffwechsel, kommt dem Pfeil nicht hinterher. Wir leben schon lange in einem System, das auf wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Beschleunigung basiert - und die leibliche Gegenwart reduziert. Mit sozialen Folgen: In den USA haben Langzeitstudien ergeben, dass College- Studenten seit 2000, seit dem Siegeszug des Smartphones, weniger empathiefähig, weniger beziehungsfähig sind.

Jetzt sind wir „radikal aus der Beschleunigung herausgefallen“, wie Fuchs konstatiert. Und im Hinblick auf Berührung leiden wir wie der Süchtige auf Entzug. Zwar haben alle Menschen, das liegt in unserer Natur, offene oder unterdrückte Sehnsüchte nach Berührungen, handeln konträr.

Manche suchen den Kontakt, wollen helfen, sie spielen für andere Musik in den sozialen Netzwerken, applaudieren von Balkonen oder machen trotz der Gefahr für die eigene Gesundheit Überstunden als Pfleger oder Ärzte. Es ist ein empathisches, berührendes Verhalten, das wir erleben. Andere jedoch igeln sich ein oder leugnen, geben der Regierung oder China die Schuld und schotten sich vor ihren eigenen Ängsten ab. Auch das menschlich verständlich.

Sehnsucht und Bedürfnis nach Berührbarkeit sind in uns allen verankert. Mit oder ohne Corona. Unsere Elternbeziehung von klein auf, unsere sozialen Kontakte und gesellschaftlichen Prägungen haben einen Einfluss auf das Maß unserer aktuellen Bedürfnisse und unseres individuellen Leidensdrucks. Vereinfacht gesagt gibt es nur zwei Varianten, wie wir in persönlichen wie gesellschaftlichen Krisen handeln: Aktivität oder Rückzug. Helfen oder abschotten. Das gilt übrigens für Regierte wie Regierende.

Persönliche Prägungen können einhergehen mit politischen Überzeugungen. Klimaleugner ebenso wie die Neue Rechte, zu der Teile der AfD gehören, haben verhaltenspsychologisch ähnliche Reflexe und Strategien. Abschottung, Rückzug und den Wunsch nach Wehrhaftigkeit. Je pathologischer Angst und Sehnsucht nach Berührung sind, desto heftiger können auch die eigenen Ansichten ausfallen. Beim Retten (Klima), wie beim Verteufeln (Geflüchtete). In neurechten und rassistischen Zirkeln ist beispielsweise die Sehnsucht nach Wehrhaftigkeit durch Gewalt groß.

Der amerikanische Neurechte und Rassist Jack Donovan sieht in der Gewalt das „vorherrschende Prinzip von Männlichkeit“. Jedes neue Zeitalter der Menschheit sei durch „schöpferische Gewalt“ bestimmt. Krisen, die uns berühren und Angst machen, erhöhen die Abschottungsreaktionen und die Erwartungen an „die da oben“. Björn Höcke twitterte gerade, es zeige sich nun, „dass der Nationalstaat die letzte Schutzmacht für seine Bürger ist“.

Doch wie wir jetzt in der Coronakrise spüren und sehen, liegt der Schutz nicht in erster Linie im Autoritären, wie Höcke glauben machen will, sondern mindestens ebenso in Differenziertheit, Anteilnahme, Teamwork. Die Fähigkeit der Berührung meint nicht nur die somatische, sondern auch die Kompetenz, Krisen konstruktiv miteinander zu lösen. Das hat auch US-Präsident Donald Trump lange nicht verstanden. Er ist soziologisch gesehen Dezisionist, begründet also keine Entscheidungen; Angela Merkel wäre dagegen differenzversiert, sie versucht, Macht auszutarieren und über Beziehungen und Diskurse Kompromisse zu finden.

Thomas Fuchs, auch Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, meint, dass Deutschland diesen Krisenspagat aus Handeln und Beziehungspflege (zum eigenen Volk) bisher ganz gut hinbekommen habe. Es seien nicht wie in China von oben herab autoritär Befehle erteilt, sondern mit den Worten der Kanzlerin Dringlichkeit und Empathie zugleich vermittelt worden. Die deutsche Politik habe verständnisvoll und mit Hilfe von Experten, Virologen, Ärzten, Psychologen, also im Team, die Dinge mühsam und geduldig erklärt. „Das hat die Politik glaubwürdig gemacht“, sagt Fuchs.

Bliebe die Mehrheitsgesellschaft gerade durch das Bedürfnis nach Berührung solidarisch - könnte diese Krise eine große Chance sein. Lassen wir nach Corona dauerhaft wieder mehr Nähe im Alltag zu? Gute Gesellschaften entstehen durch gute Beziehungen, in denen wir einander berühren und voneinander berührt werden. Dann sind sie, sagt Fuchs, „die größte Friedensdividende“.

© CLAUDIO FURLAN/LAPRESSE/AP/DPA | Tagesspiegel


"das hat mich aber jetzt echt berührt", sagt man ja, wenn man "angerührt" ist von einer situation, einer szene, die einem "nahe kommt".

also ich bin der meinung, der mensch ist sensorisch so gut ausgestattet, dass er auch in der sozialen abstinenz nicht vereinsamt und sogar in gewisser weise kommuniziert - nur anders.

dafür gibt es keine allgemeingültige und globalkulturelle norm. da ist der eine so gestrickt - und die andere so.

das sind ganz individuelle empfindungen, die auch wieder viel mit c.g.jung's "archetypen" und seinem "kollektiven unbewussten" zu tun haben - und auch mit den "spiegelneuronen" im kopf, die automatisch bereits eine besondere mimik der bezugsperson oder eine bestimmte wahrnehmung in der vorstellung bereits aktiv mit durchführt und vollendet, als sei man selbst involviert - wenn man also im nu weiß, was gemeint ist und mit "durchlebt" - wie man automatisch subjektive anzeichen deutet, "be-deutung" verleiht - und meistens damit ja sogar richtig liegt...

in bruchteilen von einer sekunde entscheidet sich, wie man bei einer begegnung mit einem menschen, den anderen "einschätzt", be- oder verurteilt, sympathisch findet oder eben für sich einfach nur "abhakt".

mich hat ein kurzer teilaspekt aus dem obigen text beispielsweise besonders "angesprochen": "Die Fähigkeit der Berührung meint nicht nur die somatische ..."  

bei "be-rührung" ist immer etwas anderes mit im spiel, nämlich eine vielleicht nur imaginäre "be-gegnung": man will jemanden oder etwas an- und berühren oder man erwartet oder ist überrascht von einer be-rührung. 

und eine be-rührung beinhaltet zumeist eine entschlüsselung und eine einordnung in die eigene automatische aktions- und reaktionsempathie einem anderen mit-lebewesen "gegen-über".

es gibt also nicht nur das somatische 
"(er-)spüren" der haut, der stimme, des atems des anderen - und da ist auch nicht nur die somatische berührung: da gibt es eben auch noch, gerade auch in der #corona-"einsamkeit" und sozial-abstinenz, ein anderes quasi "nonverbales" berührtwerden.

wenn nämlich ein ganz bestimmtes "profil" einen "eindruck" erweckt - und auch hinterlässt: und das kann auch über die medien geschehen: mit dem schreibstil in einer kolumne -  mit der mimik der sprecherin in der "aktuellen stunde" im tv, mit dem tonfall aus dem audiogerät, mit den geräuschen, die die mitbewohner machen, durch alle wände hindurch:

der über mir hat wieder getrunken - und der stellt dann seine unsägliche hackrhythmus-musik auf "volle pulle", oder der nachbar nebenan, dessen bewegung an der wand mit einem kurzen "wisch" wahrnehmbar übertragen wird - und unter uns, der hoffentlich seinen deckenventilator auch bei 23° noch ausgestellt lässt, denn der macht dröhn- und wuppgeräusche unter dem holzfußboden im wohnzimmer.

ja - auch "die wüste lebt" ...

und der olle eduard mörike hat ja schon vor fast 200 jahren sein frühlingsgedicht "er ist's" mit einem ahnen und erfühlen und erwachen beschrieben - ohne jede tatsächliche menschliche begegnung - und trotzdem voller wahrnehmung und erspüren, bei der man auch in der #corona-abschottungszeit regelrecht mit- und nachfühlen kann - auch ganz allein in seiner kemenate:


∼ Er ist's ∼



Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!

Eduard Mörike (1804 – 1875)




Wenn in China ein malaiisches Schuppentier ...

Das bedrohte und in China begehrte Schuppentier könnte nach chinesischen Angaben Überträger des neuartigen Coronavirus sein. Die Untersuchung von mehr als tausend Proben von Wildtieren habe ergeben, dass die Genomsequenz von Viren aus dem Schuppentier zu 99 Prozent mit der des neuen Coronavirus 2019-nCoV übereinstimme, berichtete die South China Agricultural University in Guangzhou. Allerdings gibt es bisher keine wissenschaftliche Veröffentlichung mit aussagekräftigen Daten, die belegen könnten, dass es sich bei dem Schuppentier-Virus tatsächlich um die Quelle für den Ausbruch der 2019-nCoV-Seuche handeln könnte. 
Einer anderen, unlängst veröffentlichten Studie zufolge stimmen die Gensequenzen des Virus mit den in Fledermäusen kursierenden Coronaviren zu 96 Prozent überein. Die Fledermäuse sind das Reservoir für sogenannte Betacoronaviren, zu denen auch das neue Coronavirus und das Sars-Coronavirus zählt. Als sehr wahrscheinlich gilt wegen der molekularen Eigenschaften der Viren-Oberfläche, dass nicht die Fledermäuse selbst das Virus auf den Menschen übertragen haben, sondern andere Tiere, die als Zwischenwirte möglicherweise auf einem der Tiermärkte wie dem in Wuhan verkauft wurden. Ein wichtiger Übertragungsweg sind Kot und Urin der Fledermäuse, das auf den Tieren landet. (F.A.Z.)
Malaiisches Schuppentier (nach einem DPA-Foto)

Ausgerechnet ein Tier, das wir fast ausgerottet haben, könnte der Überbringer der Corona-Seuche sein. Das ist grausame Ironie - und ein Lehrstück über Ursache und Wirkung.
Textbausteine aus "Ist der Mensch lernfähig?", einem Gastbeitrag von Judith Schalansky in der SZ vom 01.04.2020

"In China ist ein Sack Reis umgefallen" ist ein geläufiger Ausdruck für ein unwichtiges Ereignis. In der kurzgeschlossenen Welt gilt er nicht länger. Ob in britischen Ställen BSE auslösendes Fleischmehl an Rinder verfüttert wird oder auf einem fernöstlichen Markt eine Kobra oder eine Fledermaus geschlachtet wird, ist sehr wohl für die Menschheit der ganzen Welt von Bedeutung. Letztere Tiere galten als die ersten Verdächtigen für den Ursprung des aus dem Tierreich stammenden Virus, zumal Fledermäuse eine ganze Reihe von Coronaviren beherbergen, ohne dass dies ihre Gesundheit beeinträchtigen würde. Mittlerweile vermutet man, dass ausgerechnet ein Malaiisches Schuppentier jener Zwischenwirt gewesen ist, der das zu SARS-CoV-2 mutierte Coronavirus auf Menschen übertragen haben muss. 

Es stammt ... aus den südostasiatischen Regenwäldern, wo es niemals hätte gefangen genommen werden, so wie es auf keinem Markt der Welt hätte feilgeboten werden dürfen, da jeglicher Handel mit diesen Tieren oder deren Körperteilen verboten ist. Denn die einzelgängerisch und nachtaktiv lebenden Insektenfresser sind vom Menschen so stark bejagt, dass viele Populationen zusammengebrochen sind, und niemand weiß, wie viele Individuen der acht vom Aussterben bedrohten Unterarten überhaupt noch existieren. Schuppentiere sind die am häufigsten illegal gehandelten Säugetiere weltweit. Allein im Jahr 2018 wurden 62 Tonnen geschmuggelte Schuppen sichergestellt. Dementsprechend hoch sind die Schwarzmarktpreise, da ihr Fleisch als Delikatesse und ihre Schuppen in der traditionellen chinesischen Medizin als Wundermittel gelten.

Es bedarf keiner ausgeprägten Neigung zum schwarzen Humor, um die grausame Ironie wahrzunehmen, die darin liegt, dass ausgerechnet ein scheues, wehrloses Säugetier, das durch menschliche Bejagung kurz vor seiner Auslöschung steht, Überbringer einer Seuche sein soll, die allein bisher Zehntausende von Toten gefordert hat und etwa ein Viertel der Weltbevölkerung in die eigenen vier Wände verbannt.

Es ist lebensnotwendig, die ganze Welt als Organismus zu begreifen

Es erinnert uns daran, dass auch wir verwundbar sind, [der Mensch,] ein Säugetier, das mit seinen acht Milliarden Exemplaren für ein Virus nichts anderes ist als ein weiterer, idealer Wirt. Bei drohender Gefahr rollt sich das Schuppentier ein. Nichts anderes tun wir gerade. In diesen Wochen wird klar, dass die größere Herausforderung des Lebens darin besteht, die Welt nicht zu erobern, sondern verdammt nochmal zu Hause zu bleiben, vorausgesetzt natürlich man hat eins.
...
Ein Virus, das alle Menschen heimsuchen kann, lehrt uns einmal mehr, wie unerlässlich, ja lebensnotwendig es ist, die Welt als einen Organismus zu begreifen.

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ja - so ist das: weil in china ein malaiisches schuppentier mit dem blut oder kot einer fledermaus auf einem illegalen tiermarkt bespritzt wurde, kann ich hier in deutschland nächste woche nicht meinen urlaub an der nordsee antreten ... 

okay - diese floskel: "in china ist ein sack reis umgefallen", habe ich in einem meiner beiträge hier zum #coronavirus dieser tage schon einmal gebracht - und bei google kursiert auch meine variante: "wenn in china ein sack reis umfällt oder am amazonas ein schmetterling mit den flügeln schlägt, dann kann das in norddeutschland einen wirbelsturm auslösen" – denn so erklärt man gerne die "chaostheorie".

diese chaostheorie war "zufällig" von dem amerikanischen meteorologen edward n. lorenz (1917-2008) 1963 entdeckt und entwickelt worden bei einer computerberechnung, wo er eine minimal fehlerhafte zahlenreihe eingegeben hatte, und dieser winzige abweichungsfehler potenzierte und exponenzierte sich dann zu einem komplexhaft anderen ergebnis, als es zu erwarten gewesen wäre. daraus leitete sich dann diese "chaostheorie" ab, die auch mit dem begriff "schmetterlingseffekt" beschrieben wurde: denn wenn man die berechnungsketten des mr. lorenz zugrundelegte, konnte man - rein theoretisch und völlig übertrieben - auch beispielhaft "ausrechnen" und "folgerichtig nachweisen", dass "der flügelschlag eines schmetterlings einen tsunami am anderen ende der welt auslösen kann" - so eine ebenfalls gängige erklärungsmetapher dazu, die dann auch im laufe der "vertelleken" und beispielsammlungen diesen "nichtigen" umfallenden sack reis aus china mit einbezog, als ein anfangs zu vernachlässigendes ereignis, was dann aber am ende in ein "verrücktes" ergebnis münden kann. 
  
vor dieser "chaostheorie" galt, dass in der makroskopischen welt alle künftigen entwicklungen prinzipiell vorausberechnet werden können, wenn man nur über genügend rechenkapazität verfüge. aber mit den erkenntnissen von mr. lorenz war nun mit einem mal klar geworden, dass langfristige aussagen über die zukunft praktisch nirgendwo möglich sind. beim phänomen "wetter" hätte man das vielleicht auch schon vorher geglaubt ("wo es denn so her zieht"...), doch erst mit der "chaostheorie" wurde beispielsweise erkannt, dass auch die umläufe der planeten und monde in unserem sonnensystem nicht für alle zeiten im voraus berechnet werden können: kleinste ungenauigkeiten in den anfangsbedingungen können auch hier langfristig zu großen abweichungen führen.

und wir alle erleben ja am eigenen leib mit der #corona-krise jetzt weltweit, wie sich plötzlich und unerwartet "in real life" diese theoretische "chaostheorie" bzw. dieser "schmetterlingseffekt" niederschlägt und zur anwendung kommt - in allergrößtem respekt durch die wissenschaft, der virologen, die entsprechende empfehlungen und warnungen und maßnahmen für das tun und lassen der politik ablassen, die dann in erlassen und verordnungen maßgebend werden - zum schutz vor dieser sich "chaotisch" exponentiell ausbreitenden virusinfektion.

hier können auch die rechenkapazitäten keines rechenzentrums der welt dieses ereignis und die infektionsherde exakt voraussagen - und deshalb ist gerdezu paradox diese unvorhersehbarkeit plötzlich sogar "wissenschaftlich" exakt.

also: die erklärungsmetapher vom "sack reis in china", der durch sein umfallen einen "wirbelsturm in norddeutschland" auslösen kann, trifft in der ausbreitung des #coronavirus tatsächlich plötzlich zu - eine beispielerzählung wird tatsächliche realität... 

geld oder leben

© FREDERICK FLORIN/DPA - Tagesspiegel



Coronakrise und Exit-Strategie 

Jedes einzelne gerettete Leben ist die harten Einschränkungen wert

Von Malte Lehming | Tagesspiegel

Am Montag twitterte Katja Suding, Vize-FDP-Chefin: „Ich starte nachdenklich in die Woche: Was ist das Leben wert, wenn wir uns die Freiheit zu leben nehmen lassen?“ Einen Tag zuvor schrieb Armin Laschet, NRW-Ministerpräsident: „Der Satz, es sei zu früh, über eine Exit-Strategie nachzudenken, ist falsch.“ Es müsse eine „intensive Abwägung aller medizinischen, sozialen, psychologischen, ethischen, wirtschaftlichen und politischen Implikationen“ geben.

Der Verleger Jakob Augstein meint: „Im Moment ruht unser Schicksal in den Händen der Epidemiologen und in denen der Ordnungskräfte. Beiden Denksystemen ist eine totalitäre Logik eigen. Über kurz oder lang müssen Politiker wie Politiker handeln und sich aus dem Totalitarismus von Seuchenbekämpfung und Gehorsam lösen.“

Die Kollateralschäden sind beträchtlich

Suding, Laschet, Augstein – liberal, konservativ, links: Es dürfte nicht oft vorkommen, dass diese Drei in ihren Analysen  ähnlich klingen. Und um das Bild dieser absurd wirkenden Koalition zu komplettieren, ließe sich noch US-Präsident Donald Trump hinzufügen, der einst inständig davor warnte, dass die Folgen der Medizin nicht schlimmer sein dürften als die Krankheit selbst. Doch Trump ist wankelmütig. Diesen Satz hat er nicht wiederholt.

Auf den ersten Blick scheint die Forderung, auch die unbeabsichtigten Konsequenzen der drastischen Anti-Coronavirus-Maßnahmen in das Gesamtkostennutzenkalkül mit aufzunehmen, eine Binse zu sein. Schließlich sind die voraussehbaren Kollateralschäden beträchtlich. In Stichworten: massive Einschränkungen elementarer Freiheiten, Wirtschaft rutscht in die Rezession, Arbeitslosigkeit steigt.

Da werden Äpfel mit Schrauben verglichen

Das Problem daran ist: Tausendfach gerettetes Menschenleben lässt sich nicht gegen zehntausendfach verursachte Arbeitslosigkeit aufrechnen. Das sind grundverschiedene Kategorien. Da werden nicht Äpfel mit Birnen verglichen, sondern mit Schrauben. Eine Frage zu stellen der Art: „Ab wie vielen Arbeitslosen ist es gerechtfertigt, einen Menschen sterben zu lassen?“, verbietet sich. Der Wert eines Menschenlebens ist unendlich groß – und deshalb nicht addierbar.

Gelegentlich heißt es, mit zunehmender Arbeitslosigkeit steige die Zahl der Depressiven und Suizidgefährdeten. Allerdings stehen solche Korrelationsbehauptungen auf unsicherem Grund. Die Zahl der Depressiven in Deutschland nimmt seit 2003 kontinuierlich zu, obwohl die Zahl der Arbeitslosen im selben Zeitraum gesunken ist. Hingegen ist die Suizidrate seit zwanzig Jahren ziemlich konstant. Weder gab es gravierende Ausschläge in der Zeit der Massenarbeitslosigkeit zwischen 2000 und 2005 noch während der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009.

Die Schuld wiegt schwer

Akut bedrohtes Leben muss gerettet werden. Das gebietet die Moral, selbst wenn die Rettung aufwändig ist und Ressourcen bindet.

Ein Beispiel: Mutter, Vater, drei Kinder. Das jüngste leidet an einer seltenen Krankheit, die tödlich verlaufen kann. Die Heilungschancen nach einer Operation sind gut. Doch die Operation ist teuer, nur einen  Bruchteil der Kosten übernimmt die Krankenkasse. Die Familie muss sich verschulden, in eine kleinere Wohnung ziehen, auf Urlaubsreisen verzichten. Aber die Entscheidung steht natürlich fest: Das Kind wird operiert. Nach einer Exit-Strategie fragt keiner aus der Familie.

In einer vergleichbaren Situation befindet sich die Weltgemeinschaft durch die Corona-Pandemie. Kein Verantwortlicher will eines Tages in den Spiegel schauen und sich fragen müssen, ob es richtig war, dass er hat Menschen sterben lassen, um den Wohlstand zu retten. Die Schuld, die eine solche Entscheidung nach sich zieht, wiegt schwer. Unterlassene Hilfeleistung ist ein Straftatbestand.

Gerettetes Leben ist ein Wert an sich

Das Gebot wiederum, Hilfe zu leisten, gilt bedingungslos. In der Berufsordnung für die deutschen Ärzte steht die Genfer Deklaration, eine säkulare Version des Hippokratischen Eides. Darin heißt es: „Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patientin oder meinen Patienten treten.“

Zweifellos richtet die Bekämpfung der Corona-Pandemie wirtschaftlichen Schaden an. Aber vieles spricht dafür, dass dieser Schaden noch größer wäre ohne die verhängten Maßnahmen. Denn gerettetes Leben ist einerseits ein Wert an sich, kann andererseits aber auch ökonomisch von Vorteil sein. Eine Studie über die Folgen der „Spanischen Grippe“ in den USA zeigt, dass sich die Wirtschaft in jenen Städten und  Regionen relativ schnell erholte, in denen die Pandemie früh und energisch bekämpft worden war.

Suding, Laschet, Augstein: Wer den eingeschlagenen Kurs vorzeitig verlassen möchte, um zu Freiheit und Wohlstand zurückzukehren, sollte bedenken, dass eine Rückkehr zu Freiheit und Wohlstand weitaus erfolgreicher möglich ist, wenn Menschen gerettet wurden statt sie sterben zu lassen.

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ach - es ist ja klar wo ich im grunde meines herzens in dieser abwägdebatte zu "geld oder leben" stehe: als jemand, der den "euthanasie"-massenmord an seiner tante seit über zehn jahren publiziert, und der in seinem aktiven wirkungskreis die weichen in richtung "inklusion" zur entwicklung und integration behinderter menschen mit gestellt hat, sehe ich das genauso: "gerettetes leben ist ein wert an sich" - und man darf schon aus ethisch-moralischen gründen nicht "äpfel mit schrauben" vergleichen.

aber ganz natürlich google auch ich nach den zahlen der straßenverkehrstoten in deutschland, die zwar insgesamt zurückgegangen sind in den letzten jahren trotz erhöhter kfz-zulassungszahlen, die aber mindestens genauso hoch sind wie jetzt die corona-toten - aber für die keine "kontaktsperre" verhängt wird und noch nie verhängt worden ist - für sie reicht "schilder aufstellen"... 

natürlich schaue ich auf die billionen und milliarden, die weltweit zur stützung der weltwirtschaft zur verfügung gestellt werden aufgrund der #coronakrise - aber wo man quasi gleichzeitig zehntausende von syrien-schutzsuchende und flüchtlinge aus nordafrikanischen staaten unversorgt über die klinge springen lässt (ca. 20.000 wasserleichen im mittelmeer seit 2015) - auf alle fälle keine rettende luftbrücke einrichtet, um sie vor dem #coronavirus und anderem unbill des lebens zu schützen. 

die flüchtlinge und schutzsuchenden haben keinen dr. wieler vom rki, der alle 2 tage sein #corona-bulletin vor der presse abgeben kann - und auf den die bundesregierung per gesetz hört.

ja - da werd ich schon neidisch, wer hier von den um das leben bedrohten menschen welche lobbygruppen aktivieren kann - und welche summen dafür im nu freigegeben werden, die freilich nicht mit einer art "verhältnismäßigkeit" im risiko errechenbar ist.

aber: "jedes einzelne gerettete leben - jedes einzelne leben - ist diese harten einschränkungen wert" - und zwar gestern und heute und morgen.



urbi et orbi







"Wir sitzen alle im selben Boot": Papst Franziskus verkündete am Freitag das "Urbi et Orbi" und erinnerte die Menschen in Zeiten der Virus-Krise an ihre Verletzlichkeit.

Papst Franziskus hat im Zuge der Corona-Pandemie den Sondersegen „Urbi et Orbi“ gespendet und die Menschen zu mehr Zusammenhalt in der Krise aufgerufen. „Tiefe Finsternis hat sich auf unsere Plätze, Straßen und Städte gelegt. Sie hat sich unseres Lebens bemächtigt und alles mit einer ohrenbetäubenden Stille und einer trostlosen Leere erfüllt, die alles im Vorbeigehen lähmt“, sagte der Pontifex am Freitag vor dem menschenleeren Petersplatz in Rom. 

„Uns wurde klar, dass wir alle im selben Boot sitzen, alle schwach und orientierungslos sind, aber zugleich wichtig und notwendig, denn alle sind wir dazu aufgerufen, gemeinsam zu rudern.“

Das Pestkreuz von 1522 wird aus
der Kirche San Marcello al Corso
abmontiert,
um es für den Urbi-et-orbi-Segen
auf dem Petersplatz aufzustellen.
AICA(@AgenciaAica)
Der Segen „Urbi et Orbi“ (der Stadt und dem Erdkreis) ist der wichtigste der katholischen Kirche und wird eigentlich nur zu Weihnachten, Ostern und nach einer Papstwahl gesprochen. Damit ist eine Generalabsolution, also der Straferlass bei Sünden, verbunden. Angesichts der Corona-Krise entschied sich der Papst zu dem historischen Ereignis. Dabei saß der 83-jährige Franziskus alleine vor den Stufen des Petersdoms, Regen fiel über Rom. Der Petersplatz ist im Zuge der allgemeinen Ausgangssperre in Italien gesperrt. Für die Zeremonie wurde auch ein Pestkreuz geholt, das während der Pest 1522 durch Rom getragen worden, sowie die Marienikone "Salus populi Romani", deren Original-Zeichnung unter den restaurativen Übermalungen wohl bis in die Spätanike zurückgehen..

Franziskus erinnerte die Menschen an ihre Verletzlichkeit. „Der Sturm legt unsere Verwundbarkeit bloß und deckt jene falschen und unnötigen Gewissheiten auf, auf die wir bei unseren Plänen, Projekten, Gewohnheiten und Prioritäten gebaut haben“, sagte der Papst. „Er macht sichtbar, wie wir die Dinge vernachlässigt und aufgegeben haben, die unser Leben und unsere Gemeinschaft nähren, erhalten und stark machen.“

aus: Luxemburger Wort - wort.lu/de



Wortlaut: Papstpredigt beim Gebet in der Pandemie

Wir dokumentieren hier im Wortlaut die Predigt, die Papst Franziskus am Freitagabend, den 27. März, bei einem Gebetsmoment am Petersdom in Rom gehalten hat. Franziskus hielt die Feier, die mit einem außerordentlichen Segen „Urbi et Orbi“ endete, als Zeichen der Hoffnung inmitten der globalen Corona-Pandemie.


Der Papst mit seinem Zeremonienmeister in dem extra montierten Foyer zur Austeilung des Segens - links das Pestkreuz - rechts die Marienikone "Salus populi romani", die extra für diesen Sondersegen herangeschafft wurden. - BR

»Am Abend dieses Tages« (Mk 4.35). So beginnt das eben gehörte Evangelium. Seit Wochen scheint es, als sei es Abend geworden. Tiefe Finsternis hat sich auf unsere Plätze, Straßen und Städte gelegt; sie hat sich unseres Lebens bemächtigt und alles mit einer ohrenbetäubenden Stille und einer trostlosen Leere erfüllt, die alles im Vorbeigehen lähmt: Es liegt in der Luft, man bemerkt es an den Gesten, die Blicke sagen es. Wir sind verängstigt und fühlen uns verloren. Wie die Jünger des Evangeliums wurden wir von einem unerwarteten heftigen Sturm überrascht. Uns wurde klar, dass wir alle im selben Boot sitzen, alle schwach und orientierungslos sind, aber zugleich wichtig und notwendig, denn alle sind wir dazu aufgerufen, gemeinsam zu rudern, alle müssen wir uns gegenseitig beistehen. Auf diesem Boot ... befinden wir uns alle. Wie die Jünger, die wie aus einem Munde angsterfüllt rufen: »Wir gehen zugrunde« (vgl. V. 38), so haben auch wir erkannt, dass wir nicht jeder für sich, sondern nur gemeinsam vorankommen.

Der Papst betet vor dem mittelalterlichen Pestkreuz
AFP/NW
Leicht finden wir uns selbst in dieser Geschichte wieder. Schwieriger ist es da schon, das Verhalten Jesu zu verstehen. Während die Jünger natürlich alarmiert und verzweifelt sind, befindet er sich am Heck, in dem Teil des Bootes, der zuerst untergeht. Und was macht er? Trotz aller Aufregung schläft er friedlich, ganz im Vertrauen auf den Vater – es ist das einzige Mal im Evangelium, dass wir Jesus schlafen sehen. Als er dann aufgeweckt wird und Wind und Wasser beruhigt hat, wendet er sich vorwurfsvoll an die Jünger: »Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?« (V. 40).

Versuchen wir zu verstehen. Worin besteht der Glaubensmangel der Jünger, der im Kontrast steht zum Vertrauen Jesu? Sie hatten nicht aufgehört, an ihn zu glauben, sie flehen ihn ja an. Aber schauen wir, wie sie ihn anrufen: »Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?« (V. 38). Kümmert es dich nicht: Sie denken, dass Jesus sich nicht für sie interessiert, dass er sich nicht um sie kümmert. Im zwischenmenschlichen Bereich, in unseren Familien, ist es eine der Erfahrungen, die am meisten weht tut, wenn einer zum anderen sagt: „Bin ich dir egal?“ Das ist ein Satz, der schmerzt und unser Herz in Wallung bringt. Das wird auch Jesus erschüttert haben. Denn niemand sorgt sich mehr um uns als er. In der Tat, als sie ihn rufen, rettet er seine mutlosen Jünger.

Der Sturm legt unsere Verwundbarkeit bloß und deckt jene falschen und unnötigen Gewissheiten auf, auf die wir bei unseren Plänen, Projekten, Gewohnheiten und Prioritäten gebaut haben. Er macht sichtbar, wie wir die Dinge vernachlässigt und aufgegeben haben, die unser Leben und unsere Gemeinschaft nähren, erhalten und stark machen. Der Sturm entlarvt all unsere Vorhaben, was die Seele unserer Völker ernährt hat, „wegzupacken“ und zu vergessen; all die Betäubungsversuche mit scheinbar „heilbringenden“ Angewohnheiten, die jedoch nicht in der Lage sind, sich auf unsere Wurzeln zu berufen und die Erinnerung unserer älteren Generation wachzurufen, und uns so der Immunität berauben, die notwendig ist, um den Schwierigkeiten zu trotzen.

Mit dem Sturm sind auch die stereotypen Masken gefallen, mit denen wir unser „Ego“ in ständiger Sorge um unser eigenes Image verkleidet haben; und es wurde wieder einmal jene (gesegnete) gemeinsame Zugehörigkeit offenbar, der wir uns nicht entziehen können, dass wir nämlich alle Brüder und Schwestern sind.

»Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?« Herr, dein Wort heute Abend trifft und betrifft uns alle. In unserer Welt, die du noch mehr liebst als wir, sind wir mit voller Geschwindigkeit weitergerast und hatten dabei das Gefühl, stark zu sein und alles zu vermögen. In unserer Gewinnsucht haben wir uns ganz von den materiellen Dingen in Anspruch nehmen lassen und von der Eile betäuben lassen. Wir haben vor deinen Mahnrufen nicht angehalten, wir haben uns von Kriegen und weltweiter Ungerechtigkeit nicht aufrütteln lassen, wir haben nicht auf den Schrei der Armen und unseres schwer kranken Planeten gehört. Wir haben unerschrocken weitergemacht in der Meinung, dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben würden. Jetzt, auf dem stürmischen Meer, bitten wir dich: „Wach auf, Herr!“

»Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?« Herr, du appellierst an uns, du appellierst an den Glauben. Nicht nur an den Glauben, dass es dich gibt, sondern an den Glauben, der uns vertrauensvoll zu dir kommen lässt. In dieser Fastenzeit erklingt dein eindringlicher Aufruf: »Kehrt um« (Mk 1,15); »kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen« (Joël 2,12). Du rufst uns auf, diese Zeit der Prüfung als eine Zeit der Entscheidung zu nutzen. Es ist nicht die Zeit deines Urteils, sondern unseres Urteils: die Zeit zu entscheiden, was wirklich zählt und was vergänglich ist, die Zeit, das Notwendige von dem zu unterscheiden, was nicht notwendig ist. Es ist die Zeit, den Kurs des Lebens wieder neu auf dich, Herr, und auf die Mitmenschen auszurichten. Und dabei können wir auf das Beispiel so vieler Weggefährten schauen, die in Situationen der Angst mit der Hingabe ihres Lebens reagiert haben. Es ist das Wirken des Heiligen Geistes, das in mutige und großzügige Hingabe gegossen und geformt wird. Es ist das Leben aus dem Heiligen Geist, das in der Lage ist, zu befreien, wertzuschätzen und zu zeigen, wie unser Leben von gewöhnlichen Menschen – die gewöhnlich vergessen werden – gestaltet und erhalten wird, die weder in den Schlagzeilen der Zeitungen und Zeitschriften noch sonst im Rampenlicht der neuesten Show stehen, die aber heute zweifellos eine bedeutende Seite unserer Geschichte schreiben: Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, Supermarktangestellte, Reinigungspersonal, Betreuungskräfte, Transporteure, Ordnungskräfte, ehrenamtliche Helfer, Priester, Ordensleute und viele, ja viele andere, die verstanden haben, dass niemand sich allein rettet. Angesichts des Leidens, an dem die wahre Entwicklung unserer Völker gemessen wird, entdecken und erleben wir das Hohepriesterliche Gebet Jesu: »Alle sollen eins sein« (Joh 17,21). Wie viele Menschen üben sich jeden Tag in Geduld und flößen Hoffnung ein und sind darauf besorgt, keine Panik zu verbreiten, sondern Mitverantwortung zu fördern. Wie viele Väter, Mütter, Großväter und Großmütter, Lehrerinnen und Lehrer zeigen unseren Kindern mit kleinen und alltäglichen Gesten, wie sie einer Krise begegnen und sie durchstehen können, indem sie ihre Gewohnheiten anpassen, den Blick aufrichten und zum Gebet anregen. Wie viele Menschen beten für das Wohl aller, spenden und setzen sich dafür ein. Gebet und stiller Dienst – das sind unsere siegreichen Waffen.

»Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?« Der Anfang des Glaubens ist das Wissen, dass wir erlösungsbedürftig sind. Wir sind nicht unabhängig, allein gehen wir unter. Wir brauchen den Herrn so wie die alten Seefahrer die Sterne. Laden wir Jesus in die Boote unseres Lebens ein. Übergeben wir ihm unsere Ängste, damit er sie überwinde. Wie die Jünger werden wir erleben, dass wir mit ihm an Bord keinen Schiffbruch erleiden. Denn das ist Gottes Stärke: alles, was uns widerfährt, zum Guten zu wenden, auch die schlechten Dinge. Er bringt Ruhe in unsere Stürme, denn mit Gott geht das Leben nie zugrunde.

Der Herr fordert uns heraus, und inmitten des Sturms lädt er uns ein, Solidarität und Hoffnung zu wecken und zu aktivieren, die diesen Stunden, in denen alles unterzugehen scheint, Festigkeit, Halt und Sinn geben. Der Herr erwacht, um unseren Osterglauben zu wecken und wiederzubeleben. Wir haben einen Anker: durch sein Kreuz sind wir gerettet. Wir haben ein Ruder: durch sein Kreuz wurden wir freigekauft. Wir haben Hoffnung: durch sein Kreuz sind wir geheilt und umarmt worden, damit nichts und niemand uns von seiner erlösenden Liebe trennen kann. Inmitten der Isolation, in der wir unter einem Mangel an Zuneigung und Begegnungen leiden und den Mangel an vielen Dingen erleben, lasst uns erneut die Botschaft hören, die uns rettet: Er ist auferstanden und lebt unter uns. Der Herr ruft uns von seinem Kreuz aus auf, das Leben, das uns erwartet, wieder zu entdecken, auf die zu schauen, die uns brauchen, und die Gnade, die in uns wohnt, zu stärken, zu erkennen und zu ermutigen. Löschen wir die kleine Flamme nicht aus (vgl. Jes 42,3), die niemals erlischt, und tun wir alles, dass sie die Hoffnung wieder entfacht.

Das eigene Kreuz anzunehmen bedeutet, den Mut zu finden, alle Widrigkeiten der Gegenwart anzunehmen und für einen Augenblick unser Lechzen nach Allmacht und Besitz aufzugeben, um der Kreativität Raum zu geben, die nur der Heilige Geist zu wecken vermag. Es bedeutet, den Mut zu finden, Räume zu öffnen, in denen sich alle berufen fühlen, und neue Formen der Gastfreundschaft, Brüderlichkeit und Solidarität zuzulassen. Durch sein Kreuz sind wir gerettet, damit wir die Hoffnung annehmen und zulassen, dass sie alle möglichen Maßnahmen und Wege stärkt und unterstützt, die uns helfen können, uns selbst und andere zu beschützen. Den Herrn umarmen, um die Hoffnung zu umarmen – das ist die Stärke des Glaubens, der uns von der Angst befreit und uns Hoffnung gibt.

»Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?« Liebe Brüder und Schwestern, von
Salus populi Romani (lat. für „Heil 
des römischen Volkes“) ist die seit 
dem 19. Jahrhundert verwendete Bezeichnung 
einer Ikone der Gottesmutter, 
die sich in der Cappella Paolina 
der Basilika Santa Maria Maggiore 
in Rom befindet.
wikipedia
diesem Ort aus, der vom felsenfesten Glauben Petri erzählt, möchte ich heute Abend euch alle dem Herrn anvertrauen und die Muttergottes um ihre Fürsprache bitten, die das Heil ihres Volkes und der Meerstern auf stürmischer See ist. Von diesen Kolonnaden aus, die Rom und die Welt umarmen, komme der Segen Gottes wie eine tröstende Umarmung auf euch herab. Herr, segne die Welt, schenke Gesundheit den Körpern und den Herzen Trost. Du möchtest, dass wir keine Angst haben; doch unser Glaube ist schwach und wir fürchten uns. Du aber, Herr, überlass uns nicht den Stürmen. Sag zu uns noch einmal: »Fürchtet euch nicht« (Mt 28,5). Und wir werfen zusammen mit Petrus „alle unsere Sorge auf dich, denn du kümmerst dich um uns“ (vgl. 1 Petr 5,7).

(aus: vatican news - gs)

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also - mich haben diese fast aus der zeit gefallenen segenszenen beeindruckt - und diese unmittelbare geste der geteilten sorgen und des trostes. 

wir leben ja in einer zeit grundsätzlicher gottesferne der meisten menschen - und selbst bei solchen schrecklichen, die ganze welt in atem haltenden medizinischen biokatastrophen wie diese weltweite conora-pandemie, kommen eine vielzahl der wie aufgescheucht herumflatternden menschen zumindest in deutschland zuerst einmal auf die idee, erschreckend viel klopapier zu raffen und zu horten, dass sie sicherlich auf jahre genug haben - wahrscheinlich aus einem inneren impuls heraus, sorge zu treffen für das eigene wohlbefinden, zumal ja vielleicht mal eine ausgangssperre verhängt wird - "man weiß ja nie"... eine völlig überflüssige und fragliche vorsorge, die da von vielen menschen blind übernommen und weitergetragen wird - und die gar nicht genug davon bekommen können - und die dem lapidaren spruch, bei bedrohungen sollte man "zuerst mal seinen ar... retten", eine ganz neue aktualität und dynamik verleihen. 

aber die gleichen menschen können wahrscheinlich nichts (mehr) mit diesen gesten des papstes anfangen - mit den eindrücklichen und einzigartigen symboliken dort auf dem vom regen tropfnassen petersplatz: der papst ganz allein mit seinem zeremonienmeister monsignore guido marini - und einem herbeigeschafften heiligen pestkreuz von 1522 - und dem ebenfalls einer nahen kirche entliehenen uralten ikonenbildnis der maria mit dem jesuskind in antiker byzantinisch anmutender ikonenmalerei-manier.

ja - da fühlt sich der papst bemüßigt, auf dem platz, wo ihm sonst hunderte von menschen zujubeln oder auch in andacht verharren, ganz allein der erkrankten und ängstlichen welt den segen "urbi et orbi" zu spenden: „der stadt (rom) und dem erdkreis“.

mit dem segen "urbi et orbi" ist nach katholischer lehre allen, die ihn hören oder sehen und guten willens sind, eine vollkommene wiedergutmachung aller verfehlungen gewährt. war früher für diesen empfang die physische anwesenheit des empfängers notwendig, so kann nach verschiedenen modifikationen und anpassungen an die moderne welt seit 1995 der segen auch über alle medien und dem internet vollgültig empfangen werden.

und außerplanmäßig wurde er erstmals in der geschichte jetzt anlässlich der weltweiten COVID-19-pandemie erteilt...

in dieser verzweiflung der ganzen welt zu diesen oft tödlichen infektionsherden überall - ganz besonders eben auch in italien, vor allen dingen in bergamo - hat sich der papst nun eben dazu entschlossen, ein besonderes und nie dagewesenes zeichen zu setzen.

nur - wer lässt sich davon in der eigenen betroffenheit beeindrucken - wer hält inne bei der jagd auf diese vermeintlich wichtigeren  dinge wie klopapier, tempotücher, seifen- und desinfektionsmittel, und blickt da in den römischen regen, auf diesen alten einsamen mann im cremefarbenen papstgewand, der da in seiner predigt mahnt, umzukehren aus dieser geschäftigkeit und dem sinnlosen getue und der gottverlassenheit.

und er setzt ja ein zeichen gegen unser aller angst und unseren sorgen um gesundheit und auskommen: "warum habt ihr solche angst? habt ihr noch keinen glauben?" - nun - werden da viele denken, da kann ich mir aber nichts für kaufen...

aber muss man immer kaufen? haben wir nicht "genug" - genug für alle, wenn wir nicht andauernd den nächsten zu übertrumpfen achten.

dieses #coronavirus macht uns alle gleich - egal wieviel wir haben, woher wir kommen, wie wir lieben oder hassen... 

und weil wir alle in dieser angelegenheit gleich sind und in einem boot sitzen, das durch dieses all schippert, sind wir auch aufgerufen, mitzurudern, damit das boot nicht kentert: mit in die riemen legen - und den blick von den börsennachrichten vielleicht doch wieder auf den "steuermann" zu richten

ein alter geschnitzter christlicher wandspruch lautet: "gott hat uns keine sturmfreie fahrt über das meer verheißen - wohl aber ein sicheres (an)landen" ...