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greta thunberg & logion 9 - einfach wunderbar

faksimile thomas-evangelium - simple-pedia



Aus Logion 9 - im sogenannten "Thomas-Evangelium" -

einer im Dezember 1945 in Oberägypten in Nag Hammadi von einem Fellachen in einem Tonkrug gefundenen koptischen Schrift - über die Entstehungszeit und Authentizität streiten sich seitdem die Experten:
Jesus sagt: der Sämann kam heraus und füllte seine Hand und streute aus. Einiges fiel auf den Weg, die Vögel kamen und pickten es auf. Anderes fiel auf den Felsen, trieb keine Wurzeln in die Erde, hob auch keine Äste zum Himmel. Und wieder Anderes fiel in die Dornen. Sie erstickten die Saat und die Würmer fraßen sie auf. Anderes aber fiel auf gutes Land, das brachte gute Frucht. Es trug sechzig je Scheffel und einhundertzwanzig je Scheffel.
Repro aus: EVANGELIUM NACH THOMAS, Leiden, E.J. Brill, 1959 - S. 6 u. 7

Das kennen wir doch - das Gleichnis vom Sämann. Dies ist eines der Originalstücke, die dem Evangelium der Christen überleben halfen. Aber vergessen wir die Bibelgestalt und wenden uns der Urgestalt zu. Erstens: bei Jesus ist nichts zufällig und nichts "einfach so" gesagt. Also auch nicht die Sache mit den Vögeln, den Dornen und den Felsen. All das soll nicht nur illustrieren, was mit der Saat geschieht, sondern auch, auf welche Weise. Zunächst einmal streut der Sämann aus - es interessiert ihn nicht, wohin die Saat fällt, er streut, während er weitergeht. Kein Landstrich wird ausgelassen, es gibt keine Voraussetzungen, nichts da mit "wer da glaubt und getauft wird". Die Arbeit des Sämannes ist nicht, aufzupassen wohin seine Saat fällt, sondern zu säen. Wohin es fällt, fällt es. Aber die Wirkung ist unterschiedlich; was die Vögel fressen, nährt sie immerhin. Und was auf den Felsen fällt - es findet keinen Nährboden, aber es ist niemand "schuld" wenn es nicht aufgeht. Was unter die Dornen fällt - die Eigenschaft dieses Gewächses ist, daß es neben sich nichts aufkommen läßt, weil es allem den Nährstoff entzieht. Das ist dann schon eine etwas andere Situation, denn hier lebt etwas auf Kosten eines anderen und durch Gestrüpp wird menschliche Nahrung vernichtet. Immerhin aber - die Würmer nährt sie doch noch, aber sie nehmen es wie andere Nahrung auch. Aber wo es in den Acker fällt - sechzig und hundertzwanzig sind nicht nur Synonyme für "doppelt und dreifach", sondern sind populäre Glückszahlen von universaler Dimension.

Das heißt - gegeben wird ohne Voraussetzung, aber um sich zu entwickeln braucht das Gegebene Voraussetzungen und je besser die sind, um so besser der Erfolg. Es nährt das Gewürm und die Vögel, aber die finden allenfalls andere Nahrung - der Mensch aber braucht Brot. Er kann Gras nicht essen. Und Brotgetreide wächst nur auf einem gut gehaltenen Acker, weder auf dem Weg noch auf den Felsen noch in Gemeinschaft mit Dornen. Wenn die Lehre Jesu in die Menschenherzen fällt, fällt sie auf unterschiedliches Land. Ein Herz ist ein Weg - alles trampelt drüber, er ist notwendig, aber ehe etwas in dieser harten Erde einwurzeln kann, sind schon die allzeit hungrigen Vögel da, die Ausflüchte und Sachzwänge und es wird von ihnen weggefressen, aufgelöst. Ein anderes Herz ist aus Stein - da kann nichts Wurzeln schlagen, und wenn nichts Wurzeln schlagen kann, kann auch nichts "Äste gen Himmel recken". Es bleibt liegen und vertrocknet. Und es gibt die Dornenherzen - voll Gestrüpp, vorgefaßten Meinungen, verknöcherten Lebenskonzepten, angelernten, nie durchdachten Verhaltensweisen - da ist zwar Boden, aber wenn etwas darauf wachsen will, hat es keine Chance, es wird erstickt und das Aas nehmen sich die Würmer, die alles Aas annehmen und beseitigen.

Und was ist das gute Land? Ein lockeres, sauberes, leeres Feld. Das Leben hat es auf vielfache Weise vorbereitet - es ist umgestochen worden, es wurde durchgepflügt und durchgeharkt, es wurde mit Nährstoffen versehen - und dann wurde es liegen gelassen für die Saat. All das haben Andere getan, nicht der Sämann. Der Mensch, dessen Herz gutes Land ist, hat all das geschehen lassen, geduldig wie die Erde, und er hat sich offen gelassen für das, was kommen mag. Er hat sich weder festtreten lassen noch hat er zugelassen, daß sich Unkraut in seinem Herzen ansiedelt. Er wartet er auf den Funken, der ihn entzündet - ohne daß er weiß, welches dieser Funken sein wird oder sein soll. Aber er nimmt etwas andres nun nicht mehr an, sondern wartet auf die Saat, auf nichts sonst.

Dabei fühlt er sich oft leer und kahl - ein bracher Acker ist leer und kahl. Was er kann, wird man erst sehen, wenn die Saat darauf gefallen ist. Es ist aber damit auch gesagt: macht euch keine Sorgen, wohin die Lehre fällt - seid wie der Sämann, der nicht zusieht, ob er die Saat auf den Acker bringt oder sonstwohin. Streut nur aus, bemüht euch nicht, es richtig zu machen. Es wird nur dort aufgehen, wo das Menschenherz auch bereit ist, überall sonst wird es verpuffen. Die Vögel kritisieren den Sämann nicht und die Würmer auch nicht, sondern sie sind dann wenigstens satt. Es gibt dann zwar kein Brot, aber die Saat, die auf den Acker fällt, macht solchen Verlust mehr als wett.

aus: THOMAS-Comment AG Gnosis Juliane Intkaes-Bobrowski



tja - dieses etwas ungewöhnliche gleichnis vom sämann - ganz außerbiblisch - in einem alten tonkrug aufbewahrt in einem felsversteck in oberägypten - und "zufällig" aufgefunden von einem fellachen, einem bauern, der das was er da gefunden hatte, gar nicht einordnen und wertschätzen konnte. 

aber inzwischen hat man all die "schriften von nag hammadi" zusammengepuzzelt und entziffert und übersetzt.

und es sind zumeist gnostische erbauungsschriften und "evangelien", im 2. bis 3. jahrhundert entstanden - und eben hier das wohl ältere sogenannte "thomas-evangelium", das benannt wurde nach jenem "ungläubigen" thomas-apostel, der nach dem ableben jesu der legende nach in indien missioniert hat und dort auch anscheinend verstorben ist.

er soll von jesus selbst den auftrag gekommen haben, diese leitsätze aufzuschreiben und quasi als quintessenz der originalen jesu-lehre dann auch weiterzugeben: da wo thomas draufsteht ist vielleicht nach meinung einiger der echte jesus noch drin ...

da diese kernsätze mit dem späteren paulinischen "christentum" nur recht wenig und bruchstückhaft kompatibel waren, hat die frühe kirche dieses durchaus schon viele jahrhunderte vor den nag-hammadi-funden 1945 bekannte exzerpt des thomas aber regelrecht unterdrückt und vielleicht in die geheimarchive im vatikan in die allerletzte ecke verbannt - auf alle fälle eben nicht mit in die kanonisierten evangelien und schriften des "neuen testaments" eingefügt.

wohl aber eben das "johannes-evangelium", was textmäßig ebenso "aus der reihe schlägt", aber mit den grundsätzen der eigentlichen "christlichen" religionsgründer um den "apostel" paulus von tarsus und später dann in rom auf den konzilien noch in etwa in einklang zu bringen war.

so gammelte also das sogenannte "thomas-evangelium" eben all die jahrhunderte vor sich hin - und wurde in einigen geheimzirkeln verbreitet, vielleicht mündlich weitergegeben bei den sogenannten "thomas-christen" in indien und der heutigen türkei und eben in gnostischen sekten im vorderen orient, die dann auch den tonkrug in den sand von nag-hammadi ablegten.

soweit knapp die spannende geschichte des äußeren textes - nun aber zum inhalt des logion 9; das ähnlichkeiten mit dem "gleichnis vom sämann" aus den kanonischen bibel-evangelien aufweist.

und mir fiel das logion 9 wieder ein, als ich meine "taz" las - und die ja fast ebenso "wundersamen" begebenheiten einer saatvermehrung um die 16-jährige greta thunberg vor augen hatte, die anfangs ja ganz "mutterseelenallein" vor dem schwedischen parlamentsgebäude in stockholm saß mit ihrem selbstgemalten pappschild: „skolstrejk för klimatet“ - und deren bittersüße "saat" nun dermaßen aufgegangen ist, dass mittlerweise hunderttausende von schülern, auch eltern und lehrer und wissenschaftler, es ihr regelmäßig an jedem "friday for future" in über 100 staaten der welt gleichtun - und für eine bessere umwelt und zukunft "strejken": nicht zur schule gehen - nicht in die labore, institute und an die arbeitsplätze - nicht in die hochschulen und universitäten: ein weltweiter streik für eine bessere umwelt - ausgegangen von der sicherlich hier und da gewöhnungsbedürftigen greta, die einfach stur ihren kopf durchsetzte.

und bei der geschichte um ihren asperger-autismus mit vorübergehenden hungerstreik-attacken und ihrem knallharten entschluss "so - und nicht anders" - ganz auf sich allein gestellt - musste ich auch an jesus denken, der auch vor 2000 jahren seinen kopf durchsetzte mit damals zunächst für die jüdische tempelaristokratie - und seine familie - zunächst einmal "wirren" ideen ... seine familie bezeichnete ihn als "irregeleitet" und war schon losgezogen, um ihn wieder einzusammeln:

das älteste markus-evangelium (ca. 70 n. chr.) erzählt nahezu zu beginn von jesu wirken, dass jesu mutter und brüder „losgehen, um ihn zu greifen“, als sie hören, wie viele menschen ihm folgen, denn sie sagen: „er ist von sinnen“ (mk 3,20f). markus kennt also keine wunderbare weihnachtsgeschichte von der geburt und kindheit jesu. bewusst stellt der evangelist jesu mutter maria und brüder in die nähe der schriftgelehrten, die jesus vorwerfen, er sei von dämonen besessen.

und ähnliche angriffe muss greta thunberg ja heutzutage auch über sich ergehen lassen, wenn z.b. unser fdp-"experte" für alles lindner meint, greta und schüler und "kinder" hätten natürlich "keine ahnung" von umweltschutz - und dass solle man mal den "experten" überlassen ...

ich will hier nicht den hype um greta thunberg überhöhen und sie mit diesen zeilen etwa auch noch in die nähe jesu rücken - ich möchte nur auf die gesellschaftlich gleichen phänomene hinweisen - vor 2000 jahren und heute - und diese äußeren parallelen ziehen - und ich möchte auf die grundaussagen von logion 9 im thomas-evangelium hinweisen: manche samenkörner oder eben auch ideen und grundsätze und parolen fallen auf weniger fruchtbaren grund und boden - und manche sind so fruchtbar und wichtig und für viele einsehbar, dass aus einer einsamen schulstreikerin in stockholm ohne "management" und "zentraler organisation" und ohne finanziellen eigennutz innerhalb von ein paar monaten eine weltweite bewegung anwachsen und hochsprießen kann: viele hunderttausend menschen "je scheffel" ...

also: wunder gibt es immer wieder - und das tröstliche ist: es gibt sie noch ... - es soll uns mut machen ...

greta thunberg - graphische bearbeitung: sinedi



„Fridays for Future“ weltweit

Greta global

Am Freitag wollen Hunderttausende junge Menschen für eine bessere Klimapolitik protestieren. Die Bewegung hat einen Star: Greta Thunberg. Wer ist sie?

Von Anett Selle | taz

taz | Sie steckt fest, es geht nicht weiter. Presse und Fans füllen die Straße, wedeln mit Kameras und Handys. Einige versuchen, die Kette aus Menschen zu durchbrechen, die mühsam einen Sicherheitsabstand aufrechterhält. Erst als die Polizei dazukommt, beruhigt sich die Situation etwas. Kinder und Jugendliche gehen nebenher, einige rufen, um ihr Vorbild auf sich aufmerksam zu machen. Es ist Freitag, wenn sie nicht gerade feststeckt, zieht die Schulstreikdemo durch die Stadt: Und Greta Thunberg läuft mitten drin.

An diesem Tag Anfang März ziehen bis zu 10.000 junge Menschen durch Hamburg, mehr als zehnmal so viele wie in der Vorwoche. Wo Thunberg auftaucht, wird es voll: Anfang Januar war sie beim Schulstreik in Brüssel zu Gast, da beteiligten sich bis zu 100.000 Menschen.

Ganz allein hat die heute 16-jährige Schwedin ihren Schulstreik für mehr Klimaschutz im August vorigen Jahres begonnen. Allein ist sie damit inzwischen gewiss nicht mehr. Demonstriert wird in Australien und Japan, in Kanada, Brasilien und den USA, in Nigeria und Südafrika, und in nahezu jedem Land Europas.

Eltern haben sich solidarisiert als Parents for Future, Wissenschaftler*innen sind als Scientists for Future dabei. Diesen Freitag nähert sich die Bewegung ihrem bisherigen Höhepunkt: Am 15. März soll rund um die Welt gestreikt werden. Der letzte Stand: 1.650 Orte in 105 Ländern.

Greta Thunberg, ein Vorbild für Zehntausende

Die Fridays-for-Future-Bewegung organisiert sich lokal und unabhängig. Eine Hierarchie oder zentrale Struktur gibt es nicht. Aber ein Zentrum: Greta Thunberg. Viele der jungen Demonstrant*innen in Hamburg sagen, sie hätten nicht gewusst, was sie angesichts des Klimawandels tun könnten, und niemanden gehabt, zu dem sie aufschauen konnten. Thunberg habe das geändert.

Auf der Bühne richten die Schüler*innen Lilli und Gustav sich direkt an sie. „Wir danken dir, dass du damit angefangen hast, für das Klima zu streiken. Für uns und für viele bist du ein Vorbild. Wir lieben dich für das, was du tust. Für deinen Mut, Dinge zu sagen, die Erwachsene nicht wahrhaben wollen. Für dein Durchhaltevermögen. Und dafür, dass du uns eine Stimme gibst.“

Mit ihrem Schulstreik hat Thunberg die Klimakrise zu einer Angelegenheit der Jugend weltweit gemacht. Eine junge Frau, die von sich sagt, sie sei ihr ganzes Leben lang das „unsichtbare Mädchen“ gewesen, das hinten sitzt und nichts sagt: Heute ist sie eine, der andere danken, weil sie ihnen eine Stimme gibt. Als Kind habe sie die Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen aus Filmen über den Klimawandel, sagt sie. Thunberg hat die Diagnose Asperger, sie sagt, sie könne Sorgen nicht verdrängen.

Krank, klein unsichtbar. Und jetzt dauerpräsent

Mit elf Jahren erkrankte sie an Depression, konnte zeitweise nicht mehr zur Schule gehen, nicht mehr essen, sprach kaum noch. Dann begann sie, sich selbst zu ermächtigen, zuerst gegenüber ihren Eltern. Die überzeugte Greta Thunberg, kein Fleisch mehr zu essen, vegan zu werden, nicht mehr zu fliegen.

Thunbergs Mutter ist die Opernsängerin Malena Ernman, die Schweden 2009 beim Eurovision Song Contest vertrat. Dass Ernman nicht mehr flog, fiel der schwedischen Öffentlichkeit auf. Dann schrieben Ernman und ihr Mann Svante Thunberg ein Buch darüber, wie ihre Tochter sie verändert hatte. Und schließlich setzte sich Greta Thunberg allein vor das schwedische Parlament mit ihrem Schild:, Schulstreik für das Klima. Anfangs täglich, dann jeden Freitag. Es folgten: Schüler*innen weltweit, die die Idee aufgriffen, eine Einladung zur UN-Klimakonferenz und ins schweizerische Davos, zum Weltwirtschaftsforum.

Das Treffen in Davos ist die alljährliche Begegnung der Politik- und Wirtschaftselite. Als Thunberg Ende Januar nach anderthalb Tagen Zugfahrt von Schweden in dem verschneiten Alpenstädtchen ankommt, warten Dutzende Journalist*innen am Bahnsteig. Der Andrang ist größer als bei manchem Staatsgast. Im Ortszentrum ist für die Klimaaktivistin eine Pressekonferenz organisiert, davor drängeln Kamerateams. Aufpasser bahnen Thunberg eine Gasse.

Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, begrüßt Thunberg mit Handschlag und widmet ihr ein paar Minuten. Lagarde ist eine der einflussreichsten Politikerinnen weltweit, sie überlegt sich genau, mit wem sie sich vor die Kameras stellt. Aber die beiden scheinen nicht recht zu wissen, was sie miteinander anfangen sollen. Thunbergs Gesichtsausdruck ist angespannt. Später wird sie einem Raum voller Politik- und Wirtschaftseliten sagen, diese hätten ihren finanziellen Erfolg auf Kosten des ganzen Planeten erreicht: Das Video ihrer Rede wird um die Welt gehen.

Thunberg bleibt wie ist ist: unangepasst

Thunberg, die von ihrem Vater in Davos begleitet wird, sagt leise: „Ich mag es eigentlich nicht, vor Leuten zu reden.“ Mit dem hohen Stuhl, auf dem sie sitzen soll, kommt sie nicht zurecht. Sie bleibt stehen. Was andere von ihr denken, scheint Thunberg nicht zu kümmern: Sie ist ein Mensch der Gegensätze, sie polarisiert. Man stimmt ihr zu, oder ist dagegen. So oder so, wenn Thunberg spricht, wird zugehört. Wenigen ist sie egal. Das liegt an dem, was sie sagt und zu wem – und wie.

„Ich will, dass ihr handelt, als würde euer Haus brennen. Denn das tut es.“

„Erwachsene sagen immer wieder: Wir sind es den jungen Leuten schuldig, ihnen Hoffnung zu geben. Aber ich will eure Hoffnung nicht.“


„Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre.“


„Es gibt keine Grauzonen, wenn es ums Überleben geht.“


Dass Thunberg schwarz-weiß malt, ist ein häufiger Kritikpunkt. Zwar sind die Konsequenzen der Erderwärmung Konsens in der Wissenschaft: Naturkatastrophen, Wassermangel, Hungersnöte, saure Meere, das Aussterben von Tierarten. Kritik an Thunbergs Aussagen bezieht sich aber meist gar nicht auf den menschengemachten Klimawandel an sich oder die Untätigkeit, die Thunberg anprangert, sondern auf ihre absoluten Formulierungen.

Kritik an Thunbergs Aussagen
bezieht sich meist gar nicht
auf den Klimawandel an sich
oder die Untätigkeit,
die Thunberg anprangert,
sondern auf ihre
absoluten Formulierungen

Denn es gibt sie ja doch, die Grauzonen im Überleben: Auch mit einer Erwärmung um 4 Grad und mehr wäre menschliches Leben auf der Erde höchstwahrscheinlich möglich. Nur eben nicht an allen Orten, an denen es heute stattfindet. Einige wären höchstwahrscheinlich zu heiß, andere lägen unter Wasser. Aber eben nicht alle.

Was Thunberg und die Schüler*innen der Fridays for Future von der Politik fordern, ist die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens. 196 Länder haben damit 2016 zur Staatsaufgabe erklärt, die menschengemachte Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Ob das reicht, um das unumkehrbare Kippen des Klimas zu vermeiden, ist in der Wissenschaft umstritten.

Ist Klimawandel „nur eine Sache für Profis“?

Für manche ist Thunberg ein Kind, trotz ihrer 16 Jahre. Ein kleines Mädchen mit zwei langen Zöpfen, einer Wollmütze und wenig Ahnung von wirtschaftlichen Realitäten. Dass Thunberg recht klein ist, liegt an ihrer Depression: Als sie nicht mehr aß, hörte sie auf zu wachsen. So wirkt sie auf viele kindlich, trotz ihres Alters. Die Jugendlichkeit machen manche Kritiker*innen nicht nur ihr, sondern der ganzen Bewegung Fridays for Future zum Vorwurf, so wie etwa FDP-Chef Christian Lindner: „Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits globale Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis.“

Die Fridays-for-Future-Bewegung hat eine Diskussion ausgelöst – nicht darüber, ob die Menschheit in Zukunft leben wird, sondern wie. Der Weg dorthin war schrittweise Eskalation. Erst der Boykott der Schule für mehr Klimaschutz durch Thunberg. Das schuf Aufmerksamkeit. Dann, dass Schüler*innen einstiegen, die Bewegung sich international ausbreitete und Menschen hinzukamen, die nicht mehr zur Schule gehen. Parents for Future, Scientists for Future, Interessierte. Nun folgt diesen Freitag die maximale Eskalation: Protest weltweit. Auf der einen Seite ist das ein Erfolg für die Bewegung. Auf der anderen Seite eröffnet es die Frage, wie es weitergehen soll.

Was tun, wenn eine Strategie an ihrer obersten Eskalationsstufe angelangt ist: Weitermachen, Neues ausprobieren, aufhören? Schüler*innen in Hamburg geben sich entschlossen, immer und immer weiter zu streiken – bis die Politik Maßnahmen ergreift, um das Zwei-Grad-Ziel zu erfüllen. „Wir werden schulstreiken, bis sie handeln“, sagt auch Thunberg auf der Bühne. Einige Zeit könne vergehen, bis sich Erfolg zeige. „Aber wir werden geduldig sein und wir werden weitermachen. Denn das ist unsere Zukunft und unsere Entscheidung.“ Es scheint also darauf hinauszulaufen, wer den längeren Atem hat.

Thunberg macht es vor: Wenn am Freitag an über 1.000 Orten gestreikt wird, wird sie nirgendwo zu Gast sein. Sie wird vor dem schwedischen Parlament sitzen. Wie im August, als alles begann. Nur mit mehr Gesellschaft.

Mitarbeit: Hannes Koch


mutterseelenallein - graphische bearbeitung: sinedi





Wie tickt Greta Thunberg? - und wie tickst du und ich ... ???

Mit Leonhard Schilbach vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München spricht Friederike Haupt - über das Phänomen Greta Thunberg.

Sie selbst sagt, sie sieht die Welt schwarz und weiß. Ein Psychiater erklärt, wie das mit ihrem Autismus zusammenhängt. Und findet: Wir können davon was lernen.

Greta im Rampenlicht - Foto: welt.de


Sie sagen, wir können etwas von Greta Thunberg lernen. Was denn?

Die Fähigkeit, etwas inhaltlich zu analysieren ohne Rücksicht auf die Befindlichkeit der relevanten Akteure. Dazu sind Autisten wie Greta Thunberg in der Lage, weil für sie soziale Konventionen nicht intuitiv plausibel und wichtig sind. Das kann Debatten versachlichen.

Die Klimadebatte scheint mir gerade nicht besonders sachlich: Greta Thunberg selbst ruft zu Schulstreiks auf und wird dafür von den einen als Heldin verehrt, ist jetzt sogar vorgeschlagen für den Friedensnobelpreis; von den anderen wird sie wüst beschimpft als unzurechnungsfähig, hysterisch, paranoid.

Das stimmt. Viele gehen gleich wieder auf die Beziehungsebene und reagieren emotional auf die unangepasste Art von Frau Thunberg, statt sich mit den Fakten zum Klimawandel auseinanderzusetzen, über die sie spricht.

Greta Thunberg sagt, sie habe das Asperger-Syndrom, eine leichte Form des Autismus. Sehen Sie in ihrem Auftreten Hinweise darauf?

Man sollte sich vor Ferndiagnosen hüten. Aber man kann schon sagen: Menschen mit Autismus beschäftigen sich gern intensiv mit einem Thema. Sie wollen sich auskennen, weil ihnen das ein Gefühl der Vorhersagbarkeit und somit Sicherheit gibt. Das scheint bei Greta Thunberg der Fall zu sein. Der andere Punkt, der auffällt, ist, dass sie wenig beeindruckt zu sein scheint von dem öffentlichen Interesse an ihr. Autisten interessieren sich weniger für die soziale Umwelt. Sie können deshalb leichter inhaltliche Positionen durchhalten, weil sie nicht so abgelenkt sind von Fragen wie „Wie fühle ich mich selbst?“ oder „Was denken die anderen?“.

Greta Thunberg wirkt aber durchaus so, als achte sie auf das Publikum. Ich habe ein Video von ihr gesehen, da steht sie auf einer Bühne. An einer Stelle setzt sie eine Pointe, die Leute lachen, und sie hält inne und lächelt, als habe sie mit dem Applaus gerechnet und genieße ihn nun. Das wirkt doch abgeklärt.

Das Verhalten, das Sie beschreiben, widerspricht nicht der Diagnose. Die Mehrheit der Autisten hat normale oder überdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten. Sie können Dinge lernen und dann auch ein Stück weit auf soziale Anforderungen reagieren.

Wie lernen sie so etwas?

Im Gegensatz zu Nicht-Autisten nicht intuitiv. Sie gehen es eher an wie eine Rechenaufgabe. Ein gutes Beispiel ist Blickkontakt. Nicht-Autisten suchen den intuitiv von Geburt an. Bei den meisten Menschen mit Autismus ist das nicht der Fall, und sie bekommen die Rückmeldung, dass das bei der Mehrheit der Gesellschaft schlecht ankommt. Sie merken dann: Für mich ist das nicht sinnvoll, ich brauche es nicht, aber es kann mir helfen, um negative Reaktionen zu vermeiden. Ein Patient hat einmal zu mir gesagt: Ich kann anderen schon in die Augen schauen. Aber das Einzige, was es mir bringt, ist, dass ich dann weiß, welche Augenfarbe die Person hat. Übrigens wird bei vielen Autisten die Diagnose erst im Erwachsenenalter gestellt, weil sie viele Jahre lang versuchen, sich anzupassen.

Also hat Thunberg gelernt, was uns gefällt, und macht es jetzt, weil es sie weiterbringt?

Es geht Frau Thunberg – so wäre meine Vermutung – weniger um ihr eigenes Fortkommen, sondern um die Sache. Aber sie hat sicherlich im Laufe der Zeit soziale Kompetenzen erworben, allerdings anders, als das Nicht-Autisten tun. Mir ist zum Beispiel ihr Blickverhalten aufgefallen. Das ist schon etwa so, wie es sein soll, aber in Nuancen doch anders. Der Blick wird zu lange gehalten. Vielen Autisten ist unklar, wann sie aufhören sollen zu schauen. Um in der sozialen Welt zurechtzukommen, sind Autisten oft kreativ: Eine Frau erzählte mir, sie wisse nie so genau, ob ihr Partner gerade gut drauf ist oder schlecht. Sie fing dann an, mitzuzählen, wie viele Wörter der Partner pro Minute spricht. Das war der empirische Indikator für die Stimmung. Wenn er viel redet, ist er gut drauf, wenn er wenig sagt, schlecht.

Aber Thunberg wirkt insgesamt doch wenig angepasst. Eher radikal.

Greta Thunberg radikal zu nennen ist die nicht-autistische Perspektive auf sie.

Na ja, gut, das ist ja die Perspektive der allermeisten. Das weiß Thunberg selbst, in einem Interview sagte sie, dass sie eine andere Weltsicht hat, „schwarz und weiß“.

Ja, sie hat etwas Unerbittliches in ihrer Klarheit. Das ist typisch für Autisten. Sie ist nicht geneigt zu sagen: Ja, gut, an dem Versuch, die Erderwärmung aufzuhalten, sind halt Menschen beteiligt, und die bemühen sich, aber es reicht nicht, schade. Da sagt der Autist: Ja, aber es ändert ja nichts daran, was mit dem Klima passiert.

Das klingt ja sehr vernünftig. Aber Sie sagen auch, dass die Probleme, die Autisten oft in ihrem sozialen Umfeld haben, zu Depressionen und Angststörungen führen können. Wirkt Greta Thunbergs Angst vor dem Klimawandel – sie sagt, eigentlich dürfte es kein anderes Thema mehr geben als das –
nicht unvernünftig, übertrieben auf Sie?

Zunächst einmal ist Angst ein Gefühl, das für das Überleben und Lernen wichtig ist. Insofern ist Angst in Maßen hilfreich; ein Übermaß kann aber das Leben stark einschränken. Mein Eindruck ist, dass die Menschen eher zu wenig Angst vor dem Klimawandel gehabt haben, weil es sich um ein komplexes Phänomen handelt, das nur schwierig persönlich erfahrbar wird und deshalb wenig Einfluss auf das Verhalten hat. Wenn man die wissenschaftlichen Analysen ernst nimmt, gibt es ja großen Anlass zur Sorge. Bei Autisten ist es außerdem so, dass sie die Beschäftigung mit wichtigen Themen oft nicht abbrechen können. Wir beide können uns aufregen über den Klimawandel oder das Plastik in den Weltmeeren, und fünf Minuten später packen wir unsere Tasche und fahren zum Sport, ganz unbelastet.

Wie stark leidet Thunberg darunter, dass sie es anscheinend nicht kann?

Das kann ich nicht sagen, ohne mit ihr gesprochen zu haben. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass das Leid überwiegt. Viele Autisten erleben die ausdauernde Beschäftigung mit einem Thema eher als Beruhigung.

Unterstützt wird Thunberg jetzt von der Bewegung „Scientists for future“. Das sind rund 23000 Wissenschaftler, die sagen, Thunberg und die anderen demonstrierenden Schüler haben recht mit ihrem Anliegen.

Ja. Und bestimmte Inhalte der Klimaschutzdebatte sind seit zwanzig oder dreißig Jahren bekannt. Wenn man damals schon Schlussfolgerungen gezogen hätte, könnte man heute ganz woanders sein. Die geringe Durchschlagkraft von Politik in manchen Bereichen führt auch zu Frustration, nicht nur beim Klima, dann heißt es: Wir müssen das System zerschlagen, Europa muss weg, was auch immer – Positionen, die mir überhaupt nicht attraktiv erscheinen, die aber trotz ihrer Inhaltsleere psychologisch offenbar als Gegenentwurf wahrgenommen werden.

Aber gemeinsam haben sie mit Thunbergs Position, dass sie Politiker pauschal kritisieren: Ihr Mächtigen lasst uns im Stich. Sehr bequem.

Da müsste man aber schon auch fragen, warum jemand so etwas sagt und mit welcher Motivation. Da würde man sehr große Unterschiede zwischen Rechtspopulisten und Greta Thunberg finden. Aber ich sage ja auch nicht, dass jetzt jeder so sein soll wie Greta Thunberg. Natürlich muss man als Politiker Kompromisse machen, und natürlich muss man als Bürger auch sehen, dass Politik ein mühsames Geschäft ist.

Inwiefern glauben Sie dann, dass wir von Greta Thunberg lernen können, sachlicher zu debattieren?

Vielleicht würde es schon helfen, einmal transparent gegenüberzustellen: Auf welche Lösung steuern wir hin, und wie stark spielen da soziale Beziehungen, Befindlichkeiten und Interessen eine Rolle? Wie würde man das rein an Fakten orientiert bewerten?

Ein Thema, das mir in dem Zusammenhang einfällt, ist die Datensammelwut von Facebook oder Google. Die bringt erwiesenermaßen enorme Gefahren mit sich – und trotzdem passiert kaum was. Immer noch sagen viele: Ist mir egal, was mit meinen Daten passiert, außerdem sind alle meine Freunde auf Facebook. Rational betrachtet, müsste man sich ja dort abmelden.

Da stimme ich Ihnen völlig zu. Die Teilnahme an vielen sogenannten sozialen Medien erfolgt vermutlich emotionsgesteuert. Menschen ohne Autismus haben soziale Gehirne, sie haben ein nahezu unstillbares Bedürfnis danach, dabei zu sein, Beachtung zu finden. Es wäre hilfreich, das rationaler zu betrachten, die Bedürfnisse in realen sozialen Interaktionen zu stillen und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wann und warum Emotionen besonders wirkmächtig sind.

Mit Leonhard Schilbach vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München sprach Friederike Haupt.

aus: F.A.S. 17.03.2019 - S. 2 | POLITIK



hier eine kleiner patientenaktenauszug - und dort ein psychiatrisches bulletin: irgendwie versuchen teile der medien eine persönliche besonderheit - hier: den asperber-autismus - zu diesem "friday for future"-phänomen hervorzuheben - und das geschehen um greta thunberg so vielleicht zu relativieren - um es auch wieder einzudämmen - man hat jetzt seinen spaß gehabt - "un gutt is" ... - "umweltschutz, das sollte man lieber den tatsächlichen experten überlassen" ...

und auch die eltern der vielen hunderttausend schüler inzwischen weltweit sollen mal endlich zuhause mit dem zeigefinger drohen: "lauft doch bloß nicht hinter so einer hinterher - sie schreiben doch längst, was mit der los ist" ...

von daher ist es vielleicht doch ganz gut, wenn priv.-doz. dr. med. leonhard schilbach hier mal versucht, einige dinge in bezug auf so ein "besonderes" und vielleicht in deutschland immer noch zu extrem normabweichend empfundenes phänomen etwas geradezurücken.

aber "inklusion" im eigentlichen sinne wäre es - wie wohl in skandinavien schon ziemlich üblich - wenn man die diagnose zu greta thunberg nun zwar nicht gänzlich verschweigt - aber auch mal nicht so überhöht aufhängen würde - und frau thunberg als einfach für diese belange hervorragend geeignete eigensinnige junge frau einordnen und zur kenntnis nehmen würde, die mit ihrer einzigartigen art und weise auf das problem "umweltschutz" einzugehen - ja und ich bleibe dabei - geradezu "wunder-bar" - "einfach" viel bewirkt, was sie ja selbst gar nicht einplanen konnte im vorhinein - und was sich - mit oder ohne asperger-syndrom - einfach so entwickelt und fantastisch ausgeweitet hat ... - 

genießen wir es einfach - und seien wir dankbar über so ein wunder - und drücken wir die daumen, dass es harte herzen mit aufweicht: ein steter tropfen höhlt bekanntlich den stein ...

rollenspiele

Jonas Burgert: SPIEL

DAS SPIEL DER WELT 

DER »FALL RELOTIUS« HAT OFFENBART, DASS SICH HINTER DEN SPANNENDSTEN REPORTAGEN ERFUNDENE GESCHICHTEN VERBERGEN KÖNNEN. ES STELLT SICH DIE FRAGE: IST »WAHRHEIT« NICHT IMMER SCHON INSZENIERT? 


Im Dezember 2018 wurde bekannt, dass ein Redakteur des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel«, der mehrfach prämierte Claas Relotius, viele, wenn nicht alle seiner Reportagen mit fantasierten Szenen, Personen und Zitaten angereichert hatte. Er wolle das Wirkliche gleichsam noch realer, noch aufregender wirken lassen. 

Der Fall Relotius offenbart, wie sehr das, »was ist« und wie es präsentiert wird, divergieren können. Aber es ist noch komplizierter. Wenn man wie der kanadisch-amerikanische Soziologe Erving Goffman (1922–1982) davon ausgeht, dass Öffentlichkeit ein Ort ist, »wo Wirklichkeit dargestellt« und idealisiert wird: Können dann »wirkliche« Fakten (als solche) überhaupt öffentlich gemacht werden? Und wenn ja, von wem? Von einem um Objektivität bemühten Nachrichten-Experten, wäre man versucht zu sagen. 

Einem, dem es um die Sache geht, nicht um die Befriedigung seiner und anderer Eitelkeiten. Wie aber die Sache transportieren, ohne sie darzustellen, das heißt, irgendwie zu inszenieren? Sofern wir am sozialen Leben teilnehmen, fand Goffman schon Ende der 1950er-Jahre, sind wir immer schon Performer. Nach Goffman leben wir alle ein Doppelleben: 

Wir existieren nicht bloß, sondern spielen auch große Teile unserer Existenz – mit anderen und für sie. 

Um unseren Status zu verteidigen, operieren wir mit situativ flexiblen Rollen, variieren je nach gesellschaftlicher Erfordernis Effekte, Worte, Gesten, Posen und Masken. 

»Ungeschminkt« ist eine Fiktion, von der wir vergessen haben, dass sie eine ist. Ob Redakteur, Autofahrer, Kassierer oder Privatier: Wir alle sind mehr oder weniger geschickte »Schauspieler« und »Hochstapler« auf der Bühne der Welt. Wir alle sind nur so gut oder schlecht wie das Rollenspiel, in dem wir brillieren, in dem wir aber auch versagen können. Weil wir schlecht spielen – oder falsch. Was folgt daraus? 
  • Erstens, Relotius trifft nur die Schuld, beim Reporter-Spielen betrogen zu haben und diesen Betrug unzureichend getarnt zu haben. 
  • Zweitens: Auf der gesellschaftlichen Bühne gibt es keine »nur« wirklichen Tatsachen. Diese sind immer auch sprachlich-gestisch überformte, da in alltäglichen Interaktionen zweckgerichtet zum Einsatz gebrachte Geschichten  – Storys, die das Ansehen unserer jeweiligen Rolle festigen und erhöhen sollen. 
  • Drittens: Auch wir selbst sind nicht wirklich »wirklich«; sind wir doch Mensch und Maske (von griechisch prosopon = Gesicht, Maske) zugleich. 
»Der Mensch«, schrieb ein anderer berühmter Soziologe und Philosoph, Helmuth Plessner (1892–1985), »verallgemeinert und objektiviert sich durch eine Maske, hinter der er bis zu einem gewissen Grade unsichtbar wird, ohne doch völlig als Person zu verschwinden.« 

Was, wenn man uns allen die Maskierung entrisse? Wir wären plötzlich unfähig uns (frei nach Plessner) zu »irrealisieren« – und hinter der Maske unser »wahres Gesicht« zu schützen. Die erzwungene Realität führte zum totalen Gesichtsverlust. Zum kollektiven Selbstverlust. Es gäbe keine Schauspieler und kein Theater mehr, keine Drehbücher... keine Geschichte. Das Spiel wäre aus. Wir alle wären Relotiusse auf dem Trümmerhaufen des Storytelling. 

[Rebekka Reinhard]

aus: HOHE LUFT 3/2019 - S. 9 - Miniaturen

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sinedi|photography: bühne des lebens


ich mach für mich manchmal eine kleine übung: 

ich sitze vielleicht vor einem kleinen eiscafé und beobachte die passanten, die davor auf dem trottoir vorübereilen: und dann stelle ich mir vor, es wäre mitten in einer theateraufführung - und alle vorbeieilenden menschen wären schauspieler in einer bestimmten rolle - mit einem bestimmten auftrag nach irgendeinem imaginären drehbuch vielleicht. und das sieht man gleich: jede*r nimmt seine/ihre rolle verdammt wichtig - und jede*r ist überzeugt von irgendeiner message, die zu überbringen ist.

mir fällt dazu dann das logion 42 aus dem sogenannten "thomas-'evangelium'" ein - es ist das kürzeste logion der gesamten sammlung dort von aussprüchen jesu, die alle außerhalb eines dazukomponierten kontextes "schwimmen" bzw. als pure "spruchweisheiten" in der luft hängen - also ganz anders als in den vier kanonischen evangelien der bibel -

jesus sagt in logion 42: 
"werdet vorübergehende!" ...



und wenn man dazu "meditiert" beim eis-schlecken und espresso-trinken und beim betrachten der hastenden mitmenschen auf dem boulevard, dann verdeutlichen sich auch die schlauen sätze von goffman und plessner dazu: wir alle spielen nach unserer geburt unsere rolle, je nach alter und werdegang und dem in uns "ruhenden" drehbuch, das da von anbeginn an eingepflanzt ist - und uns wie ein navi den weg weist - den weg in und durch unsere rollen und arrangements und engagements in unserem leben - durch tag und nacht: immer weiter ...

und wenn der letzte vorhang fällt, wissen wir nicht genau, ob das nur der vorübergehende vorhang eines aktes im noch viel größeren stück ist ...

da kribbelt es um uns herum ebenso an allen ecken und enden und funkelt und trippelt: 
und ich bin ich - 
und du bist du - 
und du lebst in deinen rollen 
wie ich in meinen rollen lebe

und manchmal begegnen wir uns 
und gehen vielleicht ein stück gemeinsam - 
und manchmal singen wir vielleicht auch im duett 
und tanzen mit- und umeinander

und manchmal trennen wir uns wieder
oder wir begegnen uns nie -
und gehen aneinander vorbei -
und jeder geht seine eigenen wege ... 

(frei nach dem gestalt-guru fritz perls)

und der weg dorthin - ist der weg hindurch: 
werdet vorübergehende!

New York Times: Liverpool Soccer Fans - vielleicht beim spiel in münchen gegen bayern ...


wir sind so frei ...

Die Kunst war noch nie frei – wir aber waren nie freier

Auch die Kunstszene braucht ihre Skandälchen – und sei es jenes, dass die Freiheit der Kunst in Gefahr sei. Von Philipp Meier | NZZ

Alles schreit immer und überall, die Freiheit der Kunst sei in Gefahr. Und die Debatte wird am Laufen gehalten mit den immergleichen paar Beispielen. Zuerst: Balthus. Dabei hat die Fondation Beyeler in ihrer schönen Übersichtsschau vom letzten Jahr die umstrittene Leihgabe aus dem Metropolitan Museum – ja, jenes Bild eines halbwüchsigen Mädchens mit geschürztem Rock – eben gerade nicht aus dem Programm genommen, sondern trotz allem gezeigt. «Trotz allem», das heisst hier, um uns zu erinnern, trotz der Petition, die in New York an das Metropolitan ging, weil 12 000 Unterzeichnende ihre Bedenken äußerten, das Werk könnte pädophile Neigungen bedienen.


 Balthasar Kłossowski de Rola, genannt Balthus, ein polnisch-deutsch-französischer Maler: «Thérèse rêvant»
 (Bild: André Held / akg-images)

Die neue Zensur von unten

Herhalten muss auch Eugen Gomringers Gedicht «avenidas» an der Fassade einer Berliner Hochschule, das auf Begehren der Schülerschaft als nicht mehr zeitgemäss eingestuft und übermalt wurde. Auch diese Inschrift wird immer wieder dafür als Beispiel angeführt, wie sehr heute die Freiheit der Kunst unter Beschuss geraten sei. Dann gibt es noch eine Handvoll weiterer Fälle. Etwa der Fall Sam Durant, an dessen Installation «Scaffold» sich Indianer störten, weil sie den Völkermord der Indigenen Amerikas thematisiert. Oder das Skandälchen um die temporäre Entfernung eines Nymphenbildes vom Präraffaeliten John William Waterhouse aus den Räumen der Manchester Art Gallery.

„Hylas and the Nymphs“ (1896) von John William Waterhouse, abgehängt, um eine Debatte über die politisch unkorrekte Kunst des Viktorianischen Zeitalters zu provozieren. Die Aufregung über diesen Bildersturm in Manchester war groß und die Reaktionen überwiegend negativ, und so hängt das anstößige Gemälde wieder an seinem angestammten Platz.

Diese Fälle werden als Zensur dargestellt. Und zwar als eine solche von unten. Nur, was ist dabei so ungewöhnlich? Anders ist allein die Richtung, aus der hier Zensur erfolgt. Früher kam sie von oben, jetzt kommt sie von unten. Dabei bleibt eigentlich alles beim Alten: Kunst war noch nie frei. Vielmehr ist sie seit je begehrter Zankapfel jener, in deren Dienst sie treten soll.

Vor nicht allzu langer Zeit erhitzte noch Brancusis Bronzekopf der «Princess X» (1916) als obszönes Phallussymbol die Gemüter und wurde 1920 aus einer Pariser Ausstellung entfernt. Damals stand die Kunst eben noch im Dienst eines von Doppelmoral geprägten Bürgertums. Zeitweilig waren es die Nazis und die Kommunisten, die sich die Kunst als effektives Propagandamittel dienlich machten. Wer nicht mitmachte oder nicht ins Bild passte, wurde verfemt und verfolgt. Auf solche Weise kontrollieren diktatorische Staaten auch heute die Kunstproduktion.

Tiermalereien in der Höhle von Lascaux - Foto: Patrick Aventurier | getty images | NZZ

Aber eigentlich war das nie wirklich anders. Kunst hatte die Macht von Fürsten und Kirchenvätern zu repräsentieren. Hochkulturen wie das alte Ägypten nahmen sie in Dienst des göttlichen Pharaonentums. Und nicht einmal bei den Höhlenbewohnern von Lascaux war sie frei. Die Tiermalereien an den Wänden jedenfalls entsprangen gewiss nicht irgendeinem ausgelassenen Selbstverwirklichungs-Workshop, sondern galten dem schamanistischen Jagdzauber.

Was wir für die Freiheit der Kunst halten, ist ein junges Phänomen. Mit Kunstfreiheit meinen wir vor allem die Freiheit einer antibürgerlichen Kunst. Diese Kunst war indes keineswegs freier als jene anderer Epochen. Sie stand ganz einfach im Dienst einer neu etablierten kulturellen Macht, nämlich jener der Linken.

Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing – das gilt eben auch für die Kunst. So hat heute bald jede Stimme, die sich Gehör zu verschaffen vermag, auch ihre Kunst. Die Feministinnen haben sie, die Homosexuellen und die ­Schwarzen ebenfalls. Was wäre die Kunst ohne Louise Bourgeois oder Valie Export, ohne Robert Mapplethorpe oder Keith Haring, ohne Kara Walker oder Chris Ofili?

Und so echauffiert sich heute kein scheinheiliger Bourgeois mehr an Jeff Koons’ Kopulationsbildern mit Cicciolina; Thomas Ruffs Porno-Close-ups sind längst salonfähig. Denn die 68er haben uns die sexuelle Revolution gebracht und mit ihr sozusagen den porno­grafischen Kunst-Freipass. Auch vermochte Thomas Hirschhorns unappetitliche Attacke auf Blocher vor 15 Jahren kaum grosse Wellen zu schlagen, denn solche Schläge gegen die Konservativen gehören schliesslich zur Kunstfreiheit der Linken.

Alles geht

Heute ist die Kunst nun aber eben nicht mehr allein Sprachrohr der Linken. Auch ist sie nicht länger abendländisch dominiert, sondern mittlerweile so bunt geworden wie eine Benetton-Werbung. Kaum ist etwa der Hype um chinesische Gegenwartskunst verflogen, meldet sich bereits der nächste aus Indien oder Indonesien. Die angebliche Kunst­freiheit von heute besteht in ihrem schieren Pluralismus. Die Kunstproduktion der Gegenwart ist ein Abbild unserer Multikultigesellschaften: Anything goes. Könnte man meinen.

Vielstimmiger Kunstkonsum

Dabei hat sie sich längst den Mächtigen und Reichen angebiedert, ja angedient. Die Exzesse auf dem Kunstmarkt jedenfalls machen deutlich, wer der neue Herr ist. Was produziert wird, muss vermarktet werden, und was sich vermarkten lässt, gilt als gute Kunst. Und das kann für den globalisiert-vielstimmigen Chor der Kunstkonsumenten so ziemlich alles sein. Noch nie war Kunst so vielfältig wie heute. Noch nie auch hatte sie ein solch breites Publikum. Museen und Kunstinstitutionen schiessen weltweit wie Pilze aus dem Boden. Es herrscht der freie Markt des Kulturbetriebs, die Massen strömen in die Musentempel, und Kunstwerke zirkulieren millionenfach im Internet.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass in dieser Vielstimmigkeit nicht mehr so klar ist, in wessen Dienst – abgesehen von den Geldgebern – die Kunst eigentlich noch steht. Oder vielmehr stehen sollte. So viele künstlerische Ausdrucksformen es gibt, so viele Stimmen gibt es auch, die die Kunst gerne für sich reklamieren und Anspruch auf sie zu haben glauben.

Und so gibt es heute eben auch immer mehr von denjenigen, die sich stören an all jenen Kunstwerken, die nicht ihre Sache vertreten. Schwarze stören sich an Kunst, die nicht von ihnen selbst beglaubigt ist. Feministinnen stören sich an Kunst von Männern. Einschlägig Traumatisierte sehen plötzlich überall vermeintliche «Pädophilenkunst». Die Liste liesse sich beliebig verlängern. Dass Kunst aber einigen Gruppierungen nicht passt, ist nichts Neues. Neu ist höchstens die diffus anmutende Diversität von Zensurwilligen. Diese ist aber symptomatisch für das digitale Zeitalter. Und sie ist symptomatisch für noch etwas: die Freiheit selber. Denn diese sogenannte Zensur kommt von unten.

Ist nun aber solche Zensur von unten irgendwie schlechter als solche von oben? Sie ist vielleicht unberechenbarer, weil man nicht genau weiss, mit wem man es zu tun hat. Ist es aber nicht vielmehr die Freiheit, die Zensur von unten überhaupt ermöglicht?

Freiheit der Vermarktung

Wenn sich irgendwelche Leute über irgendwelche Kunst aufregen, dann geschieht das, weil sie den Freiraum dazu haben, und sei er auch vor allem jener des Internets. Das Individuum welcher Couleur auch immer meldet sich zu Wort und tut sein Missfallen kund. Denn frei sind jene, die sich zu Wort melden können. Und im Dienst dieser Freiheit stehen denn auch all die unterschiedlichsten Ausdrucksformen der Kunst von heute.

Wenn nun nämlich Ausstellungsmacher und Festivalbetreiber – das kommt vor – im Zeichen des Zuspruchs den Empfindlichkeiten irgendwelcher Gruppierungen nachgeben und sogenannte Zensur üben, dann geschieht dies aufgrund der Freiheit eines sich optimal vermarktenden Kulturkapitalismus.

Wirkliche Zensur aber, das ist dann doch noch etwas anderes. Sie kommt nämlich von oben.

Neue Zürcher Zeitung, Nr. 60, Mittwoch 13.März 2019, Feuilleton S. 35




"wat den eenen sin uhl, is den annern sin nachtijall" - und hinzufügen kann man bei einigen bildern oder anderen kunstwerken, die irgendeiner zensur verdächtig sind: "nachtijall - ick hör dir trapsen" - also: "jeder sieht die sache aus seiner perspektive!" - und "vorsicht - mir schwant schon was" ... - und neudeutsch würde man wahrscheinlich formulieren: es kommt auf das momentum an - in welchem trend bewegt sich das werk ...

und das hat nun mal öffentlich gezeigte kunst so an sich: da ist zunächst der/die künstler*in, der/die sich "verwirklichen" - sich "ausdrücken" will - oder eine "auftragsarbeit" konzipiert und auf die leinwand bringt - also 
  • künstler*in und 
  • motiv - und dann ist da der/die 
  • betrachter*in: 
in dieser wahrnehmungstriade entwickeln sich nun dynamisch hin und her springende ebenen und beziehungen und blickwinkel, die zufriedenmachen oder entspannen und zum meditieren anhalten oder eben aufschrecken, die eigene moral angreifen, oder den zeitgeist positiv oder negativ berühren...

aber dieser "zeitgeist", ist nur eine flüchtige schimäre: die sich je nach partner*in, geldbeutel oder politik oder geschmack oder bischof oder herrscher oder politklasse oder regime jeweils wie ein chamäleon verändern kann - und die farbe jeweils ganz opportunistisch wechselt und sich anpasst - oder eben nicht - und abgehängt oder gar verbrannt wird ...

man denke nur an die geschichte des bauhauses, das als "avantgarde" zunächst gefeiert wurde und mit dem man auch international anerkennung bekam - und dann bei den nazis teilweise als "kulturbolschewismus" in "entartete kunst" abgleitete ...  - und die geschichte der bauhaus-architektur von jüdischen bauhaus-architekten z.b. im exil heute in der "weißen stadt" ausgerechnet im israelischen tel aviv.

das sind  regelrechte metamorphosen in der kunstentwicklung und -bewertung des immer gleichen gegenstandes ... - die menschen verändern sich und ihre wahrnehmung und ihre betrachtungsweise.

von daher wird es immer wieder skandale und skandälchen um kunstwerke geben. und wenn mr. banksy sein werk mit einer im bilderrahmen eingebauten automatik als "kunst" zu unbrauchbaren fetzen schreddern will - um so auch den fadenscheinigen kunstmarkt "vorzuführen" - bleibt doch tatsächlich die zerstörung wegen eines defekts in der mitte stecken - und der übriggebliebene werk-torso gewinnt in genau diesem akt im nun ein vielfaches an marktwert hinzu - und wird so, in streifen zerschnitten bis zur hälfte, zur zeit im burda-museum ausgestellt - mit großem publikumserfolg...

das ist vielleicht alles ziemlich verrückt - aber im sport (200 millionen für ronaldo) und in der kunst (450 millionen für ein fragliches und reichlich überpinselt restauriertes bild aus der schüler-werkstatt von leonardo da vinci: das "salvator mundi") kann man nicht mit "nornalen" kriterien urteilen: das sind - für mich wenigstens - spiele, die sich die menschheit einfach gönnt: denn wir waren noch nie freier wie jetzt im moment ...


verena brunschweigers null-kind-feminismus | mach et - aber behalts für dich

Verena Brunschweiger ist kinderlos aus Überzeugung 
"Traurig, Frauen so zu sehen" 
Sie will keine Kinder, sagt Lehrerin Verena Brunschweiger. Im Interview erklärt sie, warum sie das zu einer besseren Feministin und Umweltschützerin macht - und was ihre Eltern dazu sagen.
Buch "Mutterschaft" 
Keine Kinder wollen 
Muttersein oder Nichtsein? Sheila Heti zählt zur Literatur-Avantgarde Amerikas. Nun ist ihr Buch über gewählte Kinderlosigkeit auf Deutsch erschienen - es besticht durch eine gedankliche Freiheit, die sich viele nicht nehmen.



leibesfrucht im frühen stadium

ist das zufall oder reine verlags-pr - aber der spiegel preist recht üppig zumindest zwei bücher an, wo zwei autorinnen für sich eine "kinderlosigkeit" bzw. "kinderfreiheit" anpreisen  - und anderen "mutterwilligen" frauen - nach meiner unmaßgeblichen meinung - etwas provokativ den "stinkefinger" zeigen.

ich weiß vor allen dingen nicht, warum man aus jeder persönlichen hoffentlich gut durchüberlegten einzelentscheidung für sich und seine lebensplanung immer gleich die große publicity lostreten muss - damit die persönliche entscheidung aus dem stillen kämmerlein auch alle mitkriegen: da geht es doch um kohle, ums schnöde geldverdienen, um auflagenhöhe.

und das ist so eine mode geworden - auch über die sozialen netzwerke - alles persönliche, auch das intimste sosein, im wahrsten sinne des wortes "mit-zu-teilen": der welt, dem netz usw. - und ob die anderen es hören, lesen oder sehen wollen - oder nicht: da wird auf die grassierende schnöde [penis-?]neid-debatte spekuliert: frauen müssten möglichst so sein wie männer - ("meine karriere - mein bankkonto - mein tennisschläger") nur dann sind sie echte feministinnen  ...

dabei macht ja "feminin" (frausein) gerade die kaum übertragbare möglichkeit der fortpflanzung und der geburt aus - ist also ein zentrales natürliches merkmal des frauseins überhaupt.

damit will ich nicht gesagt haben, dass erst eine geburt die frau zur frau macht - aber die totale negierung und verweigerung ihrer einzigartigen natürlichen möglichkeit (!) kann ja nun auch nicht, weil es frau brunschweiger in den kopf kommt, zum merkmal für eine "echte feministin" - für eine "radikal-feministin" werden, wie sie sich nennt - da sei der herr vor ...

ich glaube, dass dieses mitteilungsbedürfnis der bewusst kinderlosen frauen jetzt in der "me|too"-debatte auch eine gewisse form des "exhibitionismus" darstellt, der zurschaustellung allerletzter und intimster bedürfnisse und lebensplanungen - das völlige bloßlegen ihrer selbst: denn jeder "exhibitionismus" findet seine "voyeure" und "claqueure" ... - aber wer derartig einblick gewährt und "nach allen seiten offen ist - kann nicht ganz dicht sein" - weiß schon der volksmund ...

und - weil man ja mit diesen tiefen offenbarten einblicken in die eigene seele und in den eigenen körper und in die intimsten bereiche geld verdienen will, um die auflage des eigenen buches und seine persönliche publicity zu erhöhen, hat ein solches prozedere - für mich jedenfalls - auch etwas von "prostitution" (= von lateinisch prostituere = „nach vorn/zur Schau stellen [!], preisgeben [!]“).

und wir haben ja nun völlig unverschlüsselt im spiegel-artikel erfahren müssen, dass frau brunschweiger sich nirgendwo rasiert und mit "diversen mitteln" rigoros verhütet - mit ihrer einstellung könnte sich frau brunschweiger ja auch schnurstracks  - vielleicht öffentlich ? - sterilisieren lassen: wir wissen nun alle wenigstens ziemlich genau bescheid - auch wahrscheinlich über die graue farbe ihrer unrasierten schamhaare - mit 38... 
allerdings würde die schambehaarung bei einer "tubenligatur" wohl doch abrasiert - aber das könnte man sicherlich im vorhinein abklären ...

aber - was hat man für einen innerpsychischen allgemeinzustand - wenn man all diese intimitäten und persönlichen beweggründe gegen knete in interviews und talkshows und im buch und auf lesungen nun hunderttausenden männern und frauen offenlegt und sich damit gläsern und nackicht macht - aber gleichzeitig zu beginn des spiegel-interviews die eigentlich beabsichtigte einstiegsfrage der redakteurin "warum haben sie keine kinder?" brüsk zurückweist, weil das ja wohl ein "fauxpas" darstelle, weil ihr das ja einfach viel zu althergebracht frauen-rollenimmanent ist ...

und frau brunschweiger sagt dann im weiteren - wörtlich: "für mich bedeutet feminismus, jeglichen patriarchalen imperativ abzulehnen. das heißt: feministin ist die, für die mutterschaft nicht infrage kommt." - punktum...

aber sie schreibt diesen angeblichen partriarchalen imperativ fest mit einem tiefen unerfragten einblick in ihren slip und in ihre fantasien zur schamhaar-rasur ("...ich bin auch nicht komplett rasiert. ich sehe so aus, wie ich aussehe, nicht wie ein kleines mädchen"...) - 

frau brunschweiger verwechselt da etwas: mutterschaft hat primär mit "patriarchalem imperativ" nichts zu tun - sondern mutterschaft ist ein "imperativ humanum", wenn ich so sagen darf, eine menschliche eigenschaft und notwendigkeit - nicht für jede - aber auch zum überleben als spezies auf diesem planeten - und als persönlicher glücksmoment für viele - 
etwas von sich als mensch weiterzugeben mit einer geburt ist ein ethisch legitimierter genetisch angelegter urtrieb überhaupt, ein überlebenstrieb - ist etwas anderes, als sich preiszugeben...

"preis-geben" - das ist wieder so ein weiser deutscher begriff: man gibt etwas oder alles von sich preis - und erzielt damit einen preis - denn alles hat ja zumindest heutzutage seinen preis. selbst also das frausein, das muttersein, wird zur schnöden "ware", die vermessen und ökonomisch und ökologisch taxiert wird: man trägt seine eigentliche "weiblichkeit" damit gnadenlos zu markte - und verrät sie - und nennt sich dann "radikal-feministin" - unglaublich ...!!!

das ist schon höchst raffiniert, wie man frauen und männern damit das voyeur-geld aus der tasche ziehen will - und eigentlich ja nur mit dem übersetzten und umfassenden öffentlichen bekenntnis, jede art von verantwortung und lebenswagnis für andere aus sich heraus (vielleicht aus irgendeiner ur-angst ???) abzulehnen und ad absurdum zu führen ... - und eine solche frau unterrichtet nun "unsere kinder" auf einem gymnasium: wehe wenn sie losgelassen ... - 

aber das sollte man doch auch noch mal amtlicherseits überdenken und mit dem grundauftrag als lehrerin überhaupt abgleichen. ich weiß gar nicht, ob eine derartige "nebentätigkeit" als autorin mit immensen pr-verpflichtungen und diesen aussagen und grundüberzeugungen mit einem solchen lehrerinnen-job überhaupt kompatibel ist - ich habe da meine erheblichen zweifel im hinblick auf ethik und reife... 

frau brunschweiger meint jedenfalls, jedes neugeborene kind entwickele im laufe seines lebens einen 
  • "riesigen ökologischen fußabdruck". 
  • bei einer geburt würde sie einem menschen ziemlich wahrscheinlich etwas schlimmes zumuten, wenn sie ihn zur welt brächte
  • [vielleicht hat frau brunschweiger aber auch schiss, sich selbst etwas "schlimmes zuzumuten", während sie einen menschen zur welt bringt] - 
  • junge mütter hätten nach der geburt eines kindes oftmals "keinen job, wenig geld und chronische rückenprobleme" - 
  • und ihr vater meint, dass sie jedem, der sie nach kindern fragt, eine karte mit der entwicklung der weltbevölkerung vor die nase halten soll ...
bei dieser argumentation blenden vater und tochter brunschweiger die unweigerliche sterblichkeitsrate aller menschen aus, die nach einer gewissen spanne bis jetzt wenigstens immer noch bei 100% ankommt - also jeder ökologische fußabdruck verwischt - und kann wieder - dann umweltverträglich vermindert - erneuert werden ...
aus fast den gleichen beweggründen, die frau brunschweiger für ihre "kinderfreiheit" ins feld führt, hat seinerzeit die chinesische regierung [immerhin] die "ein-kind-familie" propagiert, um das ungebremste bevölkerungswachstum - ebenfalls mit ökologischen argumenten - einzudämmen. 
da es dadurch aber zu einem drastischen geburtenrückgang und einem frauenmangel in diesem riesigen land gekommen ist, was die volkswirtschaft insgesamt erheblich belastet, wurde diese politik wieder in die tonne getreten - also: der mensch denkt - aber gott lenkt ...

dass frau brunschweiger nun aber ihre geschlechtsgenossinnen, die sich nun mal zu einer mutterschaft entschlossen haben, geradezu diskriminiert, indem sie ihnen jeglichen eigentlichen feminismus abspricht und meint, es sei "traurig, frauen so [als mutter 'leidend'] zu sehen", empfinde ich als mann nun ziemlich dreist - und schäbig: "leben - und leben lassen!!!", liebe frau brunschweiger - das nehmen sie für sich in anspruch - aber diesen anspruch haben alle anderen frauen auch ...

mal sehen, was sich frau brunschweiger für ein nächstes geldbringendes projekt für ihre weitere schreibe und für weitere talkshow-teilnahmen zurechtlegt, wenn ihr jetziges buch endlich da gelandet ist, wo es hingehört: nämlich auf den grabbeltisch der geschichte ... -

und bei dem publizistischen hype, der da um ihre thesen und ihre persönliche "preis-gabe" nun entfacht wird, wo man befürworter und gegner gleichmaßen heißmacht, um auflage zu erzielen, ist das auch nur wieder eine der ständigen pr-marginalen, die durch die gazetten und medien gejagt werden - bis zur nächsten steilen these von einer anderen - ach - was soll's ...  

denn der alte satz bleibt ja bestehen: nichts ist so kontant wie der wandel! ... und mal sehen - in welche partei es frau brunschweig nach 15 jahren spd mit ihrem feministischen imperativ dann treibt ... - aber das hieße ja auch wieder, vielleicht für irgend etwas verantwortung zu übernehmen - für das eigene leben und für das leben anderer ... - das hieße ja, scherben zusammenzufegen ...
verhütung



finaler unterwassermoment


massenhysterie - wahlkampf - und alles nur gefühlt

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da wird jetzt aber eine protestwelle durch das land gehen: nur 3 verurteilungen bei über 660 weiblichen opfern und 1304 strafanzeigen ... - und das war alles noch zu zeiten der spd-grünen nrw-regierung unter hannelore kraft - und was hatte damals die cdu geschäumt: "wer hat wann was gewusst - und was wurde bewusst nicht gewusst" - und so ... - nun hat die cdu das sagen und einen unerbittlichen innenminister (herrn reul) am start (stichworte: lippe/lügde - hambacher forst) - aber die anzahl der verurteilungen bleibt in köln zur silvesternacht 2015 die gleiche wie damals bei frau kraft.

und jetzt - und jetzt werden viele der geschädigten aber ohne genugtuung dastehenden frauen in blanker wut ob sooooviel unvermögen der polizei und der staatsanwaltschaft auf die domplatte strömen und lauthals demonstrieren - jaaa - das werden die aber mal sowas von - ...

das Markenzeichen von femen sind seit 2010 oben-ohne-aktionen, bei denen die aktivistinnen ihre nackten oberkörper mit parolen bemalt haben und blumenkränze im haar tragen. für diese aktionsform wird von femen auch die bezeichnung "sextremismus" verwendet. femen bezeichnet sich selbst als neue globale frauenbewegung. sie protestieren zumeist gegen die missachtung der frauenrechte ...


"wir fordern unsere rechte", werden sie brüllen und kreischen - und: "mein leib gehört mir - niemand betatscht mich hinterrücks - und kanacken schon gar nicht ...!!!" werden sie rufen - und im gleich-trippelschritt hinein in den dom - und dort werden sie in guter alter "femen"-manier barbusig auf den altar springen und ihr höschen aufs kruzifix werfen - und große randale machen, wovon die massenmedien bestimmt noch - also bestimmt noch - ein paar oder viele - auf alle fälle lange zeit was zu berichten haben werden ... - da sei der herr vor ...

also gut - jetzt übertreibe ich alter bock mal wieder maßlos: aber - ich habe extra rumgegoogelt mit der "suchen"-funktion: in allen berichten jetzt zum abschlussbericht der kölner polizei schreibt niemand das wörtchen "massenhysterie" - keine redaktion schreibt im zeitalter von #me|too die tatsächliche wahrheit: dass nämlich (meiner unmaßgeblichen meinung nach) in einer art "massenhysterie" -  weil es damals auch politisch gerade "chic" und angesagt war - und man gegen den "nafri"-asylanten-pöbel endlich etwas unternehmen musste wollte - eine "abstimmung" mit den füßen - und frau viele "gefühlte" übergriffigkeiten gar nicht real und tatsächlich erlebt hatte, sondern einfach mitgerissen wurde mit dem ganzen allotria und anzeigen-strudel und -trubel, denn viele erinnerten ja erst stunden und tage später diese gemeinen herabwürdigenden ehrabschneidenden und übergriffigen vorkommnisse ... - eine vollendete vergewaltigung z.b. mit vollendetem koitus mitten auf der domplatte blieb ohne jede anzeige: "aus scham" - und auch der polizist, der angeblich den täter von der frau wegriss, verschwieg seine heldentat ganz selbstlos - und erst ein halbes jahr später berichtete eine "betreuerin" der armen frau dem untersuchungsausschuss im landtag davon ...

schon früh wurden ja die anderen zunächst behaupteten "tatsächlich vollendeten vergewaltigungen" damals wieder eingezogen - und wenn es so überfüllt und voll ist auf der domplatte und man selbst sooo 8-9-17 sekt und likörchen schon getrunken hat - und der eigentliche begleiter auch schon - also ganz schön - und auch noch dingens eingeworfen - und so ... - also dass frau sich da im nachhinein wie begrapscht, wie angefasst, wie geduscht vorkommt - und auch jetzt die tastenden hände immer noch an sich spürt - das bleibt beim besten willen gar nicht aus ... - echt gar nicht ...

in anlehnung an "wikipedia" bezeichne ich mal "massenhysterie" als eine starke emotionale meist auch stark alkoholisierte oder auch mit drogen aufgeputschte erregung in großen menschenmengen, etwa (euphorisch) aus anlass von rock- und popkonzerten ("love-parade" duisburg - mit diesem tatsächlich schrecklich tragischen ausgang), oder silvester- und karnevalsfeiern auf straßen und plätzen, großen sportereignissen (fan-meile oder süd-kurve) oder (trauernd) nach dem tod von berühmten personen (lady di). aber auch die mittelalterliche tanzwut, der hexenwahn im mittelalter mit vielen opfern, und andere massenhaft auftretende ängste (etwa die kommunistenangst im westen während des "kalten krieges" - oder jetzt oft die angst vor flüchtlingen "fremder" herkunft und hautfarbe) münden häufig in massenhysterie - oft einhergehend mit anmache, beleidigungen, anpöbelungen, schubsereien, schlägereien, antanzereien mit kleindiebstählen und übergriffigkeiten ...: denn - und das sagt man ja schon bei kindern: nach müde kommt doof [und in diesem falle ja mehr als genug alkohol und hohem adrenalin-, testosteron- und östrogen-pegel etc.].

auch die gesamte bevölkerung während des "dritten reiches" war durch gezielte goebbels-propaganda und den rundfunk-reden als damals neues medium ("wollt ihr den totalen krieg ???") und mit der von oben geschürten hatz auf juden und schmarotzende "erbkranke" und äußere "feinde" in einer art massenhysterie und massenwahn verhaftet.   

und hier nun stand ja 2017 die nrw-landtagswahl vor der tür - und durch die flüchtlingswelle stand die cdu eigentlich ende 2015/anfang 2016 nur leidlich in der wählergunst da - da musste man doch in stoßgebeten irgendetwas herbeisehnen und über die medien und über die sozialen netzwerke mit-inszenieren - und das hat man dann ja als frau (mit der rechtsschutzhilfe des freundes) auch glatt geschafft - hand in hand ging es ab zum rechtsanwalt (wofür zahl ich denn den rechtsschutz ???) und dann auf die wache - und dann mit dem anwalt die anzeige aufsetzen: das war nur so ein gucken ... - ha - das wolln wir doch mal sehen ...

und jeder tag - bald auch wie ein lauffeuer in anderen nrw-metropolen - ergab neue rekordzahlen bei all den angrapsch-zahlen - "also - dass will ich mal sagen: meine freundin und ich - wir lassen uns das nicht gefallen - von de naffris schon gar nicht" ...

silvesternacht 2015 kölner domplatte

also sprach die wegen den flüchtlingen angeschlagene kanzlerin: "die taten der kölner silvesternacht sind widerwärtig und verlangen nach einer harten antwort des rechtsstaats": und siehe da - knapp 18 monate später wurde cdu-freund laschet ministerpräsident von nrw - und stieß tatsächlich frau kraft vom sockel -  mit dem fdp-neoliberalen lindner im duett, der sich dann aber rasch aus der verantwortung stahl, um zum jahreswechsel 2017/2018 bei den jamaika-koalitionsverhandlungen nochmals rechtzeitig abzuhauen ...: wasch mich - aber mach mir den pelz nicht nass: und da muss der "rechts"staat - muss der aber - mit der ganzen härte - verstehste - und mit den kölner feme-frauen: mit papierkügelchen weitwerfen - einfach nur niedlich ...

"... möchte ich Sie noch höflich bitten, mir folgende Fragen zu beantworten" - update

UPDATE - 
in den letzten tagen wurde dieser beitrag vom herbst 2018 einige male erneut aufgerufen - dadurch aktualisierte er sich quasi wie von selbst ... 
ich fügte hier ein "deutschlandfunk"audio-feature zum thema bei - und fand im netz ein relativ gut erkennbares gesamt-foto vom passow-triptychon, das ich meiner mühsamen"rekonstruktion" aus verschiedenen quellen gerne hinzufügen mag... 
ansonsten gelten für mich weiterhin meine ausführungen dazu vom herbst 2018 - wie in irsee der derzeitige stand der entwicklung um das triptychon ist, vermochte ich im netz nicht zu klären ...  sinedi - 11.03.2019


Gedenkkultur

Die unerträgliche Wahrheit

Aus einer Gedenkstätte für die Opfer der Kranken-Ermordung durch die Nazis in Kloster Irsee wird wohl ein Kunstwerk entfernt, weil es nicht mehr der aktuellen Gedenkkultur entspricht

VON SABINE REITHMAIER | SZ

Der Anblick des Triptychons ist nicht leicht auszuhalten: ein sich verzweifelt aufbäumender Bub, der von zwei Frauen hochgezerrt wird. Wie eine Kreuzigungsszene mutet das dreiteilige Werk an, das eines der gequälten Kinder zeigt, die in der "Bayerischen Heilanstalt für Geisteskranke" in Irsee während der Nazizeit durch Spritzen ermordet wurden oder durch gezielt eingesetzte Magerkost verhungerten. 

Der rechte Flügel des Triptychons:
Das gepeinigte Kind wirkt in seiner
Haltung wie der gekreuzigte Christus.
Foto: Beate Passow, VG BildkunsT Bonn 2018
Beate Passows Werk hängt in der Prosektur dieser ehemaligen Anstalt. Vielleicht sollte man besser sagen, noch hängt es da - denn die Münchner Künstlerin ist davon überzeugt, dass ihr Werk entfernt werden soll. Ob ihre Annahme richtig ist, dazu wollte sich der Besitzer des Triptychons, der Bezirk Schwaben, nicht äußern. Jedenfalls nicht vor der Sitzung des zuständigen Werkausschusses, der an diesem Donnerstag tagt und über eine Neukonzeption der Gedenkstätte berät.

"Die Prosektur als solche bedarf einer Neukonzeption, um den heutigen Ansprüchen an eine produktive didaktische Gedenkstättenarbeit zu genügen", teilte die Pressestelle des Bezirks mit. Ein artiger Satz, fast so artig wie der Titel des Triptychons: "... möchte ich Sie noch höflich bitten, mir folgende Fragen zu beantworten". Passows Werk hängt seit 20 Jahren in dem kleinen Gebäude, das versteckt auf der Nordseite der ehemaligen Klosteranlage Irsee liegt. Nach der Säkularisation wurde es erst als "Kreis-Irrenanstalt", dann als Zweigstelle der Pflegeanstalt Kaufbeuren genutzt. In der Prosektur sezierten die Ärzte die Leichen der Patienten, um ihre Todesursache festzustellen, auch dann, wenn sie, wie in der Nazi-Zeit genau wussten, woran die Patienten gestorben waren. 1972 wurde die Irseer Abteilung für psychisch Kranke aufgelöst, wenige Jahre später in ein Bildungszentrum des Bezirks Schwaben umgestaltet. Seither hat sich viel verändert. Nur in der Prosektur, die Mitte der Neunzigerjahre in eine Gedenkstätte für die Opfer des sogenannten Euthanasie-Programms umgewandelt wurde, sieht es noch genauso aus wie damals, abgesehen von Passows Triptychon im Vorraum. Das Werk überfällt den Betrachter übrigens nicht unerwartet. Zugänglich ist die Prosektur nur für diejenigen, die sich zuvor den Schlüssel beim Hauspförtner holen.

Der Titel des Triptychons: "... möchte ich Sie noch höflich bitten, mir folgende Fragen zu beantworten". (Foto: Beate Passow, VG BildkunsT Bonn 2018)


Der dreiteilige Siebdruck ist ursprünglich auch nicht für diesen Ort entstanden. Michael von Cranach, langjähriger Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren, dem es in erster Linie zu verdanken ist, dass die Geschichte der Kaufbeurer und Irseer Anstalt während der Nazizeit so präzis aufgearbeitet worden ist, hatte Beate Passow Originalaufnahmen übergeben und sie ermuntert, daraus ein Werk zu schaffen. Vom Ergebnis war Cranach sehr beeindruckt. Auch Rainer Jehl, damals Leiter des Bildungszentrums, faszinierte das 1996 in einer Ausstellung des Kunsthauses Kaufbeuren gezeigte Werk so, dass er es für die Prosektur erwarb.

Michael von Cranach, der auch am soeben erschienenen "Gedenkbuch für die Münchner Opfer der nationalsozialistischen 'Euthanasie'-Morde" mitgearbeitet hat, schätzt das Triptychon noch immer sehr. Aber manchmal frage er sich inzwischen, ob das Werk in der jetzt präsentierten Form noch der aktuellen Gedenkkultur gerecht werde, sagt er. Zum ersten Mal sei ihm das bewusst geworden, als vor fünf Jahren die Arbeitsgemeinschaft der Euthanasieforscher und Gedenkenstättenleiter in Irsee tagte und manche Kollegen es entwürdigend fanden, Täterbilder von den Opfern zu zeigen. Das Argument, es handle sich um Kunst, wollten sie nicht gelten lassen. Genauso wenig wie die Mitarbeiter aus Behinderteneinrichtungen, die Cranach während seiner Führungen durch die Prosektur darauf hinwiesen, es sei mit Artikel 5 der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar, Behinderte in derart diskriminierender Weise zu zeigen.

Als auch eine von Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Vorjahr initiierte Tagung, die sich mit der Frage der Namensnennung von Euthanasieopfern beschäftigte, zu dem Ergebnis kam, Namen und Daten der Opfer sollten zwar veröffentlicht werden, nicht aber diskriminierende Täterdarstellungen oder deren falsche Diagnosen, setzte das große Nachdenken ein. Seither machten sich die Bezirke Gedanken darüber, ob sie ihre Gedenkstättenkultur verbessern müssen, sagt Cranach. Er selbst würde Passows Bild nicht abhängen. "Ich habe den Vorschlag gemacht, in Irsee eine kleine Tagung mit Experten und Beate Passow zu veranstalten und darüber zu diskutieren, was man tun kann." Vielleicht reiche ein ergänzender Kommentar zur Geschichte der Gedenkkultur.

Passow, 1945 als Tochter eines Nationalsozialisten und einer polnischen Köchin geboren, beruhigt das im Moment nicht. Dass Bezirkstagspräsident Jürgen Reichert, bei dem sie sich am 14. August brieflich nach der Zukunft ihres Werks erkundigte, bis heute nicht reagiert hat, ärgert sie schon. Erst im Vorjahr für ihre konsequente künstlerische Haltung mit dem angesehenen Gabriele-Münter-Preis ausgezeichnet, arbeitet sie seit vielen Jahren gegen das kollektive Vergessen an. Ihre Kunst - von der Fotografie über Collage und Installation bis zur Aktion - ist immer politisch. Auch wenn sie nicht glaubt, dass sich mit Hilfe der Kunst etwas ändert, ist sie doch von deren emotionalen Potenzial überzeugt. Und auch davon, dass die Wahrheit dem Menschen zumutbar ist.

sueddeutsche zeitung
ich habe versucht, verschiedene z.t. verzerrte wiedergaben im netz einigermaßen als gesamteindruck des triptychons von beate passow zu "rekonstruieren" ...
(Quellen hierzu: lkaelber|www.uvm.edu - beate passow, vg bildkunst bonn 2018 - vdt.ev - bearbeitung: sinedi|art)



inzwischen habe ich im internet [click here] wohl ein authentisches erkennbares original-foto vom passow-triptychon gefunden ... (sinedi - 11.03.2019)


click here zu der neuesten entwicklung
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mich erinnert dieser "fall" an die auseinandersetzung um das spanische gedicht "avenidas" von dem "konkreten" dichter eugen gomringer an der fassade einer berliner hochschule, das wegen seiner angeblich sexistischen interpretierbarkeit der letzten zeile - eines "bewunderers" der straße, der blumen und frauen auf den ramblas in barcelona - nun mit einem anderen text übertüncht wird.

und auch an die auseinandersetzung um die "stolpersteine" in münchen, die der rat dort auf geheiß von frau knobloch von der jüdischen gemeinde ablehnte, "weil man nicht erneut mit stiefeln auf die namen der holocaust-opfer herumtrampeln darf" ...


deutschland insgesamt tut sich schwer mit einer angemessenen gedenk- und erinnerungskultur - jetzt 80 jahre nach den damaligen geschehnissen. und "nazi-deutschland", das waren nicht irgendwelche monster von einem anderen stern, das war auch kein "vogelschiss" in der "langen" geschichte der deutschen (das zusammenhängende "deutsche reich" wurde erstmals erst 1871 begründet): das waren unsere vorfahren und verwandten, opa und oma und (groß)onkel und (groß)tante - das waren nicht etwa irgendwelche fremden migranten von anderswoher, das waren nachbarn und biedere bürger von nebenan...


doch meines erachtens versucht man jetzt mit "angemesseneren zeitgemäßeren formen des gedenkens" auch immer mehr die tatsächlichen  taten und geschehnisse und übergriffe und morde auszublenden und ebenfalls nach und nach zu übertünchen - und ich werde dabei den verdacht nicht los, dass das auch geschieht unter der allgemeinen prämisse: "nun muss es doch auch endlich mal gut sein" ...

die beiden frauen, die die kinder oder das kind auf den triptychon-abbildungen hochzerren waren ja höchstwahrscheinlich seinerzeit ganz einfache  k r a n k e n -    s c h w e s t e r n - vielleicht sogar ordensschwestern, die das auf anweisung eines arztes und in ihrer verantwortung vor gott taten ...

während also der afd-höcke herumschwadroniert, das berliner holocaust-mahnmal sei "ein denkmal der schande" und er "eine erinnerungspolitische wende um 180 Grad" einfordert, meint sein parteivorsitzender gauland, die nazi-diktatur sei lediglich ein "vogelschiss" in der geschichte deutschlands gewesen.

und genau in diesen verleugnungs-prozess platzt nun die idee zur umgestaltung der erinnerungskultur in kaufbeuren-irsee mit umgestaltung oder gar dem verzicht des triptychons von beate passow.

20 jahre hat dieses triptychon die besucher dort - zugegebenermaßen recht eindrücklich - zum nachdenken gebracht und die unvorstellbaren grausamkeiten dort in erinnerung gerufen und plastisch vor augen geführt, und nun werden plötzlich argumente gefunden aus dem "political-correctness"-katalog, dass aus ethisch-ästhetischen überlegungen heraus "täterbilder von 'euthanasie'-opfern" nicht gezeigt werden sollten - und dass nach artikel 5 der UN-behindertenrechtskonvention behinderte menschen nicht in derart diskriminierender Weise abgebildet werden sollten.

aber hier werden ja nicht behinderte menschen zur schau gestellt - sondern es werden doch quasi wie in einer anwaltsakte tatsachen der grausamen nazi-menschenverachtung per tatortfotos mit-geteilt und "bewiesen" - besonders auch der nachwelt, die davon vielleicht vor lauter scham und verleugnung und verdrängung in den familien vielleicht noch nie davon gehört hat - und sich kaum ausmalen kann, was da in nächster nachbarschaft oder gar in der eigenen familie abgegangen ist.

und da manche videospiele bedeutend brutalere abbildungen mit aktiven handlungsanweisungen zeigen und kombinieren, kann man auch nicht davon sprechen, diese drei triptychon-bilder seien unerträglich. natürlich sollten die besucher dort schon eine gewisse persönliche reife erlangt haben.

gerade in der christlichen ikonographie wird das triptychon ja in vielen altarbildern verwandt - und oft mit der abbildung eines kruzifix mit dem elend ermordeten und verendeten jesus - ein abbild hier als mahnung, meditation und gebet. niemand würde auf die idee kommen, dass diese darstellungen nach irgendeiner menschenrechtskonvention nicht mehr gezeigt werden könnten - und als "täterbild" käme bei einem christlichen kruzifix ja "der mensch", "die menschheit" in frage - wie auch bei der "euthanasie": "täter" waren nicht irgendwelche einzel-mörder, sondern bei diesen industriell durchorganierten tötungsaktionen gab es immer viele täter und mit-täter: oft angefangen bei den denunzianten in familie oder nachbarschaft, über zwangseinweisungen durch die polizei und die braunen nsv-ortsfürsorgerinnen, über die "rassenkundlich forschende" ärzteschaft, über die transporteure der reichsbahn und der "gekrat"-busse, bis hin zu den "pflegerinnen und pflegern", die die tödliche spritze auf anordnung setzten oder das gift verabreichten, oder die helfer an den verbrennungsöfen und vor den gaswagen und gaskammern. 

bei diesen ca. 300.000 "euthanasie"-mordopfern - neben den 6.000.000 holocaust-opfern - summiert sich da eine unvorstellbar große anzahl von menschen, die mitbeteiligt war: sie alle lebten und leben mitten unter uns - zumeist nicht einmal belangt oder gar angeklagt. das alles waren menschen mitten aus dem "volk" - verblendete und ideologisierte menschen - aber menschen wie du und ich ...

und auch diese drei passow-siebdruck-bilder rütteln in erster linie auf - und brennen sich vielleicht auch ein - aber ich z.b. bin durch einen besuch mit meiner konfirmandengruppe in einem heim für schwerstbehinderte kinder in bethel damals auf die idee gekommen, dort einmal meinen zivildienst abzuleisten und habe diese arbeit dann zu meinem beruf gemacht - zu meiner "berufung" gewählt - weil die wahrnehmung der menschen dort meine zuneigung und meinen schutzinstinkt und meine fürsorge geweckt haben - und meine prämisse war es immer, diese mitmenschen nicht mehr auszugrenzen, sondern mit hineinzunehmen.

man darf auch die mordtaten gegen diese menschen nicht ausgrenzen, sondern sie müssen als mahnmal mitten unter uns sein und bleiben - und es muss auch das "wie" vorstellbar in seiner grausamkeit uns allen erhalten sein.

man darf vor lauter "political correctness" die tatsächlichen geschehnisse von damals nicht heutzutage andauernd versuchen zu relativieren ... - gerade nicht zu einer zeit, beim dem nationalistisch-populistische bewegungen neu befeuert werden und sich gegenseitig hochkochen ...


es kann bei einer "zeitgenmäßeren erinnerungskultur" nicht "nur noch" darum gehen, das damalige mordgeschehen etwa durch symbole geradezu pseudoreligiös zu ritualisieren: beispielsweise etwa in einem nacht-"event" in einer "gedenk-gruppe" still vor flackernden kerzen zu sitzen, im andenken an die opferschicksale, die man aber tatsächlich als opferbiografien inhaltlich gar nicht zur kenntnis nehmen konnte - und auch gar nicht ("vor lauter unzumutbarem grauen") nachzuvollziehen gewillt ist - das entfacht eher einen "sportlichen durchhaltegeist" ("ich habe durchgehalten" - "ich bin dabeigewesen" - "ich habe mir die urkunde dafür gut abgeheftet") als ein historisch profundes "erfahren" mit der inhaltlichen skizzierung des damaligen geschichtlich-gesellschaftlich-"erbwissenschaftlichen" kontextes zum tatsächlichen letztendlichen massenhaften mordgeschehen...